Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #62
Zurück aus dem dringend benötigten Urlaub geht es in alter Frische mit dem Newsletter weiter. Während ich weg war, wurde der offizielle Wahl-O-Mat für die Bundestagswahl freigeschaltet. Mein Ergebnis ist nicht überraschend und somit auch nicht interessant. Viel interessanter ist, dass es inzwischen auch einen feministischen Wahl-O-Mat mit dem Namen “Wahltraut” gibt. Der Name ist tatsächlich gut, der Rest eher fragwürdig. In der Selbstbeschreibung behauptet man noch, politisch neutral zu sein, sobald der Test abgeschlossen ist, liest man allerdings als Fazit den Kommentar, man könne sowieso nur Parteien links der Mitte wählen. Soviel zur Neutralität. Dass statt von Gleichberechtigung (Erstrebenswert.) überall von Gleichstellung (Weder erreichbar, noch erstrebenswert.) die Rede ist, verwundert in diesem Zusammenhang nicht und beantwortet die Frage der Seriösität dieses Angebots umfassend. Auch der “Postillon” hat eine Interpretation, namens Postill-O-Mat ins Netz gestellt, die wirklich amüsant ist.
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Nun aber los.
Heute geht es unter Anderem um Enteignung, Gentechnik und Intellekt.
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Politik und Gesellschaft
Meine Kritik an der Struktur der öffentlich-rechtlichen Medien habe ich hier bereits formuliert. Als Idee halte ich sie für eine gute Sache und empfinde Forderungen nach ihrer Abschaffung als vulgär. Das ändert aber nichts daran, dass ich eine grundlegende Reform für dringend notwendig halte. Diese ist vor Allem im Hinblick auf die mangelnde Transparenz wünschenswert. Kress hat sich in einem Artikel mit der Intendantenbezahlung auseinandergesetzt, die ich für völlig überzogen halte. Wenn Tom Buhrow mehr verdient, als der Bundespräsident, stimmen da einfach die Relationen nicht mehr.
So wurden 2018 laut WDR-Geschäftsbericht rund 500.000 Euro für die Altersversorgung von Tom Buhrow zurückgestellt. Der Barwert seiner Pensionsverpflichtung betrug Ende 2018 rund 4,1 Millionen Euro. Damit dürfte sich sein Pensionsanspruch schon heute auf geschätzt rund 15.000 Euro monatlich belaufen. "Kress pro" orientiert sich dabei an den Angaben eines Sachverständigen, die Anstalten nennen keine monatlichen Summen. Wohl auch, weil Gebührenzahlern solche Versorgungszusagen nur schwer vermittelbar sind. Zumal der Anspruch nicht nur den Intendanten betrifft: Für die vier Mitglieder der Geschäftsleitung hatte der WDR bereits bis zum Jahr 2018 rund 10,9 Millionen Euro zurückgestellt.
Den höchsten Pensionsanspruch bei den Öffentlich-Rechtlichen hat aber ZDF-Intendant Thomas Bellut. 5,2 Millionen Euro hat die Anstalt dafür zurückgestellt. Daraus errechnet sich für Bellut eine monatliche Pension von geschätzt mindestens 20.000 Euro. Insgesamt weist das ZDF für seine sechsköpfige Führungsspitze 17,3 Millionen Euro an Rückstellungen aus.
Bereits während der Europameisterschaft 2016 gab es eine breite Debatte über die Bezahlung der Fußballexperten Mehmet Scholl (ARD) und Oliver Kahn (ZDF). Auch in den Gremien wurde die Frage eifrig diskutiert. Bis heute wurde allerdings nicht offengelegt, in welcher Höhe die ehemaligen Fußballprofis durch Gebührengeld entlohnt wurden. "Kress pro" hatte ebenfalls 2016 aufgedeckt, dass die ARD das Duo Günter Netzer und Gerhard Delling zwischen 2007 und 2010 mit insgesamt 6,22 Millionen Euro entlohnte. So steht es in einem Bericht des Landesrechnungshofes Rheinland-Pfalz, der seit Jahren geheim gehalten wird.
Als Konsequenz nennt die ARD immerhin seit einigen Jahren die Gesamtsumme, die sie für die Sportexperten ausgibt. Jedenfalls theoretisch. Obwohl die Summe für die Saison 2018/19 bereits Anfang des Jahres vorliegen sollte, konnte die ARD-Sportkoordination die Zahl erst im Juli auf Nachfrage nennen. Die 16 Sportmoderatoren im Ersten erhielten demnach in der Saison 2018/19 Vergütungen von insgesamt rund 2,36 Millionen Euro. Für die 13 Experten, die für die Sportsendungen im Ersten in der Saison 2018/2019 eingesetzt wurden, beliefen sich die Ausgaben auf eine Gesamtsumme von 0,62 Millionen Euro. Offenbar wurden die Kosten seit den Netzer/Delling-Jahren deutlich gesenkt. Das ZDF nennt bis heute dazu gar keine Zahlen.
Die üppige Altersversorgung der Chefs von ARD und ZDF - Kress
Alexander Neubacher hat im “Spiegel” einen lesenswerten Artikel über die Forderung nach der Enteignung von Wohnungskonzernen geschrieben.
Am 26. September können die Berliner nicht nur über den neuen Bundestag abstimmen, sondern auch über einen lokalen Volksentscheid: Sollen große Immobilienkonzerne gegen Entschädigung vergesellschaftet werden? Mein Vorschlag wäre, die Frage ehrlich zu formulieren: Soll Berlin Zigmilliarden Euro für Immobilien ausgeben, ohne dass dadurch nur eine einzige neue Wohnung entsteht?
Was für Menschen in Hamburg, Düsseldorf oder München vermutlich wie ein Witz klingt, ist in der Hauptstadt vollkommen ernst gemeint. Die Linke unterstützt die Pläne, ebenso Bettina Jarasch, die grüne Spitzenkandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin, die mit dem Wahlkampfslogan antritt: »Mehr Bullerbü mitten in der Hauptstadt.« Umfragen zeigen, dass knapp die Hälfte der Wahlberechtigten beim Volksentscheid mit Ja stimmen will. »Enteignet die Spekulanten« – die Hausbesetzer-Folklore kommt in den Innenstadtbezirken offenbar gut an.
Kein Zweifel, dass Berlin ein Wohnungsproblem hat. In zehn Jahren ist die Stadtbevölkerung um etwa 200.000 Menschen gewachsen. Trotzdem hat Berlin das Bauen verteuert und gebremst. Bauwillige verzweifeln an der desolaten Bürokratie. In Tempelhof leistet man sich eine riesige Spaß- und Spielwiese auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens, nicht mal ein Randstreifen darf nach einem Volksentscheid bebaut werden, der alte Terminal müsste dringend saniert werden. Und dann auch noch der Mietendeckel: Als das Bundesverfassungsgericht im März einschritt und das rot-rot-grüne Gesetz für nichtig erklärte, war das Angebot an Mietwohnungen in Berlin laut einer Vermieter-Umfrage bereits um die Hälfte eingebrochen.
Die Initiatoren des Volksentscheids behaupten, dass die Vergesellschaftung der Wohnungskonzerne zwischen 7,3 und 13,7 Milliarden Euro kosten würde. Was Leute halt so sagen, die sich in Teilen der vom Verfassungsschutz beobachteten »Interventionistischen Linken« zurechnen und bei denen es sich laut einer beteiligten Gewerkschafterin vor allem um »eitle Berufsquatscher« handelt, wie der »Tagesspiegel« berichtete. Realistischer scheint mir die Schätzung des Berliner Senats zu sein, sie reicht von 30,1 bis 38,4 Milliarden Euro. Das wäre mehr als der gesamte Jahresetat für 2022. Man stelle sich vor, Berlin würde einen Teil dieser Summe ausgeben, um neue Sozialwohnungen zu bauen und Normalverdienern günstiges Land zur Verfügung zu stellen. Die Not hätte ein Ende.
Grüne und Linke behaupten, Spekulanten seien für den Wohnungsmangel verantwortlich. Dabei ist es genau umgekehrt. Es ist der Wohnungsmangel, der die Spekulanten nährt.
Berlins fatale Hausbesetzer-Folklore - Spiegel
Ebenfalls im Spiegel äussert sich Christian Stöcker zur irrationalen Ablehnung von Gentechnik.
In einem diese Woche in »Nature« erschienenen Artikel mahnen die Vorsitzenden eines internationalen Zusammenschlusses von Fachleuten, der sich nur »Scientific Group« nennt: »Eine von zehn Personen ist unterernährt. Jede vierte ist übergewichtig. Mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung kann sich keine gesunde Ernährung leisten.« Das Ernährungssystem der Welt brauche eine Neuorganisation: »Politisch, institutionell, sozial, wirtschaftlich und technologisch.«
Vor allem im letzten Wort versteckt sich ein Dilemma für weite Teile der deutschen Parteienlandschaft. Denn was schon in dem Artikel sehr deutlich wird: Nur mit kleinen Biobauernhöfen und ökologischem Landbau wird man das Ernährungsproblem der Menschheit nicht lösen.
Mit der Frage »Wie ernährt man zehn Milliarden Menschen?« beschäftigen sich Wissenschaftler schon länger, aber in den westlichen Industrienationen wird das Problem im politischen Alltag weitgehend ignoriert. Was viel damit zu tun hat, dass einige wichtige Lösungsansätze gerade in Deutschland politisches Kassengift sind.
Ein internationales Beispiel für die dogmatische Arroganz westlicher Gentechnikfeinde ist die Ablehnung von gentechnisch erzeugtem »goldenen Reis« – der kann Menschen, vor allem Kindern, das Augenlicht oder gar das Leben retten, wird aber erbittert bekämpft.
Die Angst der Parteien vor dem Fortschritt - Spiegel
Juli Zeh gehört zu den Personen, die ich besonders interessant finde, weil mich ihre Äusserungen regelmäßig positiv überraschen und gleichzeitig herausfordern. Ich mag es, wenn man Menschen nicht so klar einordnen kann. Nun hat sie der Augsburger Allgemeinen ein Interview gegeben, welches wieder Äusserungen in dieser Bandbreite erhält.
Ich mag den Begriff „Spaltung“ nicht besonders. Er impliziert ja gleich wieder Apokalypse und Gefahr. Man kann auch erst einmal feststellen: Es sind sehr andere Lebensräume mit sehr unterschiedlichen Wertvorstellungen. Das ist nicht nur in Deutschland so, man kann es in vielen anderen Ländern genauso beobachten. Diese Unterschiedlichkeit verpflichtet uns dazu, einander zuzuhören und uns gegenseitig ernst zu nehmen. Was man nicht machen darf, ist, sich grundsätzlich gegenseitig für Vollidioten halten. Dann kommt es tatsächlich irgendwann zu einer gefährlichen Spaltung. Andersartigkeit ist spannend und nicht prinzipiell gefährlich. Diesen Satz sollten wir uns alle jeden Tag einmal sagen.
Wenn man sehr streng sein will, könnte man sagen: Das mit dem Wir-Gefühl ist im Grunde ein ziemlich demokratiefeindlicher Slogan. Gerade in Deutschland sollte man traditionell vor Wir-Gefühlen eher Angst haben. Entscheidend ist vielmehr ein offener und respektvoller Diskurs. Ein Gespräch unter Erwachsenen. Das sorgt für Ausgleich, es motiviert Menschen, es sorgt für Kreativität. Zusätzlich brauchen wir noch Optimismus, eine positive Vision, ein freundliches Bild von Zukunft, für das wir uns anstrengen wollen.
Momentan wurde der sogenannte Klassenkampf – also das Streiten verschiedener sozialer Schichten um einen fairen Ausgleich – durch eine Art Kulturkampf ersetzt. Es geht nicht mehr hauptsächlich um die Frage, wie viel ehrliche Arbeit wert ist, wie viel Geld man im Monat für eine Familie mindestens braucht, was Wohnen kosten darf, ob wir tatsächlich echte Bildungschancen anbieten, ob wir die schwer arbeitende Bevölkerungsschicht wirklich respektieren; wie viel Rente man gewähren muss und so weiter. Stattdessen geht es viel darum, was man denken soll, wie man reden soll, wie man leben soll. Letzteres ist aber nicht Politik im engeren Sinn. Die soziale Frage verschwindet nicht, indem man sie ignoriert. Sie bleibt bestehen. Die Gefahr, dass rechte Parteien dieses Potenzial für sich entdecken, ist sehr groß.
Interessant ist, dass ich in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer gefragt wurde, warum ich eigentlich Schriftstellerin sei, wo doch Sprache und Wörter sowieso nichts ändern könnten und man nur in der aktiven Politik wirksam und mächtig sei. Es galt: Handeln ist Gold, Reden ist Blech. Nun haben wir plötzlich eine Phase, wo Sprache und Wörter für alles das Problem und auch gleich die Lösung sein sollen. Aber beide Ansichten sind zu extrem und deshalb falsch. Die Wahrheit liegt wie meistens in der Mitte. Und diese Mitte hat Platz für viele Dinge – für respektvolles Sprechen, aber auch für Kunstfreiheit.
Juli Zeh: „Wir-Gefühl? Ein demokratiefeindlicher Slogan“ - Augsburger Allgemeine
Wenn Jana Hensel Maxim Biller interviewt, kann das nur Ergebnis nur hochinteressant sein. Genau das ist es auch.
Das tue ich nicht. Nur haben Sie gerade gesagt, ich sei ein guter Schriftsteller und ein schlechter Essayist. Und vielleicht haben Sie sogar recht. Oder die Leute vom Reclam-Verlag haben recht, die eine Sammlung meiner Essays letztes Jahr als kleines, gelbes Reclam-Taschenbuch herausgebracht haben, was in Deutschland immer ein bisschen nach Klassik riecht. Wir beide werden nie wissen, ob etwas wirklich gut ist. Das entscheidet sich erst in vielen Jahren.
Fritz J. Raddatz hat mir, als er mich noch mochte, einmal folgende Geschichte erzählt: Franz Marc stand in einem Museum vor einem seiner Bilder mit blauen Pferden. Da rief eine alte Dame neben ihm: "Unverschämtheit! Warum sind denn diese Pferde blau?" Woraufhin sich Marc zu ihr beugt und sagt: "Mit Verlaub, gnädige Frau, das sind keine Pferde." Genauer lässt sich das Verhältnis zwischen Literatur und Wirklichkeit nicht beschreiben.
Biller:
Mir ging es darum, dass gefordert wurde, der Verlag solle Lindemanns Gedichtband nicht veröffentlichen. Es entstand digital und dadurch auch analog ein geistig-moralischer Druck, den auch ein Autor in der DDR oder der Tschechoslowakei gekannt hat.
ZEIT ONLINE: Aber das ist wiederum ein neurechtes Argument. Eine Schriftstellerin wie Monika Maron argumentiert auch, Gendersternchen erinnerten sie an die Sprechverbote in der DDR.
Biller:
Woher soll ich denn wissen, dass Marons Argumente die gleichen wie meine sind? Sie können sagen, warum mein Argument falsch ist, aber Sie können mein Argument nicht dadurch aushebeln, indem sie sagen, genau das habe auch jemand gesagt, der indiskutabel sei. Kunst und geistiges Leben müssen vollkommen frei sein.
"Ich bin doch nicht Günter Grass!" - Die Zeit
Sehenswertes gab es auch wieder. Meiner Meinung nach muss man Menschen nur frei sprechen lassen und man erfährt alles über sie. Im Rahmen eines Triells während der langen Nacht der “Zeit” offenbarte Jan Böhmermann nicht nur sein hochproblematisches Verhältnis zu Presse-/ und Meinungsäusserungsfreiheit, sondern bewies auch, dass er intellektuell mit Markus Lanz und Giovanni di Lorenzo nicht ansatzweise mithalten kann.
Der “Spiegel” (Schon wieder, ich weiss.) hat Robert Habeck und Markus Söder in einem “Duell der Herzen” gegeneinander antreten lassen und das Ergebnis zeigt erneut, dass sowohl die Grünen als auch die CDU die falschen Kandidaten aufgestellt haben.
Kultur
Coverversion der Woche: The Black Crowes - Hard To Handle
Das Album “Shake Your Money Maker” kaufte ich mir damals direkt nach seinem Erscheinen im Jahr 1990. Einer der besten Songs darauf ist die Coverversion eines meiner Lieblingssongs, nämlich “Hard To Handle” von Otis Redding aus dem Jahr 1968. Das Original ist ein Meisterwerk, die Version der Black Crowes eine der besten Coverversion, die ich kenne.
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