Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #36
Heute hing ich 30 Minuten lang in der Warteschleife eines Paketdienstleisters, weil ich wissen wollte, warum mir bei Eingabe der Paketnummer auf der Website immer angezeigt wird, das Format sei falsch. Nachdem sich die Dame am anderen Ende der Leitung schon während meiner Frage das Lachen kaum verkneifen konnte, brach es anschließend aus ihr heraus. Auf meine Frage, was denn an meinem Anliegen so lustig sei, belehrte sie mich, dass man die letzte Zahl der Sendungsnummer natürlich nicht eintippe. Ich möchte nicht das Wort “Servicewüste” bemühen, aber sowas ist mir noch nie passiert. Ein Unternehmen ist a) nicht in der Lage, kundenfreundliche Paketnummern zu vergeben, schafft es b) nicht, auf seiner Website eine Basisinformation (Letzte Ziffer nicht eingeben!) zu liefern und spart dann c) noch an Personal mit einem Mindestmaß an Kinderstube.
Nachdem letzte Woche der Hühnerhof tobte, weil Svenja Flaßpöhler bei Markus Lanz Dinge auf einem Niveau behandelte, auf dem offenbar viele nicht mehr zu denken bereit oder in der Lage sind, hat es nun Thea Dorn erwischt. Auch sie versuchte, ebenfalls bei Lanz und ähnlich gelagert, das Thema COVID-19 in den Griff zu bekommen. Ständig wird über Diskussionskultur gesprochen und betont, wie sehr man an frischen Denkansätzen und Freigeistern interessiert sei. Sobald aber jemand tatsächlich die abgetretenen Pfade verläßt, wird empört aufgeschrien. Bei beiden kommt noch dazu, ich erwähnte es in der letzten Ausgabe bereits bezüglich Flaßpöhler, dass sie sich in den Debatten um Feminismus und #metoo in bestimmten Milieus Feinde gemacht haben. Da wird nun zurückgeschossen.
Heute jährt sich der Anschlag in Hanau, bei dem der 43-jährige Tobias R. insgesamt zehn Menschen erschoß. Eine schreckliche Tat. Was mich befremdet ist, dass von vielen Organisationen, die eine Liste der Namen veröffentlichen, nur neun der Opfer genannt werden. Die Mutter des Täters, die ebenfalls von ihm umgebracht wurde, wird bei diesen Aufzählungen häufig weggelassen. Über das Mindset dahinter möchte ich nicht spekulieren.
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Nun aber los
Heute geht es unter Anderem um Realsatire, Meinungsvielfalt und Feigheit.
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Politik und Gesellschaft
Der britische Bildungsminister Gavin Williamson setzt sich für ein Gesetz zur Eindämmung der Cancel Culture ein. Sie erinnern sich? Die Cancel Culture, die es angeblich gar nicht gibt. Kaum verwunderlich, dass Studenten und Aktivistenverbände dagegen anzugehen versuchen.
Nach Williamsons Plänen sollen Opfer von „Cancel Culture“ und anderer Diskriminierungen rechtlich dagegen vorgehen und Entschädigung erwirken können, etwa wenn sie entlassen oder anderweitig bestraft wurden. Gleichzeitig will der Minister die Befugnisse der Behörde „Office for Students“ (OfS) erweitern und ihr auch die Aufsicht über die Studentenvertretungen übertragen. Das OfS soll künftig kontroverse Debatten aktiv fördern und Geldstrafen verhängen, wenn die Redefreiheit eingeschränkt wird. Ein im OfS angesiedelter „Free Speech Champion“ soll sich der Fälle von „Cancel Culture“ oder „Non-Platforming“ annehmen und vermittelnd eingreifen. Die Grenze des Sagbaren soll erst dort gezogen werden dürfen, wo Gesetze verletzt werden.
Mit seinem Vorstoß reagiert Williamson auf zunehmende Klagen über ein Klima der Einschüchterung im akademischen Bereich. In den vergangenen Jahren mehrten sich Fälle, in denen Veranstalter Redner ausluden, weil sie nicht genehme Meinungen vertreten oder auch nur mit einer bestimmten Politik in Verbindung gebracht wurden.
Jährlich gebe es nicht mehr als fünfzig solcher Fälle – dahinter würden sich jedoch „viel größere Effekte verbergen“.
Die Autoren der Studie stellten fest, dass viele Studenten und Wissenschaftler „abweichende Meinungen nicht mehr öffentlich kundtun“. Diese „Selbstzensur“ reflektiere nicht nur die Angst, sich unwohl zu fühlen. Vielmehr sei sie, vor allem unter jungen Akademikern, eine „rationale Reaktion auf einen Arbeitsplatz, bei dem das Äußern solcher Ansichten negative Auswirkungen auf ihre Karrieren hat.“
Betroffen sind überwiegend Studenten und Akademiker, die sich dem konservativen Spektrum zurechnen. In geringem Umfang üben aber auch „Linke“ Selbstzensur. Dies betrifft vor allem (feministische) Kritik an modernen Gendertheorien.
Redefreiheit besonders bedroht ist. Zu den „restriktivsten“ Hochschulen gehören danach auch die Elite-Universitäten in Oxford und Cambridge. Zumindest Cambridge hat Konsequenzen gezogen. Im Dezember veränderte der Lehrkörper die Leitlinie, dass Redebeiträge „respektvoll“ zu sein haben. Er ersetzte den Begriff mit „tolerabel“, was es Studenten erschwert, jemanden auszuladen. „Rigorose Debatte ist grundlegend für das Erreichen akademischer Exzellenz“, hieß es in der Begründung.
Wer gecancelt wird, erhält Entschädigung - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Es gibt inzwischen zahlreiche Untersuchungen, die belegen, dass Journalisten mehrheitlich links eingestellt sind. Christian Hoffmann, Professor für Kommunikationsmanagement an der Universität Leipzig hat sich in einem lesenswerten Artikel damit befasst, woran das liegt. Zu den Erkenntnissen aus diesem Artikel wurde er im Rahmen eines Interviews befragt.
Ein zentraler Faktor ist sicher die Akademisierung des Berufsfelds. Akademiker stehen mehrheitlich links der gesellschaftlichen Mitte. Ein weiterer Faktor ist die ökonomische Krise des Journalismus. Für Konservative und Liberale sind materielle Motive bei der Berufswahl wichtiger als für Linke.
Was ist Macht, und wo wird sie verortet? Das ist eine Grundfrage unserer Zeit. Ich glaube, die Differenzierung zwischen ökonomischer, politischer und kultureller Macht ist hier sehr wichtig. Wenn die klassische Linke an Macht denkt, handelt es sich in der Regel um ökonomische und politische Macht. In dieser Perspektive ist man kritisch, wenn man grosse Unternehmen und politische Entscheidungsträger kritisiert. Den Faktor kulturelle Macht blendet man dabei gerne aus. Wenn man das nicht tut und Kultureinrichtungen, Universitäten und eben auch Medien in den Blick nimmt, dann kann man mit Fug und Recht von Machtzentren sprechen, die politisch links der Mitte verortet sind. Und wenn man kritisch gegenüber kultureller Macht sein wollte, dann würde man dies sicher nicht aus einer primär linken Perspektive sein.
Die Kritik, die Konservative und Liberale am öffentlichrechtlichen Rundfunk äussern, ist nachvollziehbar. Ein von allen gemeinsam finanziertes Medienangebot sollte die ganze Breite politischer Ansichten repräsentieren. Und wenn man sich eine Befragung wie die der ARD-Volontäre anschaut, dann stehen die Anstalten vor einer doppelten Herausforderung: Es gibt den Anspruch des Publikums auf eine ausgewogene Berichterstattung, und es gibt Journalisten, die selbst noch einmal links der ohnehin eher linken journalistischen Mitte stehen. Ich glaube auch, dass der deutsche öffentlichrechtliche Rundfunk bei der Adressierung dieses Problems dem europäischen Ausland hinterherhinkt. In Skandinavien oder in Grossbritannien wird beispielsweise sehr intensiv darüber nachgedacht, wie man konservative und liberale Positionen in den Programmen berücksichtigen kann. Diese Debatte findet bei uns bis jetzt nicht statt.
Ich kenne dazu noch keine Studie, aber ich würde vermuten, dass sich hier ein ähnlicher Generationenkonflikt anbahnt. Die angelsächsischen Länder sind uns in dieser Hinsicht ein paar Jahre voraus, weil sich die zugrunde liegenden postmodernen Denkschulen, etwa «Critical Social Justice», dort schon früher an den Hochschulen etablieren konnten. Inzwischen sind sie aber auch hier angekommen und dienen den Absolventen als ideologisches Rüstzeug. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Kämpfe, die jetzt um die «New York Times» geführt werden, auch die deutschen Medien erreichen.
Dass mir Heribert Prantl in letzter Zeit immer wieder durch kluge Wortmeldungen auffällt, hatte ich bereits erwähnt. Nun hat die “Welt” einen Auszug aus seinem neuem Buch „Not und Gebot: Grundrechte in Quarantäne“ abgedruckt. Auch er nähert sich dem Thema - ähnlich wie Svenja Flaßpöhler und Thea Dorn - auf einer Ebene, die lange ausgeblendet wurde. Ich bin froh, dass inzwischen auch seriöse Kritik jenseits jeglichen “Querdenkens” ein Forum hat und diskutiert wird. Die Auswirkungen der Pandemie bekommt man nämlich nicht nur mit Virologen in den Griff.
Wir haben erlebt, dass das Sichere nicht mehr sicher ist und das Sichergeglaubte nicht mehr hält und dass Grundrechte als Ballast und als Gefahr gelten im Kampf gegen Covid-19. Was eigentlich Irrsinn ist, galt und gilt, wenn es um Corona-Prävention geht, als sinnhaft, als geboten, als alternativlos, als absolut notwendig, als noch lang nicht ausreichend.
Der Bundestag hat in der historischen Corona-Zeit auf intensive Diskussionen zu Covid-19 weitgehend verzichtet; er hat es zugelassen, dass parlamentarische Beratungen und Abstimmungen ersetzt wurden durch Merkel-Söder-Laschet-Prozeduren. Der Bundestag hat es geduldet, dass per Verordnung Grundrechte auf- und zugedreht wurden – gerade so, als hätte ein Grundrecht Armaturen wie ein Wasserhahn. Der Lockdown und dessen Verlängerungen wurden nach vertraulichen Beratungen der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten in Pressekonferenzen verkündet – ex cathedra, ohne jede Beteiligung des Parlaments.
Der Bundestag hat es billigend in Kauf genommen, dass mit kleinem untergesetzlichem Recht große fundamentale Entscheidungen getroffen wurden. Mit begründungslosen Verordnungen hat die Verwaltung die Versammlungs- und Religionsfreiheit aufgehoben, die Freizügigkeit abgeschaltet, gewerbliche Tätigkeiten massiv beeinträchtigt, das Recht auf Bildung und Erziehung verdünnt; alte und behinderte Menschen wurden nur noch unzureichend versorgt. Die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei all diesen Maßnahmen hat die Exekutive an die Gerichte ausgelagert.
Aber eines ist durch Corona auch deutlich geworden: Welche Antworten auch immer gesucht und gefunden werden, das Suchen und Finden darf kein autoritäres werden, es muss ein demokratisches Suchen und Finden bleiben beziehungsweise ein demokratisches Suchen und Finden werden. Es muss mit dem Wissen einhergehen, dass es immer eine Vielheit von Stimmen und Alternativen, dass es den mühsamen Weg des Hörens, Verstehens und Aushandelns gibt – der nicht dadurch ersetzt werden kann, dass man sich auf „das Volk“ oder „die Wissenschaft“ beruft, auf „die Vernunft“ auf „die Gesundheit“ oder auf die „Alternativlosigkeit“.
Corona hat geschafft, was die Weltkriege nicht geschafft haben - Welt
Nach dem letzten Einknicken des WDR von dem Online-Mob im Zuge der Sendung “Die letzte Instanz” hatte ich prophezeit, dass aktivistische Kreise sich das gut merken würden und ihre Macht immer wieder zeigen würden. Lange hat es nicht gedauert. Der WDR hat in einer Karnevalssendung als Schwarze geschminkte Weiße gezeigt und sich natürlich sofort den Vorwurf des Rassismus eingehandelt. Behauptet wurde mal wieder das sogenannte Blackfacing. Ja, dabei handelt es sich um eine rassistische Praktik. Was aber immer wieder (bewusst?) übersehen wird, ist die Tatsache, dass zur Erfüllung des Tatbestands das Schminken allein nicht ausreicht. Dazu gehört zwingend die Darstellung der Figur als dumm, tolpatschig oder rückständig. Da dies hier nicht der Fall war, handelte es sich auch nicht um Blackfacing. Der Rassismusvorwurf war also haltlos. Trotzdem entschuldigte sich der Sender und brachte in der Sendung eine Hinweistafel an. Wahnsinn.
In der Mediathek des öffentlich-rechtlichen Senders ist inzwischen in der betroffenen Sequenz der Sendung "Jet zo fiere! Das Beste aus der Verleihung des Ordens "Wider den tierischen Ernst"" statt der Bilder eine Hinweistafel zu sehen, der Ton läuft zugleich weiter.
Auf der Tafel steht: "In diesem Video ist ein Ausschnitt aus 2010 enthalten, den wir entfernt haben. Er zeigt Personen mit Blackfacing auf der Bühne. Blackfacing wird mittlerweile im Karneval zu Recht kritisiert und verpönt. Die Szene hätte nicht in den Zusammenschnitt aufgenommen werden dürfen."
WDR kennzeichnet Karnevalsshow mit Hinweistafel - Die Zeit
Die geplante Bürgerversammlung im Olympiastadion, von der ich hier bereits berichtete, ist inzwischen spektakulär gescheitert. Dazu gibt es, warum auch immer, eine Serie mit dem Titel “„Unfck the World“. Ich hielt das Vorhaben von Anfang an für Realsatire. Die Idee, dass im Olympiastadion eine Gruppe Gleichgesinnter - aufgepeitscht von einem Kondomhersteller - im Rahmen einer Massenveranstaltung politische Entscheidungen treffen soll, hätte auch von Monty Python sein können. Mit großem Vergnügen habe ich deshalb den Artikel von Felix Hooss in der FAZ gelesen.
Dass sie in einem Interview sagen, an dem historischen Ort (Olympiastadion!) dürften auch Nazis mitdiskutieren, sofern sie Konstruktives beizutragen hätten, ebenfalls. Das Erstaunen der Protagonisten, die gar nicht verstehen, wie man sie denn so missverstehen könne, macht sprachlos. Zwischendrin muss der ursprüngliche Name des geplanten Events geändert werden: Mit „Unfck the World“ sind die eingespannten „Scientists for Future“- und „Fridays for Future“-Aktivisten nicht einverstanden – es sind Kinder anwesend.
Den gutgemeinten Rat, sie sollten doch froh sein, wenn das Crowdfunding-Projekt nicht zustande kommt, schlagen sie in den Wind. Und so kommt es, wie es kommen muss: Das Crowdfunding-Ziel von 1,8 Millionen Euro wird erreicht, und dem Duo ist die Furcht anzusehen, dass sie dieses absurde Event nun wirklich durchziehen müssen. Aber dann gibt es ja 2020 bekanntlich noch eine Pandemie, die der Veranstaltung endgültig den Stecker zieht. Alle Beteiligten sollten dem Coronavirus dafür ewig dankbar sein.
All das mit ansehen zu müssen ist mit dem Wort Fremdscham nur unzureichend benannt und mit sehr, sehr hartem, körperlich fühlbarem „Cringe“ (Zusammenzucken) wahrscheinlich am besten umschrieben. Wer Berlin als Konzept mit seiner Pseudo-Nonkonformität, seiner Prenzlberghaftigkeit, seinen bärtigen Hipstern und weinerlichen Millenials schon immer verachtet hat, bekommt hier frisches Futter.
Harter Cringe - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Zu guter Letzt noch der Hinweis auf zwei sehens-/hörenswerte Gesprächsrunden. Ein Gespräch mit Lisa Eckhart, Ali Can und Philipp Hübl über Satire und Cancel Culture beim “Spiegel”.
Die zweite Runde wurde von “Radio Eins” ausgerichtet und hatte das Thema “Was darf Satire heute?”. Es diskutierten Sarah Bosetti, Dieter Nuhr, Anna Dushime, Christian Ehring, Anny Hartmann, Florian Schroeder sowie Harald Martenstein.
Kultur
Coverversion der Woche: Stereo Total - Ach Ach Liebling
Leider ist Francoise Cactus von Stereo Total vorgestern im Alter von nur 57 Jahren gestorben. Das hat mich wirklich traurig gemacht, denn die Band begleitet mich seit Mitte der 90er Jahre und ich war auf vielen Konzerten. Dieses Jahr ist in vielfacher Hinsicht wirklich bescheiden. Was Coverversionen angeht, waren Stereo Total in positiver Weise ein Faß ohne Boden. Deshalb war es auch gar nicht einfach, eine auszusuchen.
Das Original wurde bereits 1958 von Bobby Trammell aufgenommen und heißt “Uh-Oh”. Besser gefällt mir allerdings die erste Coverversion von Francoise Hardy von 1962 mit dem Titel “Oh Oh Chéri ”, an der sich Stereo Total orientiert haben und die auch vom Vornamen besser passt.
Wie so oft bei Francoise Hardy, gibt es diesen Song auch auf Deutsch. Der Vollständigkeit halber: