Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #44
Es wird immer absurder, was im Rahmen der Rassismusdebatte inzwischen gefordert wird. Neulich las ich, Eltern mit unterschiedlichen Hautfarben sollten Antirassismusworkshops besuchen, weil der hellhäutige Elternteil trotz Allem in jedem Fall rassistisch sei bzw. Rassismus "internalisiert" habe und Liebe allein nicht ausreiche, um ein gemischtrassiges Kind großzuziehen. Diese Forderung wurde von einer Person erhoben, deren Eltern unterschiedliche Hautfarben haben. Im ersten Moment war ich empört über diese - klar rassistische - Aussage und die damit verbundene Undankbarkeit. Wie müssen sich die Eltern fühlen, wenn sie so etwas lesen? Nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen hatte, war aus meiner Empörung Mitleid geworden. Ein junger Mensch ist bereits vollkommen durchdrungen von einer Ideologie, die strukturellen Rassismus behauptet und jeden Weißen grundsätzlich als Rassisten sieht. Das ist tragisch. Eine Ideologie, die von jedem Schwarzen bedingungslose Zustimmung erwartet. Wer bestimmte Prämissen bzgl. Rassismus für falsch hält, gilt als Häretiker. Ich kenne das aus eigener Erfahrung seit den 90er Jahren. Leider ist diese Bewegung immer größer geworden. Nicht alle Schwarzen denken so. Auf der Basis von Erfahrungswerten würde ich sogar behaupten, dass die meisten mit diesem sektenartigen Getue nichts anfangen können. Im öffentlichen Diskurs ist diese Gruppe allerdings sehr leise bzw. unterrepräsentiert.
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Nun aber los.
Heute geht es unter Anderem um Sprache, Gruppendruck und ein verfassungswidriges Gesetz.
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Politik und Gesellschaft
Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin, besser bekannt als “Mietendeckel” für verfassungswidrig und damit nichtig erklärt. Ich könnte jetzt darauf hinweisen, dass ich genau das prophezeit habe. In diesem Fall hätte ich allerdings lieber nicht recht behalten. Es ist beunruhigend, dass inzwischen regelmäßig Verfassungsgerichte bemüht werden müssen, um die freiheitlich-demokratische Grundordnung vor demokratisch gewählten Volksvertretern zu schützen, die sie offenbar für lästig halten, wenn es um die Durchsetzung ihrer Ideologie geht. Nach dem Brandenburger Paritätsgesetz ist dies nun das zweite Mal, dass ein rot-rot-grünes Kernvorhaben als mit der Verfassung nicht vereinbar zwangsweise beendet werden muss. Davon abgesehen war der Mietendeckel ohnehin eine Katastrophe und hat nicht das bewirkt, was man gehofft hatte. Auch diesbezüglich ist alles eingetreten, was ich prophezeit habe: Es profitierten nur Menschen, die bereits eine (teure) Wohnung hatten und das Angebot an Mietobjekten ging drastisch zurück. Sozial ist daran gar nichts.
Dass der “moderne”, westliche, intersektionale Feminismus Millionen von Frauen auf der Welt ignoriert, die tatsächlich unterdrückt werden, weil die dazugehörigen Fakten und Sachverhalte sich nicht mit der eigenen Weltanschauung vereinbaren lassen, ist keine Neuigkeit. Mit dem real existierenden Problem der Zwangsverheiratung hat sich Ronya Othmann in der FAZ beschäftigt.
Ein Thema wie Zwangsheirat ist bei ihnen aber nicht so angesagt. Das mieft nach „Emma“-Feminismus, nach Frauen, die Gundula oder Ulrike heißen, weiße Haare haben und besonders gerne nichtweiße Frauen befreien. Intersektionale Feministen werfen ihnen Rassismus und Paternalismus vor. Das wollen sie nämlich keinesfalls: Ressentiments der Mehrheitsgesellschaft, die Vorstellung von vermeintlich rückständigen Kulturen bedienen. Doch tut sich der intersektionale Feminismus keinen Gefallen, wenn er Themen wie Zwangsheirat ignoriert. Denn gerade hier laufen Intersektionen zusammen.
Ich weiß von Frauen, die unter falschem Vorwand nach Deutschland oder ins Ausland gelockt wurden, um verheiratet zu werden. Assyrische Christinnen wie muslimische Frauen, die in Zwangsehen gedrängt werden. Afghanische, kurdische, turkmenische Frauen. 2019 gab es hier 74 polizeilich erfasste Fälle von Zwangsheirat. Die Dunkelziffer dürfte viel höher sein. Unicef schätzt, weltweit werden jährlich zwölf Millionen Minderjährige verheiratet. In der Corona-Pandemie, mit geschlossenen Schulen und wirtschaftlichen Problemen, dürften die Zahlen noch steigen.
Der Kampf gegen Gewalt an Frauen sollte das Kerngeschäft des Feminismus sein. Bei all den Grabenkämpfen und Begriffsklaubereien: Themen wie Zwangsheirat müssen wieder in den Blick aller Feministen geraten. Zu schweigen, aus Angst rassistische Ressentiments zu bedienen, geht auf Kosten der Betroffenen. Gerade intersektionale Feministen, die anderen oft vorwerfen, sich nur um die Probleme von weißen privilegierten Frauen zu kümmern, können es sich nicht leisten, Zwangsehen zu ignorieren, wenn sie den eigenen Ansprüchen gerecht werden wollen. Denn das Wegsehen ist es, das Zwangsehen erst ermöglicht.
Zwangsheirat ist institutionalisierte Vergewaltigung - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Eine gutgemeinte Idee kann in ihr Gegenteil umgekehrt werden. So bilden sich in Bewegungen, die sich eigentlich für mehr Freiheit einsetzen, oft irgendwann autoritäre Züge heraus. Auch im Moment kann man das gut beobachten. Einige dieser Themen behandle ich in diesem Newsletter. Daniel Strassbergs Artikel hat mich oft nicken lassen. Mit einer Einschränkung: den Unterschied zwischen Freiheit und Befreiung kenne ich natürlich. Allerdings gehe ich bei den Interpretationen dieser Begriffe nicht mit.
Nein, die seriellen Enttäuschungen, mit denen sich eine Linke auseinandersetzen muss, die gerade in die Zielgerade einzubiegen glaubt, rühren in der Regel nicht daher, dass das Ziel nicht erreicht wurde, sondern daher, dass die sozialen Bewegungen, zu denen sie sich einst bekannt hatte, im Laufe der Zeit einen fatalen Hang zu autoritären Strukturen entwickelten. Wer sich von Utopien nicht gänzlich verabschieden möchte und dennoch nicht, wie ein Aktivdienstler am Lagerfeuer, die alten Zeiten abfeiern möchte, muss sich trotz der Gefahr, Applaus von der falschen Seite einzuheimsen, auch den Enttäuschungen stellen und die Bedingungen zu identifizieren versuchen, unter denen sich autoritäre Tendenzen innerhalb sozialer Bewegungen entwickeln. Allein schon um den Punkt nicht zu verpassen, an welchem sie sich in heutigen Bewegungen zeigen.
Die grossen Ziele Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden benötigen nämlich im Gegensatz zu den kleinen Zielen Befreiung, Fairness, Gewaltverzicht den Neuen Menschen. Also beginnt man, sobald die kleinen Ziele erreicht oder teilweise erreicht sind, den Alten Menschen für die ideale Gesellschaft fit zu kriegen und ihn zur Freiheit zu erziehen. Notfalls mit Gewalt.
Wann wird Befreiung autoritär? - Republik
Wir leben in merkwürdigen Zeiten. Der Schlagersänger Heino wollte in der Düsseldorfer Tonhalle einen “deutschen Liederabend” abhalten. Dieser Titel gefiel den Betreibern nicht. Sie weigerten sich, die Plakate aufzuhängen und die Veranstaltung auf ihrer Website mit diesem Titel zu bewerben. Man störte sich am “tümelnden Untertitel” und betonte, städtische Räume seien kein Ort für Hetze. Erst als Oberbürgermeister Stephan Keller ein Machtwort sprach, wurde eine Einigung erzielt. Wie kommt man auf die Idee, das Wort “deutsch” mit Hetze gleichzusetzen? Man kann sich nur an den Kopf fassen, was inzwischen alles als problematisch gilt.
Am Abend widersprach der Düsseldorfer Oberbürgermeister Stephan Keller (CDU): »Ich sehe in dem Plakat von Heino keinerlei nationalistische oder ähnliche Tendenzen und teile die Kritik daran nicht.« Deshalb habe er mit dem Tonhallen-Intendanten besprochen, dass Heinos Tourneeplakat doch aufgehängt werde, sagte Keller.
»Welches absurde Gedankengut muss man haben, um sich am Wort ›deutsch‹ zu stören?«, so Werner. Der Sänger habe sich in einem Interview 2019 sogar für ein Verbot der AfD ausgesprochen.
»Heino ist ein deutscher Sänger, der deutsche Lieder singt. Wenn das Wort ›deutsch‹ jetzt schon rechtspopulistisch ist, schafft Deutschland seine Identität ab«, sagte Werner. »Es ist absurd, welche Dimension diese politische Korrektheit angenommen hat. Das Wort ›deutsch‹ gehört allen Deutschen.«
Wie deutsch ist das denn? - Spiegel
Rainer Moritz hat einen wunderbaren, sehr ausführlichen Artikel über die Veränderung von Sprache geschrieben, in dem er sich auch mit dem Gendern beschäftigt. Unaufgeregt, analytisch und hochgradig lesenswert.
Für alteingesessene Linguisten ist es eine Selbstverständlichkeit, dass ein Satz wie „Der Wähler hat entschieden“ geschlechtsneutral ist und das generische Maskulinum Männer wie Frauen gleichermaßen umfasst. Jüngeren, an Geschlechtergerechtigkeit interessierten Sprechern lässt sich das kaum vermitteln. Die gern bemühte Formulierung, dass Frauen „mitgemeint“ seien, erntet nur mehr Hohn und Spott, und das generische Maskulinum erscheint plötzlich als Machtwerkzeug eines patriarchalischen Systems, das Frauen auch sprachlich marginalisiere.
Was sich aus dem ehrbaren Ansinnen einer Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache entwickelt hat, ist erstaunlich – und alarmierend. Wo man sich üblicherweise mit Händen und Füßen gegen staatliche oder institutionelle Sprech- und Schreibvorschriften wehrt, hat der Genderstern aktive Sprachlenkung mit einem Mal salonfähig gemacht. Ohne sich um die Wortbildungslehre oder um die vom Rat für deutsche Rechtschreibung vorgegebenen Normen zu kümmern, hat man sich vielerorts aufgemacht, das unscheinbare Sternchen auf Gedeih und Verderb durchzusetzen.
Sagen wir es noch offener: Der gutgemeinte Genderstern soll eine neue, dem Deutschen völlig fremde Wortbildungsform schaffen. Er ist in längeren Texten unschön anzusehen, er stört den Lesefluss, und seine durchgängige Handhabung führt zu zahllosen Inkonsequenzen und Widersprüchen. „Der Protest der Bauern“ ist mit einem Genderstern schwerlich umzuformulieren, und sobald in Texten Genitive oder Artikel und Adjektive („Gesucht wird ein erfahren*er Heilpraktiker“) ins Spiel kommen, entsteht Chaos. Besucht man zudem die Websites der proaktiven Stadtverwaltungen, stellt man fest, wie schwer es ist, einheitlich und konsequent zu gendern. An Ungereimtheiten herrscht dort kein Mangel.
Der Genderstern, dieses Sprachlenkungs- und Sprachbevormundungsmanöver, zieht zuhauf Probleme nach sich. Auch der alte Grundsatz, dass sich Geschriebenes problemlos aussprechen lassen sollte, ist hier nicht leicht durchzuhalten. Doch wo ein Wille, da ein Weg: Das Sternchen wird gerne als Kunstpause, mit dem sogenannten Glottisschlag, gesprochen – eine Affigkeit, vor der selbst die Galionsfiguren des Fernsehens nicht zurückschrecken. Claus Kleber und Petra Gerster durchsetzen ihre Moderationen mit dem Glottisschlag, demonstrierend, dass sie nicht von gestern sind, und wissend, dass eine Mehrzahl ihrer Zuschauer nur einen weiblichen Plural hören und sich wundern wird, wo bei den „Minister“ Olaf Scholz und Andreas Scheuer abgeblieben sind.
Gleichwohl ist der Genderstern zum Symbol geworden. Viele mögen ihn in rechtschaffener Absicht verwenden, um zumindest auf der Sprachebene Gleichberechtigung zu signalisieren. Letztlich steht er jedoch stellvertretend für den Willen, Anschauungen zu oktroyieren, die man für richtig und aufgeklärt hält. Mit dem Rückenwind der Medien ist es plötzlich legitim, Sprache ideologisch zu steuern – oder mit den Worten Ewa Trutkowskis: „Wer gendert, ist lieb und links.“ Dass zu den Gendergegnern militante Rechte gehören, die vom Sprachwandel so viel Ahnung haben wie die Kuh vom Purzelbaum, gilt es auszuhalten, wenn man das Sternchen aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnt.
Stimmt’s, oder hab ich recht? - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Jan Fleischhauer schildert in seiner aktuellen Kolumne, wie es zum Ende seines Podcastprojekts kam. Offenbar bekamen seine Gesprächspartner massiven Druck aus dem eigenen Umfeld. Das überrascht mich nicht, ist aber sehr bedauerlich.
Anfang März erreichte mich eine Mail. Sie wisse nicht, ob sie weitermachen könne, schrieb Esra. Dass es Schwierigkeiten geben würde, hatte sich bereits auf Instagram angekündigt. „Mein Kopf sagt, NEIN Esra. Nein, Nein, Nein!!“, schrieb dort einer ihrer Follower. „Fleischhauer? Ist das dein Ernst, Esra?“, ein anderer. Ein dritter fluchte: „Alleine, dass der ‚Focus‘ dich an Bord genommen hat, sollte jedem zeigen, dass du entweder ein Projekt bist oder eine Marionette.“
Eine Bekannte, mit der ich sprach, bestätigte den Eindruck: Die Community sei außer sich. Es werde mit Konsequenzen gedroht, was immer das auch heiße. Es folgte ein Telefonat, dann noch eins. Esra wird das Podcastprojekt aus Zeitmangel beenden.
Diesmal bekam ich schon nach der ersten Folge eine Mail. Sie habe viel Feedback bekommen, da wir ja sehr unterschiedliche Standpunkte vertreten würden, schrieb mir Phenix. Viele Hörer hätten das als nicht wirklich angenehmes Hörerlebnis empfunden. Ob wir einmal reden könnten? Wir telefonierten. Ja, es gebe Probleme. Phenix ging nicht ins Detail, aber es war klar, dass die Reaktionen ähnlich ausgefallen waren wie bei Esra.
Ich glaube inzwischen, dass es nicht um Austausch geht, auch nicht um Sichtbarkeit im öffentlichen Diskurs, sondern um Monolog. Erwartet wird die Bestätigung, dass man mit allem, was man sagt und denkt, richtigliegt. Das allerdings ist ein Ansatz, der unter den Bedingungen, unter denen freie Presse funktioniert, nur schwer zu realisieren ist.
Dass man als Journalist seinen Gesprächspartnern mit Respekt begegnet, auch mit Neugier und Offenheit, das darf man verlangen. Aber dass man anderen einfach das Mikrofon hinhält und sich jeden Einwand und jede kritische Nachfrage verkneift? Das kennt man aus autoritären Systemen, aber nicht aus offenen Gesellschaften.
Kultur
Coverversion der Woche: Definition Of Sound - Wear Your Love Like Heaven
Bei diesem Stück von 1991 handelt es sich nicht um eine klassische Coverversion, sondern es basiert via Samples auf dem 1967 erschienenen Garagenklassiker “Let It Out (Let It All Hang Out)” von der Band The Hombres, welcher Eingeweihten vor allem durch den legendären “Nuggets”-Sampler bekannt sein dürfte. Das Album “Love and Life: A Journey With the Chameleons!” von Definition Of Sound kann ich wärmstens empfehlen.