Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #9
Die Sommerpause macht sich bemerkbar. Es ist insgesamt deutlich ruhiger als sonst. Von den sozialen Medien kann man das allerdings nicht behaupten. Dort tobt der Kampf um die Deutungshoheit unverändert weiter und die Abhängigen bekommen zuverlässig ihre tägliche Dosis Empörung.
Relevant für diesen Newsletter waren in dieser Woche unter Anderem die Diskussion um falsche Likes in den sozialen Medien, der Unterschied zwischen Journalismus und Aktivismus, sowie eine umstrittene Personalie.
Nun aber los.
Politik/Gesellschaft
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) kannte ausserhalb des Wissenschaftsbetriebs bisher kaum jemand. Das hat sich geändert, seit die Gemeinschaft sich einen PR-Gau (Oder Coup, je nachdem, wie man es sieht.) erster Güte leistete. Sie fragte beim Kabarettisten Dieter Nuhr an, ob dieser für ihre Kampagne “DFG2020 – Für das Wissen entscheiden” ein kurzes Video zum Thema Wissenschaft einsenden würde. Dies tat er, die DFG bedankte sich dafür und veröffentlichte das Video in den sozialen Medien. So weit, so unspektakulär, würde man meinen. Da hatte sie die Rechnung allerdings ohne den Wirt in Gestalt des wütenden Twitter-Mobs gemacht. Die “Kritik” wurde so laut, dass die Gruppe das Video löschte und sich sogar dafür entschuldigte. Derartige Rückratlosigkeit ist inzwischen leider nicht selten. Dieter Nuhr hat sich in einer längeren Stellungnahme zu dem Vorfall geäussert.
Dieter Nuhr - Ich wurde im Juli gebeten für die Kampagne... | Facebook
Ich wurde im Juli gebeten für die Kampagne #DFG2020 der Deutschen Forschungsgesellschaft eine 30sekündige Sprachnachricht einzusenden zum Thema…
Zum Thema “Cancel Culture” passt auch, dass eine Journalistin diese Woche öffentlich von einem Chefredakteur die Entlassung eines Kollegen forderte. Wie kam es dazu?
Letzte Woche wurde ein “Panorama”-Sendung ausgestrahlt, die sich mit den Vorwürfen gegenüber dem ehemaligen Social Media Referenten des Verteidigungsministeriums, dem Oberstleutnant Marcel Bohnert auseinanderzusetzen vorgab. Der Vorwurf lautet, Bohnert habe auf Instagram Bilder eines der Identitären Bewegung verbundenen Accounts “geliked” und sei - so “Panorama” damit selbst ein Anhänger der Bewegung. Dieser Vorwurf ist vor dem Hintergrund, dass es höchst umstritten ist, ob Likes in den sozialen Medien automatisch Zustimmung bedeuten, albern bis gefährlich.
Das Verteidigungsministerium entband Bohnert daraufhin bis zur endgültigen Klärung von seinen Aufgaben. Er selbst hat sich in einem Interview dazu geäussert und weist eine Nähe zum Rechtsextremismus von sich.
Aber zurück zur “Panorama”-Sendung. Pikant ist die Tatsache, dass die Redaktion als “Rechtsextremismusexpertin” die Politologin Natascha Strobl befragte. Eine Person, die auf Twitter für von ihr als solche bezeichnete “Analysen”, die aber nicht mehr sind, als ideologisch motivierte Meinungsstücke mit pseudowissenschaftlichem Anstrich, bekannt ist. Sie meint, Likes seien definitiv als Zustimmung zu werten und das “Studienzentrum Weikersheim”, bei dem Bohnert 2014 einen Vortrag gehalten hatte (Ein weiterer Vorwurf.) gehöre zum “„Stamminventar der Neuen Rechten“. Dass dort auch Gesine Schwan, Norbert Blüm, Joachim Gauck, Gerhard Schröder und Wolfgang Schäuble referierten erwähnt sie nicht.
Noch brisanter werden diese Aussagen dadurch, dass nicht nur Strobl selbst Bezüge zum Linksextremismus - ein Lager, in dem man von Uniformierten insgesamt eher weniger hält - hat. Auch die Redakteurinnen der Sendung, Caroline Walter und Katrin Kampling haben - zumindest in den sozialen Medien Verbindungen in dieses Milieu. Der Kolumnist Rainer Meyer schrieb zu diesem Thema zwei vieldiskutierte Artikel. Weil Strobl im Anschluss Drohungen bekam, wird ihm nun vorgeworfen er trage die Schuld daran.
Natürlich sind Drohungen indiskutabel, aber diese Vorhaltung geht ins Leere. Darauf basiert allerdings die Forderung nach seiner Entlassung. Auf die Seriösität der öffentlich-rechtlichen Medien wirft dies alles kein gutes Licht und befördert ausserdem die Verschwörungsmythen derer, die gern von einer "Lügenpresse” schwadronieren.
Einen lesenswerten Kommentar zur Angelegenheit verfasste Johannes Boie.
Deshalb steht der Fall „Panorama“ vs. Offizier für mehr, für eine Welt, in der eine dem Zeitgeist angepasste McCarthy-hafte Gesinnungskontrolle Menschen in „gut“ und „böse“ sortiert.
Wer mitmacht, bekämpft die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Gedanken, er verurteilt die Neugierigen und fördert ein System gleichdenkender Langweiler.
„Panorama“: Die Gesinnungskontrolle sortiert Menschen in „gut“ und „böse“ - WELT
Es ist kein seriöser Journalismus, jemanden wegen einzelner „Likes“ oder vereinzelter Verbindungen im Internet zu verurteilen. Wer hier mitmacht, bekämpft die Freiheit der Gedanken und fördert ein System gleichdenkender Langweiler.
Das Interview mit Bohnert:
Ermittlungen gegen Bundeswehr-Offizier - DER SPIEGEL - Politik
Wegen zweifelhafter “Likes” für Rechtsextreme bei Instagram ermittelt die Bundeswehr gegen Oberstleutnant Marcel Bohnert. Im SPIEGEL wehrt sich der Offizier, räumt aber auch eigene Fehler ein.
Interessant dazu ist der Artikel über das Thema Druckkündigung von Arnd Diringer.
Ist eine Druckkündigung möglich, wenn ein Mitarbeiter durch eigene Äußerungen in den sozialen Medien einen shitstorm gegen seinen Arbeitgeber auslöst?
Kontrovers diskutiert wird auch ein Portrait im “Spiegel” über Atilla Hildmann, der seit einiger Zeit durch das Verbreiten von Verschwörungsmythen auf sich aufmerksam macht. Viele kritisieren das Blatt dafür, Hildmann eine Plattform zu geben. Diese Argumentation ist aus den USA seit Jahren bekannt. Über nicht genehme Personen soll nicht berichtet werden. Das widerspricht allerdings der Aufgabe des Journalismus. Nikole Diekmann hat dazu einen Text geschrieben.
Doch dieser Druck kommt zunehmend auch von der anderen Seite, aus der linken Ecke. Von denen, die sich als Counterpart von Rechtsextremen sehen, sich also eine gute Sache auf die Fahnen geschrieben haben. Das muss man erst mal loben, aber es sei daran erinnert: Wer für die Demokratie kämpft, sollte die Presse Presse sein lassen – denn wer sich von der einen Seite instrumentalisieren lässt, lässt sich auch von der anderen Seite instrumentalisieren.
Attila Hildman: Wie ein "Spiegel"-Porträt eine gefährliche Wutspirale auslöste
Attila Hildmann ist gefährlich. Sollte die Presse nicht über ihn berichten? Social Media meint: Ja. Unsere Kolumnistin schreibt über einen riskanten Trend.
Gern wird behauptet, “Cancel Culture” sei eine Erfindung von “Rechten” und existiere eigentlich gar nicht. Das war schon immer unzutreffend, aber nun gibt es eine Internetseite, die Fälle auflistet, in denen jemand “gecancelt” wurde. In den USA passieren diese Dinge seit Jahren, aber auch in Deutschland ist das Phänomen inzwischen angekommen.
Das Aussenministerium hat nach heftigen Protesten ein Projekt gestoppt in dessen Verlauf Nurhan Soykan als Beraterin berufen wurde. Wenn man sich den Hintergrund dieser Dame anschaut, kann man die Entscheidung, die Reissleine zu ziehen, nur begrüßen.
Tatsächlich allerdings hat die Personalie Soykan zunächst einmal vor allem innenpolitisch einigen Unfrieden gestiftet. Ihre Gegner werfen ihr vor, sich in einem Statement im Jahr 2014 nicht ausreichend von antisemitischen Umtrieben auf Al-Kuds-Demonstrationen gegen den Staat Israel distanziert zu haben. Ausserdem seien im ZMD Mitgliederverbände vertreten, die vom Verfassungsschutz wegen islamistischer Tendenzen beobachtet würden. Als Beispiel wurde der mitgliederstärkste Verein beim ZMD genannt, die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (Atib), die mit den türkischen rechtsextremen Grauen Wölfen in Verbindung gebracht wird.
Wahnsinn, dass man das vorher entweder nicht recherchiert, oder für unproblematisch befunden hat. Leider werden Antisemitismus und Rechtsextremismus immer noch unter den Teppich gekehrt, wenn die Täter kognitive Dissonanz auslösen.
Streitfall Soykan: Auswärtiges Amt stoppt Religionsprojekt | NZZ
Weil die Berufung der islamischen Funktionärin Nurhan Soykan als Beraterin für «Religion und Aussenpolitik» in der muslimischen Gemeinde und über alle Parteien hinweg für grossen Unmut sorgte, muss das Aussenministerium nun zurückrudern.
Antisemitismus war links der Mitte immer präsent, auch wenn das gern abgestritten wird. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland, steht bereits seit geraumer Zeit in der Kritik genau dieser Kreise. Alan Posener hat sich darüber in einem hervorragenden Artikel Gedanken gemacht.
Wem Israelkritik ein Bedürfnis ist, soll Israelkritik üben dürfen, und die heftigsten Kritikerinnen Mbembes werden diese Freiheit verteidigen. Auch und gerade Felix Klein, der aber die Freiheit haben muss, dort von Antisemitismus zu reden, wo er Antisemitismus ausmacht.
Weil aber der Antisemitismusbeauftragte nicht auf einem Auge blind ist, sondern auch den Antisemitismus in linken, postkolonialen und muslimischen Kreisen anprangert, “lenkt der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antisemitismus von realen antisemitischen Gesinnungen und Ausschreitungen ab, die jüdisches Leben in Deutschland tatsächlich gefährden”, heißt es im offenen Brief.
Merke: Wenn deutsche Muslime Juden am Schulbesuch hindern; wenn deutsche BDS-Aktivistinnen verhindern wollen, dass koschere Waren aus Israel hier verkauft oder israelische Akademikerinnen eingeladen werden; wenn schwarze und muslimische Rapper die Juden als den Weltfeind ausmachen; wenn jeder Jude in Deutschland befürchten muss, haftbar gemacht zu werden für das, was irgendein Knallkopf für die Verbrechen “der Juden” – sprich Israels – hält, dann ist das nicht “real”. Real ist einzig der Judenhass von rechts.
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Daryl Davis ist ein schwarzer Musiker, der bereits mit Jerry Lee Lewis, Chuck Berry und Muddy Waters gemeinsam auf der Bühne stand. Seit den 80er Jahren bekämpft er Rassismus auf seine ganz eigene Art: Er unterhält sich mit Ku-Klux-Klan Mitgliedern und freundet sich sogar mit ihnen an. 1983 trat er in Maryland auf. Nach dem Konzert kam ein Zuschauer auf ihn zu und sagte, dass es das erste Mal sei, dass er einen Schwarzen erlebe, der genauso gut Klavier spielen könne, wie Jerry Lee Lewis. Als Davis ihm erklärte, dass dieser seinen Stil von schwarzem Blues und Boogie Woogie abgekupfert habe und sogar ein Freund von ihm sei, glaube er ihm das nicht. Er gab ausserdem zu, Mitglied im Ku-Klux-Klan zu sein. Die beiden tranken zusammen und der Mann gab ihm die Kontaktinformationen des KKK- Anführers aus Maryland, Roger Kelly, mit dem sich Davis dann später ebenfalls traf. Kelly verliess später die Organisation und schenkte Davis seine Robe. Er bat ihn zudem, Taufpate seiner Tochter zu werden. Seitdem, so Daryl Davis, hat er 40-60 direkt und indirekt ungefähr 200 Mitglieder dazu gebracht, den KKK zu verlassen. Damit hat er mehr gegen Rassismus getan, als alle Black Lives Matter-Aktivisten zusammen. Über Davis gibt es eine sehenswerte Dokumentation mit dem Titel “Accidental Courtesy”.
Kultur
Coverversion der Woche: Karel Gott - Rot und Schwarz
Eher obskur als gut: Eine deutschsprachige Polkaversion des Songs der Rolling Stones mit sich ins Ekstatische steigerndem Gesang.