Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #8
Die Woche ist wie im Flug vergangen. Eine Debatte hat mir erneut gezeigt, dass die Bereitschaft zu wirklich offenem und seriösem Diskurs, also einer guten Diskussionskultur, zwar oft behauptet wird aber nur selten wirklich vorhanden ist. Das beschränkt sich nicht auf die sozialen Medien, in denen dieses Problem verstärkt auftritt. Auch im persönlichen Kontakt sind immer weniger Menschen bereit, abweichende Meinungen auch nur zu tolerieren. Ich nehme allerdings ebenfalls einen Trend wahr, der diese beunruhigende Entwicklung zu stoppen versucht. Über Einiges hatte ich hier bereits berichtet und werde das weiterhin tun. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Der Newsletter beschäftigt sich anhand lesenswerter Artikel mit Vorgängen, von denen ich der Meinung bin, dass sie Einfluss auf die Entwicklung der Gesellschaft haben. Die tagesaktuellen Empörungswellen versuche ich zu ignorieren. Trotzdem sind manchmal auch diese politisch und gesellschaftlich so relevant, dass sie dennoch Erwähnung finden.
In dieser Ausgabe geht es unter Anderem um Rechtsstaatlichkeit, die Verschwörer des 20. Juli, einen hundertjährigen Spendensammler und mal wieder um haltlose Rassismusvorwürfe.
Nun aber los.
Politik/Gesellschaft
Ein Vorwurf trifft aktuell Otto Waalkes und auch in diesem Fall lässt man sich seine wohlige Empörung nicht von Fakten kaputtmachen. Im Jahr 1985 drehte der Komiker den Film “Otto-Der Film”, den ich als Kind sehr lustig fand. In einer Szene kopiert Waalkes den eindeutig rassismuskritischen Cartoon “„Herr Haubold klärt auf“ von Robert Gernhard. Dieser Vorgang ist so etwas wie die deutsche Version der Debatte um die Fawlty Towers-Folge "The Germans”, die bereits Thema war. Die Kritiker begreifen nicht (Oder wollen nicht begreifen.), dass hier durch Überzeichnung über Rassisten gespottet wird
Aber inwiefern normalisiert der N-Wortwechsel in „Otto – Der Film“ die Ungleichbehandlung von Menschen dunklerer Hautfarbe? Lachen konnte man schon 1985 über die Szene nur unter der Voraussetzung, dass es alles andere als normal war, einen Afroamerikaner als „Neger“ anzusprechen.
Satire und Rassismus: Rassismusvorwurf gegen Otto Waalkes
Eine Szene im ersten Spielfilm von Otto Waalkes wird als rassistisch kritisiert. Ihre Vorlage stammt von Robert Gernhardt: ein…
Am Montag war der 20. Juli. Wie jedes Jahr war das Thema dieses Tages der missglückte Anschlag auf Adolf Hitler und die Frage, ob die Attentäter um Claus Philipp Maria Schenk Graf von Stauffenberg Respekt verdienen. Was mich an dieser Diskussion besonders befremdet, ist die intellektuelle Schlichtheit, historische Begebenheiten selbstgerecht nach heutigen Maßstäben zu beurteilen. Das ist auch insgesamt immer häufiger zu beobachten. Joachim Käppner hat sich in der SZ des Themas angenommen.
Doch gibt es nur einen Weg, den Menschen gerecht zu werden, die sich dem Terror entgegenstellten: sie unvoreingenommen und ohne weltanschauliche Deutungsgewohnheiten zu betrachten. Nur so versteht man sie und kann sich mit all dem identifizieren, was sie an Positivem verkörpern.
Stauffenberg und seinen gebührt Respekt - Politik - SZ.de
Eine Diktatur herrscht nicht allein durch Terror. Sie bedarf der Zustimmung vieler. Die Attentäter um Stauffenberg haben diese Zustimmung verweigert. Es ist ohnehin höchste Zeit, den Widerstand in seiner ganzen Breite zu würdigen.
Die Diskussion um die Umbenennung der Berliner “Mohrenstraße” ist noch nicht vorbei, da gibt es bereit den nächsten Aufschrei. Diesmal ist der hauptsächlich und oft auch hauptberuflich fühlende Teil der Gesellschaft wegen des vermeintlich rassistischen Namens der S-Bahn Haltestelle “Onkel Toms Hütte” erzürnt. Mehr als Zwölftausend Menschen haben eine Petition für die Umbenennung unterschrieben. Hätten sie das Buch gelesen und sich mit der Argumentation des Petenten beschäftigt wüssten sie, dass sie auf dem Holzweg sind.
Da liegen die Probleme: im alltäglichen Rassismus, der nicht geduldet werden darf; und in der Bereitschaft, sich „triggern“ zu lassen von einem unschuldigen und poetischen Bahnhofsnamen, der belegt, dass die Berliner schon zu Kaisers Zeiten mit den Unterdrückten fühlten, das Herz also auf dem linken Fleck hatten.
Berliner U-Bahn: Petition gegen Station Onkel Toms Hütte - WELT
Ein Basketballspieler startet eine Petition. Ziel: Die Berliner U-Bahnstation Onkel Toms Hütte soll umbenannt werden, denn der Begriff „Onkel Tom“ sei rassistisch. Unser Autor sieht das anders.
Der Deutschlandfunk begleitet mich seit meiner Kindheit, denn in meinem Elternhaus lief er regelmäßig. Ich bin dem Sender viele Jahre treu geblieben, denn sein unaufgeregter, seriöser und vor Allem unvoreingenommener Stil gefiel mir sehr gut. Information ohne Indoktrination. Das machte ihn lange Zeit einzigartig. Leider hat sich das geändert. Immer häufiger werden bizarre Einzelmeinungen als alleinige Positionen unwidersprochen gesendet. Immer häufiger scheint eine klare Agenda durch. Natürlich ist der DLF immer noch sehr gut, aber man bemerkt eine klare Veränderung. Nun hat sich Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue zum Thema tendenziöser Berichterstattung geäussert. Seine Worte lassen hoffen.
Und da bin ich der Meinung, das hat in öffentlich-rechtlichen Medien nichts zu suchen, in den sogenannten Tendenzmedien, also beispielsweise in den Zeitungen, ist das durchaus erlaubt.
Das ist das Fundament unserer Arbeit, Vielfalt zu sichern. Das sagt das Bundesverfassungsgericht auch in allen Medienurteilen, in allen Rundfunkurteilen, es ist besonders wichtig, das ist unsere Aufgabe als Öffentlich-Rechtliche, Vielfalt herzustellen.
Wir haben nicht die Gesellschaft eindimensional oder zweidimensional darzustellen, sondern wir haben viele Einschätzungen, Meinungen, Überzeugen auch zu spiegeln und zu diskutieren. Nicht als bloße Überschrift, sondern wir müssen da schon tiefer gehen und nachfragen, was ist mit der jeweiligen Meinung, Äußerung gemeint, aber trotzdem haben wir ein vielfältiges Bild abzugeben.
Eine politische Agenda zu vertreten, ist für privatwirtschaftliche Medien zulässig, findet Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue. In den Öffentlich-Rechtlichen dagegen habe das nichts zu suchen. Denn deren Aufgabe sei es, Vielfalt zu sichern.
Einen nicht nur sprachlich hervorragenden Artikel über blinde Flecken und Wirklichkeitsverweigerung des linksliberalen Milieus hat der Literaturwissenschaftler Jan Freyn geschrieben. Bis auf den Irrtum, es gäbe in Deutschland strukturellen Rassismus und Sexismus, trifft er hier gleich mehrfach ins Schwarze.
Das Schlimmste an den gegenwärtigen Spießern ist nun aber nicht, dass sie ahistorisch denken, jedes (vermeintlich) verunglückte Wort zur Würde des Skandals erheben, ständig Situationen des Verdachts organisieren (Wer hat was zu wem gesagt?) oder aus den Menschen wieder reumütige Geständnistiere zu machen versuchen. Das alles ist bloß schlimm. Schlimmer als schlimm ist, dass sie sich immer noch widerständig und “alternativ” fühlen, obwohl sie längst einem kulturell tonangebenden Milieu angehören. Eine unerlässliche Voraussetzung von Toleranz – und dieser Satz steht fest – liegt im ehrlichen Selbsteingeständnis von eigener Macht, auch diskursiver Macht (zum Beispiel an den Universitäten).
Nur die, die wissen, dass sie über Macht verfügen, können sich überhaupt die Frage stellen, ob sie andere tolerieren, das heißt: aushalten, erdulden möchten – oder eben nicht. Hieraus folgt: Die neopuritanische Linke muss sich darüber ehrlich machen, dass ihre Adepten in vielen politisch-kulturellen Konstellationen mittlerweile zu nichts anderem als Figuren der Macht geworden sind. Bislang versuchen sie, es wortreich zu vermeiden, doch gerade sie hätten es nötig, sich einen Satz von Adorno, einem maßgeblichen Vertreter der lesenden Linken, in Erinnerung zu rufen: “Wer innerhalb der Demokratie Erziehungsideale verficht, die gegen Mündigkeit, also gegen die selbständige bewußte Entscheidung jedes einzelnen Menschen, gerichtet sind” – mahnte dieser nämlich streng – “ist antidemokratisch, auch wenn er seine Wunschvorstellungen im formalen Rahmen der Demokratie propagiert.”
Der hundertjährige ehemalige Offizier Thomas Moore hatte ursprünglich geplant, vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie bis zu seinem 100. Geburtstag 1000 Pfund an Spenden für den National Health Service zu sammeln, indem er 100 Runden mit seinem Rollator durch den Garten drehte. Der große Erfolg motivierte ihn, seine Aktion fortzusetzen. Am 20. Mai waren fast 33 Millionen Pfund zusammengekommen. Am 17. Juli wurde er auf Schloß Windsor dafür von der Queen zum Ritter geschlagen. Zu Recht. Dieser Mann ist Paradebeispiel für eine Haltung, wie es sie heutzutage leider kaum noch gibt. Ich finde nicht nur solche Aktionen großartig, sondern auch die Tatsache, dass so etwas von der Königin belohnt wird, hat meiner Meinung nach einen positiven Charakter. Wenn man möchte, findet man auch an der britischen Königsfamilie viel zum Kritisieren. Ihre Funktion für den Zusammenhalt einer Nation ist aber unstrittig.
The Queen confers the Honour of Knighthood on Captain Sir Thomas Moore | The Royal Family
Today The Queen conferred the Honour of Knighthood on Captain Tom Moore at an Investiture at Windsor Castle. In April, World War Two veteran, Captain Sir Tom Moore embarked on 100 laps of his garden with the aim to raise £1,000 for NHS Charities Together and has now raised over £32 million for the NHS, and inspired so many people along the way.
Kultur
Die Künstlerin Genevieve Blais aus Lens hat auf ihrem Instagram-Account “Plaque History” Gesichtsmasken in berühmte Kunstwerke eingefügt.
https://www.instagram.com/plaguehistory/
Das ist keine ganz neue Idee. Andere haben bereits auf ihre Art, bestehende Werke an die derzeitige Situation angepasst.
Iconic Art & Design Reimagined for the Social Distancing Era
Coverversion der Woche: The Jimi Hendrix Experience - All Along The Watchtower
Ursprünglich im Jahr 1967 von Bob Dylan coverte Jimi Hendrix den Song nur sechs Monate nach dessen Erscheinen. Ich mag beide Versionen für ihre jeweils ganz eigene Stimmung. Und ja: Auch ich war in einer der unzähligen Schülerbands, die sich weltweit an diesem Stück vergingen. Es begann während einer Projektwoche und eigentlich war die Stilvorgabe Jazz.