Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #66
Prolog
Dass in Berlin nichts funktioniert, ist keine Neuigkeit. Die Durchführung der letzten Wahl erinnerte an Monty Python und wird nun politisch sowie juristisch aufgearbeitet. Der endlich betriebsbereite Flughafen macht erneut Schlagzeilen, diesmal wegen chaotischer Zustände bei der Flugabwicklung, weil niemand vorhersehen konnte, dass die Ferien beginnen. Die Lufthansa empfahl zwischenzeitlich, sicherheitshalber vier Stunden vor Abflug vor Ort zu sein. Nun hat sich die SPD entschlossen, die Koalitionsverhandlungen mit der Linkspartei zu vertiefen, obwohl es andere Optionen gäbe. Das fällt auch in anderen Bundesländern auf.
Eine sozialdemokratische Partei, die immer, wenn sie auch mit demokratischen Parteien koalieren könnte, die umbenannte SED präferiert, ist keine Partei der Mitte mehr. Leute, wie Giffey und Scholz scheinen nur noch Feigenblattfunktion zu haben. Schade um die älteste Partei Deutschlands. In Berlin würde eine erneute rot-rot-grüne Koalition eine Fortsetzung der Dysfunktionalität bedeuten.
Im kulturellen und gesellschaftlichen Bereich nehme ich nach wie vor eine um sich greifende Spießigkeit wahr. Neulich beschwerte sich jemand über einen harmlosen, aber vermeintlich sexistischen Witz. Natürlich kann man wollen, dass sich Humor den Regeln politischer Korrektheit und Identitätspolitik unterwirft. Man sollte sich allerdings dessen bewusst sein, dass dies sein Ende bedeutet.
Auch in Musikpublikationen greift diese Haltung um sich. Die Geschichte wird “kritisch” aufgearbeitet. Das heisst nichts anderes als dass sie nach heutigen Standards bewertet wird. Musikmagazine, die woke Maßstäbe an die Musikbranche früherer Jahrzehnte anzulegen, sind nicht nur ein Ärgernis. Dieses Vorgehen beweist auch eine umfassende Ignoranz. Die aktivistische Jugend würde nicht einmal mehr den Hedonismus der 90er Jahre, also des letzten musikalisch interessanten Jahrzehnts verstehen. Wie soll man ihr die 60er Jahre erklären?
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Nun aber los.
Heute geht es unter Anderem um Doppelmoral, Antisemitismus und Beethoven.
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Politik und Gesellschaft
Nachdem der WDR die Causa Nemi El-Hassan einigermaßen überstanden zu haben scheint, gibt es das nächste Problem mit einer mutmaßlich antisemitischen Mitarbeiterin. Diesmal geht es beim ZDF um die Personalie Feyza-Yasmin Ayhan, die vom Sender MTV bereits wegen antisemitischer Äußerungen entlassen wurde. Für den Sender offenbar kein Problem. Ich neige nicht zu Verschwörungstheorien oder Geraune, glaube diesbezüglich allerdings auch nicht mehr an bedauerliche Einzelfälle
So hatte Feyza-Yasmin Ayhan, die aktuell an der Sitcom „Barrys Barbershop“ mitarbeitet, unter anderem eine rassistische Karikatur in den sozialen Medien geteilt, auf der ein Jude mit Hakennase zu sehen ist.
Dem israelischen Staat sprach sie das Existenzrecht ab: „Das, was Israel in Palästina vernichtet hat, wird nicht sterben und das, was Israel in Palästina errichtet hat, wird niemals leben.“
Für MTV Germany hingegen ist Ayhans antisemitische Haltung ein Problem. Der Musiksender, der die Poetry Slammerin im Oktober 2020 als Moderatorin für das Format „What You Know About That“ engagiert hatte, trennte sich nach Bekanntwerden der israelfeindlichen Äußerungen von Ayhan.
„Auf Grund der uns jüngst zur Kenntnis gebrachten Aussagen haben wir uns entschieden, künftig nicht erneut mit Ayhan zusammenzuarbeiten. MTV distanziert sich von jeder Form von Antisemitismus“, erklärte der Sender in einem Beitrag auf Facebook – datiert auf den 10. Mai 2021. Nur wenige Monate später nahm das ZDF die Autorin unter Vertrag.
ZDF engagiert Autorin, die gegen Israel hetzt und antisemitische Karikaturen postet - Focus
Auch die neue Sprecherin der grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich steht wegen inakzeptabler, entgrenzter, unter anderem auch antisemitischer Äußerungen in der Kritik. Statt diese auf das Schärfste zu verurteilen, springen ihr jedoch viele (Auch Teile der Parteiführung.) bei und verharmlosen sie als “Jugendsünden”. Ich habe mich in meiner Jugend weder homophob, rassistisch oder sexistisch geäussert, noch Morddrohungen abgesetzt. Mir war auch niemand bekannt, der das tat. Nun lerne ich, das sei völlig normal und man müsse dafür Verständnis haben. Dass man dieses Verständnis auch dem Sprecher der jungen Union oder der jungen Liberalen entgegenbringen würde, bezweifle ich. Mit dieser Doppelmoral beschäftigt sich auch Pauline Voss.
Doch gerade der Umstand, dass viele der Tweets Jahre zurückliegen, verdeutlicht die gesellschaftliche Bedeutung der Affäre. Es zeigt, wie lange die vermeintlich antirassistische Indoktrination junger Menschen in radikalen, teilweise auch parteinahen Kreisen bereits andauert. Umso bezeichnender ist, dass nun ausgerechnet jene Heinrich beispringen, deren Sensoren für «Mikroaggressionen» sonst besonders geschärft sind.
Bei den Aussagen von Heinrich handelt es sich nicht um blosse Jugendsünden: Wer derart extreme Beleidigungen verbreitet hat, muss sich als Politikerin die Frage gefallen lassen, inwieweit sich die eigenen Ansichten geändert haben. Aufschluss gibt eine Sendung des öffentlichrechtlichen Jugendkanals Funk, in der Heinrich 2019 zu Gast war. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits volljährig. Heinrich spricht darin von einer «ekligen weissen Mehrheitsgesellschaft», die «rassistisch durchzogen» sei. Kurz darauf entschuldigte sie sich für ihre Wortwahl, inhaltlich aber stehe sie zu ihrer Haltung.
Unterstützung erhielt sie nun vom Autor Mohamed Amjahid, dessen Buch «Der weisse Fleck» eine «Anleitung zu antirassistischem Denken» sein soll. Er befand auf Twitter, dass sich für die Bezeichnung «eklige weisse Mehrheitsgesellschaft» niemand entschuldigen müsse. Amjahid ist Kolumnist bei der «TAZ» und schreibt regelmässig für «Die Zeit». Das zeigt, wie salonfähig derartige Positionen inzwischen geworden sind: Aussagen werden nurmehr an der Sprecherposition gemessen, nicht am Inhalt. Je nach vermeintlichem Opferstatus des Sprechenden gelten sie als Beleidigung oder aber als notwendige Gesellschaftskritik. Anleitungen zum Denken gibt man in diesen Kreisen am liebsten dem Gegner – der Blick auf strukturelle Ursachen fällt eben schwerer, wenn er die eigenen Strukturen treffen müsste.
Zu diesem Thema hat sich auch Elke Heidenreich bei Markus Lanz geäussert und damit großen Wirbel verursacht. Man muss ihre Meinung nicht teilen, aber diese Skandalisierung befremdet. Weil es dem adressierten Milieu an allem fehlt, was es dafür bräuchte, inhaltlich auf die Kritik einzugehen, reagiert es mit Unterstellungen und Beschimpfungen. Dass dies die Legitimität der Kritik belegt, begreift es nicht.
„Sarah-Lee Heinrich – sie hat überhaupt keine Sprache, sie kann gar nicht sprechen, haben wir gerade gesehen. Das sind wieder Kinder, die nicht lesen. Das ist diese Generation, von der ich immer wieder merke, wie sprachlos sie ist, wie unfähig, mit Worten umzugehen.“ Und weiter: „Sie ist Sprecherin der Grünen Jugend. Sie kann ja gar nicht sprechen. Sie muss ja erst mal lernen, richtig zu formulieren. Dass man sagt, Hauptsache divers, Hauptsache Migrationshintergrund, Hauptsache Quote. Das ist eben der falsche Weg.
„Hauptsache Migrationshintergrund, Hauptsache Quote – das ist eben der falsche Weg“ - Welt
Dass meine Hautfarbe kein entscheidender Teil meiner Identität ist und ich Entwicklungen, die darauf abzielen, dass Menschen sich immer mehr über ethnische, sexuelle und sonstige Merkmale definieren für problematisch halte, habe ich hier schon häufig betont. In meinem Umfeld gibt es keine Menschen, die das anders sehen, auch wenn ich diese Veränderung, die ich als Rückschritte empfinde, im weiteren Bekanntenkreis durchaus wahrnehme.
In den sozialen Medien sind Dunkelhäutige, die es so sehen wie ich, scheinbar in der Minderheit. Deshalb habe ich vor einiger Zeit die “Free Black Twitter Germany”-Liste bei Twitter erstellt, die oben verlinkt ist.
Sehr zu empfehlen ist auch ein Radiobeitrag im SWR. Zwei Dunkelhäutige, Davina Ellis und “Cäsar”, schildern dort ihre Sicht auf diese Themen. Es freut mich, dass solche Positionen, die unter Dunkelhäutigen in Deutschland meiner Empfindung nach die Mehrheitsmeinung sind, endlich ein größeres Forum bekommen. Hörenswert!
Muss sich jemand, nur weil sie oder er schwarz ist, mit der Black Lives Matter-Bewegung identifizieren? Die Düsseldorferin Davina Ellis und Cäsar aus Hessen finden: Nein.
Obwohl beide Alltagsrassismus erlebt haben und noch erleben, wollen sie keine People of Colour sein und nur wegen ihrer Hautfarbe mit anderen Menschen in einen Topf geworfen werden.
In diesem Kulturrelativismus sehen sie den eigentlichen Rassismus. Sie fühlen sich zu einem Opfer degradiert, statt als Individuum wahrgenommen zu werden - mit ganz eigenen Stärken und Schwächen.
Jung, schwarz und doch kein Fan von Black Lives Matter - SWR2
Gleich zweimal geht es in dieser Ausgabe um Beethoven. Es liest sich wie ein bizarrer Witz, ist aber keiner: Eine Gruppe von Aktivisten - angeführt von Roberto Blanco - fordert die Exhumierung Beethovens, um zu beweisen, dass er ein Schwarzer war. Wenn Sie jetzt noch keinen Schlaganfall hatten, lesen Sie gern weiter.
Von diesem Forschungsinteresse, das – wie jede Störung der Totenruhe – auf ethische Bedenken treffen mag, sind die Motive der Aktivisten zu unterscheiden, zu deren Sprachrohr sich nun Roberto Blanco macht. Denn hier geht es offenkundig um eine Vereinnahmung Beethovens für die Sache der People of Color. Diese Instrumentalisierung der Person und ihrer einzigartigen Bedeutung ist alles andere als neu – schon in den 1960er Jahren behaupteten die Bürgerrechtler Malcolm X und Stokely Carmichael, Beethoven sei «black as I and you» gewesen. Sie begründeten eine Tradition der politischen und literarischen Vereinnahmung, die über Nadine Gordimer bis in die Gegenwart reicht.
Neu, aber historisch äusserst bedenklich ist dagegen der Zug ins Biologistische: wenn nunmehr wissenschaftliche Untersuchungsmethoden, etwa der DNA-Analyse, für die Untermauerung politischer Ansichten und Ziele herhalten sollen. Zu Ende gedacht, drohte da tatsächlich Leichenfledderei im grossen Stil, ja womöglich ein Rassismus mit umgekehrtem Vorzeichen.
War Beethoven schwarz? - Neue Zürcher Zeitung
Zum Ende der Rubrik noch der Hinweis auf ein empfehlenswertes Interview mit Henri Nannen, dessen Tod sich in dieser Woche wieder einmal jährte. Leider lässt sich das Video nicht direkt einbinden, ein Klick darauf, führt aber dorthin.
Kultur
Künstliche Intelligenz hat die 10. Sinfonie von Beethoven vollendet. Die Uraufführung fand durch das Beethoven Orchester unter Leitung des Chefdirigenten Dirk Kaftan im Telekom Forum in Bonn statt.
„Das Projekt ist eine Kollaboration zwischen Mensch und Maschine“, sagte Matthias Röder, Direktor des Salzburger Karajan Instituts, der das KI-Team geleitet hatte, vor der Uraufführung. Das Potenzial der Technologie sei für Komponisten faszinierend. „Man könnte auch eine Beatles-KI mit der melodischen KI von Mozart kombinieren – und die Harmonien dann selbst schreiben. Das Spektrum von Möglichkeiten ist exponentiell erweiterbar.“
Künstliche Intelligenz vollendet die 10. Sinfonie von Beethoven - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Coverversion der Woche: The Smiths feat. Sandy Shaw - Hand In Glove
Nachdem Rick Astley neulich mit einer wirklich gelungenen Version von “This Charming Man” auffiel, erinnerte ich mich daran, dass die Smiths in den 80ern mit der von mir sehr geschätzten Sandie Shaw zusammengearbeitet haben. Dabei ist nicht nur eine sehr gute Interpretation von “Jean”, sondern auch von “Hand In Glove” entstanden. Heute würde Morrissey wahrscheinlich nicht mehr einwilligen, kurz einmal das Rampenlicht abzugeben.
Epilog
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