Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #46
Heute hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Klimaschutzgesetz in Teilen verfassungswidrig ist. Die Reaktion sind ohrenbetäubende Jubelschreie aus genau dem Milieu, welches gerade erst tagelang das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum verfassungswidrigen Mietendeckel skandalisiert hat. Dieses infantile Rechtsstaatsverständnis befremdet.
Zur umstrittenen #allesdichtmachen-Aktion renommierter Schauspieler habe ich mir immer noch keine abschließende Meinung gebildet. Das wie immer in diesen Fällen zu vernehmende "Beifall von der falschen Seite"-Argument war allerdings noch nie eines. Die völlig entgleiste Debatte zum Thema in den sozialen Medien belegt erneut, dass sie für differenziertes Argumentieren nicht taugen.
Auch diese Woche las man wieder von verschiedenen Individuen, Liberalismus müsse “neu gedacht” werden. Damit geht meist ein kritikloses Abnicken der Parteiprogramme von SPD und Grünen sowie “progressiven” Zeitgeisterscheinungen einher. Mir wird sich nie erschließen, warum man sich einer politischen Strömung zugehörig fühlt, deren Positionen mit den eigenen unvereinbar sind. Warum gehen diese Leute nicht in Parteien, die ihre Ansichten vertreten? Als Veganer macht man ja auch keinen Jagdschein, um sich dann im Jagdverband permanent über das Töten von Tieren zu beschweren und über die Notwendigkeit einer Neuausrichtung der Jagd ohne Töten zu referieren.
Wahrscheinlich rege ich mich wieder unnötig auf. Auch politisches Engagement ist für viele heutzutage eher wegen der damit einhergehenden Aufmerksamkeit interessant. Inhaltliches ist da zweitrangig. Das Beruhigende daran ist, dass auch das Interesse dieser Leute irgendwann wieder nachlässt. Spätestens dann, wenn der Drang nach Beachtung nicht mehr ausreichend befriedigt wird. In der CDU gab es mal eine ähnliche Strömung mit dem Namen “Union der Mitte”, die mit großem spalterischen Anspruch startete und von der schon sehr lange nichts mehr zu vernehmen ist.
Sehr klug war die Entscheidung von Armin Laschet, Friedrich Merz in sein Wahlkampfteam zu holen. Nur mit Leuten wie Merz hat die CDU langfristig eine Überlebenschance und kann die AfD pulverisieren. Es wird nicht klappen, dauerhaft Politik gegen die Mehrheit der Parteibasis zu machen.
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Nun aber los.
Heute geht es unter Anderem um Argumentationslücken und Zeitgeist.
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Politik und Gesellschaft
Die diesjährige Oscarverleihung war, was die Zuschauerzahlen betrifft, ein riesiger Flop. So wenig Menschen wie dieses Mal haben noch nie zugesehen. Bereits im letzten Jahr war die Zahl stark gesunken.
Die Übertragung der Oscar-Gala beim amerikanischen Fernsehsender ABC hat im Vergleich zum Vorjahr mehr als die Hälfte der Zuschauer verloren. Gerade mal 9,85 Millionen US-Bürger verfolgten die Verleihung am Sonntag auf dem Bildschirm, wie der Sender ABC am Montag mitteilte. Nach dem Negativ-Rekord von 23,6 Millionen Zuschauer im vergangenen Jahr ist das ein nochmaliges Minus von 58,3 Prozent.
Meiner Meinung nach hat das vor allem mit der neuen Ausrichtung zu tun, deren Folgen ich in einem Artikel für die WELT angerissen habe. Es geht bei dieser Ausrichtung nur noch sekundär um die Qualität der Filme.
Oscars verlieren massenhaft Fernsehzuschauer - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Nele Pollatschek hat einen hervorragenden Text über die Probleme bei der Diskussion über Identitätspolitik geschrieben. Auch wenn ich an einigen Stellen entschieden widerspreche, behandelt sie sehr gut die Schwächen in der Argumentation auf beiden Seiten.
Das kann man machen, aber dann kann man eben nicht mehr beteuern, gegen Diskriminierung, kein Rassist und kein Sexist zu sein, denn das ist man dann halt, und so viel Ehrlichkeit muss sein. Oder man muss feststellen, dass es irgendwo offensichtlich doch ziemliche Diskriminierungsmechanismen gibt. Und dann muss man sich überlegen, was man dagegen zu tun gedenkt.
Die Frage, die sich die Universalisten stellen müssen und die Team IdPol ihnen ruhig öfters stellen könnte, ist also: Was ist der Weg? Wir verstehen, dass ihr Universalismus wollt, aber als Aufklärer wisst ihr ja, dass Sollen nicht Sein ist, und wie kommt ihr also vom gegenwärtigen Sein (Ungleichheit) zu dem, was sein soll (real existierender Universalismus)?
Wer als Universalist diese Frage nicht beantworten kann, bei dem liegt der Verdacht nahe, dass er nicht deswegen gegen IdPol streitet, weil ihm der Universalismus so wichtig ist, sondern weil dieser Antidiskriminierungskram auch irgendwie ganz schön anstrengend ist.
Team IdPol muss sich diese Frage nicht stellen, denn hier ist der Weg klar: Sichtbarmachung, Benennung, Quoten, Identitätspolitik eben. Daraus ergibt sich dann aber die Gegenfrage und die sollten die Universalisten stellen: Was ist das Ziel? Wenn auch die kleinsten Identitäten benannt sind, wenn jeder mit Geschlecht, sexueller Orientierung, race, Behinderung und so weiter beschriftet wurde und ihr es also geschafft habt, dass alles feinst säuberlich quotiert und dadurch vielleicht sogar gerecht ist, was dann? Soll das dann so bleiben?
Und auch da gibt es zwei Möglichkeiten. Man kann sagen, dass Gay Pride und Black is Beautiful und The Future is Female und all die essenzialistisch anmutenden Slogans für immer Gültigkeit haben sollen, dass manche Gruppen einfach inhärent besser oder zumindest anders (also moralischer, gerechter, weniger gewalttätig und dafür empathischer) sind. Das kann man machen, aber dann kann man eben nicht mehr behaupten, gegen Diskriminierung, Rassismus und Sexismus zu kämpfen, denn das tut man dann nicht.
Wer das nicht beantworten kann, bei dem liegt sonst nämlich der Verdacht nahe, dass es gar nicht um Gleichheit geht, nicht um Gerechtigkeit, sondern um Rechthaben, Selbstgerechtigkeit, schiere Lust an der Provokation oder um Rache oder Revanchismus, also darum, dass jetzt endlich mal die anderen diskriminiert werden sollen.
Ok, soll das jetzt so bleiben? - Zeit
Anna Schneider hat Linda Teuteberg für die NZZ interviewt und die Äußerungen zeigen erneut, dass die FDP einen großen Fehler gemacht hat, als sie Teuteberg so würdelos absägte.
Zum Beispiel scheint in Debatten die Sprecherposition immer öfter wichtiger zu sein als das Argument. Manche wollen den antitotalitären Konsens in unserem Land durch einen sogenannten antifaschistischen Konsens ersetzen. Rechtsstaatliche Argumentationsstandards wie die Verhältnismässigkeitsprüfung bei Grundrechtseingriffen werden verächtlich gemacht. Diese Entwicklungen sind alles andere als liberal.
Es wäre jedoch naiv, zu glauben, man könne Kulturkämpfe ignorieren: Sie sind längst da, auch in Deutschland. Und wenn die Kultur der Freiheit bedroht ist, kann ich als Liberale nicht an der Seitenlinie stehenbleiben. Kulturkämpfe kann nur bestehen, wer sie als solche erkennt. Systemfragen kann man nicht einfach abräumen, aber in offener Debatte sorgfältig und leidenschaftlich liberal beantworten.
Wenn Kritiker des Zeitgeistes mit Begriffen wie «Underdog», «wehleidig» oder Ähnlichem etikettiert werden, ist das ja kein Argument in der Sache, sondern ein verletzendes Karikieren. Eine kritische Haltung zum Zeitgeist bedeutet nicht, relevante Themen zu ignorieren, wohl aber Differenzierung einzufordern. Ein Beispiel: Man kann sich für den Abbau realer Diskriminierung einsetzen, ohne sich mit gewalttätigen Bewegungen gemein zu machen und ohne einer sortierten und quotierten Gesellschaft das Wort zu reden. Menschen in unentrinnbare Gruppenzugehörigkeiten einzuteilen, so dass sich ständig nur Opfer und Privilegierte gegenüberstehen, ist eine zutiefst illiberale Methode.
Wer nicht weiss, unter welchen Prämissen und für welche Werte er Politik macht, kann auch nicht zielgerichtet und wirksam handeln. Während Linke sich durch Widerspruch oft bestätigt und zur Debatte herausgefordert fühlen, wechseln viele Menschen mit bürgerlichem Selbstverständnis in derselben Situation eher das Thema. Nicht missionarisch unterwegs zu sein, ist im persönlichen Umgang sympathisch, politisch aber ein wenig erfolgversprechendes Appeasement. Ich trete dafür ein, die liberale Auffassung offensiv zu vertreten und auch darauf zu achten, wo Begriffe falsch besetzt werden. Liberale müssen selbst Begriffe besetzen und sie sich nicht wegnehmen lassen.
Linda Teuteberg: «Mehr Sinn für und mehr Mut zur Ideologie» - Neue Zürcher Zeitung
Bereits viele Jahre kritisiere ich, dass die Begriffe “Islamophobie” und “antismuslimischer Rassismus” nicht nur kontraproduktiv für eine sachliche Debatte, sondern im Falle des zweiten Begriffs sogar falsch sind. Nun hat sich ein Artikel in der FAZ damit befasst.
Beide Begriffe sind höchst problematisch. Sie helfen nicht, Missstände klar zu benennen, sondern schaffen neue – durch die begriffliche und gedankliche Ungenauigkeit, die ihnen zugrunde liegt, und durch die Art und Weise, wie sie verwendet werden. Statt als analytische Termini werden sie oft als politische Kampfbegriffe genutzt, um Positionen zu diskreditieren, mit denen Partei für universelle Menschenrechte genommen wird. Erkennbar ist das schon daran, wem alles „Islamophobie“ und „antimuslimischer Rassismus“ vorgeworfen wird: nicht nur fanatischen Rechtsextremisten und polternden Rechtspopulisten, sondern auch engagierten Frauenrechtlerinnen und liberalen Reformmuslimen. Eine Differenzierung zwischen aufklärerisch-menschenrechtlicher Islamkritik und ressentimentgeladener Muslimenfeindlichkeit ist so nicht mehr möglich. Und sie wird von denjenigen, die diese Begriffe so verwenden, womöglich auch gar nicht gewünscht.
Bei „Islamophobie“ passt bereits die Wortbedeutung nicht. Denn damit müsste eigentlich Angst vor dem Islam gemeint sein, was lediglich für diejenigen, die sie empfinden, ein psychisches Problem wäre – so wie auch andere Phobien eine Belastung für diejenigen sind, die darunter leiden. Der Begriff erfasst daher dem Wortsinn nach eigentlich gar nicht die Feindlichkeit gegen Muslime.
Es ist eine willkürliche Ausweitung des Begriffs Rassismus, die hinter dem Konzept des „antimuslimischen Rassismus“ steht. Die Dimensionen rassistischer Diskriminierungen werden damit verkannt und in der Gesamtschau letztendlich verharmlost. Denn auf diese Weise erscheinen in der Gegenwart geäußerte Einwände gegen das Kopftuch als ebenso rassistisch wie die Diskriminierungen von Juden in der Vergangenheit. Darüber hinaus entsteht eine absonderliche Begriffskonfusion. So ist zum Beispiel angesichts real existierender Frauendiskriminierung schon von „antifeministischem Rassismus“ die Rede. Mit solchen Schöpfungen wird die Bezeichnung „Rassismus“ absurd, was ihre Instrumentalisierung umso einfacher macht.
Dazu gehört als erster Akteur die Identitätslinke, die idealtypisch von der Soziallinken unterschieden werden kann. Während sich letztere mit Fragen der sozialen Ungleichheit beschäftigt, interessiert sich die Identitätslinke mehr für unterschiedliche Opfergruppen. Gemeint sind gesellschaftliche Minderheiten mit bestimmten ethnischen, geschlechtlichen oder religiösen Zugehörigkeiten. Ein Engagement gegen deren Diskriminierung ist aus menschenrechtlicher Sicht nur zu begrüßen. Die Identitätslinke sieht diese Gruppen jedoch als allgemeines Kollektiv, hinter dem die zugehörigen Individuen oder die für diese Gruppe spezifischen Wertvorstellungen zurücktreten müssen.
Aus dieser Denkweise erklärt sich, warum von der Identitätslinken in einem solchen Kontext Einstellungen wie Aufklärung, Frauenrechte, Individualismus und Religionskritik verworfen werden, die einst als konstitutiv für die Linke galten. So kann es dazu kommen, dass Feministinnen als „islamophob“ attackiert werden. Betroffen davon waren und sind zum Beispiel Necla Kelek und Alice Schwarzer. Doch wenn sie sich gegen die Diskriminierung von Frauen unter Muslimen wenden, dann hat dies etwas mit der Einforderung von Menschenrechten und nicht mit einem Hass auf den Islam zu tun. Und es ist auch keine Islamfeindschaft, sondern Religionskritik, wenn aus einer aufklärerischen Perspektive Fragen nach den Gültigkeitsansprüchen des Islams gestellt werden. Es geht dabei aus ethischen wie historischen Blickrichtungen um eine kritische Prüfung im aufklärerischen Sinne.
Ausgrenzen im Namen der Minderheit - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Zum Ende dieser Rubrik möchte ich noch zwei sehenswerte Interviews empfehlen. Das eine ist von Hamed Abdel-Samad auf Phoenix.
Das Andere ist Lars Feld, ehemaliger Vorsitzender der Wirtschaftsweisen, bei Tilo Jung.
Kultur
Coverversion der Woche: Barry Adamson & Anita Lane - These Boots Are Made For Walking
Leider ist Anita Lane in dieser Woche gestorben, deshalb habe ich mich für ihre Version eines Klassikers entschieden. Komponiert wurde er von Lee Hazlewood (Zuerst hatte ich “Hazlenut” geschrieben. Peinlich.) und im Jahr 1966 erschien er gesungen von Nancy Sinatra, der Tochter von Frank Sinatra. Es existieren ungefähr 75 Coverversionen. Diese hier ist von 1991 und gefällt mir wegen Lanes Stimme und der innovativen Herangehensweise besonders gut.