Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #51
Diese Woche wurde besonders eifrig der Fall von Georg Thiel diskutiert, welcher seit dem 25. Februar 2021 in Erzwingungshaft ist. Ich habe mich aus dieser Diskussion herausgehalten, weil sie weitgehend faktenfrei geführt wird. Thiel sitzt, wie gern behauptet wird, nicht im Gefängnis, weil er keine Rundfunkgebühr gezahlt hat, sondern weil er sich widerrechtlich weigert, Vermögensauskunft zu erteilen. Juristisch ist das Ganze nicht zu beanstanden. Die Argumente aller Seiten sind teilweise abenteuerlich. Dieses Diskussionsniveau unterstütze ist nicht durch meine Beteiligung. Für mich steht allerdings ebenso fest, dass der viel zu teure öffentlich-rechtliche Rundfunk, den ich als Konzept für eine gute Sache halte, einer grundlegenden Reform bedarf.
Es gibt ausserdem ein weiteres Jubiläum zu vermelden. Der Newsletter existiert nun seit genau einem Jahr. Da mache ich am Wochenende wohl mal einen Schaumwein auf. Vielen Dank allen Lesern, die mir bis heute treu sind!
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Nun aber los.
Heute geht es unter Anderem um Edit Wars, Barack Obama und eine illiberale Splittergruppe.
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Politik und Gesellschaft
Auch über das Verhalten von Annalena Baerbock wird nach wie vor diskutiert und es sind viele interessante Beiträge dazu erschienen. Einen fand ich besonders gut, weil er auch einen Blick auf die ideologisch motivierten “Edit Wars” bei Wikipedia wirft, die mir schon seit Jahren negativ auffallen.
Im Gegensatz zu Laschet und vielen anderen Spitzenpolitikern gibt es bei Baerbock nicht einmal die sonst üblichen Wikipedia-Rubriken «Kritik» oder «Positionen, Kontroversen und Rezeption». So erfuhr man bis zum 9. Juni nicht, dass sie wegen falschen und irreführenden Aussagen zu ihrem Lebenslauf seit Wochen für Diskussionen sorgt. Oder dass sie in einer ARD-Sendung mehrmals sagte, in Batterien stecke «Kobold». Oder dass sie behauptete, «das Netz» fungiere für erneuerbare Energien «als Speicher».
Der Wikipedia-Co-Gründer Larry Sanger drückte es in einem Interview so aus: «Es gibt heute eine allgemeine Tendenz zur Ideologisierung. Das betrifft die öffentliche Meinung, den Journalismus – und Wikipedia.» Hier versuche eine rechthaberische Oligarchie von sogenannten Experten, den Leuten vorzuschreiben, «was wichtig und richtig» sei.
Wie selbstherrlich manche Wikipedia-User zu Werke gehen, zeigt ein Vorfall vom 19. Mai. Damals fügte ein Benutzer um 16.43 Uhr die Information ein, wonach Baerbock ihre Nebeneinkünfte von mehreren zehntausend Euro viel zu spät gemeldet habe. Nur wenige Minuten später, um 16.55 Uhr, entfernte ein anderer Nutzer diese Neuerung wieder. Begründung: «Wikipedia ist kein Newsticker.» Am 22. Mai wurde die Information dann doch wieder eingefügt.
Mit ähnlichen Argumenten werden auch Baerbocks abenteuerliche Behauptungen wegdiskutiert, wonach erneuerbare Energien «im Netz» gespeichert würden. Das Originalzitat lautete so: «An Tagen wie diesen, wo es grau ist, da haben wir natürlich viel weniger erneuerbare Energien. Deswegen haben wir Speicher. Deswegen fungiert das Netz als Speicher. Und das ist alles ausgerechnet.» Diese Formulierung, so schreibt ein Wikipedia-Nutzer, sei zweifellos etwas unglücklich, aber: «Ich verstehe das so, dass nicht der heutige Zustand, sondern ein zukünftig möglicher mit Speicherung im Netz gemeint ist.»
Das zeigt die Diskussion über die Frage, ob Annalena Baerbock wie andere Politiker einen separaten «Kritik»-Abschnitt erhalten soll. Obwohl es seit August 2019 entsprechende Vorschläge gibt, haben die Fürsprecher der grünen Politikerin bisher fast alles verhindert. Dies unter anderem mit dem Argument, darüber müsse erst ein «Konsens» gefunden werden. Gleichzeitig versuchen sie, einen solchen Konsens mit langwierigen, sophistischen Debatten zu verhindern.
Eugen El setzt sich mit der Frage auseinander, warum das deutsche Feuilleton nicht über die Initiative “Artists Against Antisemitism” berichtet und findet keine (direkte) Antwort darauf.
Und doch blieb es bisher, von einem Artikel im »Neuen Deutschland« abgesehen, eigenartig still um die Initiative. Anders als im Dezember 2020. Damals zogen die Leiter mehrerer öffentlicher Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen mit ihrer von latenten BDS-Sympathien durchzogenen »Initiative GG 5.3 Weltoffenheit« ein breites Medienecho nach sich.
Wochenlang waren in den deutschen Feuilletons aufwendig gewundene, vor allem rechtfertigende Beiträge von Unterzeichnern und Unterstützern der Initiative zu lesen. Ein ähnliches Echo löste im März die »Jerusalemer Erklärung« aus, mit der die IHRA-Antisemitismus-Arbeitsdefinition ersetzt werden sollte.
Wenige Wochen nach den Hamas-Raketenangriffen auf Israel und den antisemitischen Kundgebungen und Attacken auf deutschen Straßen wird unterdessen eine relevante Initiative der Kulturszene gegen Judenhass medial weitgehend ignoriert. Hier und dort liest man dafür weiterhin die üblichen Essays im Tenor von »BDS-ist-doch-gar-nicht-so-schlimm« oder »Netanjahu-ist-ohnehin-an-allem-schuld«. Für Künstler hingegen, die sich gegen Antisemitismus einsetzen, ist in deutschen Feuilletons offenbar kein Platz.
Gegen Antisemitismus: Wo bleibt das Echo? - Jüdische Allgemeine
Barack Obama hat sich in einem CNN-Interview mit Anderson Cooper kritisch zu den Phänomenen “Cancel Culture” und “Wokeness” geäussert.
A lot of the dangers of cancel culture and 'we're just going to be condemning people all the time,' at least among my daughters, they'll acknowledge that among their peer group or in college campuses, you'll see people going overboard,[…]
Obama said his daughters, Malia and Sasha, have a "pretty good sense of: look we don't expect everybody to be perfect we don't expect everybody to politically correct all the time."
"But we are gonna call out institutions or individuals if they are being cruel, if they are, ya know, discriminating against people," Obama said. "We do want to raise awareness."
Es ist nicht das erste Mal, dass er sich besorgt über diese Dinge zeigt. Bereits 2019 übte er Kritik.
“This idea of purity and you’re never compromised and you’re always politically woke and all that stuff, you should get over that quickly,” he said at an event for his foundation Summit in Chicago that year. “The world is messy. There are ambiguities. People who do really good stuff have flaws.”
He said people calling others out on social media is “not activism”
“Like, if I tweet or hashtag about how you didn’t do something right or used the wrong verb, then I can sit back and feel pretty good about myself because ‘man, you see how woke I was, I called you out,’ ” he added.
Obama warns of 'dangers of cancel culture' going 'overboard' - The Hill
In der FDP treibt seit einiger Zeit eine illiberale Splittergruppe mit dem Namen “Operation Heuss” ihr Unwesen, die klassische Liberale als “rechts” diffamiert. Was “rechts” ist, bestimmt natürlich sie allein. Die Beteiligten vertreten im Prinzip sozialdemokratische und grüne Positionen, angereichert mit einer unkritischen Umarmung jeglicher Zeitgeisterscheinungen. Mit Liberalismus haben weder ihre Positionen, noch ihre spalterischen Aktionen etwas zu tun. Theodor Heuss würde diese Truppe ablehnen. Nun haben sich im Rahmen eines Artikels endlich führende Liberale dazu geäussert. Enttäuschend sind die Statements von Volker Wissing und Christian Lindner, die das Ganze als “Lebendig, pointiert, kontrovers” sowie als “Lust am Diskurs” bezeichnen. Besonders Letzteres könnte unzutreffender nicht sein. Christoph Giesa, einer der Hauptinitiatoren, der mir lange auf Twitter folgte, hat mich nach kritischen Aussagen blockiert. Soviel zur “Lust am Diskurs”. Lediglich Wolfgang Kubicki sprach Klartext.
Von wem die Operation bezahlt werde? „Von der FDP sicher nicht“, sagt FDP-Vize Wolfgang Kubicki. Auch nach eigenen Angaben erfolgt die Tätigkeit für die Gruppe rein ehrenamtlich.
Wie wenig Kubicki von den selbst ernannten Freiheitskämpfern hält, schickt er hinterher: Er halte diese Art der öffentlichen Auseinandersetzung weder für intelligent noch für hilfreich. „Wenn es nicht mehr darum geht, was die einzelne Person selbst sagt oder tut, sondern wichtig ist, mit wem sie sich umgibt, lösen wir uns von der ursprünglichen Idee der freiheitlichen Debattenkultur. Ich glaube, die Bedeutung dieser Gruppe wird gnadenlos überschätzt. Sie spielt für die FDP keine Rolle.“
Lindners befremdlicher Umgang mit der FDP-internen Meinungspolizei - Welt
Die Liste von Intellektuellen und Kulturschaffenden, die dem Gendern der Sprache negativ gegenüberstehen, wird länger. Nun hat sich auch Elke Heidenreich mit drastischen Formulierungen nicht nur zu diesem, sondern auch zum Thema Frauenquote eingelassen.
»Grauenhaft, wenn ich das schon höre, diese Sprache«, sagte die 78-Jährige dem »Kölner Stadt-Anzeiger« in einem Podcast. »Das ist alles ein verlogener Scheißdreck.« Sie könne es »auf den Tod nicht leiden, die Sprache so zu verhunzen«. Sie werde »diese Sprachverhunzung nicht mitmachen«.
»Wenn ich sage Menschen, meine ich Menschen. Wenn ich Künstler sage, meine ich alle Künstler, die Künstler sind, auch die Frauen«, sagte Heidenreich der Zeitung und ergänzte: »Dieses feministische Getue in der Sprache geht mir furchtbar gegen den Strich.«
»Ich bin kein Freund der Quote, ich kann das Wort Quote überhaupt nicht hören«, sagte sie. »Es geht nach Qualifikation und nicht nach Geschlecht – wenn einer besser ist, ist er besser.«
Auf die Frage, ob sich Heidenreich selbst als Feministin bezeichnen würde, antwortete die Schriftstellerin: »Ich bin ein Mensch, der Menschen völlig gleichberechtigt sehen möchte. Ich bin keine Feministin, ich weiß nicht, was man darunter versteht.«
»Dieses feministische Getue in der Sprache geht mir furchtbar gegen den Strich« - Spiegel
Die Journalisten Axel Bojanowski und Daniel Wetzel haben einen hervorragend recherchierten Artikel über die Klimalobby geschrieben. Er ist schon länger online, nun aber erstmals frei zugänglich. Das Stück hat es mit einer Lesedauer von 28 Minuten in sich, aber jede Minute lohnt sich. Daraus zu zitieren würde den Rahmen sprengen.
Die unterschätzte Macht der grünen Lobby - Welt
Ich weise seit Jahren darauf hin, dass die aktuelle Antirassismusbewegung oft selbst rassistisch ist. Öffentliche Kritik daran, dass sich dies auch auf steuerfinanzierte Institutionen bezieht, blieb bisher aus. Nun ist die “Bundeszentrale für politische Bildung”, die nicht zum ersten Mal unangenehm auffällt, den entscheidenden Schritt zu weit gegangen. Hoffentlich wird das Folgen haben.
Ein auf den ersten Blick unschuldig wirkender Eintrag bei Instagram könnte für die Bundeszentrale für politische Bildung Folgen haben. Bei seiner Antirassismus-Kampagne »saymyname« hatte die dem Bundesinnenministerium unterstellte Behörde einen Beitrag auf der Fotoplattform gepostet, der weiße Menschen indirekt als »Kartoffeln« bezeichnet. Nach Kritik an dem Beitrag hat das Bundesinnenministerium der Bundeszentrale nun aufgetragen, die gesamte Kampagne auf den Prüfstand zu nehmen.
»Die wichtige Auseinandersetzung mit Rassismus darf nicht so geführt werden, dass andere Gruppen ausgegrenzt, diskriminiert oder herabgewürdigt werden«, sagte ein Sprecher des Innenministeriums in Berlin.
In dem am Mittwoch veröffentlichten Beitrag wird der freie Journalist Mohamed Amjahid zitiert. Er ruft weiße Menschen dazu auf, sich mehr für Nichtweiße einzusetzen. Wer selbst nicht Opfer von Rassismus werde, müsse sich mit eigenen Privilegien auseinandersetzen, sagt Amjahid in dem Post. Das sei ein schwerer Prozess, »jedoch unabdingbar, wenn wir in einer gerechten und inklusiven Gesellschaft leben wollen«. Wem das gelinge, der könne ein Verbündeter von Nichtweißen werden – eben eine »Süßkartoffel«, wie es Amjahid in Anlehnung an den Begriff »Kartoffel« formuliert.
Die Formulierung ist umstritten: Während Begriffe wie das N-Wort für Menschen mit schwarzer Hautfarbe oder das Z-Wort für Sinti und Roma als eindeutig beleidigend gelten und in großen Teilen der Gesellschaft verpönt sind, gehen die Meinungen bei »Kartoffel« auseinander. Das Wort wird mal ironisch, mal beleidigend für Weiße verwendet. Die einen sehen in der Bezeichnung daher Rassismus gegen Deutsche.
Bundeszentrale für politische Bildung nach »Süßkartoffel«-Spruch in der Kritik - Spiegel
Zum Ende der Rubrik zwei Tipps zum Anschauen. Zum einen das Interview auf Phoenix mit Stefan Aust.
Zum Anderen die Rede von Michael Wolffsohn zum “Wächterpreis der Tagespresse 2021” (Ab Minute 07:00).
Kultur
Da heute der Tag ist, an dem 1972 das letzte gute Album der Rolling Stones, nämlich “Exile On Main Street” Platz Eins der britischen Charts erreichte, habe ich mich für ein Stück dieser Band entschieden.
Ursprünglich von Mick Jagger und Keith Richards komponiert, singt es in der Originalversion auch Letzterer, was selten vorkam. Die Version der Pointer Sisters unterscheidet sich nicht wesentlich, ist aber wegen der weiblichen Stimmen interessant und insgesamt sehr gelungen.