Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #37
Hatte man gestern noch ein Eis in der Hand, ist es heute der Regenschirm. Auch hier wird sich etwas ändern: Dieser Newsletter erscheint ab nächster Woche immer am Donnerstag.
Olaf Scholz plant in der nächsten Legislaturperiode weitere Steuererhöhungen für Besserverdienende. Die oberen zehn Prozent zahlen bereits fünfzig Prozent der Einkommenssteuer und den Solidaritätszuschlag sogar ganz allein. Man fragt sich, an welchem Punkt es wohl für die SPD gerecht genug sein wird. Wenn sie alles bezahlen?
Ähnlich ratlos lässt die Meldung zurück, dass im Bundesland mit den meisten Straftaten und der schlechtesten Aufklärungsquote die Möglichkeiten der Polizei durch das neue Polizeigesetz weiter beschnitten werden.
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Nun aber los.
Heute geht es unter Anderem um die sich links der Mitte verbreitende Erkenntnis, dass bestimmte Entwicklungen zu weit gehen bzw. nicht mit einer offenen Gesellschaft zu vereinbaren sind.
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Politik und Gesellschaft
Giovanni di Lorenzo hat zum 75. Geburtstag der ZEIT einen wunderbaren Artikel geschrieben, in der er sich auch mit Meinungsvielfalt und ihren Feinden auseinandersetzt. Besonders aus dieser Zeitung, die ich früher genau für diese schätzte, die mir in den letzten Jahren allerdings immer wieder mit Texten auffiel, die nicht zu Marion Dönhoffs Grundsatz “abweichende Ideen nicht zu diffamieren und Kritik an Bestehendem nicht als Ketzerei zu verfolgen, sondern die Minderheiten zu schützen und Offenheit zum Gegensätzlichen zu praktizieren” passen, freut mich das besonders.
Auch leitende Redakteure und einzelne Autoren, beispielsweise der konservativen Springer-Blätter, sind wüsten Beschimpfungen und Drohungen ausgesetzt – in diesem Fall von links. Dies wird wenig beachtet, vielleicht weil der eine oder andere denkt, die Kollegen seien selbst schuld, weil sie Provozierendes veröffentlichen. Die Journalisten dort und auch ihre Wohnungen und Häuser müssen immer wieder gesichert werden, und der Chefredakteur der Bild-Zeitung wird sogar in einer gepanzerten Limousine gefahren.
Bei diesem Kulturkampf geht es um Fragen, die das Selbstverständnis aller freien Medien berühren: ob im Prinzip schützenswerte Minderheiten auch Mehrheiten majorisieren dürfen, ob Haltung zur Gesinnung erstarren kann, wann die Tugend der journalistischen Einordnung in Belehrung und Missionierung umschlägt. Und nicht zuletzt geht es darum, ob man Menschen nicht auch einen Fehler verzeihen kann.
Auch und gerade in der Mitte ist Platz für abweichende Meinungen, für leidenschaftliche Plädoyers und im Ausnahmefall auch für eine erklärte politische Kampagne, wenn sonst ein vernünftiges Anliegen unterzugehen droht. Aber sie sollte dabei auf Vielstimmigkeit, Toleranz und die Kraft der Argumente bauen, nicht auf die Diffamierung von Andersdenkenden oder auf (durch Angst vor Shitstorms entstehenden) Konformitätsdruck.
Wenn Medien nicht mehr in der Lage sind, partei- und lagerübergreifend einen Austausch zu organisieren und stattdessen darauf setzen, möglichst störungsfrei die eigene politische Klientel zu bedienen, dann betreiben auch sie die Spaltung der Gesellschaft – und am Ende die der eigenen Leserschaft.
Nicht nur führende Journalisten kommen inzwischen zu der Erkenntnis, dass das derzeitige Meinungsklima und Trends wie Cancel Culture und Identitätspolitik eine Gefahr für die freie Gesellschaft sind. Auch immer mehr Politiker erkennen dies. Wolfgang Thierse hat einen lesenswerten Artikel in der FAZ dazu geschrieben und wurde daraufhin vom Deutschlandfunk interviewt. Interessant ist, wie der spürbar ungehaltene Interviewer immer wieder versucht, Thierse aufs Glatteis zu locken und ihn zu skandalösen Äußerungen zu bewegen. Seriös geht anders.
Wir leben in einer wahrlich pluralen Gesellschaft – ethnisch-kulturell, religiös-weltanschaulich, kulturell-sozial. Dieses Zusammenleben funktioniert nur, wenn wir erstens Ja sagen zu dieser Vielfalt, wenn wir sie akzeptieren – das ist nicht selbstverständlich – und wenn wir zugleich uns Mühe geben, an dem Wir zu arbeiten, an den Gemeinsamkeiten, das was uns verbindet. Eine Gesellschaft kann nicht nur funktionieren, wenn die einzelnen Gruppen, wenn die Verschiedenen nur auf ihrer Verschiedenheit bestehen, auf ihrer Identität, dem Nebeneinander oder Gegeneinander von berechtigten Gruppeninteressen und Ansichten, sondern wenn wir uns immer wieder neu der Mühe unterziehen, das Gemeinsame in unseren Vorstellungen von Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Menschenwürde zu finden, auch in dem, was geschichtlich geprägte kulturelle Normen, Erinnerungen, Traditionen sind. Darauf müssen sich die Anstrengungen richten, und mein Eindruck ist, dass das gegenwärtig viel weniger passiert, als es notwendig ist, dass viel schärfer die Identität hervorgehoben wird, das Gegeneinander, mit einer Radikalität und Engführung, die etwas Beängstigendes hat.
Ich werde als reaktionär beschimpft, als Mann mit neurechtem Sprech, gewissermaßen AfD-Positionen. Vom Schwulen- und Lesbenverband wird das getrieben. Mir wird vorgehalten, das sind ja die Ansichten eines alten weißen Mannes mit heterosexueller Orientierung, heteronormativer Orientierung. Da erleben Sie genau das. Eine Ansicht, die einem nicht passt, die wird identitär zurückgewiesen. Mein Alter, meine „Rasse“, mein Geschlecht, meine sexuelle Orientierung – also ist die Sache erledigt. Man muss sich mit der Ansicht nicht befassen. Man kann sie einfach ablegen, weil sie so von einem Menschen, der ja immer definiert ist mit einer bestimmten Identität, vorgetragen worden ist.
Die Identitätspolitik von rechts ist eine Politik, die zu Ausschließung, zu Hass, ja zu Gewalt führt. Und die Identitätspolitik von links führt, wenn sie weiter so einseitig und in dieser Radikalität betrieben wird, zu Cancel Culture. Das heißt, man will sich nicht mehr mit Leuten auseinandersetzen, diskutieren, den Diskurs führen, die Ansichten haben, die einem nicht passen. Das ist ziemlich demokratiefremd und, wenn ich das sagen darf, demokratiefeindlich.
Wissen Sie, es wird inzwischen ein Stil sichtbar, dass derjenige, der sagt, ich bin betroffen, ich fühle mich ausgeschlossen, ich empfinde mich als Opfer, dass der schon recht hat. Aber unsere Tradition seit der Aufklärung ist doch die, nicht die Betroffenheit, nicht das subjektive Empfinden darf entscheidend sein, sondern das vernünftig begründende Argument, das muss uns miteinander verbinden, das muss den Diskurs strukturieren. Denn sonst ist klar: Thierse ist ein alter weißer heterosexueller Mann. Seine Ansichten sind so definiert und damit ist der Fall erledigt. Da wird gar nicht mehr hingehört, welche Argumente hat er denn, welche Erfahrungen formuliert er, welche Vorschläge macht er, was ist das Ziel seines Redens, sondern es ist definiert durch Herkunft, durch Identität, und dann kann man sagen, nein, das ist nicht meine, meine ist anders, ich fühle mich benachteiligt, also habe ich recht.
Wer definiert, was Ausschließung ist? Selbst das kann doch nicht nur von einer Seite definiert werden, sondern das muss im gesellschaftlichen Diskurs miteinander ausgehandelt werden. Dafür trete ich ein, dass man im Diskurs aushandelt, was Ausschließung ist, was Präsenz ist, was Stellvertretung ist, wie wer zu Wort kommt. Aber wir erleben jetzt eine Welle von Bilderstürmerei, Tilgung von Namen, Denunziation von Geistesgrößen. Vielleicht sind das unausweichliche Auseinandersetzungen in einer pluralistischer gewordenen Gesellschaft, aber meine Bitte ist einfach, in diesen Auseinandersetzungen das gemeinsame Fundament nicht aus dem Auge zu verlieren, sondern sich um dieses gemeinsame Fundament zu bemühen, also Freiheit und Gerechtigkeit und Solidarität, was wir darunter verstehen, und Solidarität zu begreifen nicht als ein einseitiges Verhältnis, sondern ein Verhältnis von Gegenseitigkeit.
Aber das schöne Beispiel Berlin ist ja Onkel Toms Hütte und Mohrenstraße. Da hat sich ein heftiger Streit entbrannt und das muss weg, weil es Menschen gibt, die meinen, das sei rassistisch. Dabei ist die Tradition, die Geschichte dieser beiden Namen eine vollkommen andere, aber das will man gar nicht mehr wahrnehmen, weil eine differenzierte Betrachtung von Bedeutungsgeschichte ja nicht mehr erlaubt ist, sondern mein Gefühl der Betroffenheit, mein Gefühl des Ausgeschlossen seins. Das finde ich problematisch. Die Debatte ist notwendig.
Kulturelle Aneignung über Hautfarben und ethnische Grenzen hinweg muss möglich sein. Das ist ein Wesenselement von Kultur, Grenzüberschreitung, Aneignung von anderem, von fremdem, sich zu eigen machen, dabei die Unterschiede wahrzunehmen, das Eigene wahrzunehmen etc. Aber den lebendigen Prozess von Kultur in Schablonen zu gießen, das halte ich für falsch. Das schadet der Kultur, schadet übrigens auch der Pluralität. Es schadet auch dem friedlichen Zusammenleben.
„Ziemlich demokratiefremd“ - Deutschlandfunk
Fabio De Masi hat sich ähnlich geäussert. Der Bundestagsabgeordnete der Linkspartei gab in einer persönlichen Stellungnahme bekannt, aus persönlichen Gründen nicht wieder für den Bundestag kandidieren zu wollen. In diesem Text wurde er an einigen Stellen sehr deutlich. Es fällt auch auf, dass er in puncto Anstand einen Menschenschlag repräsentiert, der in der Politik immer seltener zu finden ist. Auch wenn ich die Linkspartei - genau wie die AfD - für undemokratisch halte und deshalb ablehne, ist der Rückzug De Masis deshalb zu bedauern.
Ich habe den politischen Meinungsstreit - gerade mit Konservativen und Liberalen - immer als eine Bereicherung empfunden. Denn Widerspruch schult die eigenen Argumente. Wir müssen lernen, respektvoll miteinander zu streiten - so wie in jedem Dorf, in jeder Familie, in jedem Sportverein und in jedem Freundeskreis.
Es gibt in verschiedenen politischen Spektren und vor allem in den sozialen Medien die Tendenz, Politik nur noch über Moral und Haltungen zu debattieren. Ich halte dies für einen Rückschritt. Werte und Moral sind das Fundament politischer Überzeugungen. Wer jedoch meint, dass alleine die „richtige Haltung“ über "richtig oder falsch" entscheidet, versucht in Wahrheit den Streit mit rationalen Argumenten zu verhindern.
Eine solche Debattenkultur hat nichts mit Aufklärung zu tun, sondern ist Ausdruck eines elitären Wahrheitsanspruchs, wie ihn die Kirche im Mittelalter bediente.
Identität ist wichtig im Leben. Sie darf aber nicht dazu führen, dass nur noch Unterschiede statt Gemeinsamkeiten zwischen Menschen betont werden und sich nur noch „woke“ Akademiker in Innenstädten angesprochen fühlen. Eine Politik, die nur noch an das Ego und die individuelle Betroffenheit, aber nicht mehr an die Gemeinschaft appelliert, ist auch Donald Trump nicht fremd.
Ich werde nicht wieder antreten - Fabio De Masi
Deutsches Theater ist mir größtenteils ein Graus. Grund dafür ist auch, dass mich die politische Indoktrination nervt. Ich mag es grundsätzlich nicht, wenn man mir erzählen möchte, wie ich zu denken habe. Auch dann nicht, wenn es subtil geschieht. Die kanadische Schauspielerin und Dramatikerin Carmen Aguirre hat auf die Tatsache, dass im Theaterbetrieb diesbezüglich einiges schiefläuft, nun in Form eines Videos hingewiesen.
Statt Konflikte als inspirierend zu begreifen, habe sich am Theater eine Geisteshaltung eingebürgert, die nicht mehr zwischen richtigen und falschen, sondern nur noch zwischen guten und bösen Meinungen unterscheide, und jene, die sich dem Einverständnis mit den absoluten Wahrheiten der identitären Linken entziehen, auf den Platz „rechts außen“ verweise.
In der Theaterszene von Vancouver herrsche mittlerweile ein Klima der Angst und der Selbstzensur, das nicht vom Staat, sondern von „Säuberern“ in der Szene selbst hervorgerufen werde, die mit den Mitteln einer „privatisierten Tyrannei“ dafür sorgten, dass Menschen öffentlich gedemütigt, in sozialen Netzwerken gemobbt und von ihren Arbeitgebern gefeuert würden – nicht weil sie gegen festgelegte Gesetze der „hate speech“ verstoßen oder sich unanständig verhalten hätten, sondern schlicht kontroverse Überzeugungen geäußert hatten.
Aguirres leidenschaftlicher, inzwischen vielverbreiteter Zwischenruf ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Identitätspolitik besonders wirkungsvoll von jenen kritisiert werden kann, die – nach der Eigenlogik der Theorie – zu ihrer eigentlichen Zielgruppe gehören. Zum Charakter der „identity politics“ bemerkt die dreiundfünfzigjährige Chilenin nüchtern, dass es sich dabei um die politische Theorie einer Mittelklasse handele, die damit vor allem Selbstidentifikation und „elitäre Sprachspiele“ betreibe. Allerdings mit einem mächtigen Einfluss: Vor allem von jüngeren Menschen habe sie begeisterte Zuschriften erhalten, viele hätten jedoch Angst, das Video zu teilen.
Die Zeit der großen Säuberung - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Für alle die meinen, es ginge trotz aller negativer Auswirkungen der Energiewende immer so weiter wie bisher, dürfte interessant sein, dass auch aufgrund der hohen Energiekosten zunehmend High-Tech-Unternehmen aus Deutschland abwandern.
Siltronic-Chef Christoph von Plotho macht dafür unter anderem die hohen Energiekosten in Deutschland verantwortlich: „Durch den hohen Strompreis wird der Standort unattraktiv“, sagte er im Gespräch mit dem Handelsblatt. Sein Unternehmen zahle am Standort Singapur „weniger als die Hälfte des Strompreises“. Kostentreiber hierzulande sei vor allem die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG).
Das Thema steht auch im Mittelpunkt einer Studie, die der Thinktank Agora Energiewende und das Beratungsunternehmen Roland Berger am Montag vorstellten. Um Wohlstand und Arbeitsplätze am Industriestandort Deutschland auf dem Weg in die Klimaneutralität nicht zu gefährden, „braucht die deutsche Industrie auch langfristig international wettbewerbsfähige Strompreise“, heißt es darin. Dies müsste „Kernelement einer deutschen und europäischen Industriestrategie werden“.
Hohe Strompreise vertreiben Hightech-Unternehmen aus Deutschland - Handelsblatt
Kultur
Coverversion der Woche: The Moog Cookbook - Smells Like Teen Spirit
Nach dem ich das Original von Nirvana am Anfang grandios fand, konnte ich es schon bald nicht mehr hören. Es lief einfach überall und man konnte nicht entkommen. Umso amüsierter war ich, als ich im Jahr 1995 auf die CD “The Moog Cookbook” stieß, die unter anderem mit Analogsynthesizern erstellte Coverversionen diverser bekannter Stücke enthielt. Eines davon war “Smells Like Teen Spirit”.