Prolog
Es fällt mir immer wieder auf, dass viele ihre Ansichten über politische und gesellschaftliche Themen mit einem gesunden Selbstvertrauen in den sozialen Medien zum Ausdruck bringen, mit zustimmenden Kommentaren versehene Links zum “Volksverpetzer” oder ähnlichen linkspopulistischen Medien teilen, die marktschreierischen Veröffentlichungen der anderen politischen Seite aber auf das Schärfste verurteilen.
Dem liegt der “Links ist gut und rechts ist schlecht”-Irrtum zugrunde. Irrtum deshalb, weil sowohl “links” als auch “rechts” innerhalb des demokratischen Meinungsspektrums erst völlig legitime politische Verortungen sind. Problematisch sind Populismus, Radikalismus und Extremismus.
Diese Fehlannahme basiert auf einem weiteren Irrtum, nämlich dem, dass sich linke Gewalt ausschließlich gegen Sachen und rechte Gewalt ausschließlich gegen Menschen richte. Diese Behauptung wurde erst kürzlich zum wiederholten Mal durch das Werfen von Molotow-Cocktails auf Polizisten in Lützerath als unzutreffend entlarvt.
In diesem Newsletter werden ausschließlich seriöse Quellen kommentiert, Populismus, egal aus welcher Richtung, hat hier keinen Platz.
Im Vorfeld der der Walwiederholung in Berlin, deren Notwendigkeit bereits ein Beleg für die Unfähigkeit der Verwaltung dieser Stadt ist, gab es eine weitere Panne. Nachdem Wahlbenachrichtigungen mit einem falschen Datum verschickt wurden und in einem Wahlkreis ein falscher Kandidat angegeben wurde, haben nun 49 Personen ihre Wahlunterlagen doppelt erhalten. In diesem Zusammenhang ist auch die Nachricht interessant, dass der Wohnungsneubau in Berlin komplett zum Erliegen gekommen ist. Man kann nur noch ungläubig mit dem Kopf schütteln und hoffen, dass die Berliner eine kluge Wahlentscheidung treffen.
Nun aber los. Heute geht es unter anderem um Populismus, Fehlerkultur und Ideengeschichte.
Politik und Gesellschaft
Kürzlich erschien eine Oxfam-Studie, deren marktschreierische Ungerechtigkeits-Narrative ebensowenig kritisch hinterfragt werden, wie die Motivation dahinter. Schon Faith No More wussten:”It’s a dirty job but someone’s got to do it.” Marius Kleinheyer hat ihn übernommen.
Pünktlich zum Weltwirtschaftsgipfel in Davos hat die kapitalismuskritische Entwicklungshilfeorganisation Oxfam ihre Studie „Survival of the Richest“ publiziert. Die Botschaft lautet: Damit es den ärmsten Menschen der Welt besser geht, muss den reichsten eine konfiskatorische Steuerlast auferlegt werden. Oxfam scheut sich dabei nicht vor der Forderung zurück, Milliardäre ganz abzuschaffen. „Every billionaire is a policy failure.“ Die NZZ kommentierte, dass Oxfams Analyse der Reichen “zunehmend obsessive Züge” zeigt. Der populistische Sprachduktus gehorcht den Gesetzen der politischen Stimmungsmache, aber das dahinterliegende Denkmuster ist weit verbreitet. Dabei wird übersehen, wie wichtig Kapitalakkumulation, Unternehmensgewinne und Freihandel im Rahmen einer rechtsstaatlichen Ordnung für die Entwicklung der Gesellschaft sind.
Die Tatsache, dass es sehr reiche und sehr arme Menschen auf der Welt gibt, führt zu folgender Behauptung: “It is a system that continues to work very well indeed for a small group of people at the top - predominantly rich, white men based in the global north.”3 Auch eine nähere Beschreibung dieses “Systems” fehlt. Man kann nur vermuten, dass die Autoren damit den “bösen Kapitalismus” meinen.
Für dessen Bösartigkeit wird ein vermeintlicher Beleg angeführt, der beispielhaft für die Botschaft ist: Während Elon Musk mit einer effektiven Steuerrate von 3,27 Prozent zwischen 2014 und 2018 belastet worden sei, müsste Aber Christine, eine Reishändlerin aus dem Norden von Uganda 40 Prozent ihrer Einkünfte, etwa 80 Dollar im Monat als Gebühr abführen, um auf dem lokalen Markt ihren Stand aufbauen zu dürfen. Dieser Vergleich wird gleich dreimal im Bericht erwähnt. Zwei Mal direkt in der Executive Summary und weiter hinten mit Fotos der beiden nebeneinander.
Der pauschale Vorwurf lautet, Reichtum wird durch Lobbyismus, Steuerbetrug oder Steuerflucht erzeugt. Dazu zählt nach Meinung der Autoren auch der Aufbau und das Wachstum eines Unternehmens, da hier steuerliche Regeln zu großzügig seien. Die höhere Besteuerung soll nicht nur die Ungleichheit direkt bekämpfen, sondern auch indirekt, in dem der Handlungsspielraum für Regierungen erweitert wird.
Der expliziten Forderung für Umverteilung liegt die implizite Annahme zu Grunde, dass eine gegebene Menge an Wohlstand „gerechter“ verteilt werden müsste. Stattdessen hat die Geschichte und die ökonomische Theorie gezeigt, dass es innerhalb von marktwirtschaftlichen Institutionen keine Grenzen des Wohlstandes gibt. Stattdessen kann durch unternehmerisches Handeln und technologische Innovationen immer mehr Wachstum erzeugt werden. Eine wichtige Grundbedingung dafür ist die Möglichkeit der Kapitalakkumulation. Wenn Oxfam das Schicksal der ärmsten Menschen am Herzen liegt, müssen Sie zu Anwälten für mehr Marktwirtschaft insbesondere in Afrika werden. Die Herstellung von Gleichheit dadurch, dass alle gleich arm werden, nützt niemandem.
Wenn nun die Fakten einseitig interpretiert und die vorgeschlagene Lösung zur Linderung der Armut so wenig erfolgversprechend ist, stellt sich die Frage, was sich Oxfam von seinem Bericht verspricht. Die Bekämpfung der Armut eröffnet ein Geschäftsmodell, in dem die selbsternannten Anwälte der Armen Publicity und politischen Einfluss erwerben und damit Spendengelder eintreiben können. Die Spenden kommen vor allem den Armutsentrepreneuren zugute. Dazu passt, dass ein Referent bei Oxfam Deutschland über 60.000 Euro im Jahr verdienen kann und der Geschäftsführer auf über 100.000 Euro kommt.11 Der von Oxfam gepflegte Antikapitalismus bedient eine antikapitalistisch gestimmte Klientel, die für die Kampagne gegen den Kapitalismus nur spenden kann, weil sie von diesem Kapitalismus profitiert.
Das politische Geschäft mit der Armut - Flossbach von Storch
Die ehemals seriöse Nachrichtensendung “Tagesschau” ist in den letzten Jahren häufig durch peinliche Fehler aufgefallen, die einem Format mit diesem Renommee schlichtweg nicht passieren dürfen. Nun ist ein weiterer hinzugekommen: Die nachweislich unzutreffende Behauptung, in Fukushima seien 18.500 Menschen durch eine “Atomkatastrophe” ums Leben gekommen.
Mit ungefähr 18.500 wird die Zahl der Menschen angegeben, die durch den Tsunami ums Leben kamen, der am 11. März 2011 auf die japanische Küste traf. Die von ihm ausgelöste Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima führte dagegen nur zu sehr wenigen unmittelbaren Opfern. 1)
Trotzdem wird die Zahl 18.500 immer wieder mehr oder weniger direkt mit der Havarie des Atomkraftwerks in Verbindung gebracht – gerade erst in der vergangenen Woche von tagesschau.de.
Aber wieso passiert es immer wieder? Eine mögliche Erklärung ist, dass der Tsunami in Deutschland eng mit dem Namen Fukushima und damit mit dem Atomkraftwerk verbunden ist. Auch in der Berichterstattung nach dem Unglück dominierte die eskalierende Situation im Atomkraftwerk tagelang die Schlagzeilen, während die Verwüstungen, die die Flut sonst an der Küste anrichtete, vergleichsweise wenig Raum einnahmen. In der kollektiven deutschen Erinnerung scheint die Katastrophe von 2011 vor allem als „Atomkatastrophe“ in Erinnerung geblieben zu sein, natürlich auch wegen der politischen Diskussionen, die sie auslöste, und den Konsequenzen für die Energiegewinnung in Deutschland. Es liegt dann womöglich nahe, die Opfer reflexhaft auch dieser Katastrophe zuzuschreiben und nicht der Naturkatastrophe.
Das ist eine wohlwollende Erklärung. Weniger wohlwollende Erklärungen unterstellen deutschen Journalisten einen Anti-Atomkraft-Bias, der dafür sorgt, dass sie unbewusst die Toten der Atomkraft zuschreiben. Oder eben gar nicht unbewusst, sondern als Teil eines langjährigen Diskreditierungskurses. Man kann diesen Gedanken je nach persönlicher oder politischer Vorliebe beliebig weit in Richtung einer umfassenden Verschwörungstheorie eskalieren. Das geschieht auch.
Aber wie auch immer man es erklärt: Die Wiederholung des immer gleichen Fehlers ist frappierend. Und inzwischen besonders peinlich, weil man als Journalist auch die ein oder andere Aufregung über genau diesen Fehler schon mal mitbekommen haben könnte und deshalb besonders sensibilisiert sein müsste.
Insofern kann ich die Aufregung, die der vermeintlich kleine Fehler in der Meldung auf tagesschau.de in den sozialen Medien auslöste, schon verstehen – auch wenn sie mitbefeuert wurde von Leuten, die ohnehin jeden kleinen Fehler nutzen, um mit größtmöglicher Wucht auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einzuprügeln.
Größter anzunehmender Unfall: die Fehlerkultur der „Tagesschau“ - Übermedien
Die neueste Folge der Serie “Cancel Culture ist ein Mythos” ist erschienen. In den Hauptrollen der C.H. Beck-Verlag und Hans-Georg Maaßen. Der Verlag hat den Vertrag mit ihm aufgelöst. In einer Erklärung wies das Haus darauf hin, dass es fachlich nichts an Maaßens Kommentaren auszusetzen habe und gab als Grund für die Trennung die aus dem Ruder gelaufene öffentliche Diskussion an. Nun hat sich herausgestellt, dass der eigentliche Grund wohl Proteste der Belegschaft waren. Auch die fein orchestrierte Medienkampagne, die seit einiger Zeit gegen ihn läuft, wird dazu beigetragen haben. Was auch immer es war, der Verlag ist eingeknickt.
Ich habe bereits wiederholt betont, dass ich Maaßens Radikalisierung sehr kritisch sehe. Meiner Meinung nach bewegt er sich aber auf dem Boden des Grundgesetzes. Seine “Vergehen” sind im Wesentlichen seine öffentlich geäußerten Zweifel an Hetzjagden, für die es bis heute keine Beweise gibt. Im Zeitalter von Smartphones wird jeder Unsinn gefilmt, Hetzjagden auf Linke und Ausländer aber nicht? Schwer vorstellbar. Ein weiterer Vorwurf ist, dass er den angeblich antisemitischen Begriff “Globalisten” verwendete. Einen Begriff, den auch “Bundeszentrale für politische Bildung” benutzt. Das aktuelle Vergehen ist seine Reaktion auf einen linken Aktivisten, der davon schreibt, dass sogenannte “Weißbrote” verdrängt werden sollten, der ohne Kontext zitiert und so zur rassistischen Verschwörungstheorie aufgeblasen wird.
Es gibt ausreichend berechtigte Kritik an Maaßens Entwicklung nach dem Ende seiner Tätigkeit als Verfassungsschutzchef. Da braucht es keine Erfindungen.
Die Streitfrage lautet: Darf der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maassen weiterhin für den Grundgesetzkommentar Epping/Hillgruber schreiben? Der Kommentar erscheint im renommierten C.-H.-Beck-Verlag. Der promovierte Jurist Maassen betreut darin die Artikel 16 und 16a des Grundgesetzes – die Regelungen zu Ausbürgerung und Auslieferung und das Asylrecht. Er hat seinen Eintrag im Jahr 2009 verfasst und ergänzt ihn seither um neuere Aspekte der Rechtsprechung und der Gesetzgebung. Fast alle Rechtspraktiker und Jurastudenten in Deutschland nutzen das Werk.
Sein Rauswurf muss den pflichtbewussten und ehrgeizigen Beamten schwer verletzt haben, denn seither agiert er im Habitus eines Gekränkten, nach dem Motto: Jetzt kommt es auch nicht mehr drauf an. Damit steht er für viele. Wenn das linke, grüne und teilweise liberale Lager der deutschen Gesellschaft wirklich etwas gegen Rechtsradikalismus tun wollte, müsste es aufhören, jeden sofort in die rechte Ecke zu stellen, der einen handelsüblichen konservativen Gedanken äussert.
In einer Sendung von TV Berlin sagte er, die Politik wolle kein hartes Durchgreifen gegen junge migrantische Tatverdächtige, sondern eine «bestimmte, ungesteuerte Migrationspolitik»; Richter passten sich diesem politischen Grundgefühl oft an, um keine Probleme zu bekommen und nicht in den Medien kritisiert zu werden.
Kurz nach diesem Interview gab es gleich zwei Mal schweres Geschütz von der «Süddeutschen Zeitung» und der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» gegen den Ex-Verfassungsschutzpräsidenten. Ronen Steinke plädierte in der «SZ», Patrick Bahners in der «FAZ» dagegen, dass der C.-H.-Beck-Verlag seinen Autor weiter beschäftigt. Eben wegen dessen medial verbreiteter Auffassungen.
Nun sind Beschwerden beim Herausgeber, Verleger, Chefredakteur, überhaupt beim Arbeitgeber kein schönes Instrument in einer Debatte – das wissen Journalisten aus eigener leidvoller Erfahrung. Aber im Kampf gegen «rechts» scheint das keine Rolle zu spielen.
Tatsache ist aber auch: An Maassens Asylrechtskommentar, der jetzt zum Stein des Anstosses gemacht wird, scheint niemand so recht etwas Kritikwürdiges zu finden. Was vielleicht zum Teil daran liegt, dass die 48 eng bedruckten Seiten fast alle nicht juristisch vorgebildeten Journalisten überfordern. Doch sogar der fachkundige Maassen-Kritiker Stefan Huster schreibt, man könne unterstellen, dass an Maassens Beitrag inhaltlich nichts auszusetzen sei und er sich im Rahmen des «juristisch Vertretbaren» bewege.
Beim C.-H.-Beck-Verlag ist man ohnehin von Maassens wissenschaftlicher Untadeligkeit überzeugt: «Seine Kommentierungen von Artikel 16 und Artikel 16a im Beck-Online-Kommentar des Grundgesetzes sind lege artis und in keiner Weise rechtswissenschaftlich zu beanstanden», schrieben die Herausgeber in einer E-Mail, die die Zeitung «Die Welt» zitiert.
Insofern handelt es sich hier um ein klassisches Stück Elend der deutschen Debatte: Es geht nicht darum, was jemand sagt, es geht darum, wer es gesagt hat. Das ist gefährlich für jeden pluralistischen Diskurs.
Zum hundertjährigen Geburtstag des Frankfurter Instituts für Sozialforschung hat Thomas Thiel einen lesenswerten Text geschrieben.
Als das Institut am 22. Juni 1924 eröffnet wurde, war man überzeugt, der Kapitalismus liege in seinen letzten Zügen. Nach dem frühen Ausscheiden des Gründungsdirektors Carl Grünberg leitete das IfS zunächst der Unternehmersohn Max Horkheimer, der mit seiner Antrittsrede 1931 das Programm der Kritischen Theorie schrieb: Ziel war eine an Marx und Freud geschulte Kritik der Gesellschaft, die auf praktische Veränderung zielte. Die utopische Perspektive lag in der unverkürzten Erfahrung der Kunst, die bis heute der Spannungspol dieser Theorie ist. Traum und Kindheit, Musik und Literatur gehörten ganz selbstverständlich zum Pensum dieser Philosophie. Trotz der Kritik am fachwissenschaftlichen Positivismus meinte Horkheimer, dass die Philosophie auf einem exakten Bild der Gesellschaft aufsetzen müsse. Die Einzelwissenschaften sollten in einer Gesellschaftstheorie aufgehoben werden, die niemals so recht Gestalt gewann. Die empirischen Studien zu Vorurteilen, Autoritarismus oder betrieblicher Mitbestimmung wurden pflichtschuldig betrieben. Schönberg und Beckett waren Adorno doch näher als das Betriebsklima bei Mannesmann.
Georg Lukács hat das auf die berühmte Formel vom Grand Hotel Abgrund gebracht. Gemeint war ein Zirkel von Intellektuellen, der im Ton gehobener Verzweiflung Klage über eine Welt führte, in der er sich komfortabel eingerichtet hatte. Man darf darüber nicht vergessen, dass Weltkrieg und Nationalsozialismus den realen Erfahrungsgrund dieser Theorie bildeten. 1933 wurde das Institut von den Nationalsozialisten geschlossen. Über Genf emigrierte man nach New York und dockte dort an die Columbia University an. Horkheimer und Adorno siedelten später an die kalifornische Westküste um, nachdem sie sich von Institutsmitarbeitern auf nicht sehr freundliche Weise getrennt hatten. Hochgestimmte Appelle an die Humanität brachten die beiden immer wieder problemlos mit kleinlichen Intrigen unter einen Hut.
Achtundsechzig hätte die große Stunde werden können. Das Gegenteil geschah. Horkheimer bewegte sich längst in konservativen Gewässern und sah mit Erschrecken, wie die rebellischen Studenten seine frühen, marxistisch gefärbten Schriften zitierten. Für Adorno gab es keinen Zweifel: Dieser Mob erfüllte keine theoretischen Ansprüche. Es kam zum Eklat. Das Institut wurde von Studenten besetzt, man rief die Polizei. „Randale, Bambule, Frankfurter Schule“ ist bis heute ein beliebter Slogan im Frankfurter Protest-Milieu. Er geht an der Realität vorbei.
Anders als früher waren aber kaum noch ausgebildete Ökonomen beteiligt. Die Kapitalismuskritik läuft seither zu ermäßigten Konditionen. Strukturanalysen des globalen Finanzsystems sind vom IfS nicht zu erwarten. Während der Finanzkrise blieb das Institut auffallend stumm.
Das mag auch daran gelegen haben, dass es nun selbst am Tropf eines „neoliberalen“ Fördersystems hing: der Drittmittelforschung. Zu Zeiten von Felix Weil bekam das Institut rund 120 000 Mark für die Forschung, später wurde ihm vom Land und der Stadt ein sparsamer Grundetat gestellt. Forschungsmittel mussten separat eingeworben werden. Seit Kurzem hat sich die Lage gebessert. Die grüne Wissenschaftsministerin hat das Institut als Theorie-Basislager der Zivilgesellschaft entdeckt und die Förderung aufgestockt. Sie muss keine Angst haben, dass es dort allzu (regierungs-)kritisch oder gar sozialistisch zugeht. Marx hat man in die Vitrine gestellt. Die Vernunft, deren guten Teil der Vernunftkritiker Adorno immer wahren wollte, wird nun auch mit poststrukturalistischen Generalverdächtigungen konfrontiert. Mit identitätspolitischen Deutungen hat die Kritische Theorie in ihren Ursprüngen aber, anders als oft behauptet, nichts zu tun. Sie ist gegen das identifizierende Denken gerichtet.
Die rituelle Standortbestimmung der Kritischen Theorie soll im kommenden Herbst auf einer Konferenz stattfinden. Dann will der seit 2021 amtierende Direktor Stefan Lessenich auch das Forschungsprogramm vorstellen. Mit dem Aufsatz „Petite Auberge Aufbruch“ hat er schon eine kleine Programmschrift vorgelegt, die zum hohen Ton der frühen Jahre auf ironische Distanz geht. Zum Themenkatalog hat er dekoloniale, antirassistische und queerfeministische Perspektiven addiert. Die dahinterstehenden Theorien stehen teils in deutlichem Kontrast zu Horkheimer und Adorno, die am Gedanken einer objektiven Wahrheit festhielten, die sich nicht im subjektiven Dafürhalten erschöpft. Kritik meint nun auch die Affirmation narzisstischen Begehrens, das blind für die ökonomischen Strukturen und die natürliche Basis ist, auf denen es beruht. Adorno hätte darin wohl eine neue Form der Entfremdung gesehen. Das Institut für Sozialforschung bewegt sich dagegen zielsicher auf den Mainstream zu.
Theorie mit beschränkter Haftung - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Kultur
Ich möchte die Serie “Single Drunk Female” empfehlen, auf die ich ursprünglich aufmerksam wurde, weil die Schauspielerin Ally Sheedy, in die ich aufgrund ihrer Rollen in “Breakfast Club” und “Oxford Blues” als Kind schwer verliebt war, eine der Hauptrollen spielt. Die Serie ist aber auch ein gutes Beispiel dafür, wie man den woken Zeitgeist dezent einbauen kann, ohne dass er nervt. Es geht um menschliche Abgründe, Versagen und Konflikte. Das alles mit einem sympathischen augenzwinkern. Wirklich sehenswert! Eine weitere gute Nachricht ist, dass in der zweiten Staffel, auf die ich mit Spannung warte, Molly Ringwald auftreten wird. Auch in die war ich damals verliebt. Wie das in dem Alter eben so ist.
Coverversion der Woche: King Princess - There She Goes Again
Über die oben empfohlene Serie stieß ich auch auf diese hervorragende Coverversion des Klassikers von Velvet Underground, die eine der besten ist, die ich seit langem gehört habe. Sie trifft genau die Stimmung des Stücks und widersteht dem unheilvollen Impuls, legendäre Lieder zwanghaft in ein ein neues Gewand stecken zu wollen, was sie in den meisten Fällen verunstaltet. Die Grundregel für Neuinterpretationen ist, dass sie mindestens genauso gut sein müssen, wie das Original. Das ist hier mehr als gelungen.
Der Song erschien erstmals 1967 auf dem Debütalbum The Velvet Underground & Nico. Das Gitarrenriff stammt aus dem Marvin Gaye-Song „Hitch Hike“ von 1962.
Epilog
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Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #113
Anmerkung zur Oxfam-Studie und sonstigen politischen Debatten über Vermögenssteuern etc.:
In den linken bis linksradikalen politischen Biotopen beobachte ich immer wieder ein unfaßbares Ausmaß an ökonomischer Unbildung. Die Leute haben nicht verstanden, was Geld ist, wie wie Vermögen bzw. Werte von Vermögensbestandteilen (Aktien, Immobilien etc.) berechnet werden, welche Steuern jetzt schon vorhanden sind usw.usw. Diese Ahnungslosigkeit ist eine notwendige Voraussetzung für deren i.w. auf Sozialneid beruhender Weltsicht und erklärt das regelmäßige Scheitern darauf basierender Therapien, z.B. die gigantischen Aktienvermögen, die i.w. aus heißer Luft, bestehen, die sich jederzeit in Nichts auflösen kann, zu enteignen und in Konsumgüter zu tauschen. Oder der Glaube, man könne durch Gelddrucken den Wohlstand einer Gesellschaft steigern.
Diese Unbildung betrifft leider nicht nur Politiker, sondern auch große Teile der Journalisten (keineswegs alle, Holger Zschaepitz@Schuldensuehner fällt mir spontan als Gegenbeispiel ein). Aber welcher Journalist im Feuilleton kennt schon Holger Zschaepitz? Oder hat sich mal auf die Seiten von Flossbach von Storch verirrt und verstanden, was da steht, und es nicht sofort verdrängt wegen aufkommender kognitiver Dissonanz? Ich bin ratlos, wie man den Zustand verbessern und das Bildungsniveau anheben könnte.