Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #61
Dass der Klimawandel real ist, weiß jeder, der sich mit den wissenschaftlichen Fakten beschäftigt. Die Frage, welche Werkzeuge zur Bekämpfung wirksam und auch angemessen sind, ist in einer demokratischen Gesellschaft selbstverständlich Teil der Debatte, auch wenn das manchen nicht gefällt.
Die gestrige “Phoenix Runde” zum Thema Klimapolitik zeigte leider erneut, wie groß das Problem aktivistischer Wissenschaftler ist. Mir stellt sich nach dieser Sendung die Frage, warum zum Beispiel Maja Göpel und Fritz Vahrenholt in Diskussionssendungen nicht als Aktivisten vorgestellt werden.
Ursprünglich war mir das Phänomen ideologisch motivierter Wissenschaftler in den sozialen Medien aufgefallen, wo vor allem Politikwissenschaftler und Ökonomen teilweise hochgradig unseriös wissenschaftliche Erkenntnisse mit persönlicher Agenda vermischen. Dem Laien fällt das nicht auf, was dieses Verhalten sehr gefährlich macht. Inzwischen finden diese Leute allerdings auch in den Medien statt, was das Gefühl der Beunruhigung nicht kleiner werden lässt.
Die nächste Ausgabe des Newsletters wird am 10.09.2021 erscheinen.
Neuen Abonnenten empfehle ich die “About”-Seite. Wer mir in den sozialen Medien folgen möchte, findet Vernetzungsmöglichkeiten auf meiner Website. Bei Twitter kann man zusätzlich die #FreeBlackTwitterGermany-Liste für schwarze Meinungsvielfalt im deutschsprachigen Raum abonnieren.
Nun aber los.
Heute geht es unter Anderem um die Lastenrad-Debatte, Klimaschutz und ein Jubiläum.
Willkommen im Club!
Wurde Ihnen diese Ausgabe weitergeleitet? Melden Sie sich für “Marcellus Maximus meint.” an, um den wöchentlichen Newsletter und weitere Artikel bequem über Ihr Emailpostfach zu empfangen.
Politik und Gesellschaft
Dieter Hallervorden hat sich während der Vorstellung des neuen Programms seines Schloßparktheaters gegen die Verwendung von Gendersprache ausgesprochen und betont, dass sein Haus dies nicht nutzen werde. Den, in heutigen Debatten leider häufig geäußerten Vergleich mit totalitären Systemen, halte ich, bei aller Zustimmung zum Standpunkt, für eine Verharmlosung dieser und somit für so unnötig wie indiskutabel
"Das Schlosspark Theater wird, so lange ich da ein bisschen mitzumischen habe, sich am Gendern nicht beteiligen", sagte Theaterbetreiber über seine Bühne in Berlin. "Allen Mitarbeitern steht es natürlich frei, das zu handhaben, wie sie möchten. Aber alles, was von Seiten des Theaters herausgegeben wird, wird nicht dazu dienen, die deutsche Sprache zu vergewaltigen", so der 85-Jährige bei der Vorstellung des Spielplans 2021/2022.
"Natürlich entwickelt sich Sprache", sagte Hallerorden. "Aber sie entwickelt sich nicht von oben herab auf Befehl. Es hat in der letzten Zeit nämlich zwei Versuche gegeben. Einmal von den Nazis und einmal von den Kommunisten. Beides hat sich auf Druck durchgesetzt, aber nur temporär – und zwar auf Zwang."
Hallervorden hält Gendern für eine "Vergewaltigung" der Sprache - T-Online
Die neueste Forderung der Grünen, eine Kaufprämie für Lastenräder einzuführen, ist nicht nur absurd, sie hat auch zu sehr guten Artikel geführt. Einen schrieb Klaus Stratman für das Handelsblatt.
Die Forderung, eine Kaufprämie in Höhe von 1000 Euro für privat genutzte Lastenräder einzuführen, hat in den vergangenen Tagen deutlich gemacht, dass sich diese Erkenntnis noch nicht durchgesetzt hat. Man muss kein Experte sein, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass die CO2-Einspareffekte, die sich mit einem privat genutzten Lastenrad erzielen lassen, sehr überschaubar sind.
Die Debatte ums Lastenrad offenbart ein grundsätzliches Problem: Wenn die Politik die Wahl zwischen einem schönen Symbol und einer effizienten Lösung hat, tendiert sie zum schönen Symbol. Das kostet eine Menge Geld und dient nur begrenzt dem Klimaschutz.
Gigantische Geldverschwendung im Klimaschutz ist vermeidbar. Am Anfang aller Überlegungen sollte der CO2-Preis stehen, an seiner Lenkungswirkung besteht kein Zweifel. Daneben muss es zwar auch noch Förderprogramme und Regulierung geben. Förderungen wie Kaufprämien und Steuervergünstigungen muss man aber nach ihrem CO2-Einspareffekt bewerten.
Die nächste Bundesregierung ist gut beraten, den CO2-Preis in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen zu rücken. Sie sollte sich hüten, Programme aufzulegen, die möglicherweise das Wohlbefinden Einzelner steigern, deren Klimaschutzeffekt aber gegen null tendiert.
Macht Schluss mit der symbolischen Klimapolitik! - Handelsblatt
Einen weiteren, in dem vor Allem die Klassenfrage behandelt wird, die in der Debatte bisher nur am Rande diskutiert wird, schrieb Yasmine M'Barek in der Zeit. Auch wenn ich nicht in allen Punkten zustimme, halte ich das Thema für wichtig. Ein Fahrrad für 6000 Euro ist auch mit Subvention für viele Menschen keine Option und bei der Verkehrswende muss die Mehrheit der Bevölkerung erreicht werden.
Das muss man auch gar nicht, um festzustellen, dass es zu kurz gedacht ist, auf das Lastenrad zu setzen. Wenn über klimafreundliche Mobilität diskutiert wird, dann spricht darüber die Mittelschicht. Sie diskutiert darüber, wie verwerflich die Anschaffung eines Autos ist, oder dass E-Scooter ein Unding sind. Es endet in Klassismus.
Die Argumente bleiben gleich: Klima, Gesundheit und die saubere Stadt. Wer etwa Elektroroller oder das Auto bevorzugt, scheint per se schlechter zu sein, das Allgemeinwohl nicht zu priorisieren. Diese Gedanken können sich nur Menschen leisten, die sich überhaupt so ein Rad leisten können.
Am Ende bedient es die eigene Moral oder Wut, weil man ja das Richtige meint, die anderen sind halt nur nicht so selbstlos. Beide Seiten stürzen sich dabei in eine Ekstase der Unmöglichkeit, sie reizen diese symbolische Debatte aus. Die einen glorifizieren das Lastenrad, die anderen vermuten einen links-grünen Glaubenskrieg hinter der Verteidigung eines Dreirads. Die anderen, die nicht an solchen Diskussionen teilhaben, die hören sowieso nur einen dumpfen Schall.
Die öffentlichen Verkehrsmittel. Die Frage nach leistbaren Alternativen, die Verlässlichkeit für jene, die keine andere Wahl haben, und gleichzeitig die komfortable Alternative, um Autofahrern etwas zu bieten. Wieso bedient sich eine Partei wie die Grünen, die die Regierung stellen möchte, mit dem Lastenrad einer solchen Klientelsymbolik? Die Grünen wollen ja auch Bus und Bahn stärken, warum machen sie das nicht zu ihrem Wahlkampfschlager?
Die Lösung ist übrigens ziemlich einfach und naheliegend. Niemand braucht plakative Debatten, meist angestoßen von jenen Mittelschichtlern, die die Grünen wählen, welche die Grünen wiederum gerne aufnehmen. Dort braucht es diese Energie, weil der vielleicht zukünftige Koalitionspartner, die Union, in den vergangenen Jahren versagt hat: im Schienen- und ÖPNV-Ausbau, vor allem in den äußeren Bezirken der Großstädte. Vielleicht sollte man erkennen, dass die Eltern aus Köln Lindenthal einen bereits wählen, auch ohne Subvention. Dann darf das Lastenrad einfach sein, ohne Groll, aber der Rest muss sich nicht schämen, es zu meiden.
Gerald Braunberger schreibt im Rahmen der Lastenrad-Debatte über die Tatsache, dass Deutschland in Gefahr ist, bei der Mobilitätswende abgehängt zu werden.
Am 6. September 1996 unterzeichneten die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz einen Staatsvertrag. In ihm trafen sie Voraussetzungen für einen leistungsfähigen Bahnverkehr im Rahmen der Entwicklung transeuropäischer Schienennetze. Während die Schweiz im September vergangenen Jahres mit dem im Tessin gelegenen Ceneri-Basistunnel ihre Bauarbeiten abschloss, bleibt Deutschland gleich um Jahrzehnte im Verzug. Denn der zugesagte vierspurige Ausbau der Rheintallinie dürfte nicht zuletzt wegen des Widerstands zahlreicher Bürger aus heutiger Sicht frühestens im Jahre 2041 abgeschlossen sein.
Diese Verzögerung ist kein Einzelfall. Auch andere europäische Bahnprojekte kommen wegen Widerständen aus Deutschland nicht voran. Während Italien und Österreich am Brenner-Basistunnel bauen, durch den ab dem Jahre 2030 Hochgeschwindigkeitszüge fahren sollen, verhindern in Deutschland Proteste von Bürgern den für das Brenner-Projekt notwendigen vierspurigen Ausbau der Bahnstrecke durch das Inntal. Die Neubaustrecke zwischen Berlin und München, seinerzeit als größtes Infrastrukturprojekt in der Geschichte der Deutschen Bahn gefeiert, brauchte 26 Jahre bis zur Vollendung, aufgehalten nicht nur durch Bürgerproteste, sondern auch durch allerlei Ungereimtheiten in Planung und politischer Implementierung.
Verhinderte oder verzögerte Schienenprojekte bilden nur ein Beispiel für eine blockierte Republik, in der sich entschlussschwache Politiker und Veränderungen scheuende, aber gerne moralisierende und leicht zur Empörung neigende Bürger scheinbar heimelig eingerichtet haben. Dieser Zustand ist trügerisch. Es reicht nicht, als Politiker eine großzügige Finanzierung öffentlicher Investitionen in ein Wahlprogramm zu schreiben, ohne über konkrete Vorhaben zu sprechen. Wer den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung in Deutschland deutlich steigern will, muss zusehen, wie der Strom zum Verbraucher gelangt. Da die Erzeugung und die Nutzung geographisch immer mehr auseinanderfallen, bedarf es eines zupackenden Ausbaus leistungsfähiger Netze. Doch so einfach ist es in der Praxis nicht: Ein rascher Netzausbau kommt wegen des Widerstands vieler Menschen, die nicht selten den Abschied von fossilen Energieträgern fordern, nicht recht voran. Am Geld fehlt es nicht, wohl aber am Willen und an der politischen Durchsetzungskraft.
Auch nicht einzusehen ist, warum die Politik zusieht, wie eine Spartengewerkschaft der Deutschen Bahn den Schienenverkehr in Deutschland zum Nachteil vieler Millionen Menschen lahmlegt. Eine saubere ordnungspolitische Lösung erlaubte mehr Wettbewerb auf der Schiene. Die in Deutschland vor allem von der Union und der SPD vertretene Einheit von Schienennetz und Bahnbetrieb wurde in anderen Ländern lange überwunden. Eine Trennung von Netz und Bahnbetrieb eröffnete Konkurrenten der Deutschen Bahn Marktchancen und den Nutzern der Eisenbahn alternative Angebote.
Der Wind des Wandels, der die Welt erfasst hat, wird Deutschland nicht verschonen. Die materiellen und intellektuellen Ressourcen sind zweifellos vorhanden, um die Herausforderungen der Zukunft anzugehen; es bedarf aber auch der Bereitschaft der Menschen, Veränderungen für das eigene Leben zu akzeptieren.
Die blockierte Republik - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Bernd Stegemann hat sich in einem Artikel für den Cicero mit linker und rechter Identitätspolitik beschäftigt.
Linke Identitätspolitik etabliert im Gegensatz zur rechten eine komplizierte Wutkultur. Sie muss die Thymos-Spannung der Opfer hochhalten und immer wieder neu entfachen. Zugleich muss sie die wütenden Reaktionen der Mehrheitsgesellschaft abwehren, indem sie diese wie in einer japanischen Kampftechnik auf sie selbst zurückwendet. So erklärt sich, warum sich beide Identitätspolitiken gegenseitig befeuern.
Die rechte Wut wird nicht als Ausdruck sozialer Probleme ernst genommen, sondern soll vor allem eine Gefahr für linke Identitäten sein. Rechte Wut wird zum individuellen Charakterfehler erklärt, während linksidentitäre Wut Ausdruck der falschen Verhältnisse ist. Mit diesem doppelten Standard werden permanent neue Konflikte produziert. Denn es werden nicht nur alle nicht-linksidentitären Wutkollektive provoziert, sondern es wird ebenso der Universalismus und Gleichheitsanspruch der bürgerlichen Milieus bekämpft.
Um in diesem Wechselspiel Sieger zu bleiben, wendet die linke Identitätspolitik ihre Paradoxien immer radikaler an. Jeder Versuch, auch die rechte Wut als Teil des politischen Spektrums zu verstehen, wird kategorisch abgelehnt. Wer die „Sorgen der Bürger“ ernst nehmen will, macht sich in ihren Augen bereits verdächtig.
Der einfache Grund, warum linke Identitätspolitik ihre doppelten Standards so vehement durchsetzen will, besteht in ihrem politischen Machtanspruch. Würde die Wut der „weißen Menschen“ nicht als Beweis ihrer Schuld angesehen, sondern als verstehbares Aufbegehren anerkannt, bräche das Fundament linker Identitätspolitik zusammen. Ihre doppelten Standards sind das Betriebsgeheimnis ihres Erfolgs. In jedem einzelnen ihrer Argumente finden sie sich wieder.
Darum droht die größte Gefahr für sie inzwischen nicht von der Seite der rechten Wut, sondern von der Seite, die ihren strategischen Einsatz der Doppelstandards öffentlich kritisiert. Die Wut linker Identitätspolitik richtet sich immer stärker gegen die neutrale Position des Universalismus. Die raffinierteste Abwehr besteht darin, den Universalismus zum Partikularismus der „weißen Menschen“ zu erklären.
Bei dem Projekt der woken Wutkultur geht es nicht um einen Plan, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, sondern es geht um die Lust an der inflationären Empörung. Wer sich gekränkt fühlt und es schafft, seiner individuellen Kränkung eine allgemeine Gültigkeit zu geben, ist nicht nur berechtigt, seine Wut öffentlich auszuleben, er wird dafür sogar noch belohnt.
Gelten die Affekte der Rache ansonsten als bedenkliche Zeichen von Zivilisationsverlust, so ist die wütende Stimme, die aus einer Opferperspektive nach Vergeltung ruft, ein anerkannter Beitrag zur Öffentlichkeit. Jedes Medium, das im Markt der Aufmerksamkeit mithalten will, braucht inzwischen mindestens eine wütende Opferstimme unter seinen Beiträgern.
Dass die Behauptung, eine marginalisierte und darum übersehene Opferposition zu bekleiden, spätestens in dem Moment zur Lüge wird, wo sie regelmäßig in einem überregionalen Medium erscheint und vielfältigen Zuspruch erhält, wird ausgeblendet. Getreu der alten Lehre zum Machterhalt befolgen die Verwalter der Opfer-Wut den Ratschlag: Wenn du herrschen willst, musst du es im Gewand des Dieners tun.
So hat der öffentliche Wettbewerb zwischen rechter und links-woker Identitätspolitik einen klaren Sieger. Und damit findet die paradoxe Methode der linken Identitätspolitik ihre abschließende Formel. Solange sie es schafft, genügend Nachschub an Empörung zu generieren, und solange ihre Wut als legitimer Ausdruck der Unterdrückten erscheint, solange behält sie die Macht über die Regeln der öffentlichen Kommunikation.
Das Geschäftsmodell der Opfer-Wut - Cicero
Zum Ende der Rubrik wieder Sehenswertes. Das ZDF hat ein meiner Meinung nach geniales Sendungskonzept entwickelt, von dem ich hoffe, dass es sich hält. Im Format “Auf der Couch” treffen sich zwei Personen, die politisch unterschiedlicher Meinung sind im Setting einer Paartherapie und müssen sich unter Aufsicht eines promovierten Psychologen zusammenraufen. Dies geschieht im Rahmen bestimmter Aufgaben. In der ersten Sendung sind Carla Reemtsma (Fridays For Future) und Jan Fleischhauer zu Gast. Mir gefällt das Format deshalb so gut, weil die einzige Möglichkeit das Verständnis für die Gedankenwelt Andersdenkender ist. Um zu verhindern, dass die Gesellschaft irgendwann auseinanderfliegt, muss man miteinander sprechen. Dass das ZDF sich darum nun endlich auch bemüht, freut mich sehr.
Kultur
Coverversion der Woche: Datasette - Sing
Gestern vor 30 Jahren erschien "Leisure", das Debütalbum von Blur. Ich war damals gerade in London und bei HMV fiel mir dieses Cover auf. Ich kaufte die Platte, ohne sie vorher gehört haben. Eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Dazu passt natürlich die Datasette-Coverversion des Songs “Sing” aus dem Jahr 2008. Das Original ist auf dem erwähnten Album von 1991 zu finden, welches meine bis heute andauernde Hochachtung für Blur auslöste.
Wenn Ihnen diese Ausgabe gefallen hat, leiten Sie sie gern an Freunde, Bekannte oder Familienmitglieder weiter. Vielen Dank im Voraus!