Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #57
Wenn man den begeisterten Stimmen Glauben schenkt, ist die Nachricht der Woche, dass in Frankreich bald Inlandsflüge verboten werden, wenn eine alternative Zugverbindung von höchstens zweieinhalb Stunden existiert. Davon abgesehen, dass diese entfesselte Freude über ein Verbot in mir grundsätzliches Befremden auslöst, ist diese Idee weniger gut, als es den Anschein hat.
Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein Verbot von Inlandsflügen kontraproduktiv im Hinblick auf die verkehrs- und klimapolitischen Ziele wirken kann, insbesondere weil hierdurch der Reiseaufwand steigt.
Die Modellergebnisse zeigen aber in jedem Fall, dass es keinen Automatismus hin zu weniger CO2-Emissionen allein durch das Verbot von Inlandsflügen gibt.
In Deutschland wäre sie sowieso nicht umsetzbar. Frankreich hat die entsprechende Infrastruktur und vor Allem den TGV. Hier ist die Bahn eine einzige Katastrophe und wird für Menschen, die wenig Zeit und viele Termine haben noch lange keine Alternative zum Flugzeug oder dem Auto sein. Die Fahrten sind teuer, dauern viel zu lange und die Züge sind überdurchschnittlich oft verspätet. Zudem gibt es bei der Ausbildung der Mitarbeiter starke Defizite und der Service ist unterirdisch. Da ist noch viel zu tun, bevor die vollmundig angekündigte deutsche Verkehrswende hin zur Schiene Realität wird. Meiner Einschätzung nach, wird das noch mindestens zehn Jahre dauern.
Die als politisch progressiv bekannte Eiscremefirma “Ben & Jerry’s” hat sich schon häufig kontrovers positioniert. Nun hat sie sich leider in einer Weise entlarvt, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Jan Fleischhauer hat das auf seine eigene Art auf Twitter ganz treffend formuliert:”Das Frappierende am Kapitalismus ist, dass er für jede Zielgruppe, aber auch wirklich jede, das entsprechende Produkt schafft. Jetzt neu im Programm: Eiscreme für Antisemiten.” Ich empfehle daher gern “Florida Eis” oder “Häagen-Dazs”. Nein, ich werde nicht von diesen Firmen bezahlt, sondern mag ihre Produkte wirklich.
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Nun aber los.
Heute geht es unter Anderem um Verbote, Umgangsformen und Geschichtsklitterung.
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Politik und Gesellschaft
Der lachende Laschet war diese Woche zu Recht Thema. Ich persönlich halte seinen Fehltritt und auch den Umgang damit für vielsagend. Wer sich angesichts einer der schwersten Umweltkatastrophen, die das Land je erlebt hat, am Ort des Geschehens nicht im Griff hat und meint, es sei angebracht während der Rede des Bundespräsidenten in Gelächter auszubrechen, dem fehlt es an grundlegenden Umgangsformen. Wer sich dann noch nicht einmal für sein Verhalten entschuldigt, sondern nur den entstandenen Eindruck bedauert, ist für das Amt des Bundeskanzlers ungeeignet. Angela Merkel hat bei ihrem Besuch nicht nur mit ihrem Verhalten gegenüber Malu Dreyer das nötige Taktgefühl bewiesen. Ich habe noch nie die CDU gewählt, bin mir aber sicher, dass man Angela Merkel noch vermissen wird.
Niemand verlangt von Politikern, ständig mit bitterernster Miene durchs Land zu laufen. Aber wenn Politiker in Katastrophengebieten auftreten, sich ein Bild machen, Mitgefühl ausdrücken und Hilfe versprechen - dann gibt es keine Nebensachen, die ablenken dürfen. Dann darf es keinen Moment ohne volle Konzentration geben, keinen Moment, der inmitten von Leid und Tod peinlich unernst wirkt. Zwar sind inzwischen Videos aufgetaucht, die auch Steinmeier lächelnd zeigen, während Laschet spricht. Es ist jedoch kein so albernes Lachen wie beim Ministerpräsidenten.
Politiker müssen nicht mit den betroffenen Menschen weinen, das kann schrecklich anbiedernd sein. Aber gleichsam Bedingung für die Nähe zu den Opfern ist in solchen Politiker-Momenten die absolute Selbstkontrolle: Um es den geschlagenen Menschen leichter zu machen, ihre eigene Würde zu wahren. Um den Opfern und dem ganzen Land zu zeigen, wie ernst die Lage genommen wird, wie ernsthaft an schneller Hilfe gearbeitet wird. Es sind Gesten, ja, aber sie zählen, im Guten wie im Schlechten.
All das kann ein Moment des kindischen Kicherns kaputt machen, eben weil es auf jeden Moment ankommt. Denn dieses Lachen markiert den Kontrollverlust, der einem Spitzenpolitiker bei einem derartigen Auftritt nicht passieren sollte. Und wer sich fragt, ob damit nicht etwas Übermenschliches von Politikern verlangt wird - der möge sich auch fragen, ob Angela Merkel so etwas im ersten oder im letzten Jahr ihrer Kanzlerschaft unterlaufen wäre. Die Antwort ist: Nein.
Kichern in der Katastrophe - voll daneben! - N-TV
In der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück soll nun doch ein Denkmal für lesbische Frauen errichtet werden. Das ist von daher bemerkenswert, weil diese im Nationalsozialismus überhaupt nicht wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt wurden. Ein ähnlicher Versuch der Geschichtsklitterung wurde vor einigen Jahren bereits in Berlin unternommen, war damals allerdings nicht erfolgreich. Hier sieht es nun anders aus.
Der Initiative „Autonome feministische FrauenLesben“, die seit Jahren für das Lesben-Denkmal in Ravensbrück kämpft, geht es aber ohnehin um mehr: Sie will nicht nur an den unbestreitbaren Umstand erinnern, dass es unter den Häftlingen des Konzentrationslagers auch lesbische Frauen gab, sondern behauptet, weibliche Homosexualität sei auch ein Haftgrund gewesen.
Nun war die Situation lesbischer Frauen in der NS-Zeit durchaus prekär, denn die Nationalsozialisten lehnten auch die weibliche Homosexualität ab. Anders als in der mann-männlichen, sahen sie in der lesbischen Liebe aber keine „Staatsgefahr“. Das von Heinrich Himmler entwickelte Bedrohungsszenario, schwule Männer könnten den nationalsozialistischen „Männerstaat“ unterwandern und zerstören, traf auf Frauen nicht zu. Deswegen verzichteten die Machthaber bei der Verschärfung des Homosexuellenparagrafen 175 im Jahr 1935 auch ganz bewusst auf eine Kriminalisierung der lesbischen Liebe.
Unkorrekt wäre es, von Verfolgung zu sprechen, denn es war der erklärte Wille der NS-Machthaber, die weibliche Homosexualität straffrei zu lassen. Auch auf andere Formen der Verfolgung, so insbesondere auf die Anordnung von KZ-Haft, finden sich in den Erlassen von Gestapo und Reichssicherheitshauptamt keine Hinweise. Doch obwohl all das bekannt und anerkannt ist, bemühen sich einige lesbische und schwule Historiker seit Jahren, anhand biografischer Einzelfälle nachzuweisen, was sich im Großen nicht belegen lässt.
Bei etwa einem Dutzend (von insgesamt 130.000) Ravensbrück-Häftlingen ließen sich in Verfolgungsdokumenten Hinweise auf das Thema Homosexualität finden. In keinem dieser Fälle ist zu belegen, dass die Homosexualität der Grund der KZ-Haft war.
Der Streit um das Lesben-Denkmal ist eines von vielen Beispielen dafür, wie die Geschichte im Dienste einer neuen Opferkultur verbogen wird. Ausgehend von den Universitäten, an denen eine ganze Generation in Fragen von Gender, Queer Politics, Postkolonialismus und Intersektionalität geschult wurde, erleben wir derzeit eine emotional aufgeladene Kulturrevolte, die sich um historische Quellen und deren Kontext wenig schert.
Andere Fälle, so etwa die Umbenennung der Berliner Mohrenstraße, deren Name ein Ausdruck rassistischen Denkens vergangener Jahrhunderte sein soll, werden heiß diskutiert. Umso beachtlicher ist es, dass die vehemente Auseinandersetzung um das Ravensbrücker Gedenkzeichen fast nur in der LGBTI-Community geführt wurde – die breitere Öffentlichkeit hat diese fraglos komplexe Thematik kaum zur Kenntnis genommen. Auch deswegen konnte es den Interessenverbänden gelingen, ein solches Denkmal durchzusetzen.
Geschichte im Dienste einer neuen Opferkultur - Cicero
Einen veritablen Shitstorm fing sich der von mir sehr geschätzte Literaturkritiker Denis Scheck ein. Er stellt seit einiger Zeit in seiner Sendung “Anti Kanon” ganz in Weiß gekleidet innnrhalb eines skurrilen Settings die seiner Meinung nach schlechtesten Bücher der Weltgeschichte vor. Im Anschluss lässt er mithilfe einer Animation und in Anlehnung an den Star-Wars-Imperator einen Blitz aus den Fingern schießen und desintegriert das besprochene Werk. Als ich die Sendung zum ersten Mal sah, konnte ich mir schon vorstellen, dass sie bei den Dauerempörten nicht gut wegkommen würde. Unter Anderem deshalb, weil dort auch Säulenheilige der Linken in der Luft zerrissen werden. Nun sind einige reichweitenstarke Moralapostel auf die Sendung gestoßen und es kam wie erwartet. Mit der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten wurde der Bannstrahl verglichen. Dass die ersten Folge Adolf Hitlers Buch “Mein Kampf” zum Thema hatte, wurde geflissentlich ignoriert. Fakten stören den Furor. Der SWR knickte leider vor dem Mob ein und gelobte, die Animation in Zukunft zu ändern. Ausgerechnet die Folge mit “Mein Kampf” wurde gelöscht. Denis Scheck ist einem bestimmten Milieu schon lange ein Dorn im Auge, weil er sich völlig dem Zeitgeist entzieht. Ich hoffe sehr, dass er seine Sendung behält.
Zum Ende der Rubrik noch Sehenswertes. Zum Einen eine Diskussion mit Ijoma Mangold über sein Buch “Der innere Stammtisch”.
Zum Anderen eine Folge des SWR-Nachtcafés zum Thema “Bloß nichts Falsches sagen!” u.a. mit Harald Schmidt, Nina Proll und Judith Sevinç Basad. Hier wird demonstriert, wie man über ein kontroverses Thema sachlich diskutieren kann.
Kultur
Vor sechs Tagen starb mit Biz Markie einer meiner Lieblingsrapper. Deshalb gibt es heute keine Coverversion, sondern eine interessante Kollaboration. Im Jahr 1997 tat sich Biz Markie, der mit bürgerlichem Namen Marcel Theo Hall hieß, mit dem Produzenten Towa Tei, den die meisten wahrscheinlich aus dem Video von “Groove Is In The Heart” des Projekts “Deee Lite” kennen, zusammen. Das Ergebnis ist einer meiner absoluten Favoriten. Weitere bekannte Stücke sind sein einziger Hit “Just A Friend” und “Vapors”.
Besonders lustig ist sein Gastauftritt bei einer Spin-Off Version des Liedes “Willst Du mit mir gehen?” von Fünf Sterne Deluxe mit dem Titel “Will Smith, Meer Gayne?”.
Biz dann, Biz!
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