Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #91
Prolog
Wenn man die Male abzieht, die ich dort umgestiegen oder mit dem Zug vorbeigefahren bin, war ich am vergangenen Wochenende zum ersten Mal in Frankfurt. Liest sich komisch, ist aber so. Die Stadt hat mir sehr gut gefallen, auch wenn mein Kulturprogramm leider ausfallen musste, weil ich zufällig einen Freund traf, den ich seit einem Jahr nicht gesehen habe. Wie trafen uns am Jüdischen Museum und überlegten kurz, ob wir Max Czollek, der dort herumlief, von Maxim Biller grüßen sollten, entschieden uns dann aber dagegen. Ich hatte Gelegenheit, einige der kulinarischen Tipps zu beherzigen und bedanke mich hiermit bei den Tippgebern (m/w/d). Alle waren gut. Insgesamt eine sehr schöne Stadt, die ich nun häufiger besuchen möchte.
Letzte Woche war das Finale der Show “Germany’s Next Topmodel” und fast zeitgleich - ein Schelm, wer Böses dabei denkt - veröffentlichten eine ehemalige Kandidatin und auch der durch hochgradig tendenziöse Formate bekanntgewordene Youtuber “Rezo”, Videos, in denen sie Vorgänge in der Sendung skandalisierten. Ich habe mir beide angesehen. Abgesehen davon, dass rechtswidrige Praktiken indiskutabel sind: Wird irgendjemand dazu gezwungen, bei einer solchen Sendung mitzumachen? Taugt es zum Skandal, dass Menschen sich freiwillig den Regeln dieses Formats, die sie vorher kennen, unterwerfen? Einer der Vorwürfe war auch, dass dort Minderjährige sexualisiert dargestellt würden. Das kann man kritisch sehen, rechtswidrig ist es nicht. Zudem haben diese Minderjährigen Eltern, welche ihnen die Teilnahme erlaubt haben. Bei denen liegt dann auch die Verantwortung.
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Nun aber los.
Heute geht es unter anderem um eine Altkanzlerin, Gewissheiten und mal wieder die Unschuldsvermutung.
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Politik und Gesellschaft
Ich weise seit Jahren darauf hin, dass eine Entscheidungen der ehemaligen Bundeskanzlerin, das Land in negativer Weise beeinflusst und maßgeblich zur Spaltung der Gesellschaft beigetragen haben. Das sind vor allem der “Atomausstieg” (In Anführungszeichen, weil nicht aus der Atomkraft, sondern der Atomkrafterzeugung ausgestiegen wurde und Deutschland nach wie vor Atomkraft aus dem Ausland nutzt.) und die sogenannte Flüchtlingskrise.
Bis vor einiger Zeit geriet man allerdings, wenn man Kritik am Politikstil Angela Merkels äußerte, lagerübergreifend in den Verdacht, fragwürdiger Gesinnung zu sein. Das hat sich geändert. Seit sie nicht mehr im Amt ist, kommt plötzlich von allen Seiten Kritik. Auch von Personen, die das vor einigen Jahren bei anderen noch scharf kritisiert hätten. Eine dieser Personen ist Sascha Lobo, der nun in seiner Kolumne hart mir ihr ins Gericht ging.
Das Gegenteil einer politischen Vision oder langfristigen Strategie ist das Fahren auf Sicht, Merkels Politikstil, der in Krisen schnell zum Verfahren auf Sicht wird. Durch Merkel ist uns Politik ausschließlich als unemotionale Gegenwartsverwaltung vorgeführt worden, ergänzt durch eine radikale Nonkommunikation. Merkel hat selten ihre Politik und noch seltener ihre politische Motivation erklärt, und wie bei einer Geiselnahme haben wir uns irgendwann per Stockholm-Syndrom eingeredet, das ganz gut zu finden. Erst jetzt, wo Leute wie Annalena Baerbock, Marie-Agnes Strack-Zimmermann oder Robert Habeck eine neue, klare, offene politische Kommunikation betreiben, wird langsam das gigantische Versäumnis der Ära Merkel deutlich.
Es ist 2022, und noch immer funktionieren im durchschnittlichen deutschen Regionalexpress weder Mobilfunk noch WLAN zwischen den Städten. Linksrheinisch strecken die Menschen ihren Handyarm Richtung Frankreich, um besseren Empfang zu haben, am Bodensee hofft man, zufällig in Schweizer oder österreichische Netze eingeloggt zu sein. Es gibt noch immer Orte in Berlin-Mitte, an denen man Edge hat, und Edge ist offline. Die digitale Infrastruktur in Deutschland ist ein Dauertrauerspiel, weil sich die vielen Regierungen Merkel nicht wirklich darum geschert haben. Dabei ist die Infrastruktur nur der Beginn: Deutschland hat die mit Abstand teuerste Corona-App der Welt, der digitale Führerschein auf dem Handy wurde kurz vor der Wahl veröffentlicht und kurz nach der Wahl zurückgezogen, die digitale Patientenakte ist so alt, dass sie noch »elektronische Patientenakte« heißt und irgendwie seit 2021 eingeführt wird, ohne dass es jemand bemerken würde, das digitale Rezept wird aus Lobby- und Unfähigkeitsgründen immer weiter nach hinten verschoben.
Ganz ähnlich hat sich ausgewirkt, dass Merkel die vielfachen lautstarken Warnungen der osteuropäischen Länder vor Putins Fascho-Imperialismus nicht ernst genommen hat. Sondern die Putin-Abhängigkeit von Energie bis Infrastruktur weiter ausgebaut hat. Noch im November 2021 wurde der Verkauf einer der wichtigsten Raffinerien Deutschlands an Rosneft abgeschlossen , nachdem direkt nach der Krim-Annexion der größte Erdgasspeicher an Gazprom verkauft worden war . Die erwähnte Merkelsche Visionsaversion hat sich bezogen auf die EU wahrscheinlich am schlimmsten ausgewirkt. Mehrfach hat etwa Macron bei Merkel darum gebettelt, die EU zu reformieren und ist an »Madame Non« stets gescheitert. Weil das schlimmste, was Merkel sich überhaupt vorstellen konnte, noch immer war: Deutschland als »Zahlmeister«. Für jede auch nur minimale, theoretische Chance darauf hat Merkel noch den letzten Rest einer europäischen Idee geopfert.
Nicht nur Sascha Lobo, sondern auch Julia Schramm hat mich überrascht. Die Feministin und Linken-Politikerin hat sich mit dem Prozess Johnny Depp gegen Amber Heard auseinandergesetzt und kommt zu einem differenzierten Urteil. Natürlich wurde sie aus feministischen Kreisen, in denen man vermeintlichen Opfern grundsätzlich zu glauben und Fakten zu ignorieren hat, dafür angefeindet, was ihr sicher auch klar war. Dafür hat sie meine Respekt. Mir liegt die Verbesserung der Diskussionskultur am Herzen, deshalb behandle ich hier auch immer positive Überraschungen. Bis auf die identitätspolitische Foklore, die Schramm nicht komplett ablegen konnte, ist der Text nicht nur hochgradig lesenswert. Ich habe bisher keinen besseren zum Thema gelesen. Seine Nachdenklichkeit beindruckt mich, weil sie im krassen Gegensatz zu den sonst betonierten “Wahrheiten” in diesem Milieu steht.
Das erste Mal Gänsehaut bekomme ich als Amber Heard schreit, dass sie nicht wisse welche genaue Bewegung ihre Hand gemacht habe mit der sie Johnny Depp geschlagen hat. Ich liege auf dem Sofa, mein Smartphone in der Hand. Ihre Stimme klingt herablassend, ironisch, als sei es egal, dass sie, wiederholt, ihren Ehemann geschlagen habe, dem sie häusliche Gewalt vorwirft. Meine Kehle schnürt sich zu, ich weiß wie Missbrauch aussieht, ich weiß wie Täter reden. Oder Täterinnen. Es ist eine von vielen Audioaufnahmen zwischen Amber Heard und ihrem Ex-Mann Johnny Depp. Stundenlange Aufnahmen, in denen Amber Heard reumütig erläutert, dass sie wisse, dass körperliche Gewalt falsch sei, dass es ihr leid tue, dass sie ständig in wilde Wut ausbräche und immer wieder körperliche Gewalt beginne.
Wer die Aufnahmen hört, der weiß, wer das Opfer von psychischem und physischem Missbrauch in dieser Ehe geworden ist. Also warum stehen die beiden vor Gericht? Weil Johnny Depp kein perfektes Opfer und Amber Heard eine schöne weiße Cis-Frau ist. Weil die Medien nach Klicks gieren. Weil es toxische Weiblichkeit gibt, die dunkle Seite der Emanzipation.
Viel hatte ich von ihm eh nie erwartet. Es gab schließlich immer die Gerüchte, über Kate Moss und zerstörte Hotelzimmer, zweimal wurde er verhaftet wegen Vandalismus oder sowas. Ich speichere es ab, lese im Augenwinkel, dass Heard weiter über ihre Erfahrungen redet, finde das gut. Ich glaube ihr.
Gleichzeitig ist mein Interesse geweckt und ich frage mich: Was treibt diesen Mann an? Wie psychopathisch kann er sein? Also recherchiere ich, stoße auf Videos aus dem Jahr 2020, auf Blogger, die seit Jahren über den Fall berichten, Social Media ist unter dem Hashtag #justiceforjohnnydepp seit mindestens 2020 einig: Johnny Depp ist das Opfer und Amber Heard, nunja, eine Psychopathin. Ich bin verwirrt, denn die lautstarke Unterstützung erfährt Depp insbesondere von Frauen, die selbst häusliche Gewalt erlebt haben.
Jede Information mehr, die ich aufnehme, ist ein Puzzleteil von klassischem Missbrauch: Isolieren von Freunde und Familie, systematisches Verdrehen der Realität, explosive Ausraster, Kleinreden dieser und das Herunterspielen und Rechtfertigen körperlicher Übergriffe.
Im Laufe des Verfahrens, dass ich live im Internet angucke zeigt sich das Bild einer Frau, die ihren 23 Jahre älteren Superstarmann systematisch missbraucht hat, körperlich und psychisch. Es ist das Bild eines Missbrauchs, nur dass die Rollen so verdreht sind, dass es gegen jede intuitive Vorstellung geht und mehr noch frauenfeindliche Klischees bedient: Die junge, geldgierige Frau, die den trotteligen alten Superstar wie eine Weihnachtsgans ausnimmt und ihn mit Schlägen unter Kontrolle hält. Ich möchte das nicht.
Polizei und Behörden waren den Anschuldigen von Amber Heard gegenüber wohlwollend, glaubten der jungen Frau. Ihre einstweilige Verfügung wird in Abwesenheit von Johnny Depp durchgesetzt, obwohl die Audioaufnahmen bereits damals vorliegen. Das Videomaterial von 2016 zu den vorgebrachten Anschuldigungen ist in vielerlei Hinsicht irritierend, Nachfragen werden von Amber Heard belächelt und auf aggressive Art und Weise runtergespielt. Aber die Institutionen glauben ihr, weil sie ein Drehbuch abspult, wie es so oft schon stattgefunden hat, weil sie ein schöner, weißer Hollywoodstar in einer heterosexuellen Beziehung ist. Und weil der vermutliche Täter ein alternder Hollywoodstar ist, der bekanntlich Drogenprobleme hat.
Es ist kaum auszuhalten zu sehen, mit welchen Leuten ich im Internet plötzlich einer Meinung bin. Auch deswegen lese und höre und schaue ich mehr und mehr. Ich will, dass Johnny Depp schuldig ist, dass Amber Heard die Wahrheit sagt. Aber je mehr ich mich in den Fall vertiefe, desto mehr wird klar, dass Amber Heard ein notorisches Problem mit der Wahrheit und gewalttätigen Wutanfällen hat und Johnny Depp wirklich Opfer von Missbrauch und Gewalt geworden ist. Warum ihm trotz erdrückender Beweise immer noch nicht geglaubt wird ist das Spiel, dass alle Opfer häuslicher Gewalt erleben: Jeder Fehler und eine angeschlagene mentale Gesundheit werden gegen das Opfer eingesetzt, die eigenen Taten dem Opfer unterstellt. Wir kennen das, jedes Opfer wird für die eigenen Fehler beschämt in der irren Vorstellung, dass es ein perfektes Opfer gibt.
Trotz der unfassbaren Masse an Beweisen, die zeigen, dass Amber Heard nicht nur einmal, nicht nur zweimal gelogen hat, sondern, so weit muss ich gehen, nicht in der Lage ist einen Satz zu artikulieren, der die Realität und Wahrheit repräsentiert. Aber Johnny Depp, der mächtige Hollywoodstar kann nicht Opfer geworden sein, darf er nicht, denn das wirbelt zu viele Glaubenssätzen, die wir über Missbrauch haben, durcheinander.
Liberale Feministinnen in Verteidigung von Heard gehen währenddessen so weit, dass jedes Einfordern von Beweisen für körperliche Gewalt frauenfeindlich, dass das Belegen von Lügen (und es sind viele, sehr, sehr, sehr viele Lügen von Heard, die widerlegt worden sind) Gewalt und die Anerkennung, dass ein alternder Hollywoodstar mit Drogenproblemen das Opfer häuslicher Gewalt geworden sein kann, Ausdruck fehlenden Selbstwertgefühls sei. Die angeblich neue Freundin von Amber Heard, die Journalistin Eve Barlow ging so weit allen Frauen, die Johnny Depp glauben, in einer erstaunlichen Zahl Frauen die selbst Überlebende häuslicher Gewalt sind, zu unterstellen sie seien „neidisch“ auf Amber Heard und ihre Schönheit. Ahja.
Auch in Deutschland ist der liberal-feministische Chor unisono: Depp ist das Monster. Heard Opfer einer Schmierenkampagne. […] Der Tagesspiegel titelt „Warum glaubt ihr niemand?“ – die Antwort ist erstaunlich einfach: Weil sie immer und immer wieder der Lüge überführt wird.
Und trotzdem, oder gerade deswegen, glauben ihm, insbesondere Protagonisten des liberalen Feminismus nicht. Die meisten Artikel, die derzeit erscheinen bleiben bei der Deutung, dass Amber Heard nicht die Täterin sein kann. Denn sie ist eine Frau, sie ist Feministin, sie ist eine Protagonistin von #metoo – es kann nicht sein, was nicht sein darf. Denn was würde es bedeuten, wenn eine Protagonistin eine der wichtigsten feministischen Bewegungen der letzten Jahrzehnte selbst Missbrauch gegen ihren Ehemann begangen hat?
Amber Heard hat die letzten Jahre als Botschafterin für häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen gearbeitet. Sie ist auch dafür bezahlt worden. Es ist nicht grundsätzlich verwerflich aus Feminismus ein Geschäftsmodell zu machen – wir müssen alle über die Runden kommen – aber es bringt gewisse Zwänge mit sich. So wie jedes Geschäftsmodell Zwänge mit sich bringt. In diesem Fall bedeutet es eine der Protagonistinnen von #metoo als Betrügerin zu bezeichnen und damit Gefahr zu laufen die komplette Bewegung zu diskreditieren. Schon jetzt kommen Typen an und erzählen was davon, dass alle Frauen immer lügen. Das ist ein Grund, warum auch ich mit diesem Text so unfassbar hadere. Aber wenn Männer auch Opfer von häuslicher Gewalt werden können, auch wenn das die Minderheit ist, dann heißt es nicht #believeallwomen sondern, #believeallvictims
Die Tragik der ganzen Situation ist, dass es der größte Fall häuslicher Gewalt ist, den die Welt je gesehen hat, aber dass viele derer die die letzten Jahre an der Front gekämpft haben nicht sehen können, dass es eine Chance für alle Opfer ist. Weil es ein alter weißer Mann ist, drogensüchtig, mit einer Sprache, die schlicht widerlich ist. Weil eine Frau die Taten begangen hat. Aber Angst vor der Wahrheit zu haben kann kein Motor sein. Darf kein Motor sein. Die Wahrheit ist nicht frauenfeindlich, obwohl es die Realität ist.
Boys don’t cry - Julia Schramm
Antje Hildebrandt hat einen interessanten Text zu den Vorgängen um Luke Mockridge geschrieben und dabei einiges aufgegriffen, was hier auch schon Thema war.
An die Spitze der Bewegung setzte sich eine Frau, über die ein früherer Mitstreiter von #MeToo, der Schauspieler Andrim Emini, sagt, sie sei eine "narzisstische Kriegstreiberin": Anne Wiese, die sich selbst Jorinde nennt. Mit 19 sei sie bei einem Waldspaziergang oral vergewaltigt worden, hat sie mal erzählt. Damit legitimiert sie ihren Kampf gegen sexualisierte Gewalt. Wiese ist Studentin, Bloggerin und Aktivistin. Sie hat eine LGBTQ-Community um sich geschart, die in den sozialen Netzwerken aggressiv Stimmung macht – gegen vermeintliche Täter, aber auch gegen alle, die ihre Arbeit kritisieren.
Unter dem Hashtag #KonsequenzenfuerLuke tritt sie im Frühjahr 2021 einen Shitstorm gegen den Sat.1-Comedian los. Sie fordert, einen Mann abzustrafen, gegen den bis heute keine belegten strafrechtrechtlichen Vorwürfe erhoben werden. Erst durch ihre Kampagne entstand der Eindruck, er sei ein Täter, ein Vergewaltiger.
Wiese war Luke Mockridge nie persönlich begegnet, als sie zur Jagd auf ihn blies. Beweise hat sie keine. Mockridges Ex-Freundin Ines Anioli hatte ihn 2019 wegen versuchter Vergewaltigung angezeigt. Das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Die Behörde erklärte das auch mit Widersprüchen in den Aussagen von Anioli. Das ist kein Freispruch, aber eben auch kein Schuldspruch. Im Gegenteil: Mockridge gilt damit als unschuldig.
Dazwischen lag der "Spiegel"-Artikel. Der sei eine "Zäsur” gewesen, sagt Anwalt Bergmann. "In dem Moment haben auch die, die noch zu ihm gestanden haben, gesagt: Oh Gott. Wenn der 'Spiegel' das schreibt, muss ja was dran sein." In der Geschichte standen Details aus Ermittlungsakten im Fall Mockridge – für den Anwalt eine "schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung, (...) weil trotz eines eingestellten Ermittlungsverfahrens der Verdacht noch mal aufgemacht wurde."
Vier ungenannte Frauen warfen Mockridge in dem Text vor, er sei in der Öffentlichkeit bei Anmachen übergriffig geworden. Beweise haben sie keine. Andere Frauen zogen ihre Aussagen zurück, weil sie aus dem Zusammenhang gerissen und die von ihnen geschilderten Ereignisse so nicht stattgefunden hatten. Von den ursprünglichen Vorwürfen im "Spiegel"-Bericht ist nach mehreren Gerichtsentscheidungen jetzt wenig übrig. Trotzdem bleibt der Verdacht an Mockridge kleben. Mit ihrer Kampagne hat Jorinde Wiese den Rahmen für die Verdachtsberichterstattung geschaffen.
Der Fall Mockridge ist so ein ungeklärter Fall. Aber nach der "Spiegel"-Geschichte eskalierte er. Im Herbst 2021 wird dem Kölner die Nominierung für den Comedypreis aberkannt, die Feier gerät zum Scherbengericht. In einer Rede fordert die Kabarettistin Maren Kroymann: "Ich hätte gerne gehabt, dass Verantwortliche hier für diesen Preis und auch von dem Sender die Eier gehabt hätten, zu sagen: Wir solidarisieren uns nicht nur mit unserem beliebten Künstler, sondern mit den Frauen, die betroffen sind."
Von der Unschuldsvermutung ist da keine Rede mehr. Dabei ist Wiese von Anfang an mit dieser Forderung konfrontiert worden. Im Mai 2021 schreibt sie auf Instagram: "Die Stimmen, die UNSCHULDSVERMUTUNG rufen, sind laut." Sogar in ihrem Umfeld regt sich jetzt Protest. Aber namentlich traut sich kaum einer, ihr zu widersprechen. Wer auf der Unschuldsvermutung beharrt, ist ein "misogyner Täterschützer" oder "falsch abgebogen". Den herrscht sie an: "Lösch das sofort!"
t-online hat ihr Fragen geschickt, warum sie die Unschuldsvermutung im Fall Mockridge ignoriert, wie sie Aktivismus definiert und ob dazu auch gehört, Kritiker in den sozialen Medien verächtlich zu machen. Die Antwort erscheint wenige Minuten später auf Twitter: "Diese Anfrage ist ein schlechter Scherz, oder?" Der Post wird kurze Zeit später wieder gelöscht. Von Wiese kommt noch eine E-Mail, in der sie auf ihre Anwältin verweist. Die meldet sich nie zurück. Stattdessen postet die Aktivistin Screenshots vom Twitter-Account der Autorin dieses Beitrags, um sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Das übliche Spiel.
Der Albtraum des Luke Mockridge - t-Online
Da die Unschuldsvermutung im Moment wieder verstärkt diskutiert wird, möchte ich auch auf meinen Artikel zu dem Thema hinweisen, in dem ebenfalls Luke Mockridge der Aufhänger war. Als er bei Twitter gepostet wurde, war Jorinde Wiese die erste, die mich angriff. Ihren Namen hatte ich vorher noch nie gehört.
Das Ende der Unschuldsvermutung - Welt
Harald Schmidt diskutiert mit Tereza Hossa, Maria Windhager und Marlene Nowotny über die Frage “Was darf Satire?”
Hitzige #Debatten über #CancelCulture und #HassimNetz prägen den Diskurs in den Sozialen Medien seit einigen Jahren. Im neuen #CaféBrandstätter diskutieren wir darüber, ob das Strafrecht die einzige Grenze sein kann, oder ob jeder, der sich mit #Humor beschäftigt, seine Limits selbst festlegen muss, auch anhand sehr konkreter Beispiele: Könnte Thomas Bernhard heute noch seine Schimpftiraden veröffentlichen? Kann man mit Humor auf Femizide aufmerksam machen? Und war das Cover einer kürzlich erschienen Falter-Ausgabe gelungen oder doch sexistisch und geschmacklos? Über diese Fragen und noch vieles mehr sprechen Talkshow Legende, Entertainer und Herausgeber #HaraldSchmidt, Kabarettistin und Tierärztin #TerezaHossa und Medienanwältin Maria Windhager. Moderiert wird diese Ausgabe von Ö1-Journalistin und Moderatorin Marlene Nowotny.
Kultur
Coverversion der Woche: Flunk-See You
Andy Fletcher, Gründungsmitglied von Depeche Mode, meiner ersten Lieblingsband neben den Comedian Harmonists, ist überraschend gestorben. Das ist mir dann doch näher gegangen, als ich gedacht hätte. Das Stück „See You“, welches die erste von Martin Gore komponierte und die vierte in Großbritannien veröffentlichte Single war, wurde in den Blackwing Studios aufgenommen. Es wurde am 29. Januar 1982 veröffentlicht und war später auf dem zweiten Album der Band, A Broken Frame, enthalten. Die Version von Flunk ist deutlich zurückgenommener, trifft die Seele des Songs aber trotzdem perfekt.
Epilog
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