Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #78
Prolog
Am Wochenende wurde ich fachkundig in die philippinische Küche, die ich als Anfänger spontan als eine gelungene Mischung aus Chinesisch und Indisch beschreiben würde, eingeführt und war recht angetan. Die Information, dass es in ganz Berlin offenbar nur ein echtes philippinisches Restaurant gibt, ließ mich vor dem Hintergrund der Tatsache, dass hier sonst alles in zigfacher Ausführung existiert, erstaunt zurück. Ich werde mich auf jeden Fall noch eingehender mit diesem Thema beschäftigen.
Nicht erstaunt, sondern fassungslos, nahm ich die Information zur Kenntnis, dass Art Spiegelmans Graphic Novel “Maus – Die Geschichte eines Überlebenden”, die von den Erfahrungen seiner Eltern im Zusammenhang mit dem Holocaust handelt, vom Lehrplan für die achte Stufe eines Schulbezirks in Tennessee entfernt wurde. Die schwer zu ertragende Begründung, der einstimmig vom zehnköpfigen Gremium im Schulbezirk McMinn beschlossenenen Maßnahme: Schimpfwörter wie „damned“ und das Bild eines nackten Körpers – das der Mutter Art Spiegelmans, die nackt in einer Badewanne liegt, nachdem sie Suizid begangen hat. Dies wird als “unnötige Nutzung von Obszönität und Nacktheit und Darstellung von Gewalt und Suizid“ bezeichnet. Die gute Nachricht ist, dass sich “Maus” in Tennessee zum Bestseller entwickelt. Mein Exemplar habe ich mir 1989 von meinem Taschengeld gekauft.
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Nun aber los.
Heute geht es unter anderem um Antisemitismus, Geschichtsklitterung und Partybesuche.
Willkommen im Club!
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Politik und Gesellschaft
Die öffentlich-rechtlichen Sender mussten sich in letzter Zeit häufig mit Antisemitismusvorwürfen auseinandersetzen. Einige waren auch Thema in diesem Newsletter. Von Einzelfällen kann man nicht mehr sprechen. Das Problem liegt tiefer. Nun hat sich der WDR in die Nesseln gesetzt. Im Rahmen einer Dokumentation für die Reihe “Unterwegs im Westen” versucht die Journalistin Rachel Patt ahnungslos und mit fragwürdigen Methoden herauszufinden, wie “jüdisch” Deutschland sei. Nachdem sie eine Liste mit "jüdisch klingenden" Nachnamen erstellt hat, telefoniert sie diese ab und befragt die Aufgelisteten nach ihrem Stammbaum. Instinktloser geht es kaum. Das Portal “Übermedien” hat die Produktion genauer unter die Lupe genommen. Besonders die beschriebene Szene, die ich anfangs nur als Ausschnitt kannte, ist im Kontext noch grausiger.
Wenig später kommt es dann zu einer Szene, die auf Twitter für lautstarken Protest verschiedener Journalisten und jüdischer Menschen sorgte: Patt verfolgt die fixe Idee, sie könne anhand von Namen oder anderen Merkmalen herausfinden, „wie jüdisch Deutschland ist“, wie viele Menschen in Deutschland „jüdische Wurzeln“ haben.
Dafür ruft Patt „wild aus dem Telefonbuch“ Menschen mit Nachnamen wie Fleischer, Stein oder Lustig an und fragt sie, ob sie Juden seien. Die Namen hat sie auf einer Liste stehen. Im Film wird nicht deutlich, wie Patt zu dieser Liste mit Namen kommt. Auf Nachfrage von Übermedien gibt der WDR an, Patt habe diese Liste anhand eines Wörterbuchs für deutsch-jüdische Nachnamen des Berliner Briefträgers und Hobby-Forschers Lars Menk erstellt.
Zum einen ist natürlich schon der Ansatz, über Namen Juden zu suchen, reichlich abenteuerlich. Wie Patt an sich selbst schildert, steht dieser Genealogie von vornherein im Weg, dass sich Namen mit der Hochzeit ändern. Insbesondere für eine Zugehörigkeit zum Judentum, die im religiösen Judentum von der Mutter weitergegeben wird, eine hohe Hürde für Mischehen, in denen klassischerweise der Name des Mannes angenommen wurde.
Zum anderen aber nahmen viele Juden besonders „deutsche“ Namen an, um dem Antisemitismus zu entkommen. Gleichzeitig gab es Nazi-Größen wie Alfred Rosenberg mit vermeintlich „jüdisch“ klingenden Namen. Vor allem aber sollte man sich angesichts der deutschen Geschichte schlicht davor hüten, jüdische Namenslisten zu erstellen.
Bizarrerweise warnt der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Abraham Lehrer, die Reporterin Patt nur Minuten vor dieser Szene exakt davor: Schon ihn fragt sie nämlich, ob es nicht Verzeichnisse gäbe, wer Jude sei und wer nicht, wer eine jüdische Großmutter habe und wer nicht und so weiter.
Daraufhin antwortet Lehrer:
Ich sage jetzt mal ganz krass: Gott behüte gibt es keine Listen. Stellen Sie sich vor, es gäbe irgendwo in unserer guten Republik Listen, die dazu missbraucht werden könnten, Angriffe gegen jüdische Menschen zu starten.
Patt nickt wissend dazu und sagt immer wieder „ja“. Um dann buchstäblich im nächsten Augenblick des Films eine Liste anzufertigen und abzutelefonieren.
Es ist also keineswegs so, dass sie niemanden gefragt hätte, der es ihr hätte ausreden können, wie Hanning Voigts meint. Nein, sie macht es, obwohl der Vizepräsident des Zentralrats der Juden nolens volens versucht hat, es ihr auszureden. Um es mit einem jiddischen Bonmot zu sagen: Die Chuzpe muss man haben.
Der WDR und die „jüdischen Wurzeln“ - Übermedien
Wieviel Macht die woke Weltsicht inzwischen hat, zeigen auch die Entwicklungen bezüglich der geplanten Neuverfilmung von “Schneewittchen und die sieben Zwerge”. Die Urverfilmung des Disney-Zeichentrickklassikers ist von 1937, das eigentliche Märchen der Gebrüder Grimm von 1812. Der kleinwüchsige Schauspieler Peter Dinklage, bekannt aus “Game Of Thrones”, der selbst schon einige "Zwergenrollen” spielte, wirft dem Regisseur nun Scheinheiligkeit vor und bezeichnet die Darstellung der Zwerge als “rückständig”.
Disneys Antwort auf die heftige Kritik: Es wird keine sieben Zwerge geben. Wie jetzt? Wie soll das Märchen dann noch funktionieren? Um keine Stereotype zu befeuern, entschied sich das Unternehmen für eine Neuauflage auch für die sieben Helfer Schneewittchens. Man plane laut Disney einen „anderen Ansatz“ für die Figuren.
Geplant sei laut „The Wrap“ demnach eine Umformulierung: die sieben „magischen Kreaturen“ sollen dann die traditionellen Zwerge ablösen. Es bleibt eine Geschmackssache.
Man halte sich fest: Es reicht heute bereits die Empörung einer Person, um einen Weltkonzern wie Disney zum Einknicken und dazu zu bringen, Filmklassiker komplett umzuschreiben. Diese sektenartige Ideologie führte bereits zu historisch falschen Darstellungen, wie schwarzen Sklavenhändlern oder dunkelhäutigen nordischen Göttern. Ich halte das als Monty Python-Fan zwar für grandiose Realsatire, als Beobachter gesellschaftlicher Entwicklungen allerdings auch für hochgefährlich. Glücklicherweise gab es viel Widerspruch.
Dinklages gutgemeinter Versuch stößt auf viel Gegenwind. Insbesondere Schauspieler, die die Rollen von Kleinwüchsigen mimen, zeigen sich erbost. Es ginge dabei schließlich um Jobs und den daran hängenden Existenzen.
Einer seiner kleinwüchsigen Schauspielkollegen, Dylan Postl („Hornswoggle“ in WWE) kritisierte Dinklages Aktion nun heftig: „Peter Dinklage ist wahrscheinlich der größte Zwergendarsteller aller Zeiten, aber das macht ihn nicht zum König der Zwerge.“ Er zeigt sich wütend, denn laut ihm habe Dinklage für diverse solcher Rollen damals gerne die Gage angenommen. Er wirft ihm nun Scheinheiligkeit vor. Vielen Fans stellt sich nun die Frage, warum Disney das hat mit sich machen lassen.
Schneewittchen ohne die 7 Zwerge: „Game of Thrones“-Star sabotiert Neuverfilmung - TV Movie
Eine vernünftige Entscheidung hat die EU-Kommission diese Woche getroffen, indem sie Atomkraft und Erdgas als nachhaltig eingestuft hat.
Investitionen in neue Gas- und Atomkraftwerke sollen in der Europäischen Union unter bestimmten Auflagen als klimafreundlich gelten. Trotz massiver Kritik nahm die Europäische Kommission einen entsprechenden Rechtsakt an.
Die zuständige EU-Kommissarin Mairead McGuinness sagte, der Rechtstext der Kommission sei "vielleicht nicht perfekt", er biete aber "eine echte Lösung" für das Ziel der EU, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu werden. Atomenergie und Gas seien zwar "an sich nicht grün, aber sie ermöglichen den Übergang zu erneuerbaren Energien", hieß es von Kommissionsexperten.
Der Rechtsakt lockert auch die Auflagen für Gaskraftwerke - stärker, als im ursprünglichen Entwurf vorgesehen. Er sieht vor, dass Investitionen in neue Gaskraftwerke bis 2030 als nachhaltig gelten, wenn sie unter anderem schmutzigere Kraftwerke ersetzen und bis 2035 komplett mit klimafreundlicheren Gasen wie Wasserstoff betrieben werden. Im ursprünglichen Entwurf war die Beimischung von klimafreundlichen Gasen schon ab 2026 vorgeschrieben.
Das bedeutet, dass Gaskraftwerke nun unter Umständen länger höhere Anteile an verschmutzendem Erdgas nutzen können. Besonders Deutschland hatte sich für Gas als sogenannte Brückentechnologie aber gegen die Atomkraft eingesetzt.
Neue Atomkraftwerke sollen bis 2045 als nachhaltig klassifiziert werden, wenn ein konkreter Plan für die Endlagerung radioaktiver Abfälle ab spätestens 2050 vorliegt.
EU stuft Atomkraft und Erdgas als nachhaltig ein - Tagesschau
Zum Ende der Rubrik wieder Sehenswertes. Eine 53-minütige Dokumentation über die Geschichte der Neuen Rechten.
Wer sich heute demonstrativ rechts verortet, stellt die Werte einer offenen und liberalen Gesellschaft in Frage. Der Film von Autor und Regisseur Falko Korth hinterfragt Geschichte und Gegenwart der sogenannten Neuen Rechten: Woher sie kommen, was sie denken und wohin sie wollen.
Woher kommen die Ideen der sogenannten Neuen Rechten? Auf wen berufen sich ihre Akteure? Was sind ihre Thesen? Die Dokumentation von Autor und Regisseur Falko Korth zeichnet die Kontinuität völkisch-nationalistischer Denktraditionen in Deutschland und Frankreich nach und zeigt, dass die heutigen „neuen“ Rechten nicht aus dem Nichts heraus entstanden sind. Wichtiger Bezugspunkt sind die Schriften Armin Mohlers, der in den Nachkriegsjahren der Bundesrepublik mit seinem Werk zur „Konservativen Revolution“ zum meinungsstarken Vertreter rechtskonservativer Kreise aufstieg. Der radikale Ernst Jünger und mit ihm Männer wie der Jurist Carl Schmitt und der Philosoph Oswald Spengler sind heute dank Mohler Säulenheilige der Neuen Rechten.
Armin Mohlers Ideen beeinflussen auch die französischen Nouvelle Droite um Alain de Benoist. Er gründet 1968 mit Gleichgesinnten GRECE, eine neofaschistische Denkfabrik. Das Ziel: die „Kulturrevolution von rechts“. Die Neuen Rechten geben sich modern und intellektuell, doch hinter der Fassade steckt altbekannter Rassismus.
Eine Onlineveranstaltung, die sich gegen den jedes Jahr unkritisch gefeierten “World Hijab Day” richtet, an dem Nichtmusliminnen sich verschleiern.
Der von Nazma Khan 2013 initiierte World Hijab Day, der jährlich am 1. Februar stattfindet, ist keine harmlose Veranstaltung. Dennoch wird er immer wieder unkritisch zelebriert, nicht nur in den sozialen Medien, sondern beispielsweise 2017 im britischen Unterhaus. Während die Verschleierung von Mädchen und Frauen in den islamischen Staaten meist mit Gewalt durchgesetzt wird, wird sie in westlichen Ländern mit unterschiedlichsten Motiven begründet. Ziel bleibt ihre Normalisierung in der Gesellschaft. Doch die Auswirkungen der Verschleierung auf Millionen von Mädchen und Frauen werden kaum thematisiert. In der Online-Veranstaltung Nein zum #WorldHijabDay erläutern die Rednerinnen verschiedene Aspekte der Problematik. Im Anschluss können Sie über die Kommentarfunktion Fragen stellen.
Prof. Susanne Schröter: Wo die Freiwilligkeit endet. Das islamische Kopftuch in der islamischen Ordnung.
Naïla Chikhi: Soziale Disziplinierung in Schulen
Dr. Lale Akgün: Verschleierung als Statthalterin der Vielfalt
Mina Ahadi: Verschleierung als Herrschaftsinstrument
Moderation: Rebecca Schönenbach
Sehr witzig fand ich diesen Clip, in dem sich die Macher scherzhaft auf die Problematik der Partybesuche von Boris Johnson beziehen. Grundlage dafür ist das Lied “(You Gotta) Fight for Your Right (to Party!)” der Beastie Boys.
Kultur
John Lennon - Peggy Sue
Am heutigen Todestag von Buddy Holly fiel die Wahl der Coverversion leicht. Komponiert wurde das Stück von Holly in Zusammenarbeit mit Jerry Allison und Norman Petty. Im Jahr 1957 erreichte es Platz drei der Billboard Top 100. Das Rolling-Stone-Magazin führt es auf Platz 194 der Liste der „500 besten Songs aller Zeiten.“ Die Version Lennons, der ein großer Buddy Holly-Fan war, ist insgesamt krachiger als das Original.
Epilog
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