Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #41
Mit Freude nehme ich in letzter Zeit zur Kenntnis, dass die von mir wahrgenommenen Mißstände, welche dazu geführt haben, dass ich mich heute bereits zum 41. Mal in Form dieses Newsletters äußere, vermehrt in größeren Medien aufgegriffen werden. Das hängt wohl damit zusammen, dass diese Themen inzwischen auch von prominenten Köpfen aus Politik und Kultur kritisch angeschnitten werden.
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Nun aber los.
Heute geht es unter Anderem um Freiheit, Vergebung und nicht existente Phänomene.
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Politik und Gesellschaft
Helene Aecherli plädiert nach der Schweizer Burkadebatte für eine neue Diskussionskultur und bezieht sich dabei auf wichtige Punkte. Was ich besonders wichtig finde ist, dass auch Gruppendenken hinterfragt wird. Es muss innerhalb eines Lagers möglich sein, eine andere Meinung zu vertreten, ohne einem feindlichen Lager zugerechnet und verstoßen zu werden. Diese sektenhaften Mechanismen sind leider Alltag in bestimmten Milieus.
Sie polarisierte wie schon lang keine mehr, zwang Feministinnen in eine fast schon unerträgliche Pattsituation und verleitete ein Nein-Komittee dazu, den Nikab mit Pizza, Crocs und Koriander gleichzusetzen, womit es dieses Symbol einer totalitären religiösen Ideologie nicht nur ins Lächerliche zog, sondern dazu beitrug, es zu mainstreamen. Aber mehr noch: Die Debatte um die Verhüllungsinitiative legte die Gräben innerhalb des linken Politspektrums offen und entblösste dabei auch deren Bubbles.
Ein Kult, der all jene mundtot macht, die es wagen, die in der Bubble vorherrschende Meinung zu hinterfragen oder gar mit einer gegenteiligen Ansicht herauszufordern. Eine Kollegin formulierte es so: «Ich stehe selber politisch links und bin Feministin, trotzdem war ich für das Verhüllungsverbot. Doch das habe ich geheim gehalten, weil es gegen die Normen meiner Bubble verstiess. Hätte ich mich geoutet, wäre ich dem rechten Lager zugeordnet und als Rassistin abgestempelt worden. Dem wollte ich mich nicht aussetzen. Also habe ich geschwiegen.»
Treiberin dieses Kampfes ist die «kulthafte» Linke, darunter viele Anhänger der «Woke»-Bewegung, die sich leidenschaftlich gegen soziale Ungerechtigkeiten, Rassismus und für den Schutz von Minderheiten einsetzt, dieses – berechtigte und wichtige! – Engagement inzwischen aber derart ideologisch betreibt, dass sie die Komplexität eben dieser Themen komplett aus den Augen verloren hat.
So wird etwa hartnäckig ausgeklammert, dass Minderheiten keine homogenen Gruppen sind, sondern aus Individuen bestehen; dass selbst innerhalb von Minderheiten Menschenrechtsverletzungen verübt werden. Und dass die Mehrheitsgesellschaft durchaus dazu berechtigt ist, auch an Minderheiten Forderungen zu stellen. Vor allem aber wird übersehen, dass im Bestreben, tolerant und inklusiv zu sein und immer schön auf der «richtigen» Seite der Geschichte (und der Bubble) zu stehen, Andersdenkende diskriminiert werden – Menschen, die, wie meine Kollegin, «sich weigern, alles mit dem Schwarz-Weiss-Bulldozer zu überfahren». Und das kommt jenem moralisch-ideologischen Konstrukt gefährlich nah, das wir seit der Aufklärung bekämpfen.
Meinung: Wir brauchen eine neue Diskussionskultur - Annabelle
Der FDP-Politiker Gerhart Baum hat meiner Meinung nach in den letzten zehn Jahren eine merkwürdige Wandlung durchgemacht. Ganz ähnlich wie sein verstorbener Kollege Heiner Geissler entwickelte er sich immer mehr von seinen ursprünglichen und auch den Werten seiner Partei weg, hin zu einer zeitgeistkonformen Haltung, mit dem ihm zwar die Herzen von Sozialdemokraten und Grünen zuflogen, viele Liberale sich allerdings fragten, ob da noch alle Bücher im Regal stehen. Mit Liberalismus hatten viele seiner Stellungnahmen nämlich nichts mehr zu tun. Nun hat er zusammen mit Max Schulze einen Artikel darüber geschrieben, dass die Idee der Freiheit bei den Grünen keinen hohen Stellenwert hat. Ein Lesegenuß.
Heute, 50 Jahre später, haben die Grünen am Notstand durchaus Gefallen gefunden. Auf ihr Betreiben rief das Europäische Parlament 2019 den "Klima- und Umweltnotstand" für Europa aus. Dadurch vermitteln sie den Eindruck, dass es nicht möglich sei, die Menschheitsherausforderungen der Erderwärmung und des Verlusts der Artenvielfalt in bewährten demokratischen Verfahren mit rechtsstaatlichen Mitteln zu stoppen. Sind sie der Meinung, dass das der Parlamentarismus nicht zum gewünschten Ergebnis führt? Jedenfalls drängt sich der Eindruck auf, dass die Befürwortung oder Ablehnung des Staatsnotstands von dem Grad der Übereinstimmung mit dem eigenen Parteiprogramm abhängt.
Der Eindruck verfestigt sich leider, dass sie es mit den Garantien des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht so genau nehmen, wenn diese in Konflikt mit dem eigenen Programm geraten.
Vor den Landesverfassungsgerichten in Thüringen und Brandenburg sind die Grünen gescheitert mit Gesetzen, die eine Parität von Männern und Frauen auf Landtagswahllisten vorschreiben. Auf eine gegen die letzte Bundestagswahl gerichtete Wahlprüfungsbeschwerde hat zuletzt auch das Bundesverfassungsgericht seine Zweifel an der Vereinbarkeit von Paritätsgesetzen mit der Wahlrechtsfreiheit und -gleichheit und der Parteienfreiheit artikuliert. Dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes lasse sich ein Gebot zum spiegelbildlichen Abguss der Bevölkerung in den Parlamenten, das letztlich davon ausgeht, dass die Bürger nur durch Angehörige ihres Geschlechts wirksam vertreten werden können, nicht entnehmen. Die Grünen hält das nicht davon ab, in Bremen an demselben Vorhaben festzuhalten. Auch hier gilt anscheinend: Rechtsstaatliche Bedenken werden beiseitegewischt.
Freiheit ist für die Grünen keine Leitidee - Zeit
Die 27-jährige Alexi McCammond hat ihren neuen Job als Chefredakteurin der amerikanischen “Teen Vogue” schon vor Arbeitsantritt wieder verloren. Grund dafür waren zehn Jahre alte Kommentare in den sozialen Medien, für die sie sich bereits im Jahr 2019 entschuldigt hatte. Die Mitarbeiter, die nach Entdecken dieser Beiträge gegen ihre Einstellung protestierten, haben im Alter von 17 Jahren offenbar nie etwas Unbedachtes geäussert. Aber Cancel Culture ist ein Mythos. Manchmal möchte man speien. Graeme Wood hat dazu einen lesenswerten Artikel geschrieben.
If Teen Vogue, even in its current woke incarnation, does not exist to celebrate this period of still-expungeable error, then it may as well be calling for the abolition of the teenage years altogether. Its staff, as well as many of its advertisers, evidently think its readers deserve no bonfire, no sin jubilee, and should be hounded eternally for their dumbest and most bigoted utterances. This suggests an intriguing editorial mix of beauty tips, celebrity news, and vengeance. Who wouldn’t want to read what a modern 20-something Torquemada thinks about Zayn Malik’s Netflix queue or a new brand of facial cleansers? Because I am no longer a teenager, I have no teenage years to lose. Although if Teen Vogue has its way, I suppose I should consider myself hostage to the idiocy of my wayward teenage self until I am safely dead.
The coup d’état at Teen Vogue is the result of a debased form of identity building—one that mistakes an identity worth having for one founded on the pitiless prosecution of offenses by members of other races regardless of whether they are large or small, intended or unintended, ongoing or long-disavowed.
Like everyone, Asian Americans should meet racism and violence with the contempt they deserve. But they should decline to model their outrage on the vindictive excesses that have become commonplace. They should do so independently of existing structures, which originated in categories of Black and white, and don’t work very well for discussion of those races either. Nor is it any failure of allyship with Black people, or for that matter white people, to opt out of these structures.
America Has Forgotten How to Forgive - The Atlantic
Philipp Hübl hat mit seinem klugen Kommentar über den irreführenden Begriff “struktureller Rassismus” für viel Aufregung gesorgt. Bewundernswert fand ich, dass er sich auf Twitter tagelang die Zeit nahm, auch auf die schlichtesten Anwürfe sachlich einzugehen.
Warum also reden wir mehr über Rassismus? Das liegt nicht nur daran, dass Vertreter bisher ausgeschlossener Gruppen öffentlich ihre Rechte einfordern, sondern vor allem daran, dass Begriffe wie „Gewalt“ und „Rassismus“ heute viel weiter gefasst werden als früher. Und so entdeckt man mehr, obwohl eigentlich weniger da ist.
Aktuell ist der Rassismus-Begriff noch einmal erweitert worden, manchmal unter dem ominösen Label „struktureller Rassismus“. Inspiriert von der „Critical Race Theory“ ist im Extremfall jetzt jeder ein Rassist, wenn er einer Gruppe angehört, die im Mittel sozioökonomisch bessergestellt ist als eine nicht-weiße oder zugewanderte Minderheit.
Daraus folgt oft der Fehlschluss, jeder Weiße würde vom „System“ irgendwie „profitieren“. Diese Annahmen beruhen nicht mehr auf empirischen Daten, sondern auf diffusen Vorstellungen von Macht und impliziten Stereotypen, die sich angeblich „reproduzieren“. Doch die Forschung zu vermeintlichen „unbewussten Vorurteilen“ ist extrem umstritten. Stereotype zu kennen, heißt nicht, dass wir an sie glauben (PDF) – und schon gar nicht, dass sie unser Handeln leiten.
Natürlich hat niemand ein Patentrecht auf theoretische Begriffe wie „Rassismus“. Man kann sie so eng oder weit fassen, wie man will. Doch wenn alle Menschen per Definition rassistisch sind, wird der Begriff unbrauchbar: Er suggeriert, dass man ohnehin nichts tun kann – und er verharmlost Menschenfeinde, die jetzt in derselben Schublade wie Leute landen, die unschuldig fragen „Woher kommst Du?“
Vor allem verwechselt die Rede vom „strukturellen Rassismus“ Gerechtigkeit mit Gleichverteilung. Richtig ist: Menschen mit Migrationsgeschichte sind am Arbeitsmarkt unterrepräsentiert. Ein Faktor beim Zugang zum Arbeitsmarkt ist dabei rassistische Diskriminierung, wie Studien zeigen. Andere Faktoren sind aber Sprachkenntnisse, Bildung und ein Freundeskreis in der Mehrheitsgesellschaft.
Um die Lage zu verbessern, muss man alle Faktoren analysieren.
Ein irreführender Begriff - Deutschlandfunk Kultur
Eine Gruppe von Intellektuellen fordert eine offenere und respektvollere Debatte zur Corona-Politik. Das entsprechende Manifest wurde heute sowohl in der “Welt” als auch im “Freitag” veröffentlicht. Unabhängig vom Thema passt das hier gut rein, da es auch allgemein wichtig ist, in der Gesellschaft wieder zu einem seriösen Austausch von Meinungen zurückzufinden. Initiatoren der Aktion sind Markus Gabriel, Ulrike Guérot, Jürgen Overhoff, Hedwig Richter und René Schlott.
Wir wollen die Diskussion wieder versachlichen, um im Rahmen des demokratischen Spektrums den Raum für einen freien Dialog zu schaffen und offenes Denken zu ermöglichen. Vor allem dürfen wir nicht den Verschwörungsfanatikern, Extremisten und Demokratiefeinden das Feld überlassen, wenn es um die kritische Bestandsaufnahme und das konstruktive Hinterfragen der Corona-Maßnahmen geht.
Meinungsfreiheit ist die Basis der Demokratie. Wenn jede grundsätzliche Kritik am Regierungskurs weiterhin pauschal als verschwörungstheoretisch und rechts abgetan wird, verkommt die Meinungsfreiheit zu einem theoretischen Privileg und jegliche Wahrheitsfindung wird im Keim erstickt.
Demokratie funktioniert nur, wenn jeder Einzelne grundsätzlich anerkennt, dass auch die Meinung von Andersdenkenden gehört werden muss. Unsere Welt ist kompliziert. Ein friedlicher Austausch von Standpunkten, auch außerhalb der eigenen Blase, schützt vor Radikalisierung.
Dass inzwischen Freunde raten, sich besser nicht kritisch zur Corona-Politik der Bundesregierung zu äußern, weil man so leicht den eigenen Ruf ruinieren und in die rechte Ecke gestellt werden könnte, bereitet mir große Sorge. Wenn wir verlernen oder uns nicht trauen, differenzierte Kritik zu äußern, gefährden wir das Kernprinzip der Demokratie und stärken ihre Feinde.
Manifest der offenen Gesellschaft - Welt
Kultur
Coverversion der Woche: De La Soul - The Magic Number
Weil gestern DJ Maseo von De La Soul Geburtstag hatte, muss es heute diese Gruppe sein. Strenggenommen handelt es sich um keine Coverversion, sondern die Benutzung eines anderen Songs als Sample. Das gilt aber auch, finde ich. In diesem Fall handelt es sich beim benutzten Stück um “Three Is A Magic Number” von Bob Dorough aus dem Jahr 1969. De La Soul veröffentlichten ihre Version 1989 auf dem Album “3 Feet High and Rising”, welches ich für eines der besten Hip-Hop-Alben aller Zeiten halte.