Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #73
Prolog
Gestern bekam ich meine Booster-Impfung und damit einen weiteren Beleg für meine These, dass Private vieles besser machen, als der Staat. Der Ablauf: Ich buchte online einen der zahlreichen Termine und füllte bereits online den “Papierkram” aus. Vor Ort (Ein wunderschönes Fabrikgebäude.) angekommen, erwartete mich eine Schlange, die meine anfängliche Begeisterung etwas überschattete. Als es dann aber so zügig voran ging, wie ich es noch nie erlebt habe, zogen die Wolken vorbei und das Ganze setzte sich bei strahlendem Sonnenschein fort. An der Reihe, musste dann leider doch noch ein Blatt ausgefüllt werden, was allerdings während des Wartens möglich war. Das führte kurzzeitig zu Stress, da ich bereits nach wenigen Minuten aufgerufen wurde. Luxusprobleme. Ein kurzes freundlich-kompetentes Aufklärungsgespräch und schon steckte die Spritze im Oberarm. Inklusive der 15 Minuten, die man nach der Impfung aus Sicherheitsgründen noch noch warten soll, war ich nach einer halben Stunde wieder draußen. Sie werden nun denken:“Das in Berlin? Der schwindelt doch!”. Nein, tut er nicht. Hochgezogen hat das Ganze der Berliner Arzt Daniel Termann. Achthundert Moderna-Dosen pro Tag werden an sieben Stationen von vierzehn Ärzten, die sich alle freiwillig gemeldet haben, in zwei Schichten verabreicht. Wer über dreißig Jahre alt ist, kann sich dort bereits nach vier Monaten boostern lassen. Hier kann man Termine buchen.
Heftige Diskussionen löste der Vorsitz der AfD im Innenausschuss aus. Auch mich erfüllt dieser Sachverhalt mit Unbehagen. Es gibt gute Gründe dafür, diese Entscheidung für hochproblematisch zu halten. Wenn man sich viele der tatsächlich vorgebrachten Argumente genauer anschaut, offenbaren sich leider in vielen Fällen Defizite bezüglich politischer Bildung und Demokratieverständnis. Jede demokratisch legitimierte Partei hat die gleichen Aufgaben, Rechte und Pflichten. So schwer das in manchen Zusammenhängen auch auszuhalten ist: Jede Alternative wäre schlechter. Schon die Eiertänze um die Alterspräsidentschaft und der Vize-Präsidentschaft des Bundestags waren unwürdig. Man hätte verhindern können, dass die Partei überhaupt in den Bundestag gelangt. Dieser Zug ist allerdings abgefahren und Diskussionen darüber müßig. Nun muss man als Demokrat mit ihr umgehen.
Dies ist übrigens der letzte Newsletter in diesem Jahr. Die nächste Ausgabe erscheint am 6. Januar. Herzlichen Dank allen Lesern für das Vertrauen, die netten und auch die kritischen Rückmeldungen. Ich wünsche Ihnen schon jetzt ein friedvolles Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins Jahr 2022!
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Nun aber los.
Heute geht es unter anderem um eine Fehleinschätzung, die Grenzen der Verdachtsberichterstattung und selektive Empathie.
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Politik und Gesellschaft
Neulich habe ich an dieser Stelle erhebliche Zweifel daran formuliert, dass sich Annalena Baerbock als Außenministerin gegenüber Staaten wie Russland, China oder der Türkei behaupten könne und sie deshalb als ungeeignet für dieses Amt bewertet. Das war wohl eine Fehleinschätzung. Nach dem Urteil zum Mord im kleinen Tiergarten hat sie den russischen Botschafter einbestellt und zwei Mitarbeiter zu unterwünschten Personen erklärt. Mein Erstaunen kannte keine Grenzen.
Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sieht die Beziehungen zu Russland nach dem Urteil schwer belastet. „Dieser Mord in staatlichem Auftrag stellt eine schwerwiegende Verletzung deutschen Rechts und der Souveränität der Bundesrepublik Deutschlands dar“, sagte Baerbock. Sie habe den russischen Botschafter deswegen einbestellt und zwei Mitarbeiter der russischen Botschaft zu unerwünschten Personen erklärt. Ein offener und ehrlicher Austausch mit Russland sei durch den Vorgang schwer belastet.
Baerbock: Austausch mit Russland schwer belastet - Redaktionsnetzwerk Deutschland
Die Tatsache, dass Verbrechen und das Mitgefühl für ihre Opfer in manchen Milieus davon abhängen, ob die Rollenverteilung das eigene Weltbild stützt oder ins Wanken bringt, kritisiere ich schon seit vielen Jahren. Nun hat es einen weiteren Fall gegeben, in dem der Täter offenbar die falsche Hautfarbe hatte. Die ehemals seriöse New York Times behandelte ihn nämlich nicht nur stiefmütterlich, sondern verschwieg auch relevante Fakten.
Am 2. Dezember, kurz vor elf Uhr abends, wurde Davide Giri in New York erstochen. Giri, 30 Jahre alt, stammte aus der italienischen Region Piemont und war Doktorand der Computerwissenschaften an der Columbia University. Giri befand sich auf dem Heimweg vom Fußballtraining, er war Verteidiger bei New York International FC. Giri erlag seinen Stichverletzungen auf dem Weg ins Krankenhaus.
Wenige Stunden nach dem Tod von Davide Giri wurde der 25 Jahre alte Schwarze Vincent Pinkney als dringend Tatverdächtiger festgenommen. Pinkney wird außerdem beschuldigt, kaum eine Viertelstunde nach der Attacke auf Giri auf einen weiteren Mann eingestochen zu haben. Auch bei dem zweiten Opfer handelte es sich um einen Italiener, den 27 Jahre alten Roberto Malaspina aus Perugia, der erst tags zuvor in New York eingetroffen war, um ebenfalls ein Studium an der Columbia University aufzunehmen. Malaspina wurde am Rücken und im Unterleib verletzt. Er überlebte die erheblichen Stichverletzungen.
In den italienischen Medien fanden die Messerangriffe von Manhattan großen Widerhall. Nicht nur wegen der beiden Opfer aus Italien, sondern vor allem wegen eines Artikels von Federico Rampini im „Corriere della Sera“ vom 7. Dezember. Rampini, Jahrgang 1956, ist einer der profiliertesten italienischen Journalisten, er hat für alle maßgeblichen Qualitätszeitungen des Landes geschrieben und ist Autor zahlreicher Sachbücher. Vor seinem Wechsel als Kolumnist zum liberal-konservativen „Corriere“ war er Korrespondent für die linksliberale „La Repubblica“, unter anderem in San Francisco und New York.
Rampini stellt in seiner Kolumne im „Corriere“ fest, dass die Leser der „New York Times“, des „maßgeblichen Blattes für die Stadt und die Nation“, nur an verborgener Stelle im Lokalteil von den Bluttaten in Manhattan unterrichtet worden seien. Vom mutmaßlichen Täter, der inzwischen wegen Mordes und versuchten Mordes angeklagt ist, wurden im Blatt wie auf der Website zunächst nur dessen Name und Alter mitgeteilt. Nicht berichtet wurde, dass Pinkney nach veröffentlichten offiziellen Informationen der New Yorker Polizei zur schwarzen Gang „Everybody Killas“ (abgekürzt EBK, auf Deutsch etwa „Wir killen alle“) gehört, die vom Stadtteil Queens aus den Drogenhandel im Großraum New York kontrolliert. Und die mit anderen Gangs wie den „Bloods“, den „Crips“ und den „Nightingales“ kooperiert – oder sich mit diesen blutige Verteilungskriege liefert. Nicht berichtet wurde zudem, dass Pinkney seit 2011 elf Mal wegen schwerer Gewalttaten verhaftet, dass er 2018 wegen Teilnahme an einem brutalen Überfall der EBK zu vier Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Und dass er nach zwei Jahren aus der Haft entlassen wurde.
Und er bilanziert die auffällige „Zurückhaltung“ der „New York Times“ bei der Berichterstattung über den Fall Davide Giri wie folgt: „Das Interesse des Blattes und der investigative Impetus wären ganz andere gewesen, wenn Täter- und Opferrolle vertauscht gewesen wären. Wenn das Opfer ein Afroamerikaner gewesen wäre und der Täter ein Weißer – schon gar, wenn dieser Weiße zu irgendeiner Organisation gehört hätte, die Gewalt predigt und ausübt, etwa eine rechte Miliz. Dann wäre über diese Tragödie auf der Frontseite berichtet worden. Dann wäre ein Team von Reportern in Marsch gesetzt worden, um die Hintergründe des Mordes, die Geschichte des Mörders und dessen Motive zu ergründen.“ Rampini resümiert, dass die selektive Berichterstattung der „New York Times“ zum Fall Giri einen „beunruhigenden Ausblick auf den ,neuen Journalismus‘ gewährt: auf einen militanten und von einer ideologischen Agenda geprägten Journalismus, der sich auch bei der Berichterstattung über Kriminalität einer Stammeslogik beugt“.
In ihrer Ausgabe vom 12. Dezember hat die „New York Times“ abermals über den Kasus Giri berichtet. In einem ausführlichen Artikel mit der Überschrift „Tun innerstädtische Universitäten genug für die Stadtviertel in ihrer Umgebung?“ In dem Text wird das harte Aufeinanderprallen von reichen Hochschulen wie der Columbia University im Norden Manhattans und armen Stadtvierteln wie Harlem und Washington Heights dargestellt. Während die Universität mit einem Vermögen von 14 Milliarden Dollar dank ihres Status als Bildungseinrichtung keine Grundsteuer für ihre Liegenschaften bezahle und so allein 2021 rund 320 Millionen Dollar Steuern spare, trage die Universität nur mit einer Spende von rund 2500 Dollar jährlich zum Unterhalt des öffentlichen Morningside Parks in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft bei, wird vorgerechnet. Zur Motivlage des mutmaßlichen Messerstechers heißt es, dieser habe offenbar unmittelbar vor den Angriffen „einen psychischen Zusammenbruch erlitten“ oder „unter Drogeneinfluss gestanden“. Dass der Täter schwarz war und alle seine Opfer weiß waren, wird in dem Artikel abermals nicht erwähnt.
Wenn Täter und Opfer die falsche Hautfarbe haben - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Die Antisemitismus-Vorwürfe gegenüber dem Auslandssender “Deutsche Welle” reißen nicht ab. Immer mehr seltsame Verbindungen kommen ans Licht. Unter anderem der Vice-Chefredakteur Felix Dachsel macht im Moment mit seinen Recherchen einen wahnsinnig guten Job und löst damit offenbar große Nervosität bei öffentlich-rechtlichen Sendern aus, die sich nicht nur in Form bizarrer Anfragen zeigt. Alan Posener hat sich ebenfalls damit beschäftigt.
Wie durch Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“, „Vice“ und WELT ruchbar wurde, hat der steuerfinanzierte Sender mit arabischen Sendern kooperiert, die teilweise mit Islamisten zusammenarbeiten und die Auslöschung des jüdischen Staates fordern.
Mitarbeiter des arabischen Dienstes sollen sich ebenfalls öffentlich antisemitisch geäußert und das Existenzrecht Israels geleugnet haben. Der Intendant will davon nichts gewusst haben, die den Sender mit Steuergeldern finanzierende Staatsministerin für Kultur auch nicht.
DW soll eine Stimme Deutschlands in der Welt sein und Deutschlands Haltung zu politischen, kulturellen und religiösen Fragen einem globalen Publikum erläutern. Man kann offensichtlich in der Berliner Voltastraße, wo DW residiert, lange arbeiten, ohne dass einem verbindlich gesagt wird, dass Antisemitismus mit einem solchen Job unvereinbar ist.
Das wäre anders, wenn alle redaktionellen Mitarbeiter, auch freie, bei Aufnahme einer Tätigkeit für den Sender die Grundsätze des Senders als Teil des Vertrages unterschreiben müssten. Angesichts mancher beunruhigenden Entwicklungen bei anderen öffentlich-rechtlichen Sendern wäre es überlegenswert, wenn auch sie schriftlich festhielten, aus welchem Geist heraus sie arbeiten wollen.
Feinde Israels nicht auch noch mit Staatsknete durchfüttern - Welt
Dem Spiegel sind weitere Teile seines Artikels über Luke Mockridge gerichtlich untersagt worden. An dieser Stelle weise ich gern noch einmal auf meinen Artikel in der “Welt” hin, der sich (nicht nur, aber auch) auch mit diesem Fall beschäftigt.
Der "Spiegel" muss eine juristische Niederlage rund um seine Berichterstattung über den Comedian Luke Mockridge hinnehmen. Das Landgericht Hamburg hat nun nämlich zentrale Teile des Texts "Die Akte Mockridge" untersagt. Unter dieser Überschrift hatte das Nachrichtenmagazin im September ausführlich über die Vorwürfe berichtet, die die Journalistin und Komikerin Ines Anioli gegenüber Mockridge erhebt. Ein entsprechendes Ermittlungsverfahren, in dem es um die Vorwürfe ging, ist bereits vor längerer Zeit eingestellt worden.
Das Landgericht Hamburg sieht in dem "Spiegel"-Bericht eine unzulässige Verdachtsberichterstattung. Das öffentliche Interesse sei zwar hoch, dennoch müssten wegen der geltenden Unschuldsvermutung die Persönlichkeitsrechte von Luke Mockridge gewahrt werden. Mockridges Anwalt Simon Bergmann sagt gegenüber der "Süddeutschen Zeitung", der Fall sei "der eklatanteste" in Sachen unzulässiger Verdachtsberichterstattung. Er verwies zudem auf die "schweren Folgen für unseren Mandanten". Mockridge sagte nach dem Bericht unter anderem alle TV-Shows für 2022 ab.
Simon Bergmann erklärte gegenüber der "SZ" außerdem noch, dass er nun eine sechsstellige Entschädigungssumme geltend machen wolle. Die "Spiegel"-Journalistin Ann-Katrin Müller verwies am Donnerstag darauf, dass das Landgericht Köln in der Sache zuvor noch anders als das Gericht in Hamburg entschieden hatte. Man wolle nun "alle Rechtsmittel ausschöpfen", um die Freiheit der eigenen Berichterstattung zu verteidigen.
Über die Kernvorwürfe von Ines Anioli gegen Luke Mockridge darf der "Spiegel" also erst einmal nicht berichten.
Gericht untersagt Teile des "Spiegel"-Berichts über Mockridge - DWDL
Christian von Coelln hielt am 21. November 2021 einen hervorragenden Impulsvortrag über die rechtlichen Aspekte von “Cancel Culture” bei der 74. Sitzung der Mitgliedergruppe Universitäten in der Hochschulrektorenkonferenz. In gekürzter Form ist dieser nun auch lesbar.
Diese Debatte wird gesamtgesellschaftlich geführt. Der Streit um die Anwesenheit einzelner Verlage bei der Frankfurter Buchmesse ist erst wenige Tage* her. Schon vor circa zwei Wochen* haben die "Neuen deutschen Medienmacher", ein Journalistennetzwerk, das sich unter anderem für mehr Diversität in Redaktionen einsetzt, die in den Medien geführte Debatte über die sogenannte Identitätspolitik mit ihrem Negativpreis der "Goldenen Kartoffel für besonders unterirdische Berichterstattung" ausgezeichnet. Durch die Diskussion über Begriffe wie "Cancel Culture" seien "rechtsradikale Thesen normalisiert und salonfähig gemacht" worden. Die Frage, ob sie damit nicht gerade bestätigen, was sie zu widerlegen suchen, dass es nämlich um die Unterdrückung von Diskursen geht, würde einen eigenen Impuls tragen.
Auch in Deutschland nimmt die Zahl der Fälle zu, in denen versucht wird, die Tätigkeit bestimmter Personen an Universitäten zu beenden, Auftritte einzelner Redner zu verhindern oder die Äußerung bestimmter Auffassungen unmöglich zu machen. Dass die darauf gerichteten Initiativen von einem ausländischen Staat ausgehen wie jüngst beim Versuch, eine Buchvorstellung an Konfuzius-Instituten zu untersagen, ist selten. Häufiger sind es Studierende oder andere Mitglieder der eigenen Hochschule, gegebenenfalls aber auch externe Dritte, die entsprechenden Druck aufbauen. Hochschulleitungen halten diesem Druck in etlichen Fällen stand. In anderen Fällen nehmen sie es hin, dass Veranstaltungen verhindert werden – oder verhindern diese sogar selbst. Für alle diese Konstellationen lassen sich auch hierzulande Beispiele finden.
Das gilt auch für die Freiheit der Lehre, auf die ich mich hier konzentrieren möchte. Sie schützt vor Staat und Hochschule, indem sie Gebote und Verbote mit Blick auf Kernbereiche der Lehre untersagt: Art. 5 III GG schützt die Auswahl der behandelten Fragen, die zu ihnen vertretenen Auffassungen und den gewählten Weg der Erkenntnisvermittlung in umfassender Weise. Das Grundrecht gestattet die thematisch möglichst breit angelegte und hinsichtlich der Bewertung ausgewogene, unterschiedliche Positionen lediglich gegenüberstellende Lehre. Sie gestattet aber auch die einseitige und akzentuierte Lehre, bei der der Dozent klar Position bezieht. Selbst wenn die vor einiger Zeit kritisierte Diskussionsveranstaltung zum muslimischen Kopftuch in Frankfurt/Main nicht so konzipiert gewesen wäre, dass Vertreter ganz unterschiedlicher Auffassung zu Wort kommen sollten, wäre sie nicht weniger schutzwürdig gewesen. Art. 5 III GG verlangt nur, dass der der Lehre vorausgehende Prozess des Erkenntnisgewinns unterschiedliche Positionen berücksichtigt, weil er andernfalls seinen wissenschaftlichen Charakter verliert. Die Weitergabe einer durch Forschung gewonnenen Überzeugung aber büßt ihre Qualität als grundrechtlich geschützte Lehre auch dann nicht ein, wenn die vertretenen Positionen denen bestimmter politischer Parteien ähneln oder wenn deren Auffassung und Thesen – auf wissenschaftlicher Grundlage – bewertet werden. Auch "engagierte" Wissenschaft ist frei. Entsprechendes gilt für die Auswahl der behandelten Literatur: Werden aus wissenschaftlichen Gründen allein Werke maximal 30-jähriger Transsexueller behandelt, genießt das den gleichen Grundrechtsschutz wie die Lektüre allein der Schriften vermeintlich "alter weißer Männer".
Der Schutz der freien Lehre hängt auch nicht davon ab, wem die vertretenen Thesen oder schon die behandelten Themen missfallen, ob die Positionen als politisch inopportun gelten, wie meinungsstark, gut organisiert und empörungsaffin ihre Gegner sind oder mit welchem Anspruch moralischer Überlegenheit sie antreten. Ob das Kopftuch der Lehrerin als legitimes Zeichen religiöser Selbstverwirklichung oder als Instrument der Unterdrückung gewertet wird, ist für den Grundrechtsschutz nicht relevant. Wissenschaftliche Bedenken gegen die von Jugendlichen frei vorgenommene Wahl des Geschlechts ohne ärztliche Diagnosen oder elterliche Beteiligung werden von Art. 5 III GG ebenso erfasst wie die auf fachlicher Expertise beruhende Befürwortung einer solchen Regelung.
Unerheblich ist auch die "Richtigkeit" oder "Unrichtigkeit" der vertretenen Positionen. Wer einen vermeintlich gesicherten Stand der Erkenntnis in Frage stellt, bewegt sich – solange er sich wissenschaftlicher Methoden bedient – im Schutzbereich des Grundrechts. Das gilt übrigens auch in Coronazeiten. Außerhalb des Grundrechtsschutzes positioniert sich hingegen derjenige, der einen bestimmten Stand der Erkenntnis für sakrosankt erklärt und jeden seriösen Versuch der Falsifizierung als diskursunwürdig abqualifiziert.
In persönlicher Hinsicht erscheint zunächst der Hinweis veranlasst, dass der Grundrechtsschutz der Themenwahl allein von der wissenschaftlichen Qualifikation abhängt, nicht von individuellen Merkmalen: Der dunkelhäutige Dermatologe genießt für die Verbreitung seiner Erkenntnisse zu Hautproblemen hellhäutiger Menschen denselben Grundrechtsschutz wie der weiße Afrikanist, der sich zu Fragen der Kolonialzeit äußert. Die Idee, einzelne Themen seien Betroffenen oder Angehörigen bestimmter Gruppen vorbehalten, ignoriert nicht nur das Gedankengut der Aufklärung. Das geltende Verfassungsrecht erteilt ihr eine klare Absage.
Der Grundrechtsschutz der Hochschullehrer steht auch dann außer Frage, wenn sie zwischenzeitlich politisch tätig waren oder dies parallel sein sollten. Besondere Aufmerksamkeit verdienen darüber hinaus Gastvorträge etc., die gerne Ziel von Verhinderungsbemühungen werden. Insofern gilt es zunächst klarzustellen, dass weder die Wissenschaftsfreiheit noch andere Grundrechte ein Recht auf Gastauftritte an Universitäten beinhalten. Daraus folgt jedoch nicht, dass Maßnahmen, die sich gegen solche Auftritte richten, aus Sicht der Wissenschaftsfreiheit unbedenklich sind: Jedenfalls in Fällen, in denen ein Wissenschaftler Externe einlädt, die aus seiner Sicht etwas beizutragen haben, ist diese Entscheidung von seiner Wissenschaftsfreiheit gedeckt. Ob der Eingeladene selbst Wissenschaftler ist oder ob er aus seiner Perspektive als Polizeigewerkschafter oder Politiker (Fälle Wendt/Sarrazin) beziehungsweise als Herausgeberin einer Frauenzeitschrift (Alice Schwarzer) berichten soll, spielt keine Rolle.
Der somit umrissene Schutz richtet sich nicht allein gegen Eingriffe des Staates und der Hochschule selbst. Natürlich: Das Rektorat, das den Auftritt eines Gastreferenten durch die Sperrung dafür benötigter Mittel oder die Versagung von Räumen zu verhindern sucht, muss sich dafür rechtfertigen – und wird das häufig nicht können. Damit aber nicht genug: Art. 5 III GG verpflichtet den Staat und die Hochschule zugleich dazu, die freie Wissenschaft vor Dritten zu schützen. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass jederzeit ein Sicherheitsdienst oder gar Polizisten vorgehalten werden müssen. Aber auf erkennbare Bedrohungslagen etwa durch die angekündigte Verhinderung von Vorlesungen müssen Hochschulleitung und Polizei so reagieren, dass die Veranstaltungen ordnungsgemäß stattfinden können. Ein Beispiel dafür, wie das geht, hat gestern* die Uni Greifswald geliefert, wo die Rückkehr eines Professors nach einem längeren Ausflug in die Politik zwar von Protesten begleitet, dank Polizei und Sicherheitsdienst aber möglich war. Im Übrigen mag es unter besonderen Umständen noch hinnehmbar sein, dass einzelne Vorlesungen gewisse Beeinträchtigungen erfahren. Systematische und dauerhafte Störungen aber sind jedenfalls nicht akzeptabel.
Das Grundgesetz schützt das Recht, sich selbst zu äußern und eigene Positionen zu vertreten. Ein Recht, dass andere sich nicht äußern, dass bestimmte Positionen nicht vertreten werden oder dass man von abgelehnten Positionen verschont bleibt, kennt das Grundgesetz nicht nur nicht. Es erteilt der Idee eines solchen Cancel-Grundrechts durch die Verbürgung der Äußerungsfreiheiten eine klare Absage. Insofern ist es aus juristischer Perspektive auch schlechterdings unhaltbar, wenn das "Gegennetzwerk Wissenschaftsfreiheit" erläutert, Wissenschaftsfreiheit stelle für seine Mitglieder "die Basis für Aushandlungsprozesse dar", oder wenn die Süddeutsche Zeitung mit Blick auf Einladungen zum Beispiel von Thilo Sarrazin schreibt, die Demokratie müsse Dissens und Streit aushalten, aber auch Grenzen verhandeln. Soweit die Einladung von der Lehrfreiheit des Dozenten erfasst ist, ist die Inanspruchnahme dieses seines Grundrechts weder rechtfertigungs- noch verhandlungsbedürftig.
Beschneidet die "Cancel Culture" die Freiheit der Wissenschaft? - Forschung & Lehre
Die Frage, was eigentlich Rassismus sei, wird immer häufiger diskutiert. Auch deshalb, weil es diverse Versuche gibt, den Begriff zu erweitern oder gleich ganz umzudefinieren. Nun hat eine Studie von Ruud Koopmans einen Gegenpunkt zur intersektionalen Rassismustheorie gesetzt.
Koopmans hält von solchen ganzheitlichen Konzepten nichts. Sie verwischten entscheidende Unterschiede darin, wer aufgrund welcher ihm zugeschriebenen Eigenschaften diskriminiert werde. Das bedeutet nicht, dass Koopmans menschliche „Rassen“ für eine Realität hält. Aber sie sind wirkmächtige Vorstellungen, die – und das unterscheidet sie eben von Eigenschaften wie der Religionszugehörigkeit – äußerliche Merkmale mit bestimmten kulturellen Zuschreibungen verbinden. Koopmans veranschaulicht das mit seinem Experiment von den acht Bildern, die er einer repräsentativen Auswahl von Teilnehmern vorlegen konnte.
Es zeigte sich, dass ein ausländischer Vorname die Akzeptanz einer Person als Familienmitglied reduzierte, nicht aber als Nachbar oder Arbeitskollege. Besonders bemerkenswert: Von allen „Rassen“ erfuhr „südländisch“ die schwächste Akzeptanz, während die als „schwarz“ oder „asiatisch“ wahrnehmbaren Personen als willkommene Nachbarn und Familienmitglieder sogar den „weißen“ vorgezogen wurden. Dieses Muster unterscheide sich kaum zwischen Männern und Frauen und auch nicht zwischen Teilnehmern mit und ohne Migrationshintergrund. In der Tendenz zeigten solche mit Migrationshintergrund allerdings eine insgesamt geringere Akzeptanz von Muslimen. Diese wiederum erfuhren die stärkste Abneigung als Nachbarn von Teilnehmern, die sich bei der Frage nach ihrer politischen Präferenz der AfD zuordneten. Deren Anhänger äußerten auch eine entschiedene Ablehnung schwarzer Personen als potenzielle Nachbarn. Diese wiederum werden von Wählern der Grünen und der Linken bevorzugt.
Aber wer wird nun eigentlich grundsätzlich abgelehnt? Bei Koopmans sind es eindeutig die Muslime, die in allen drei Sparten (Familie, Nachbarschaft, Arbeit) die negativsten Akzeptanzwerte bekamen. Umgekehrt drückten die meisten Teilnehmer eine generelle Vorliebe für religiös ungebundene Personen auf den ihnen vorgelegten Bildern aus, eingeschlossen jene christlicher Konfession. Die Ergebnisse zeigten also, so Koopmans, dass man genau unterscheiden müsse, wer aufgrund seiner „Rasse“ und wer aufgrund von Herkunft und Religion diskriminiert werde. Sie in einem ganzheitlichen „intersektionellen“ Konzept von Rassismus aufgehen zu lassen, verwische diese Unterschiede. Für das Verständnis und auch die Bekämpfung von Rassismus sei es wenig hilfreich, alle nicht-diskriminierten Gruppen in den Container „weiß“ zu werfen und alle anderen in jenen der „Diskriminierten“. Die deutliche Ablehnung von Muslimen in dieser Studie zeigt ja, dass die stärkste Diskriminierung sich an einer bestimmten Religionszugehörigkeit festmacht, aber eben nicht an äußerlichen körperlichen Merkmalen.
Was ist eigentlich Rassismus? - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Dass die CDU inhaltlich völlig entkernt ist, halte ich für einen der Hauptgründe für die Wahlniederlage. Verantwortlich für diese Entkernung und damit meiner Meinung nach auch für die Existenz der AfD ist Angela Merkel. Unter ihr wurde der konservative Flügel für irrelevant, gar unerwünscht erklärt und abgeschnitten. Was sollten Konservative also wählen? Lange Zeit blieben sie aus alter Treue und in Ermangelung einer Alternative bei der CDU. Es war allerdings nur eine Frage der Zeit, bis sich eine Partei in die rechts der Mitte entstandene Lücke setzt. Der Rest ist Geschichte und ärgert mich bis heute. Christoph de Vries hat nun einen Artikel darüber geschrieben, was die CDU tun müsste, um sich wieder zu berappeln.
Eine zutreffende Analyse der Wahlniederlage ist unerlässlich für einen erfolgreichen Neustart. Wer meint, die fehlende Frauenquote sei ursächlich für die Abstrafung an der Wahlurne gewesen und paritätisch besetzte Parteilisten seien der Ausweg aus der Krise, der hat den Schuss nicht gehört. Diejenigen, die das Ohr besonders dicht an den Berlin-Mitte-Hauptstadtmedien haben, sind in ihrer Haltung häufig besonders weit entfernt von den eigenen Mitgliedern und Wählern.
Immer wieder wird betont, dass Wahlen in der Mitte gewonnen würden. Diese zweifellos richtige Feststellung führt unweigerlich zur Frage, wo denn die Mitte der Gesellschaft zu verorten ist. Politik für die Mitte der Gesellschaft zu machen, ist mehr, als dem Zeitgeist hinterherzulaufen und kleinen, aber meinungsstarken linksliberalen Kreisen das Wort zu reden. Die Mitte der Gesellschaft ist viel normaler, als manche glauben.
Die Mitte ist rein zahlenmäßig weder Berlin-Mitte noch Bremen. Die dort heiß diskutierten Themen wie Gendersprache oder Frauenquoten haben ihre Bedeutung, spielen andernorts aber allenfalls eine sekundäre Rolle. Die Dauerbeschäftigung damit stößt bürgerliche Wähler eher ab und hat mit der Lebenswirklichkeit derjenigen, die den Laden am Laufen halten, nur sehr wenig zu tun.
Dabei wird verkannt, dass die bewegenden Themen schon für die Menschen am Rand der Großstädte, mehr noch in Mittelstädten oder gar im ländlichen Raum ganz andere sind. Eine Familie mit Haus und Kindern sorgt sich eher vor unkontrollierter Zuwanderung, Inflation oder schlechter sozialer Absicherung und bricht nicht in Jubelstürmen aus, wenn die Preise von Gas und Benzin durch die Decke gehen.
Für viele Menschen auf dem Land ist das Auto die einzige Möglichkeit, in angemessener Zeit zum Arbeitsplatz zu gelangen. Und für Millionen Rentner ist das Auto die einzige Mobilitätsoption, um am gesellschaftlichen Leben überhaupt teilnehmen zu können.
Fakt ist, die konservative Wurzel ist verkümmert. Die Union wird sie wieder pflegen müssen. Das ist zu lange versäumt worden, wie allein das Wahlergebnis im Osten zeigt. Moderner Konservatismus bedeutet nicht Stillstand, sondern den Wandel auf Basis eines stabilen Wertefundaments zu gestalten, Veränderungen dort vorzunehmen, wo sie vernünftig sind, aber nicht alles Bewährte infrage zu stellen, was Menschen Halt und Orientierung gibt.
Moderne Konservative schätzen Frieden, Freiheit und Wohlstand durch die EU, verleugnen aber ihre nationale Identität nicht; sie befürworten ganztägige Kita-Betreuungsangebote als wichtige Errungenschaft, sind aber nicht der Meinung, dass Vater Staat die Lufthoheit über die Kinderbetten haben sollte; sie betrachten den Kampf gegen den Klimawandel als Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung, wollen den Bürgern aber nicht vorschreiben, was sie zu essen und wie sie sich fortzubewegen haben; schließlich sehen sie humanitäre Hilfe für Flüchtlinge als Gebot christlichen Handelns, glauben aber nicht, dass das Elend der Welt durch Aufnahme aller in Deutschland geheilt werden kann und sollte.
Die politische Mitte liegt nicht dort, wo linke Hauptstadtmedien glauben - Welt
Besonders freut mich, dass Bettina Gaus posthum für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wird. Sie bekommt vom »Medium Magazin« den Ehrenpreis der Auszeichnung “Journalisten des Jahres 2021”.
In der Jury-Begründung heißt es: »Bettina Gaus war unbestechlich, klug, geistreich. Sie ließ sich in keine Schublade sperren, war unabhängig von politischen Moden, hatte oft ungewöhnliche Sichtweisen und unmissverständliche Standpunkte.« Doch habe sie geduldig zugehört, sei offen und neugierig auf überraschende Argumente gewesen. »Ihr allzu früher Tod reißt eine tiefe Lücke in den Journalismus. Sie bleibt ein großes Vorbild.«
Bettina Gaus wird posthum für ihr Lebenswerk geehrt - Der Spiegel
Zum Ende der Rubrik Sehens- und Hörenswertes. Der italienische Journalist Riccardo Ehrman, den seine Frage an Günter Schabowski im Jahr 1989 weltberühmt machte, ist mit 92 Jahren in Madrid gestorben. Die Frage bei der Pressekonferenz des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) am 9. November 1989 lautete:”Ich heiße Riccardo Ehrman, ich vertrete die italienische Nachrichtenagentur Ansa. Herr Schabowski, Sie haben von Fehlern gesprochen. Glauben Sie nicht, dass es war eine große Fehler, diese Reisegesetzentwurf, das sie haben vorgestellt vor wenigen Tagen?“ Schabowski begründete zunächst wortreich. Andere Journalisten hakten nach, was schließlich zu den Äußerungen führte, die letztendlich das Ende der DDR einläuteten:”Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen - Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse - beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt.“ Dies gelte „sofort... unverzüglich“. Ich kann jedem empfehlen, sich dieses Zeitdokument in Gänze anzuschauen.
Thea Dorn war beim grandiosen Endlos-Podcast “Alles gesagt”, der mich bereits unzählige Stunden beim Laufen begleitet hat, zu Gast.
Sie ist Bestsellerautorin, Journalistin, Philosophin und Fernsehmoderatorin – aber keine Literaturkritikerin und doch seit vergangenem Jahr Gastgeberin des Literarischen Quartetts: Thea Dorn ist zu Gast bei Alles gesagt?, dem unendlichen Podcast von ZEIT ONLINE und ZEITmagazin.
Mit Jochen Wegner und Christoph Amend, den Gastgebern von Alles gesagt?, unterhält sie sich über die Impfpflicht und krassen Humor, öffentliche und akademische Philosophen, vergiftete politische Lager und die Sehnsüchte und Arroganz des modernen Menschen, über unglaubwürdige Kommunikation in der Pandemie, Sündenfälle der Medien und ihren eigenen Umgang mit Kritik und Verrissen, über das deutsche Abendbrot und das Glück am Bücherschreiben – und über ihre Liebe zu Richard Wagner und zum Klettern.
Thea Dorn, warum werden Sie durch die Pandemie religiös? - Zeit
Kultur
Coverversion der Woche: Dean Martin - Baby It’s Cold Outside
Der Song wurde ursprünglich im Jahr 1944 von Frank Loesser geschrieben und ist den meisten durch seine Verwendung im Film “Neptune's Daughter” aus dem Jahr 1949 bekannt. Allein in diesem Jahr erschien das Stück in acht Versionen. Die Interpretation von Dean Martin ist von 1959.
Epilog
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