Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #52
Die Temperaturen steigen, am Samstag sollen es 37 Grad werden. Das macht nicht nur die morgendliche Laufrunde mühsam, auch die Gemüter sind erhitzt. Heute wurde bekanntgegeben, dass die Keksfirma Bahlsen dem Internetpöbel nachgibt und seinen legendären “Afrika”-Keks nach völlig haltlosen Rassismusvorwürfen umbenennt. Er wird in Zukunft “Perpetum” heißen. Wahnsinn. Ich versuche nach wie vor, einen kühlen Kopf zu behalten und die Dinge mit dem nötigen Abstand zu betrachten.
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Nun aber los.
Heute geht es unter Anderem um #allesdichtmachen, Meinungsfreiheit und Doppelmoral.
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Politik und Gesellschaft
Nur noch knapp die Hälfte der Deutschen ist der Ansicht, man könne politische Ansichten zu allen Themen frei äussern. Das geht aus einer aktuellen Umfrage des Allensbach-Instituts hervor. So niedrig war der Wert seit 1953 nicht. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Umfragen und Studien in letzter Zeit diesen Trend belegten, der eigentlich besorgen sollte. Wenn in einer Demokratie ein großer Teil der Bevölkerung das Gefühl hat, seine Meinung nicht mehr offen äussern zu können, sollte man das sehr ernst nehmen. Natürlich werden diese Zahlen von den üblichen Verdächtigen relativiert und kleingeredet. Möge sich jeder seinen Teil dazu denken.
44 Prozent der Befragten gaben an, sie hätten das Gefühl, es sei besser, mit Äußerungen vorsichtig zu sein. 59 Prozent nannten den Islam als ein Thema, bei dem man sich eher zurückhalten müsse. Laut dem Bericht sagten 28 Prozent dasselbe über „Vaterlandsliebe und Patriotismus“ und 19 Prozent über die Gleichberechtigung von Frauen.
Fast jeder Zweite sieht die Meinungsfreiheit in Gefahr - Deutschlandfunk
Carolin Emcke hat auf dem Parteitag der Grünen eine Rede gehalten, die einen hochproblematischen Abschnitt enthielt. Darüber wird seitdem hitzig (Ja!) diskutiert. Bernd Stegemann hat einen lesenswerten Artikel darüber geschrieben.
Die gegenwärtig erfolgreichste Variante des Dieners ist die Opferrolle, die mit der realen gesellschaftlichen Machtverteilung nichts zu tun haben muss. Denn wer würde ernsthaft glauben, dass eine bekannte Autorin oder eine Parteivorsitzende der Grünen das schwere Schicksal eines Opfers in dieser Gesellschaft erdulden müssen? Der Trick besteht also darin, dass man es auch ohne ausreichenden Grund schafft, in die Opferrolle zu schlüpfen.
Wie dieser Trick funktioniert, hat Carolin Emcke auf dem Parteitag der Grünen in seltener Offenheit klargemacht. Ihre prophetischen Worte über den kommenden Wahlkampf lauteten: „Es wird sicher wieder von Elite gesprochen werden. Und vermutlich werden es dann nicht die Juden und Kosmopoliten, nicht die Feministen und die Virologen sein, vor denen gewarnt wird, sondern die Klimaforscher.“
Der offensichtliche Skandal dieser Aufzählung liegt darin, dass hier eine direkte Verbindung vom Antisemitismus zu jeder Art von Elitenkritik gezogen wird. So wird der Unterschied eingeebnet, der zwischen dem mörderischen Antisemitismus und einer Kritik an Feministen, Virologen und Klimaforschern beiderlei Geschlechts liegt.
Nun vergleicht Carolin Emcke die Kritik an Klimaforschern mit dem Antisemitismus. Da sie aber alles andere als unbedarft im Reden ist und unablässig betont, wie sorgsam sie ihre Worte abwägt, handelt es sich nicht um eine unbedachte Formulierung. Ihre Verbindungslinie vom mörderischen Antisemitismus zur aktuellen Kritik an Wissenschaftlern ist also keine Ungenauigkeit, sondern eine wohlkalkulierte Aussage. Was will sie damit erreichen?
Die Antwort ist interessant, da sie ins Herz der Grünen Partei und ihrer linksidentitären Ideologie trifft. Deren Prämisse lautet, dass man selbst zu den Guten und damit zu den Opfern gehört. In ihrer radikalsten Ausprägung identifizieren sich die heutigen Opfer so sehr mit den Opfern des Antisemitismus, dass sie sich selbst in der gleichen gesellschaftlichen Position wähnen. Jana aus Kassel identifizierte sich mit einer Widerstandskämpferin, das ist verboten. Die Guten von heute identifizieren sich mit den Opfern der Nazis, das sollte allen eine Mahnung sein.
Eine Lehrstunde in doppelten Standards - Cicero
Die Aktion #allesdichtmachen, bei der 50 Künstler und Kulturschaffende Videos veröffentlichten, in denen sie sich kritisch mit der Coronapolitik der Bundesregierung auseinandersetzten, hatte ich hier bereits thematisiert. Auch der Tagesspiegel hatte sich in mehreren Artikeln mit dem Thema befasst und sich dabei nicht unbedingt an journalistische Standards gehalten. Dem Regisseur Dietrich Brüggemann wurde unter anderem unterstellt, Teil eines undemokratischen Netzwerks zu sein. Nun hat das Blatt ihm anständigerweise Platz eingeräumt, um seine Sicht der Dinge zu schildern. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus.
Gegen Mittag desselben Tages hatte ich eine Mail mit Fragen vom Berliner „Tagesspiegel“ erhalten, in denen vor allem allgemeine Positionen zur Corona-Politik abgefragt wurden („Sind Sie für eine sofortige Beendigung aller Maßnahmen inklusive Maskenpflicht etc.?“). Die Bahnfahrt hatte ich damit verbracht, Antworten zu formulieren, aber das hätte ich mir sparen können, denn als ich in Köln aus dem Zug stieg, war der Artikel schon im Netz. Ich las ihn, und mir fiel die Kinnlade herunter. Es ging um die erwähnte Aktion, aber vor allem ging es um mich persönlich, und zwar in einem Tonfall, wie er mir in der deutschen Presse, zumindest zu meinen Lebzeiten, noch nicht begegnet war. „Verquaste Polemik“, „pamphlethafte Tirade“, „krudes Gedankengut“ – es war ein Schlachtfest der Gehässigkeit, und es war noch nicht mal elegant formuliert. Es ging um die Entstehung der besagten Videos, es wurde hemmungslos gemutmaßt und ins Blaue recherchiert, dabei hätte man unschwer herausfinden können, wie die Videos entstanden waren: Man hätte mich einfach fragen können. Irgendwas anderes hatte man ja gefragt, aber zu diesem Thema hatte man gar nichts gefragt.
An dieser Stelle fürs Protokoll die Antworten auf die Fragen, die man mir nicht gestellt hat: Ja, die Aktion entstand genau so, wie ich es oben beschrieben habe. Jeder wußte, worum es ging. Alle konnten vorher die Probevideos und die fertige Seite sehen, und alle haben aus freien Stücken mitgemacht, weil sie der irrigen Meinung waren, eine politische Meinungsäußerung ohne sofortige Karrierevernichtungsdrohung wäre hierzulande und heutzutage möglich. Viele Texte stammen von mir, andere sind von anderen, nicht wenige Teilnehmer haben ihre Beiträge selbst oder in Zusammenarbeit mit mir verfasst, und einige Texte stammen auch von Schauspielern, die selbst nicht auftauchen und von denen Sie nie erfahren werden, denn niemand hat Lust, sich derart öffentlich schlachten zu lassen, und daß es so weit gekommen ist, sollte uns zu denken geben.
Die Suche nach „Hintermännern“ geht ins Leere, suchen Sie lieber nach den Vordermännern, und da müssen Sie nicht suchen, die stehen vor Ihrer Nase. Ich habe mich genau deswegen mit einem Video an der Aktion beteiligt, obwohl ich kein Schauspieler bin: Ich wollte eben nicht der strippenziehende Hintermann sein, der dann von eifrigen Journalisten mit Gegen-Rechts-Tunnelblick ans Licht gezerrt wird, sondern ein öffentlich sichtbarer Vordermann. Und nein, fundamentale Kritik an unserem schlecht funktionierenden „Lockdown“ ist nicht „Querdenken“ und nicht „rechts“, sondern eine sehr legitime Position, die von schätzungsweise vielen Millionen Menschen hierzulande geteilt wird, und der AfD spielt man allenfalls dann in die Hände, wenn man all diese Menschen mit dem Hinweis mundtot macht, sie seien „rechts“ oder „rechtsoffen“ oder „Verschwörungstheoretiker“ oder was auch immer.
Das Urteil stand fest, die Videos von #allesdichtmachen waren anscheinend eine Art Verbrechen, dagegen mußte vorgegangen werden, und weil der Fluchtpunkt des Bösen in Deutschland nun mal „rechts“ heißt, befand ich mich im Visier eines Feldzugs gegen rechts. Daß diese Denkungsart spätestens bei Corona komplett ihren Sinn verloren hat, weil wir es mit einem fortdauernden wissenschaftlichen Erkenntnisvorgang zu tun haben – egal, rechts ist das, was wir nicht gut finden, da hauen wir mit der Cancel-Culture-Keule drauf, und hinterher sagen wir, Cancel Culture gibt es gar nicht. Es durfte nicht sein, daß all die teilnehmenden Schauspieler bei dieser Schandtat freiwillig mitgemacht hatten, sie mußten hinters Licht geführt worden sein, also mußte der Hintermann ans Licht gezerrt und bestraft werden. Daß mittlerweile knapp die Hälfte ihre Videos zurückgezogen hat, dafür ist an Gründen alles dabei, von völliger Frustration über maximalen Shitstorm-Schock bis hin zu Werbepartnern, die die Pistole zücken und sagen: Zieh dich da raus, oder wir sind raus. Eins kann ich aber sicher sagen: Ich habe niemanden zur Teilnahme gezwungen, alle fanden es eigentlich mal ganz gut, bevor ihnen der öffentliche Ohrfeigenhagel klarmachte, was sie gefälligst zu denken haben.
Dietrich Brüggemann über die Aktion #allesdichtmachen - Tagesspiegel
Zum Ende der Rubrik noch der Hinweis auf ein sehenswertes Video. Franziska Schutzbach und Ijoma Mangold diskutieren in der Sendung “Philosophischer Stammtisch” über Cancel Culture.
Kultur
Was viele nicht wissen: Der Chansonsänger Charles Aznavour war ambitionierter Hobbyfilmer. Diese Leidenschaft wurde dadurch ausgelöst, dass ihm Edith Piaf 1948 eine Paillard-Bolex-Kamera schenkte. Kurz vor seinem Tod begann Aznavour mit dem Filmemacher Marc di Domenico das Material zu sichten und entschied, aus den Aufnahmen einen Film zu erstellen. Er heisst “Aznavour By Charles”.
Coverversion der Woche: Cleveland School Of Rock aka The Jazz Band Rejects - Waiting Room
Der Song wurde von Sänger Ian MacKaye geschrieben und 1987 erstmals aufgenommen. Die bekannteste Version ist aus dem Juni 1988 und verfolgt mich seitdem in positiver Hinsicht. Ich habe unzählige Male in meiner Jugend dazu “getanzt”. Wann ich auch diese geniale Coverversion von 2018 gestoßen bin, weiß ich gar nicht mehr, aber das Video löst bei mir jedes Mal ein breites Grinsen aus. Der Spaß, den die junge Band hier hat, erinnert mich an den Spaß den ich mit meiner ersten Band hatte. Interessanterweise haben wir dieses Stück auch gecovert. Unsere Version war allerdings deutlich schlechter, als die vorliegende. Vielleicht ist die Jugend ja doch noch nicht verloren.