Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #67
Prolog
Über Berlin zieht ein Sturm namens Ignatz und die Feuerwehr hat den Ausnahmezustand ausgerufen. Zoos, Tier- und sonstige Parks in Berlin bleiben geschlossen. Es gibt die Warnung, öffentliche Grünanlagen zu meiden. Das betrifft mich nicht, denn ich sitze am Schreibtisch und verfasse diesen Newsletter.
Den Ausnahmezustand ruft auch “The Republic” aus. Die Agentur, die unter anderem von Wolfgang Bosbach und Friedrich Merz unterstützt wird, möchte konservative Akzente in der öffentlichen Debatte setzen und ein Gegengewicht zum politischen Linksdrift sein. Nun ist es sicher keine schlechte Idee, dem tatsächlich recht einseitigen Getöse der einschlägigen Thinktanks und öffentlich-rechtlichen Formate in den sozialen Medien etwas entgegenzusetzen. Bisher wirkt das Ganze allerdings eher wie das schlechte, rechte Aquivalent zu entsprechenden linken Formaten.
Auch hier wird eine Bedrohungssituation beschworen, gegen die es gilt Widerstand zu leisten. Dabei bedient man sich ähnlicher Mittel. Das Vorstellungsvideo ist eine von düsteren Klängen unterlegte Nachrichtenfilmcollage, die den Eindruck erweckt, das Ende des Abendlandes stünde unmittelbar bevor. Was natürlich nicht der Fall ist. Inhalte mit Substanz sucht man bisher vergeblich. Das ist ärgerlich, denn die Themen liegen förmlich auf der Straße. Vor dem Hintergrund eines Startkapitals von 200.000 Euro und angeblich 1000 freien Mitarbeitern ist das sehr dünn. Aufbruch sieht anders aus.
Neuen Abonnenten empfehle ich die “About”-Seite. Wer mir in den sozialen Medien folgen möchte, findet Vernetzungsmöglichkeiten auf meiner Website. Bei Twitter kann man zusätzlich die #FreeBlackTwitterGermany-Liste für schwarze Meinungsvielfalt im deutschsprachigen Raum abonnieren.
Nun aber los.
Heute geht es unter Anderem um Meinungsfreiheit und Rassismus.
Willkommen im Club!
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Politik und Gesellschaft
Bereits 2017 hatte es Diskussionen um die Teilnahme rechter/rechtsextremer Verlage auf der Frankfurter Buchmesse gegeben. Damals argumentierten die Veranstalter klar für Meinungsfreiheit. In diesem Jahr scheint sich die Debatte zu wiederholen. Eine ausserhalb der sozialen Medien nahezu unbekannte Aktivistin, die ihren Opferstatus als dunkelhäutige Frau recht erfolgreich zum Geschäftsmodell gemacht hat, nutzte diese Möglichkeit, sich ins Gespräch zu bringen. Sie sagte ihre Teilnahme ab, weil die Anwesenheit von Verlagen aus dem rechten Spektrum für sie inakzeptabel sei und angeblich ihre Sicherheit bedrohe. Dass Sie mit linken Verlagen kein Problem hat, verwundert nicht. Darauf folgte ein Empörungssturm im Internet, Boykottaufrufe inklusive. Inzwischen haben auch weitere Autoren abgesagt. Die Buchmesse reagierte in Form zweier deutlicher Stellungnahmen, die zeigen, dass es noch Institutionen gibt, die sich nicht Fackeln und Mistgabeln beugen, sondern demokratische Prinzipien verstanden haben.
Die Frankfurter Buchmesse ist der Meinungsfreiheit verpflichtet. Die Rede- und Meinungsfreiheit ist Grundlage unserer Branche und jeder Demokratie. Deshalb können Verlage oder Titel, die nicht gegen das Gesetz verstoßen, auf der Frankfurter Buchmesse präsent sein.
Das bedeutet nicht, dass die Frankfurter Buchmesse alle Meinungen teilt oder befürwortet.
Das Meinungsspektrum in unserer Gesellschaft ist breit gefächert, und es gehört zu einer lebendigen Demokratie dazu, sich mit anderen, fremden Positionen inhaltlich auseinanderzusetzen. Eine Auseinandersetzung mit politischen Inhalten sollte im Rahmen einer Buchmesse vorrangig durch Diskussionen etc. geschehen, nicht aber durch Fernhalten der Titel mit juristischen Mitteln. Diese Diskursbereitschaft wird im Programm der Frankfurter Buchmesse sehr deutlich.
Genauso gehört es dazu, für die eigenen Überzeugungen Haltung zu beziehen. Das gilt auch für uns als Veranstalter der größten, internationalsten Buchmesse, die einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen einer freien, demokratischen Gesellschaft leisten will. Wir stehen für die Werte und Eckpfeiler einer solchen Gesellschaft ein: für Meinungsfreiheit und den Dialog, für Toleranz, Respekt sowie für Gewaltfreiheit. Wir wenden uns gegen jede Form von Extremismus, insbesondere wenn er sich gegen die Freiheit Andersdenkender richtet.
Statement der Frankfurter Buchmesse: Meinungsfreiheit ist die Leitlinie
"Wir bedauern, dass einzelne Autoren ihre Auftritte auf der Frankfurter Buchmesse 2021 abgesagt haben. Ihre Stimmen gegen Rassismus und ihr Eintreten für Diversität werden auf der Frankfurter Buchmesse fehlen.
Mit unserer eigenen Programmgestaltung und der unserer Partner setzen wir eindeutige Zeichen für eine vielfältige Gesellschaft und beziehen Position für einen toleranten und respektvollen Umgang miteinander. Damit grenzen wir uns von extremen Positionen deutlich ab. Die Frankfurter Buchmesse ist seit jeher ein Ort des Diskurses, an dem Fragen zu Menschenrechten, Rede- und Meinungsfreiheit oder zum Umgang mit Extremismus verhandelt werden.
Meinungs- und Publikationsfreiheit stehen für uns an erster Stelle. Sie sind die Grundlage dafür, dass der freie Austausch in unserer Demokratie und die Buchmesse überhaupt möglich sind. Die Frankfurter Buchmesse und der Börsenverein setzen sich weltweit für die Freiheit des Wortes und Publikationsfreiheit ein. Deshalb steht für uns auch fest, dass Verlage, die sich im Rahmen der Rechtsordnung bewegen, auf der Buchmesse ausstellen können, auch wenn wir ihre Ansichten nicht teilen. Das Verbot von Verlagen oder Verlagserzeugnissen obliegt in unserem Rechtsstaat den Gerichten, und nicht einzelnen Akteure wie der Frankfurter Buchmesse.
Die Sicherheit der Messe-Teilnehmer hat für uns höchste Priorität. Der Messe liegt ein umfassendes Sicherheitskonzept zugrunde, das es allen ermöglicht, die Messe sicher zu besuchen.“
Die Schilderung des Musikers Gil Ofarim, er sei aufgrund einer Kette mit Davidstern in einem Leipziger Hotel antisemitisch beleidigt worden (Ich hatte das hier bereits thematisiert.), wirft inzwischen Fragen auf. Es sind Bilder einer Überwachungskamera aufgetaucht, auf der er diese Kette gar nicht trägt. Zudem lassen sich trotz einer an diesem Tag gut gefüllten Hotelhalle wohl keine Zeugen finden, die den Vorfall so bestätigen können. Das heisst alles noch nicht, dass er sich die Geschichte ausgedacht hat. Wäre das der Fall, hätte er dem Engagement gegen Antisemitismus damit einen Bärendienst erwiesen.
«Bild am Sonntag» hatte am Sonntag Auszüge aus den Überwachungsvideos veröffentlicht und den Sänger in einem Bericht folgendermaßen zitiert: «Der Satz, der fiel, kam von hinten. Das heißt, jemand hat mich erkannt. Es geht hier nicht um die Kette. Es geht eigentlich um was viel Größeres. Da ich oft mit dem Davidstern im Fernsehen zu sehen bin, wurde ich aufgrund dessen beleidigt.»
Es gehe nicht darum, ob die Kette im Hotel zu sehen gewesen sei oder nicht, zitierte die «Bild am Sonntag» den Sänger weiter. «Sondern es geht darum, dass ich antisemitisch beleidigt worden bin.»
Antisemitismus-Vorwürfe - Ofarim-Videos werden ausgewertet - Die Zeit
Über das fragwürdige Demokratieverständnis von “Fridays For Future” habe ich hier bereits mehrfach berichtet. Nun hat Luisa Neubauer in einem Tweet erneut “vollumfängliche Systemveränderungen” gefordert. Was genau mit dieser Forderung, die ja nicht zum ersten Mal erhoben wird, genau gemeint ist, wurde bisher nicht erklärt. In Kombination mit der ebenfalls nicht zum ersten Mal geäusserten Ansicht, demokratische Prozesse dauerten zu lange, ist das alarmierend. Leider höre ich diese Argumentation häufiger.
Einer meiner Lieblingscomedians, David Chappelle, steht erneut in der Kritik. Nun soll er in seinem letzten Programm transsexuelle Menschen beleidigt haben. Der Mob fordert die Absetzung seiner Sendung. Dass die Vorwürfe in dieser Form haltlos sind, spielt dabei einmal mehr keine Rolle.
Je nach Intellektreichweite und persönlicher Betroffenheit kann man darüber platt, mit sehr bitterer Erkenntnis oder gar nicht lachen. Wie jeder Witz funktioniert auch dieser auf unterschiedlichen Niveaus. Er holt den Rezipienten in seiner Welterfahrung ab, überrascht ihn und schubst ihn im Zusammenhang mit weiteren kompromisslosen Scherzen über ganz andere Sachverhalte und Communitys – Feministinnen, Juden, Schwarze, Schwule, Transgender – gegebenenfalls darauf, dass die Welt eben so ist, wie sie ist: keinesfalls gut, aber mit Humor möglicherweise erträglicher. In diesem Beispiel, indem der Witz aus einem Opfer ein Subjekt macht. Man kann den Witz auch einfach geschmacklos finden. Gar kein Problem. Nur die Erwartungshaltung gegenüber Comedy, sie habe unserer moralischen Erbauung zu dienen, ist eine grundfalsche.
Bevor es dazu kommt, ließe sich kurz innehalten und über die Funktionsweise von Comedy nachdenken. Der erste Irrtum besteht in der Annahme, sie könne zur Gewalt aufrufen. Diese Macht hat weder Comedy noch sonst eine Kunstform. Diese Macht hätte nur beispielsweise ein Politiker. In der Tat wäre es etwas ganz anderes, würde ein Gouverneur einen homophoben oder gar ein Präsident einen frauenfeindlichen Scherz versuchen (was ja in jüngster Vergangenheit auch schon vorkam). Das kann gesellschaftliche Diskriminierung schaffen, sie zumindest von oben autorisieren. Comedy hat diese Macht nicht.
Der zweite Irrglaube ist, dass Comedy – oder jede andere Art erzählender Kunst – weltanschaulich korrekt sein müsse. Bitte nicht. Dann lebten wir in einer Zeit der Gesellschaftskunst, deren Funktion bloß darin bestünde, Wertvorstellungen und Ideologien zu bestätigen, was sich definitiv keine wünschen kann. Kunst darf übertreiben. Sie darf überzeichnen. Sie darf provozieren und schockieren. Sie ist nicht dafür zuständig, eine Gesellschaft zusammenzuhalten. Das obliegt nicht dem Comedian. Das obliegt, wenn schon, dem zuschauenden Publikum. Umgekehrt bedeutet es indes natürlich nicht, dass jeder Gag, jedes Buch, jedes Filmchen, die provozieren, gut oder gelungen sind.
Hat jemand gelacht? - Die Zeit
Mir gibt diese Aufregung zusätzlich die Gelegenheit, den Beitrag hervorzuheben, durch den ich David Chappelle im Jahr 2003 kennengelernt haben. Er heisst “Clayton Bigsby, the World’s Only Black White Supremacist” und Chappelle spielt darin einen Blinden, der nicht weiß, dass er dunkelhäutig ist und als Autor zu einer Kultfigur für Rassisten geworden ist. Sagenhaft!
Das Stück “Brown Sugar” der Rolling Stones, welches sich kritisch mit Sklaverei auseinandersetzt und von der schwarzen Marsha Hunt inspiriert ist, mit der Mick Jagger eine gemeinsame Tochter hat, soll angeblich rassistisch sein. Die Band hat es nun aufgrund der neuen Empörung aus dem Programm genommen. Man möchte den Kopf auf die Tischplatte schlagen.
Tatsächlich hat das Lied von 1971 schon oft Kritik hervorgerufen. In seinem Refrain singt ein Sklavenhalter in New Orleans: „Brown Sugar, how come you taste so good? / Brown Sugar, just like a young girl should“. Zumal bekannt ist, dass Jagger das Lied zunächst „Black Pussy” nannte, ist wohl unmissverständlich, wovon es handelt (auch wenn manche meinen, es handle von Heroinsucht). Die Frage ist nur, bei Rockmusik wie Gangsta-Rap: Liegt in der Rollenlyrik Affirmation oder Distanzierung?
Keith Richards meint, es sei doch offensichtlich „ein Lied über die Schrecken der Sklaverei“. Passt es dann gut dazu, wenn ein ganzes Stadion es euphorisch mitsingt und dazu tanzt (vielleicht ja auch gar nicht anders kann bei diesem rhythmisch fast dazu zwingenden Rocksong)? Das ist ein Beleg der Kunstfreiheit und Freiheit der Rezeption, aber für manche vielleicht trotzdem befremdlich. Während die Stones sich, wären sie nur eine Blues-Coverband geblieben, wohl viel Ärger hätten ersparen können, werden sie aber auch verteidigt. Sogar von Frauen, die ihre Texte und die anderer Rockmusiker als misogyn empfinden und trotzdem lieben, wie die Anthologie „Under My Thumb“ von Rhian E. Jones und Eli Davies zeigt. Ihr Untertitel lautet: „Songs that hate women and the women who love them“.
Ist „Brown Sugar“ ein rassistisches Lied? - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Zum Ende der Rubrik wieder Sehenswertes.
In der Sendung “The View” diskutiert Condoleezza Rice unter Anderem mit Whoopi Goldberg das Thema Critical Race Theory und sagt viele kluge Dinge. Diese Art der Diskussion fehlt im deutschen Fernsehen leider.
Katja Suding hat sich aus der Politik zurückgezogen. Im Gespräch mit Michael Krons schildert sie ihre Erfahrungen.
Kultur
Coverversion der Woche: Little Richard - Brown Sugar
Auf die Tatsache, dass ein Dunkelhäutiger einen angeblich rassistischen Song covert, wird die identitäre Antirassismusbewegung wahrscheinlich so reagieren, dass er Rassismen “internalisiert” habe und gar nicht merke, dass er sie “reproduziere”. Dieser grotesken Argumentation darf man allerdings nicht dadurch Legitimität verleihen, dass man sich ernsthaft mit ihr beschäftigt.
Little Richard hat das Lied bereits 1971, im Jahr seines Erscheinens auf seine eigene Art sehr gelungen interpretiert. Das Original wird hier von den Rolling Stones auf ihrem absoluten Höhepunkt dargeboten.
Epilog
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