Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #58
Das Sommerloch ist noch nicht zugeschaufelt. Man liest Artikel, die sich mit der Notwendigkeit der Abschaffung rassistischer Vogelnamen oder damit beschäftigen, dass der Bundesgerichtshof mit der Verpackung von Lindt-Hasen belästigt wird. Mein Lieblingssatz aus diesem Artikel:
„Hersteller von Schokoladenhasen werden jetzt sehr vorsichtig sein müssen, wenn sie die Farbe Gold bei Schokoladenhasen verwenden wollen. Denn diese ist nun als Marke für Schokoladenhasen geschützt“, erklärt Nikolas Gregor, Rechtsanwalt und Partner bei der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland.”
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Nun aber los.
Heute geht es unter Anderem um Banausentum, Begriffe und Blasiertheit.
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Politik und Gesellschaft
Die Kritik am WDR reisst nicht ab. Als größte Sendeanstalt der ARD sollte sie diese nicht länger ignorieren.
Schön ist’s nicht, was Simone Standl in der „Bild am Sonntag“ gegen den WDR vom Stapel ließ. Der Sender wolle sich „krampfhaft neu aufstellen und diverser werden“, so die Moderatorin. Deshalb blieben nicht nur die treuen Stammzuschauer auf der Strecke, sondern auch die eigenen Mitarbeiter. Die Moderatorin wurde gerade nach 17 Jahren „Lokalzeit“ durch Sümeyra Kaya ersetzt. Standl sagt, sie wisse bis heute nicht, was hinter ihrer Abberufung steckt, und wirft dem WDR „unehrliches Geschwurbel“ vor.
Die Baustellen reichen von der mangelhaften Hochwasser-Berichterstattung bis Twitter, wo die Leiterin des WDR-Studios in Essen – Georgine Kellermann – den jüdischen Autor Hendryk M. Broder jüngst einen „alten, weißen Faschisten“ nannte.
Alles nur blöd gelaufen? Oder zeigt sich an all den kleinen wie großen Vorfällen und Ausfällen beim WDR, dass sich das gesamte System gerade selbst überlebt? Und was macht eigentlich Tom Buhrow? Dass der WDR-Intendant und aktuelle ARD-Vorsitzende nicht willens wäre, Wogen zu glätten, wenn mal wieder Unschönes beim WDR passiert, kann man ihm nicht vorwerfen. Man denke nur an die Diskussion um das unsägliche „Umweltsau“-Video. Das allein reicht aber nicht.
Der WDR ist kein freischwebendes Unternehmen. Der WDR ist die größte ARD-Sendeanstalt. Damit verbunden ist auch eine gewisse Vorbildfunktion nach innen wie außen. Wenn der WDR nicht funktioniert, funktioniert in den Augen der Beitragszahler der gesamte öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht. Ein erster Ansatz, das Tohuwabohu zu stoppen, wäre wohl eine kritische Analyse, ob die richtigen Leute an den richtigen Stellen sitzen: von der „Lokalzeit“ in Köln bis zum WDR-Studio in Essen.
Tohuwabohu beim WDR: Tom Buhrow, übernehmen Sie! - Meedia
Im Zuge der Diskussion um Coronaimpfungen wird auch darüber gestritten, wie in Zukunft mit Ungeimpften umzugehen ist. Oft wird von einer “Impfpflicht durch die Hintertür” gesprochen, was ich für absurd halte. Wenn sich Veranstalter, Gastronomen und andere private Akteure dafür entscheiden, nur noch Geimpften Zutritt zu gewähren, mag das nicht jedem gefallen, ist im Rahmen der Vertragsfreiheit aber ihr gutes Recht. Bei staatlichen Stellen und Unternehmen sieht das ganz anders aus. Auch Wolfgang Kubicki hat sich in einem Gastbeitrag mit diesem Thema beschäftigt.
Der Staat unterbreitet ein großzügiges Angebot, wer dies nicht wahrnimmt, muss ab dem Zeitpunkt, an dem jeder dieses Angebot wahrnehmen konnte, selbst das Risiko tragen. Der Staat hat nicht die Aufgabe, den Menschen das individuelle Lebensrisiko abzunehmen. Diese Übergriffigkeit wäre verfassungswidrig, es widerspräche klar dem freiheitlichen Grundgedanken unseres Grundgesetzes. Freiheit ist nun einmal ohne Risiko nicht zu haben, so hart es für manche klingen mag.
Persönlich halte ich das Impfen für vernünftig, es verhindert recht zuverlässig, dass man schwer erkrankt oder durch das Virus gar zu Tode kommt. In einem freiheitlichen Gemeinwesen muss ich aber akzeptieren, dass Menschen dies anders sehen und eine andere Entscheidung treffen. Diesen Menschen muss der Staat ebenfalls zur Seite stehen und sie nicht aktiv ausgrenzen. Sie übernehmen selbst die Verantwortung für ihre Gesundheit – wie übrigens auch diejenigen, die sich impfen lassen.
Ich hatte die Bundesregierung vor einigen Wochen gefragt, ab welcher Quote von Geimpften und Genesenen die rechtliche und ethische Legitimationsbasis für allgemeine Grundrechtseingriffe wegfällt. Die Antwort lautete: Die Grundrechtsbeschränkungen würden erst aufgehoben, sobald es die epidemiologische Lage zulässt. Die Bundesregierung scheint keine Eile zu haben, Grundrechtsbeschränkungen für alle Bürger aufzuheben.
Noch vor wenigen Tagen erklärte die Bundeskanzlerin vor der Hauptstadtpresse, dass das eigentliche Ziel ihrer Corona-Politik sei, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Hiervon hat sich ihr Kanzleramtsminister jetzt verabschiedet. Braun machte deutlich, dass es jetzt darum geht, Grundrechte erster und zweiter Ordnung auszugeben. Dass die Bundesregierung damit die Axt an die Grundfesten unserer Verfassungsordnung legt und eine Spaltung der Gesellschaft heraufbeschwört, nimmt sie entweder nicht mehr wahr – oder sie nimmt es in Kauf. Beides kann uns nicht beruhigen.
Benachteiligung von Ungeimpften wäre verfassungswidrig - Tagesspiegel
In der letzten Ausgabe hatte ich über die Kontroverse bezüglich Denis Schecks Sendung “Anti-Kanon” berichtet. Frank Hertweg, Literaturchef des SWR hat sich dazu in einem Interview geäussert.
Es erinnert daran, was wir alle mal gelesen und für gut befunden haben, wie Latzhosen oder Schulterpolster. Das wird jetzt kritisch überprüft: Beispiel Svende Merian und Christa Wolf. Oder es werden mehr oder weniger große Namen der Literaturgeschichte wiedergelesen, siehe Stefan George, siehe Johannes R. Becher. Scheck sichtet kritisch erfolgreiche Gegenwartsbelletristik und er erinnert daran, was Bücher auch sein können, nämlich Ausgangspunkte großen Unheils. Was das Format darüber hinaus leistet, ist der Versuch, verschiedene Kriterien des Misslungenen, des Schlechten, zu liefern. Keiner der einzelnen Verrisse analysiert nur ein Buch, sondern entwickelt gleichzeitig eine Theorie des Schlechten in progress. Und, Stichwort Unterhaltung, die Texte sind scharfzüngig und mit viel Esprit formuliert.
Rauch und Feuer – da liegt die Assoziation Bücherverbrennung nah. Bücher sollten nicht brennen. Warum konnte der Eindruck entstehen?
Weil die narrativen Kontexte, in denen Bilder stehen, ausgeblendet werden. Wer sich in der Geschichte des Nationalsozialismus auskennt, in der NS-Literaturpolitik, der weiß, dass die Bücherverbrennung der Auftakt war für einen dann stärker institutionalisierten und individualisierten Prozess des Verbots und der Zensur von Büchern, aber eben auch der Inhaftierung von Kulturschaffenden, ihrer Vertreibung. Diese faschistische Kulturpolitik mit all ihren mörderischen Konsequenzen kann man nicht ernsthaft mit einem technischen Gimmick am Ende eines ironischen Settings in eins setzen. Ich sehe die Gefahr, dass man beim Skandalisieren der einen Seite des Vergleichs die andere Seite eher verharmlost und plädiere mit Alexander Kluge für die Kunst, Unterschiede zu machen.
"Wir wollten den 'Literaturpapst' ironisch auf die Spitze treiben" - Börsenblatt
Annalena Baerbock verwendete im Kontext einer Schilderung das Wort “Neger” und in den sozialen Medien ist die Hölle los. Mich erschreckt, wie unterkomplex diese Debatte geführt wird. Dazu krame ich mal einen genialen, etwas älteren Artikel aus der TAZ hervor, der das sehr gut behandelt.
Diese Leute haben keinen Respekt vor der Authentizität von Texten, am wenigsten bei Kinderbüchern – als ob diese, Bettina Gaus hat dies bereits geschrieben, keine Literatur wären. Für diese Leute spielt es auch keine Rolle, zu welchem Zweck jemand die inkriminierten Vokabeln benutzt. Und inzwischen ist es auch egal, ob man das Schimpfwort „Nigger“ mit einem Bann belegt und als „N-Wort“ umschreibt, oder das Wort „Neger“, welches eben nicht – siehe Martin Luther King – dieselbe Begriffsgeschichte aufweist.
So wie diese Leute eine inhaltistische Auffassung von Kunst haben, so unempfänglich sind sie für subversive Strategien wie Satire, Aneignung und Umdeutung. Man kann sich gut vorstellen, wie diese Tippex-Intellektuellen versuchen, einem Dr. Dre auseinanderzusetzen, er möge rückwirkend den Namen seiner stilbildenden HipHop-Crew in „N-Words with Attitude“ umbenennen und die Texte umschreiben („I'm a muthafuckin N-Word“). Oder wie sie auf David Simon einreden, er möge den jugendlichen Drogendealern in „The Wire“ eine anständige Sprache verpassen („Fuck them West Coast N-Words. 'Cuz in B-more, we aim to hit a N-Word, ya heard“).
Das Credo dieser Leute, die sich etwa in der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ organisiert haben und die beanspruchen, für alle „people of colour“ zu sprechen, wo sie in Wirklichkeit – etwa den Funktionären muslimischer Verbände ganz ähnlich – für wenig mehr als sich selber sprechen, lautet: „Ich bin schwarz, darum weiß ich Bescheid. Du bist nicht schwarz, darum weißt du nicht Bescheid. Mehr noch: Du bist weiß. Darum kann und wird alles, was du sagst, gegen dich verwendet werden.
Aber gut, man braucht nicht so tun, als würden diese Leute die politische Kultur gefährden. Sie haben halt etwas gefunden, mit dem sie vorzugsweise als Dozenten für Gender Studies oder Kulturwissenschaft ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Die Integrationsindustrie hat viele Jobs zu vergeben, für gewerbliche Opfer wie für gewerbliche Kritiker.
Nur haben die Critical-Whiteness-Spinner an einigen Fachbereichen die Nachfolge des trotzkistischen „Linksrucks“ oder der K-Gruppen noch früherer Tage angetreten: geschlossenes Weltbild, Auftritte in Rudelform, uniforme Redebeiträge und die totalitäre Unfähigkeit, etwas zu ertragen, das nicht der eigenen Weltanschauung entspricht.
Liebe N-Wörter, ihr habt 'nen Knall - TAZ
Konstantin Kuhle hat sich Gedanken über die Kriminalität von Zuwanderern und dem Umgang damit gemacht. Leider wird dieses Thema immer noch zu wenig sachlich diskutiert und zuviel instrumentalisiert.
Mit Blick auf die Täter wissen wir in Deutschland zu wenig. Taten wie in Würzburg führen uns noch einmal vor Augen, dass unser Land vor allem angesichts der hohen Zuzugszahlen der Jahre 2015 und 2016 auch spätere Straftäter aufgenommen hat. Ein großer Teil der damals als Schutzsuchende nach Deutschland gelangten Menschen hält sich auch weiterhin hierzulande auf.
Wer nach fünf Jahren als Geflüchteter in Deutschland durch Arbeit, Spracherwerb und Rechtstreue ein Teil unserer Gesellschaft geworden ist, der verdient Anerkennung und Unterstützung. Doch wem es nach fünf Jahren in Deutschland an ökonomischer oder sozialer Teilhabe fehlt, der gerät womöglich auf die schiefe Bahn. Wir müssen über die Entwicklung der Menschen, die 2015 und 2016 nach Deutschland gekommen sind, mehr in Erfahrung bringen, um negative Entwicklungen aufhalten zu können. Die Früherkennung von Radikalisierung sowie das psychologische und therapeutische Angebot für diese Gruppen muss dringend ausgebaut werden.
Zu einer funktionierenden Migrationspolitik gehört auch, dass Personen ohne Bleiberecht das Land wieder verlassen müssen. Schon nach dem Völkerrecht kann sich jemand, der eine schwere Straftat begeht, nicht mehr auf seinen Flüchtlingsstatus berufen. Nötigenfalls muss die Ausreisepflicht mit Zwang durchgesetzt werden. Doch bei der Verbesserung der Abschiebepraxis hapert es in Deutschland.
Wir sollten offen über Kriminalität reden - N-TV
Zum Ende Rubrik möchte ich diesmal einen Podcast empfehlen. Der von mir sehr geschätzte und jüngst zur “Welt” gewechselte Constantin van Lijnden spricht mit dem Journalismusforscher Stephan Russ-Mohl.
„Der Lockdown wurde herbeigeschrieben“ - Welt
Kultur
Mit der Serie “Dexter” begann - nach der Empfehlung eines Hamburger Bekannten - im Jahr 2006 meine Karriere als Serienjunkie. Die Serie, welche ich bis heute gern empfehle, endete nach acht Staffeln 2013 höchst unbefriedigend. Die Kritik daran riss nie ab. Nun wird der Sender “Showtime” eine zehnteilige Fortsetzung zeigen, die allerdings nicht als neunte Staffel missverstanden werden soll. Am siebten November geht es weiter und nachdem ich den ersten Trailer gesehen habe, bin ich zuversichtlich, dass sich das Anschauen lohnen wird.
Ebenfalls eine unerwartete Fortsetzung bekommt mit dem dritten Teil die beste James Bond-Parodie aller Zeiten, OSS 117. Diesmal in den Siebzigern angelegt, erwarte ich ein Feuerwerk bizarrer Gags. Bestimmt nicht jedermanns Sache, aber ich kann bis heute herzlich über die ersten beiden Teile lachen und wundere mich darüber, dass sie in Deutschland kaum jemand kennt.
Coverversion der Woche: Vitamin String Quartet - New York City Cops
Heute vor 20 Jahren erschien das Album “This Is It” der Band The Strokes, zu dem ich aus mehreren Gründen einen sehr persönlichen Bezug habe. Ich halte es zusätzlich nach wie vor für eines der besten Alben der neueren Musikgeschichte. Nicht nur, weil es Bezüge zu einigen Bands, wie The Velvet Underground oder auch den Sonics enthält, die ich schon lange höre. Es löste zudem einen Trend aus, mit dem ich dann allerdings nicht mehr viel anfangen konnte. Eine Heerschaar an Nachahmerbands, die alle ein “The” im Titel trugen und auch optisch keine eigenen Ideen hatten, konnte man größtenteils vergessen. Diese führten auch dazu, dass der Begriff “Indie” völlig verwässert wurde. Eine der Ausnahmen, die hier wie immer die Regel bestätigen, sind die Arctic Monkeys. Einer der Höhepunkte des genannten Albums ist das Stück “New York City Cops”, welches so eindringlich wie gelungen vom Vitamin String Quartet interpretiert wurde.
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