Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #64
Die Woche neigt sich dem Ende zu und mein erneuter Entschluß, bei Twitter Politik aussen vor zu lassen, fühlt sich richtig an. Die Plattform ist als Diskursmedium gescheitert und wird immer mehr zum Kompensationswerkzeug für psychisch auffällige Menschen, die eigentlich Hilfe brauchen. Zudem sind die wenigsten dort offen für echten, seriösen Diskurs. Die negative Energie ist inzwischen so stark, dass es besser für Seelenheil und Zeitmanagement ist, wenn man sich aus politischen Debatten heraushält. Über Politik und Gesellschaft äussere ich mich natürlich weiterhin in Form dieses Newsletters und in Artikeln. Diese Entscheidung ist nicht in Stein gemeißelt, aber in den sozialen Medien beschränke ich mich bis auf Weiteres auf die schönen Dinge.
Neuen Abonnenten empfehle ich die “About”-Seite. Wer mir in den sozialen Medien folgen möchte, findet Vernetzungsmöglichkeiten auf meiner Website. Bei Twitter kann man zusätzlich die #FreeBlackTwitterGermany-Liste für schwarze Meinungsvielfalt im deutschsprachigen Raum abonnieren.
Nun aber los.
Heute geht es unter Anderem um Kulturwandel, einen Bärendienst und Sozialismus.
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Politik und Gesellschaft
Mitleid hatte ich in dieser Woche mit der sehr geschätzten Claire Lehman, ihres Zeichens Gründerin der Plattform “Quillette”, die feststellen musste, dass Teile ihrer Leserschaft deutlich weniger reflektiert und aufgeklärt sind, als sie angenommen hatte. Sie hatte sich während der Pandemie mehrfach deutlich für das Impfen ausgesprochen, was vielen Lesern offenbar gar nicht gefiel.
A number of readers have expressed outrage and disgust that we have taken a strong pro-vax editorial position. (Out of all the controversial editorial positions we have taken over the years, I am surprised that being pro-vax has turned out to be the most controversial.) I have received angry emails and indignant comments on social media alleging that I have been paid off by “Big Pharma,” or the Australian government—as if being pro-vax during a pandemic were not supported by the overwhelming majority of people in Australia, Canada, the UK, and the US today.
Being pro-vaccination is consistent with everything that Quillette stands for, and has always stood for. Supporting the mainstream science on vaccines is no different to supporting the mainstream science on psychological sex differences, or the mainstream science on intelligence (two controversial topics on which we've also taken a strong editorial position).
Some have expressed surprise that Quillette would adopt the “mainstream position” on this issue. Or that we have taken a position inconsistent with “conservative” or “libertarian” principles. We have, after all, run many articles that dispute the mainstream position on weighty topics like gender, race, academia, and education. The assumption seems to be that because we disagree a lot with the Left, we must be part of the Right.
This is simply a misunderstanding. Quillette is not a contrarian or partisan publication and it never has been. And if we are partisan, it is in the preference of empiricism over intuition or revelation. In an uncertain world, sometimes the elite consensus will get it right and sometimes it won't. If a popular narrative is not supported by good evidence, or if good evidence supports another more plausible explanation for what is going on, what we publish will tend to counter that narrative.
Weekly Roundup and a Letter from the Editor - Quillette
Zur Causa Nemi El-Hassan hatte ich mich letzte Woche eingelassen. Wie erwartet ist die Debatte noch unschöner geworden. Ich persönlich nehme ihr die Distanzierung von diesen Positionen ohnehin nicht ab und halte sie für rein taktisch motiviert. Dazu passt auch, dass sie bei Twitter noch in diesem Jahr hochgradig fragwürdige Dinge schrieb. Nun hat es einen offenen Brief gegeben, unter dessen Unterzeichnern sich in den Augen vieler die Elite der deutschen Antisemitismusverharmloser findet. Das nennt man einen Bärendienst. Dass in diesem Brief genau die Leute vermeintliche Cancel Culture beklagen, die die Existenz des Phänomens seit Jahren bestreiten, ist skurril. Dass sie es angemessen finden, sich ein einer Zeit, in der ein Anschlag auf eine Synagoge gerade noch rechtzeitig vereitelt und ein Teilnehmer einer Mahnwache für Israel und gegen Antisemitismus in der Hamburger Innenstadt verprügelt wurde, mit einer Person zu solidarisieren, die nach Einschätzung nicht weniger Menschen eine Antisemitin ist, zu den erwähnten Vorfällen aber schweigen, spricht Bände. Sandra Kreisler hat in einer Podcastfolge alles Nötige zu dieser Angelegenheit gesagt. Der bisher beste Beitrag dazu.
Diesmal geht es in den deutschen Gazetten und sozialen Netzwerken um die furchtbar ungerechte Behandlung einer jungen Frau, die fast einen Posten im renommierten populärwissenschaftlichen TV-Journal „Quarks“ des WDR bekommen hätte. Fast.
Denn sofort nach der Ankündigung geisterten Bilder von Frau Nemi ElHassan, von ihr ist die Rede, durchs Internetz, auf denen sie mit Hidjab, dem traditionellen muslimischen Kopftuch, zu sehen ist – und ebenso sofort wurde sie genauer unter die Lupe genommen und man fand – Überraschung! Antisemitismus.
Das Israelbild der Nemi El-Hassan - Mena Watch
Dass ich von der Initiative “Deutsche Wohnen & Co enteignen” nichts halte, ist bekannt. Enteignung ist eine Idee aus der sozialistischen Mottenkiste und schafft nicht eine einzige zusätzliche Wohnung, um nur ein Argument zu nennen. Der Verein "Neue Wege für Berlin" hat nun ein Gutachten beim Staatsrechtler Ulrich Battis in Auftrag gegeben, das zu einer klaren Einschätzung kommt, welche für rational denkende Menschen allerdings keine Überraschung ist.
Die Belastungen der betroffenen Wohnungsunternehmen durch den Eingriff seien "unangemessen". Der Eingriff in das private Eigentum sei "nicht erforderlich, da dem Gesetzgeber etliche andere Maßnahmen zur Steuerung des Wohnungsmarktes zur Verfügung stehen" würden, um Wohnraum zu leistbaren Mieten zu schaffen.
Zudem wäre ein Gesetz, das das Land Berlin erlassen müsste, falls die Volksinitiative am Sonntag eine Mehrheit bekäme, "europarechtlich unzulässig". Die Enteignung greife nämlich "in die Kapitalverkehrsfreiheit" ein. Auch hier begründen die Anwälte ihre Auffassung damit, dass "mildere Mittel zur Verfügung" stünden.
Zudem begründen die Anwälte von "Neue Wege für Berlin" ihre Auffassung mit demselben Argument, mit dem das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel gekippt hatte: Dem Berliner Landesgesetzgeber fehle die Gesetzgebungskompetenz, um ein Vergesellschaftungsgesetz zu erlassen. Diese stehe dem Bund zu.
Weitere Argumente gegen die Vergesellschaftung: Zur Entschädigung der enteigneten Firmen würden Kredite aufgenommen durch eine Anstalt öffentlichen Rechts. Dies sei eine verfassungsrechtlich unzulässige Umgehung der Schuldenbremse. Zudem dürfe dabei der Verkehrswert der Immobilien "nicht beliebig weit unterschritten werden". Und schließlich sei es "gleichheitswidrig", dass nur alle Wohnungsbestände ab 3000 Objekte enteignet werden sollen, die Grenzziehung gleichsam willkürlich.
Gutachter Battis hält Deutsche-Wohnen-Enteignung für verfassungswidrig - Tagesspiegel
Patrick Schlereth befasst sich in der FAZ mit der Person Jan Böhmermann und bezieht sich dabei auch auch die Veranstaltung der “Zeit”, die ich bereits erwähnt hatte. Auch er übt deutliche Kritik.
Böhmermanns Scherze gehen aber nicht nur gegen „die da oben“, sondern meist gegen die in und rechts der Mitte. Der ZDF-Moderator ist vom harmlosen Scherzkeks zum politischen Aktivisten geworden, der eine links-grüne Weltanschauung im Modus des Schenkelklopfers transportiert. Als sich die FDP ins Wahlprogramm schrieb, die Öffentlich-Rechtlichen beschneiden und den Rundfunkbeitrag senken zu wollen, schmähte er die Liberalen auf Twitter als „AFDP“ und rückte sie in die Nähe einer Partei, die rechtsextreme Hetzer wie Björn Höcke in ihren Reihen hat. Als die Mittelstandsvereinigung der Union eine Fusion von ARD und ZDF forderte, twitterte Böhmermann: „Die Mittelstandsvereinigung der CDU sollte mit der rechtsextremen AfD fusionieren. Das wäre günstiger, inhaltlich sinnvoll, und unnötige Mehrfachstrukturen würden so entfallen.“ Das wäre nicht weiter interessant, hätte Böhmermann nicht mehr als 2,3 Millionen Follower auf Twitter. Er gehört zu den einflussreichsten Influencern einer ganzen Generation, und er arbeitet mit jenen Methoden der Diskursverflachung, die dem Medium Twitter eigen sind.
Satire ist traditionell eher links. Wird sie aber zu purer Beeinflussung und will unliebsame Sprecher ausschließen, sollte das auch Linken zu denken geben. Zumal in Zeiten, in denen die abendliche Satireshow für wenig nachrichtenaffine Zuschauer als erste Informationsquelle fungieren dürfte, quasi als „Sendung mit der Maus für Erwachsene“, wie Claus von Wagner von „Die Anstalt“ über sein politisches Kabarett im ZDF sagt.
Wenn das linksliberale Programm mit gesundem Menschenverstand oder der guten Sache gleichgesetzt wird, führt das schlimmstenfalls dazu, dass alles, das nicht links der Mitte ist, in einen Topf fliegt – wie bei Böhmermanns „AFDP“. Es ist aber nicht einerlei, ob man es mit demokratischen Parteien wie der FDP oder der CDU zu tun hat oder der AfD, die unsere Grundordnung am liebsten abschaffen würde.
Böhmermann meint es ganz ernst - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Alexander Grau hat einen phantastischen Artikel über Zeitgeist, Kulturwandel und darüber geschrieben, dass bestimmten Entwicklungen seitens des bürgerlichen Lagers widerstandslos nachgegeben wird.
Es wurde ein gesellschaftspolitischer Prozess in Gang gesetzt, der auf nichts anderes hinausläuft als auf die Dekonstruktion gesellschaftlicher Grundwerte. Und dies, ohne dass seitens des politischen Konservatismus Widerstand spürbar wurde.
Die Familie wurde von der bürgerlichen Kernfamilie zur allgemeinen Partnerschaft uminterpretiert. Zentrale gesellschaftliche Positionen in Wirtschaft und Politik dürfen nicht mehr nur nach Geschlecht besetzt werden, sondern müssen wohl bald schon auch nach sexueller Präferenz und ethnischen Kriterien quotiert werden. Der literarische Kanon wird einer kritischen Prüfung unterzogen und nach diskriminierenden Formulierungen oder Handlungsmotiven durchforstet.
Kunstwerke werden umbenannt, desgleichen Strassen und Plätze. Denkmäler wurden gestürzt. Wissenschaftliche Kategorien wie das biologische Geschlecht werden im Namen eines instrumentalisierten Minderheitenschutzes ausser Kraft gesetzt. Zugleich wird in Alltagsgewohnheiten von Menschen eingegriffen, beispielsweise um Einfluss zu nehmen darauf, dass sie sich ja umweltfreundlich fortbewegen und gesund essen. Die freiheitliche Gesellschaft soll zu einer durchreglementierten, rundum betreuten Gesellschaft der Behüteten werden.
Klassische Sekundärtugenden wie Gehorsam, Ordnung und Pflichterfüllung kamen endgültig aus der Mode. Man gab sich lieber unkonventionell, spontan und lebenslustig. Statt fester Regeln reüssierte man nun mit Offenheit, Neugier und Toleranz. Das «Sie» begann abzudanken, flache Hierarchien wurden gepredigt. Das urbane Neubürgertum in den westlichen Städten gab sich nicht nur technisch, sondern auch gesellschaftspolitisch fortschrittsorientiert.
Der strategische Kardinalfehler des traditionellen Konservatismus und Liberalismus lag darin, sich einzubilden, man könne sich ohne Schaden dem Zeitgeist anpassen. Man träumte von einer modernen Grossstadt-Bürgerlichkeit, die sich den neuen, urbanen Milieus anbiedert, und schaltete auf Schmusekurs. In Schlüsselfragen der Energie-, Sicherheits- und Migrationspolitik übernahm man Positionen des politischen Gegners. Auf gesellschaftspolitischem Feld setzte man dem Anspruch der Linken, Sprache, Medien, Kunst und Kultur zu reglementieren, nichts entgegen.
Doch man gewinnt keine ideologischen Auseinandersetzungen, indem man die Denkstrukturen und die Sprachmuster des Gegners übernimmt. Kapitulationen führen nie zum Sieg. Wo es nötig gewesen wäre, sich kompromisslos zu distanzieren und die Konfrontation zu suchen, hat man sich dem neulinken Zeitgeist angedient.
Vor allem aber müssen Konservative und Liberale wieder lernen, polemisch zu werden und aggressiv. Zu meinen, man könne sich die Wertschätzung oder zumindest die Duldung der meinungsmachenden Milieus durch Opportunismus erkaufen, ist ein Irrtum. Man wird lediglich als Letzter vom Spielfeld genommen. Angesichts des historischen Debakels muss nun endgültig Schluss sein mit Kuschelrock. Jetzt ist Punk gefragt.
Kultur
Coverversion der Woche: Outkast - My Favorite Things
Heute hat John Coltrane Geburtstag, deshalb diese Entscheidung. Das Duo “Outkast” hat im Jahr 2003 eine richtig gute Version des Titelsongs des gleichnamigen Albums “My Favorite Things” von Coltrane aus dem Jahr 1961 herausgebracht. Deutlich schneller und mit Breakbeats angereichert, aber nicht stumpf, wie es seit Ende der 90er gerne mal gemacht wurde.
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