Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #82
Prolog
Diese Woche dominiert der Krieg in der Ukraine die Berichterstattung. Das ist angesichts der Relevanz des Themas angemessen. Allerdings bedeutete das auch, dass weniger für diesen Newsletter relevante Artikel, weshalb diese Ausgabe etwas kompakter ausfällt, als normalerweise.
Es ist im Moment interessant zu beobachten, wie bestimmte Akteure hysterisch zu verhindern versuchen, dass ihre Themen vor dem Hintergrund einer realen Krise aus dem Fokus geraten. Antirassismus-Aktivisten behaupten zum Beispiel, es gebe nur soviel Empathie gegenüber Flüchtlingen aus der Ukraine, weil diese weiß seien und das eine Belastung für dunkelhäutige Menschen sei. Absurd.
Auch die Klimaschützer-Jugend sucht angestrengt nach Möglichkeiten, den Krieg für ihre Zwecke zu nutzen. Eine führende Aktivistin schreibt vom “fossilen Krieg” Putins und ruft zu einer Demonstration “für Frieden und Klimagerechtigkeit” auf, da das Kampfgeschehen von fossilen Energien “finanziert” sei. Obskur.
Es ist insgesamt abstoßend, wie schamlos diese Problemlage von allen Seiten instrumentalisiert wird.
In den letzten Tagen höre und lese ich vermehrt von Angriffen auf russische Geschäfte und davon, dass Russen (oder Menschen, die fälschlicherweise für Russen gehalten werden) angepöbelt und beschimpft werden. Das ist völlig inakzeptabel. Putin und seine Schergen müssen mit aller Härte bekämpft werden, damit dieser Krieg so schnell wie möglich endet. Ein Verhalten, das an Sippenhaft und dunkle Kapitel der deutschen Geschichte erinnert, ist allerdings nicht akzeptabel.
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Nun aber los.
Heute geht es unter anderem um ein verunglücktes Grußwort, eine nicht mehr ganz neue Ideologie und Dauerempörung.
Willkommen im Club!
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Politik und Gesellschaft
Am 21.Februar feierte die Schauspielerin und Regisseurin Margarethe von Trotta ihren 80. Geburtstag. Dazu gratulierte ihr Frank-Walter Steinmeier in einem Schreiben, datiert 18. Februar 2022. Dieses Schreiben, besonders eine Passage, hat für Aufsehen gesorgt. Darin heisst es:
Mit der Ihnen eigenen Handschrift ermöglichen Sie neue Sichtweisen, insbesondere auf große Frauen der Weltgeschichte, die sich den Brüchen und Zumutungen ihrer jeweiligen Zeit mit großer Intelligenz, persönlicher Stärke und einem ausgeprägten Willen zur Veränderung der gesellschaftlichen als auch politischen Verhältnisse stellen. Sei es das Leben von Gudrun Ensslin, Rosa Luxemburg, Hildegard von Bingen oder Hannah Arendt – allen diesen Frauen und vielen anderen haben Sie unvergessliche filmische Porträts gewidmet.
Diese Aufzählung inklusive des Namens Gudrun Ensslins wird nun skandalisiert. Es wird so hingestellt, als habe Steinmeier die Terroristin im positiven Sinn als “große Frau der Geschichte” bezeichnet. Das hat er nicht. Die Passage ist sehr unglücklich formuliert, aber im Prinzip werden darin lediglich Personen aufgezählt, zu denen von Trotta gearbeitet hat. Zudem kann man davon ausgehen, dass Steinmeier diesen Text nicht selbst verfasst hat. Seine Sprecherin hat sich bereits entschuldigt und geäussert, eine verurteilte Mörderin gehöre nicht in diese Aufzählung. Auch diese Reaktion ist falsch, denn sie macht sich das Narrativ der Kritiker zu eigen. Wegen einer solchen Lappalie den Rücktritt des Bundespräsidenten zu fordern, ist jedenfalls völlig übertrieben.
Bundespräsident gratuliert Margarethe von Trotta
Letzte Woche hatte ich über den Weggang von Harald Martenstein beim Tagesspiegel berichtet. Nach seiner Stellungnahme dort, hat er nun in einem lesenswerten Artikel in der “Welt” geschrieben.
Ich bin nicht wichtig. Der „Tagesspiegel“ ist nicht wichtig. Wozu also diese Geschichte? Sie handelt von etwas Wichtigem, der Meinungsfreiheit. Manche denken bei Storys wie dieser vielleicht „DDR 2.0“, Parallelen sind unübersehbar. Aber das trifft es nicht. Nach Nationalismus und Kommunismus wächst eine neue totalitäre Ideologie heran, ich nenne sie „identitär“, andere „woke“. Vom Nationalismus hat sie das Stammesdenken, wir sind besonders wertvoll. Vom Marxismus hat sie die irre Idee geborgt, sie sei keine Meinung, sondern eine Wissenschaft. Sie hat edle Ziele, den Kampf gegen Rassismus und Diskriminierungen zum Beispiel. Aber sie will die ganze Macht, sie ist unduldsam, sie kann skrupellos sein und brutal, um Andersdenkende auszuschalten. In den Medien wird sie immer mächtiger. Wer seine Meinung schlicht „die Wahrheit“ nennt, kann von der Meinungsfreiheit anderer natürlich nichts halten. Meinungsfreiheit ist nicht der historische Normalfall, sie ist eine kostbare Ausnahme. Man muss Tag für Tag um sie kämpfen, sonst ist sie schnell weg, und das ist nicht gut für die Gesundheit.
Man darf keinen Mut brauchen, um frei zu sprechen. Mein Fall ist von Interesse, weil ich eine zwar unwichtige, aber relativ bekannte Figur bin und weil meine Geschichte zeigt: Niemand ist mehr sicher, auch dann nicht, wenn zahlreiche Blechorden in Form von Journalistenpreisen an der Brust baumeln. Das ist eine klare Botschaft an junge Journalisten, niemals einen Satz zu schreiben, mit dem nicht schon mindestens zehn Kollegen durchgekommen sind, ohne unliebsam aufzufallen.
In jeder guten Geschichte sollte auch Liebe vorkommen. Chefredakteur zwei habe ich geliebt, so sehr, wie ein Hetero einen Mann nur lieben kann. Ein cooler Typ. Wir waren fast Freunde, darauf bin ich stolz. Das ist das Schlimmste, dieses Gefühl, in Zukunft niemandem in der Branche mehr trauen zu können, auch den Besten nicht. Ich denke, er musste das alles machen, er wollte es nicht wirklich, er ist keiner von denen, das darf einfach nicht sein. Warum tut er so was? In meiner letzten Mail habe ich geschrieben: „Lass uns mal ein Bier trinken.“ Es kam keine Antwort.
Es wächst eine neue totalitäre Ideologie heran - Welt
Zum Ende der Rubrik Sehenswertes. Ein Vortrag des Philosophen Philipp Huebl.
Festvortrag auf dem 20. Dresdner Symposium "Hämatologie und Onkologie" im September 2021. Über die progressive Revolution, den Rechtsruck, Offenheit als Tugend der Zukunft und die emotionalen Grundlagen der Moral.
Kultur
Coverversion der Woche: The Busters - Mickey Mouse in Moscow (FCK PTN Edit)
Ja, die Busters haben ihren eigenen Song “Mickey Mouse in Moscow” von 1988 im Rahmen des Ukraine-Kriegs neu interpretiert. Ursprünglich war der Song auf ihrem Debütalbum “Ruder Than Rude” enthalten. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich dieses im Alter von ungefähr 14 Jahren während eines Besuchs bei meiner Großmutter im örtlichen Plattenladen erwarb. Als ich das Vinyl auf den Schallplattenspieler legte und startete, hörte ich ihre Stimme aus der Küche:”Was ist denn das für eine Zirkusmusik?”. Zugegeben, ganz Unrecht hatte sie nicht. Natürlich war ich empört. Werde das Album am Wochenende mal wieder in Gänze hören.
Epilog
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