Prolog
Letzte Woche bekam ich überraschend Besuch von einer alten Freundin. Wir hatten uns jahrelang nicht gesehen und uns so viel zu erzählen, dass die Zeit wie im Flug verging. Es brauchte auch keinerlei Aufwärmphase. In Zeiten aufgeheizter Debatten und Dauererregung in den sozialen Medien, ist Ausgleich wichtiger denn je. Neben Kunst sind das für mich vor allem wertvolle soziale Kontakte, wie Familie und Freunde. So werden die Batterien aufgeladen. Es gibt natürlich auch Personen, welche sie leersaugen und auch insgesamt eher eine Belastung darstellen. Je älter ich werde, desto schneller kann ich Bereicherung von Zumutung unterscheiden und entferne mich von Menschen, die Letzteres darstellen. Es ist essenziell für die Seelenhygiene, die eigene Lebenszeit nicht mit - heute “toxisch” genannten - Energiefressern und Narzissten zu verschwenden.
Umweltschutz und Klimawandel waren bei uns in der Familie bereits Thema, bevor diese Dinge im öffentlichen Bewusstsein ankamen. Damals galt es noch nicht als schick, sich in dieser Richtung zu engagieren. Ich begrüße ausdrücklich, dass diese Themen konsequent angegangen werden, denn sie sind keine Mythen. Der Klimawandel ist real. Höchst kritikwürdig ist allerdings die deutsche Klimapolitik, die weder in Einklang mit den europäischen Nachbarn (Worauf in anderen Bereichen, wie der Migrationspolitik, besonders viel Wert gelegt wird.) agiert, noch effektiv ist. Bei diesem Thema ist Deutschland der Geisterfahrer. Wenn der Begriff “Verkehrswende” fällt, breche in inzwischen in hysterisches Gelächter aus, denn allein die Entwicklung der Deutschen Bahn beweist, dass eine solche nicht absehbar ist. In der letzten Ausgabe berichtete ich darüber, dass die Familienreservierung abgeschafft wird. Nun möchte die Bahn 21.000 Sitzplätze im Fernverkehr einsparen. Ein alter Bekannter hätte das so kommentiert:”Verkehrswende jetzt, ne?”
Pünktlich zum Sommer gab es Diskussionen um das Erscheinungsbild der Linken-Abgeordneten Stella Merendino. Sie war mit kurzer Hose und Birkenstock-Sandalen im Bundestag erschienen. Kritik an dieser unangemessenen Kleiderwahl wurde von interessierter Seite natürlich umgehend als frauenfeindlich diffamiert. Das ist Unsinn, denn nackte Beine und offene Schuhe sind im beruflichen Umfeld grundsätzlich unangemessen. Das gehörte mal zum Allgemeinwissen. Geschlechtsunabhängig sollten sich Abgeordnete der Würde des Bundestages angemessen kleiden. Mit dieser Meinung entlarvt man sich schnell als Ewiggestriger. Auch über unrasierte, krawattenlose Regierungssprecher regt sich niemand mehr auf. Die Freizeitisierung der Gesellschaft schreitet voran. Darauf bezieht sich auch die heutige Frage.
Nun aber los. Heute geht es unter anderem um Debattenkultur, Zeitenwende und Pluralismus.
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Politik und Gesellschaft
Berechtigte Kritikpunkte bezüglich Angela Merkel gibt es mehr als genug. Die Entkontextualisierung eines Satzes zur Meinungsfreiheit entlarvt dagegen wieder einmal die Kreischmedien. Im Zusammenhang gelesen und wohlwollend interpretiert ist er Teil einer Meinung, die man nicht teilen muss, die allerdings auch kein Skandal ist.
Da stehen sich grundsätzlich unterschiedliche Konzepte gegenüber. Was Vizepräsident Vance vertritt, ist, dass es keinerlei Regulierung von sozialen Medien geben darf und jede dieser Regulierungen im Grunde eine Beschränkung der Meinungsfreiheit ist. Wenn es aber – anders als zum Beispiel im Presserecht – in der Welt der sozialen Medien keine Verantwortlichkeit gibt, dann ist Tür und Tor geöffnet für übelste Propaganda und Beleidigungen. Das ist eine Form von Meinungsfreiheit, die ich ablehne. Nach dem Motto: der Stärkere und die aggressivste Meldung setzen sich durch. Ich sehe Plattformen nicht als solche kritisch. Sie haben natürlich den Menschen auch viele Kontaktmöglichkeiten eröffnet. Ich sage nur, dass es in einer freiheitlich-demokratischen Ordnung keinen regulationsfreien Raum geben kann. Deshalb unterstütze ich auch die EU-Verordnungen über die digitalen Dienste und Märkte.
Zur Einschätzung des Zustands der Debattenkultur im Jahr 2025 ist ein aktueller Vorgang geeignet: Die “Zeit” knickte vor dem Mob ein und depublizierte feige einen Meinungsbeitrag von Maxim Biller. Der Artikel ist im Netz nachlesbar. Es stellt sich die Frage, warum hier kein Diskurs, zum Beispiel in Form eines Gegenbeitrags, zugelassen wurde.
Vor allem aber, das ist die wichtigste Qualität eines journalistischen Textes, muss er wahr sein. Darum waren vor nunmehr vielen Jahren die Skandale um die gefälschten Hitler-Tagebücher für den Stern, die gefälschten Interviews von Tom Kummer im SZ-Magazin und zuletzt die Fakes von Claas Relotius für den Spiegel so schmerzhaft. Diese Texte waren nicht wahr, und um die Wahrheit geht es im Journalismus.
Enthielt die Biller-Kolumne „Morbus Israel“ eine Lüge, eine Verdrehung der Tatsachen, Unterstellungen oder Fakes? Das müsste die Chefredaktion der Zeit schon offenlegen.
Billers Text ist verstörend, weil er überzeichnet und auf Differenzierung, Einschränkung und Abwägung verzichtet. Davon haben wir in den deutschen Debatten allerdings reichlich. Ständig fordern wir Debatten, und wenn sie losgehen mit Verve, ist es auch wieder nicht recht und der Ton wird kritisiert.
Man kann aber nicht wortreich bemängeln, dass hierzulande der Konsens jede Sondermeinung erdrückt, sich kaum noch jemand traut zu sagen, was ihm so durch den Kopf geht, und dann Kolumnen – die subjektivste aller journalistischen Formen – aus dem Netz nehmen.
Man beschäftigt Maxim Biller, um Texte bringen zu können, die auffallen und wegen ihrer Präzision als kulturelle Wachmacher fungieren.
Seit Beginn des modernen Journalismus ergeben sich solche Situationen, und es gibt nur eine gute Antwort: Die Einwände und Empfindungen anderer Autoren zu publizieren, also weitere Stimmen um einen Text zu bitten.
Möglicherweise hat die Zeit das ja sogar vor. Sie hat allerdings zuvor den Auslöser des ganzen Diskurses – eine der seit Jahrzehnten mutigsten Stimmen der deutschen Gegenwartsliteratur, einen langjährigen Kolumnisten des Blattes – öffentlich gedemütigt, seinen Text fallen gelassen wie etwas Schmutziges.
Die Depublikation von Billers Kolumne ist eine Reaktion aus dem Arsenal der Spießer. Dass sie nebenbei ein Beleg für die besondere Irrationalität deutscher Debatten über Israel ist? Genau das war die These von Maxim Biller in „Morbus Israel“.
Dass in den Parteien kaum noch über echte Grundsatzfragen und sich daraus ergebende Strategien diskutiert wird, nehme ich seit vielen Jahren wahr. Debatten kratzen meist an der Oberfläche und laden auch nicht mehr zur gedanklichen Teilhabe ein. Dieser Zustand passt zum Verschwinden politischer Kultur. Dass nun zwei Rechtsextremisten das spannendste politische Gespräch der letzten Jahre geführt haben, sollte allen Demokraten zu Denken geben. Allein den Befund, dass sich dieser Zustand leicht ändern ließe, teile ich nicht. Politiker mit intellektuellem Potential, welche sich noch vor zehn Jahren in allen Parteien fanden, gibt es immer weniger.
Das Gespräch zwischen dem schwermütigen Republik-Gegner und dem leicht mafiösen Politiker ist gewitzt, es ist grundlegend, und nach anderthalb Stunden stellt man sich vor allem eine Frage: Wie kann es eigentlich sein, dass strategische Diskussionen mit Tiefe und Substanz derzeit nur innerhalb der radikalen Rechten stattfinden?
Die Union zum Beispiel hätte auch einigen Grund zur Selbstreflexion. Nach einem Wahlkampf, der "CDU pur" versprach, erzielte man zunächst ein sehr schlechtes Wahlergebnis und ist seitdem in der Regierung tagtäglich damit beschäftigt, zu erklären, warum CDU pur leider doch nicht geht. Wenn allerdings schon der bloße Eintritt in die Regierung genügt, damit alle Grundsätze purzeln – sollte man sich dann nicht vielleicht mit diesen Grundsätzen beschäftigen? Der Frage etwa, was konservative Politik im Zeitalter autoritärer Revolte bedeutet? Öffentliche Diskussionen dazu gibt es allerdings nicht.
Die SPD hat ihre Wahlniederlage von einer Kommission aufarbeiten lasen. Das Papier soll, wie man hört, durchaus prinzipiell sein, allerdings ist es nur für den internen Dienstgebrauch bestimmt. Denn öffentlich möchte die Partei jetzt, wie es heißt, "nach vorne blicken". Tatsächlich gab es nach dem schlechtesten Wahlergebnis in der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie kaum eine Wortmeldung eines führenden SPD-Politikers, die über das hinausgegangen wäre, was man seit Jahren schon erzählt: Rausgehen, zuhören, Politik für "die Leute" machen. Jaja, schon richtig. Aber hat man das nicht auch die letzten Jahre gemacht? Und war das Problem wirklich nur, dass die Ampel so viel gestritten hat, oder ist da ein großer, übergreifender Trend am Werk, der sozialdemokratische Parteien fast überall erschüttert? Hierzu könnte man beispielsweise mal ein "Manifest" schreiben, und zwar eines, das sich mit der substanziellen Krise der Partei beschäftigt statt mit Ausflüchten in der Außenpolitik.
Die Grünen wiederum müssen nicht einmal regieren, sondern hatten nun vier Monate Zeit, um über ihre eigene Niederlage nachzudenken. Das Ergebnis dieses Nachdenkens haben die Parteivorsitzenden am Wochenende in einem programmatischen Beitrag in der FAZ zusammengefasst: Die Grünen wollen "das Leben der Leute konkret verbessern", "Lebensrealitäten anerkennen" und das als "Partnerin einer aktiven Bürgergesellschaft". Also im Grunde wie bei der SPD.
Das alles ist so leicht verdaulich, dass man nach der Lektüre das Bedürfnis verspürt, sich von Joschka Fischer anschreien zu lassen oder in ein staubiges rororo-Buch zu weinen, wo Grünen-Politiker vor vielen Jahren ihre Visionen beschrieben.
Nun muss es heute ja vielleicht kein Buch sein. Aber wo ist der Podcast, in dem, sagen wir, Ricarda Lang und Cem Özdemir über die Zukunft der Grünen streiten? Wo ist das intellektuelle Ökosystem, das, wie bei den Rechten, die Politik herausfordert? Wo sind die Texte von linken, liberalen oder konservativen Intellektuellen, über die alle reden?
Die radikale Rechte ist heute der Ort, an dem am lebhaftesten über Politik diskutiert wird. Das ist ein trauriger Befund und vermutlich auch ein Faktor ihres derzeitigen Erfolgs. Das Gute ist: Zumindest dies ließe sich relativ leicht verändern.
Scharf kritisiert wurde auch der Auftritt von Heidi Reichinnek im stets hörenswerten Zeit-Podcast “Alles gesagt”. Für mich unverständlich. Privat finanzierte Medien können einladen, wen sie möchten. Grundsätzlich kann durchaus auch die Vorsitzenden radikaler Randparteien zu Wort kommen lassen. Konsequent wäre dann, Alice Weidel ebenfalls einzuladen. Das wird natürlich nicht passieren. Dönhoff, Raddatz, Schmidt und Bucerius hätten entweder beiden oder keiner eine Plattform gegeben.
Anders verhält es sich bei öffentlich-rechtlichen Medien. Es muss nicht sein, dass der Aktivist Tilo Jung in einem gebührenfinanzierten Gesprächsformat unwidersprochen behaupten darf, es gäbe keinen Journalismus mehr. Dass er als positive Ausnahmen sich selbst und Georg Restle nennt, wirkt in diesem Zusammenhang fast harmlos. Zudem wettert er gegen den Kapitalismus, der ihm seine Karriere ermöglicht hat. Grotesk. Die anwesende Politikexpertin behauptet wider alle Fakten, in den Medien herrsche eine konservative Einstellung vor. Eine eher düstere Episode in der Geschichte des Podcasts.
Die in einer SWR-Sendung aufgestellte Behauptung, Rechtsextremismus sei in Deutschland zu lange ein Tabu gewesen, ist in Anbetracht aller Fakten so grotesk, dass man es kaum fassen kann. Es stellt sich auch die Frage, welchen Wert Formate haben, in denen sich in den grundsätzlichen Fragen/Narrativen alle einig sind. Warum sitzt in beiden Runden niemand, der Gegenpositionen - für die es jeweils ausreichend seriöse Argumente gibt - vertritt? Das ist einer der Gründe, warum sich immer mehr Menschen vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk abwenden. Sie möchten keine Belehrungsbeschallung, sondern sich eine eigene Meinung bilden. Das ist ohne Meinungsvielfalt allerdings nicht möglich.
Auf dem Weg dahin, dass die demokratische Selbstverständlichkeit, mit jedem zu diskutieren, als kontroverse Haltung gilt, liess man unzählige Interventionsmöglichkeiten ungenutzt.
Zum Ende der Rubrik Sehenswertes: Wolfram Weimer hat bei Sandra Maischberger mit Katrin Göring-Eckardt diskutiert. Es war ein in vielerlei Hinsicht spannendes Gespräch.
Allein dass sie, Göring-Eckardt, dem Kulturstaatsminister vorschreiben wollte, was er zu sagen habe anstelle dessen, was er tatsächlich sagte, ließ sich natürlich als Beleg für Weimers Steckenpferd einer in Deutschland eingeschränkten Meinungsfreiheit werten. Er dürfe die falsche Meinung, in Deutschland dürfe man immer weniger frei seine Meinung sagen, nicht noch „verstärken“, indem er diese unberechtigte Sorge aufgreife. Darf er nicht?
Ich will, sagte Göring-Eckardt, ich will, dass sich der Kulturstaatsminister hinstellt und sagt: „Sie können in Deutschland sagen, was Sie wollen.“ Die Menschen, so solle der Kulturstaatsminister fortfahren, müssten nur damit rechnen, dass ihnen auch widersprochen wird, wenn sie sagen, was sie wollen. Und dieser Geist des Widerspruchs, den müssten die Menschen zu ertragen lernen, statt bei Widerspruch zu meinen, sie dürften nicht alles meinen, was sie meinen wollen.
Tatsächlich nahm die Frage im Laufe der Sendung immer mehr einen Test-Charakter für die Triftigkeit von Weimers Cancel-Kultur-Thesen an. Je mehr ihm Göring-Eckardt seine Meinung ausreden und eine andere, die „richtige“ Meinung vorschreiben wollte, desto schlüssiger erschien seine Sorge darüber, dass in Deutschland immer mehr Menschen meinten, man könne in Deutschland seine Meinung nicht frei sagen. Eben eine solche Sorge gehöre sich für einen Kulturstaatsminister nicht zu formulieren, hielt Göring-Eckardt ein ums andere Mal dagegen. Und schien damit wiederum nur Weimers Meinung zu bestätigen, dass, wenn in Deutschland „der gefühlte Freiheitsbegriff enger wird“, dass es sich dann für einen Mann der bürgerlichen Mitte wie ihn gehöre, „den wieder zu weiten“.
So schien Göring-Eckardt ihm die Belege zu liefern, wenn sie nur den Mund auftat. Mit der nun in der Tat beunruhigenden Pointe, diese performative Fatalität nicht zu bemerken, sich selbst, ihr eigenes Agieren als Teil des von Weimer entworfenen Problems offenkundig nicht wahrzunehmen, je länger nicht, je lieber. Sodass der Kulturstaatsminister nach gesprächsweiser Lage der Dinge nur noch die Folgerungen im Namen einer „Freiheit“ zu ziehen braucht, die begrifflich nicht näher unterschieden wird.
Damit Weimers Plot einer durch Haltungsdikate geknebelten Meinungsfreiheit funktioniert, brauchte es augenscheinlich nur diese „Maischberger“-Sendung als Anschauungsmaterial. Weimer ging aus ihr als Sieger hervor, gleichsam ohne sein Zutun war durch das kurze Aufeinandertreffen mit der Grünen-Politikerin der Eindruck entstanden, als befreie er die Kultur von den Göring-Eckardts dieser Nation, von deren Vorgabe: „Ihr müsst Haltung zeigen für dieses oder jenes!“
Man wird ja wohl noch meinen dürfen, dass man nichts sagen darf - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Kultur
In vielen Medien, aber auch in Büchern ist zu lesen, mit der Wokeness sei es vorbei. Man kann durchaus den Standpunkt vertreten, dass sie auf dem absteigenden Ast ist, aber in ihrem Ende ist sie noch lange nicht. Das zeigen auch aktuelle Skurrilitäten um William Shakespeare.
2022 hatte der Verein eine junge Akademikerin von der Birmingham City University, die an ihrer Doktorarbeit über die Sammlung schrieb, um ihr Urteil gebeten. Helen Hopkins, die bislang in der Shakespeare-Forschung nicht aufgefallen war, legte dem Verein nahe, die Rolle anzuerkennen, die Shakespeare «in der Erschaffung und Erhaltung des imperialistischen Narrativs kultureller Überlegenheit gezwungen war zu spielen».
Das ist soziologisch gesprochen und soll heissen: Auch Shakespeare ist letztlich nicht mehr als ein schuldiger, toter, weisser Mann. Der Text der bis dato weltweit unbekannten Helen Hopkins enthält eine Reihe von Kostproben aus dem Repertoire woker Worthülsen. Wer Shakespeare schätzt, unterstützt «weisse, anglozentrische, eurozentrische und überhaupt westliche Ansichten, die bis heute Elend in der Welt verbreiten».
Für Helen Hopkins dagegen ist es eine Gewissheit, dass Shakespeares Werk, dessen Rezeption und die Ausstellung in Stratford «epistemische Gewalt» ausüben. Und dafür gibt es ihrer Ansicht nach nur eine Radikalkur: Die Ausstellung muss von «Anglozentrik und kolonialistischem Denken gesäubert» werden. Dann wird die «gesellschaftliche Ungleichheit, die dem Imperialismus innewohnt und mit Shakespeares weltweitem Status einhergeht», bekämpft.
Katharine Birbalsingh, eine der bekanntesten Lehrerinnen Englands, Leiterin einer der ethnisch buntesten und erfolgreichsten Schulen in London, nannte im Gespräch mit dem «Spectator» die Dekolonisierung Shakespeares «lächerlich». Shakespeare sei «untouchable», sagt sie. An ihrer Schule werden im Jahr vier Shakespeare-Stücke gelesen und aufgeführt. Für sie ist klar: Es ist herablassend und arrogant, zu sagen, das Verständnis für Shakespeare hänge von der Hautfarbe des Lesers ab.
Kinder sind Kinder, ob braun, schwarz oder weiss. Und alle, davon ist Birbalsingh überzeugt, verstehen Shakespeare: «Wer behauptet, ethnische Minderheiten könnten kein Verständnis für Shakespeare finden, verbreitet Rassismus», sagt sie, die selber von dunkler Hautfarbe ist und sich als britisch und westlich definiert. «Wir müssen von Shakespeare lernen», ist ihr klares Urteil. «Does a Jew not bleed?», so paraphrasiert sie Shylock aus «Der Kaufmann von Venedig»: «Shakespeare hat das verstanden.»
Shakespeares grosse Leistung ist, dass für das Verständnis seiner Stücke, auch Jahrhunderte nachdem sie geschrieben worden sind, keine akademische Gelehrsamkeit nötig ist. So ist der Narr oft die Quelle höchst scharfsinniger Ansichten. «Das», so Stephen Greenblatt, «passt gut zu Shakespeares Einstellung, dass Intelligenz auf der Welt nicht entsprechend der Universitätsdiplome verteilt ist.» Lasst Shakespeare in Ruhe.
Achtung, westliches Denken: Jetzt wird William Shakespeare «dekolonisiert» - Neue Zürcher Zeitung
Coverversion der Woche: Blondie - Denis
Dieses Jahr ist Clem Burke, der Schlagzeuger von Blondie, gestorben und gestern wurde Debbie Harry 80 Jahre alt. Die Entscheidung fiel also wieder einmal leicht.
Die amerikanische Doo-Wop-Gruppe Randy & The Rainbows nahm „Denise“ mit den Produzenten The Tokens auf und veröffentlichte das Stück 1963 als Single. Der Name „Randy & the Rainbows“ wurde von den Betreibern des Labels Laurie Records nach der Aufnahme gewählt. Zuvor hatte die Bands die Namen „Junior & the Counts“ und „The Encores“. Der Song hielt sich siebzehn Wochen in den Billboard Hot 100 Charts und erreichte Platz 10, Platz 18 in den Billboard Hot R&B Singles Charts und Platz 5 in der kanadischen CHUM Hit Parade. Er erreichte Platz 27 in Billboards Jahresendranking „Top Records of 1963“ und Platz 60 in Cash Box' „Top 100 Chart Hits of 1963“.
Die Coverversion „Denis“ (die männliche Form des französischen Namens, mit stummen „s“) verhalf Blondie im Jahr 1978 zum internationalen Durchbruch. Der Song war auf dem zweiten Studioalbum der Band, Plastic Letters zu hören und war die zweite Single-Veröffentlichung von Blondie in Großbritannien bei Chrysalis Records. Die ursprüngliche Blondie-Version enthielt eine Strophe mit teilweise improvisiertem Text auf Französisch von Debbie Harry. Die zweite, neu aufgenommene Version erschien 1994 als Bonustrack der Neuauflage von Plastic Letters bei EMI UK.
„Denis“ erschien im Februar 1978 und erreichte Platz 2 in Großbritannien und die Top 20 in den meisten europäischen Ländern, darunter Platz 1 in den Niederlanden. In Großbritannien hielt sich der Song drei Wochen lang auf Platz 2. 1988 erschien eine Remix-Version des Tracks als Single aus der Blondie/Debbie Harry-Remix-Compilation Once More into the Bleach. Diesmal erreichte die Single Platz 50 in Großbritannien.
Epilog
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