Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #35
Seit Jahren kritisiere ich, dass Diskussionen über Extremismus sehr einseitig sind. Rechtsextremismus wird zu Recht scharf verurteilt und wenn man sich die Liste staatlich geförderter Organisationen und Projekte ansieht, dominiert er. Sobald es um andere Extremismen geht, wird leider nicht selten relativiert oder gar abgestritten. In den letzten Tagen wurde in Deutschland (mutmaßlich von Gegnern der Coronamaßnahmen) ein Anschlag auf einen ICE verübt, wurden (mutmaßlich linksextreme) Bombenbauer verhaftet und ein (mutmaßlich islamistischer) Anschlag vereitelt. Diese Vorfälle zeigen, dass man auf keinem Auge blind sein sollte, denn die Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die offene Gesellschaft gehen von mehreren Seiten aus. Natürlich kann man Extremismen nicht inhaltlich gleichsetzen, aber Demokraten lehnen jede Form von Extremismus gleichermaßen ab. Diskussionen darüber, welcher Extremismus denn nun der schlimmste sei, sind meist ideologisch motiviert und führen zu nichts.
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Nun aber los.
Heute geht es unter anderem um Diskussionskultur, die Pandemiebekämpfung und die Diskussion um Identitätspolitik.
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Politik und Gesellschaft
Diese Woche saß die von mir sehr geschätzte Chefredakteurin des Philosophie-Magazins, Svenja Flaßpöhler, in der Sendung von Markus Lanz. Sie sprach darüber, was die Coronamaßnahmen aus welchen Gründen aus ihrer Sicht mit der Gesellschaft machen. Ein insgesamt völlig vernachlässigter, aber ungemein wichtiger Bereich in diesem Themenkomplex. Komplex waren auch ihre Ausführungen, denen viele offensichtlich intellektuell nicht folgen konnten oder wollten.
Bemerkenswert, wie hasserfüllt Flaßpöhler - eine Feministin - besonders von anderen Feministinnen angegangen wurde. Die Attacken kamen wie immer aus der Blase derjeniger, die sonst bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf hinweisen, dass Sprache Gewalt sein könne, Worte zu Taten führten und die auch sonst höchst sensibel auch nur auf falsche Begriffe reagieren. Hier war das mal wieder egal.
Da wurden offenbar alte Rechnungen beglichen die aufgrund ihrer kritischen Äußerungen zum Feminismus und der #metoo-Debatte aufgelaufen waren. Wer nicht auf Linie ist, der wird zum Feind erklärt und gnadenlos niedergemacht. Besonders skurril war nicht, dass es keine valide inhaltliche Kritik gab. Die kommt aus diesen Kreisen so gut wie nie. Ich fand vor Allem interessant, dass man sich hauptsächlich an ihrer Frisur abarbeitete, also “Lookismus” betrieb, den man sonst auf das Schärfste verurteilt. Ich könnte mich nun auf dieses Niveau herablassen und erwähnen, dass wenn ich mir viele Aktivistinnen aus dem Milieu anschaue, nur empfehlen kann, mal selbst in den Spiegel zu schauen. Das würde ich aber nie tun.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich allerdings auf einige sehens-/ und lesenserte Beiträge Flaßpöhlers hinweisen.
Am Anfang steht eine, hier in der Vergangenheit bereits vorgestellte, Diskussion mit Margarete Stokowski im Rahmen der “Resonanzraum”-Serie der Ullsteinverlage, die ich nach wie vor für legendär halte. Eine souveräne und sachlich argumentierende Flaßpöhler trifft auf eine, nichts entgegen zu setzen habende und sich im Laufe des Gesprächs wie ein bockiges Kleinkind aufführende Stokowski. Dieser Dialog zeigt sehr gut, warum sich diese beiden Ausprägungen des Feminismus so unversöhnlich gegenüberstehen.
Argumentativ auch sehr interessant ist das Interview mit Peter Unfried und Harald Welzer in der TAZ.
Es gibt im Feminismus die sogenannte Standpunkttheorie, die besagt, dass jede Position an einen Standpunkt gebunden ist, aber dass die Unterdrückten einen objektiveren Zugang zur Wahrheit haben, weil sie viel mehr sehen als die privilegierte Gruppe, die gar kein Interesse an einer höheren Erkenntnis hat. Sicher ist es richtig, dass ich nicht weiß, wie es ist, eine schwarze Hautfarbe zu haben. Insofern kann mich die Sicht eines dunkelhäutigen Menschen, der tagtäglich Diskriminierung erfährt, zu neuen, wertvollen Einsichten führen. Problematisch finde ich aber, wenn Menschen, die keiner solch unterdrückten Gruppe angehören, unterstellt wird, dass sie zu bestimmten Themen nichts Wertvolles sagen können. Ich als weiße, heterosexuelle Frau in einer Führungsposition habe in bestimmten Themenkomplexen ganz schlechte Karten.
Wenn an die Stelle von Argumenten Gefühle treten, ist an Diskutieren nicht zu denken. Das würgt alles ab.
Abgesehen davon, dass die Auswüchse von #MeToo mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun haben, hat sich Feminismus in eine Opferrolle hineingetwittert, die so schlicht nicht mehr vorliegt. Wir leben nicht mehr im Patriarchat, sondern in einer extrem vielschichtigen Übergangsphase. Es gibt noch real existierende Unwuchten, sicher. Aber wir Frauen sind doch konstitutiver Teil dieser Unwuchten
Mich hat jedenfalls von Anfang an skeptisch gemacht, dass alle, wirklich alle #MeToo super fanden, von Alice Schwarzer und Angela Merkel über Giovanni di Lorenzo bis hin zur linken Feministin in Neukölln. Da wird eine Quasireligion aufgebaut und wer es wagt, die zu kritisieren, ist rechtsreaktionär. Das hat nichts mit einem offenen, liberalen, demokratischen Diskurs zu tun.
Mir fällt auf, dass die Errungenschaften postmoderner Theoriebildung überhaupt nicht mehr reflektiert und gesehen werden. Differenz zu denken, und zwar radikal, das macht die Moderne im progressiven Sinn theoretisch aus. Und genau diese Errungenschaften werden verraten, wenn man nicht mehr dazu in der Lage ist, den anderen als anderen, mit einer anderen Position, mit einem anderen Standpunkt, anzuerkennen und in einen offenen Diskurs mit ihm zu treten. Stattdessen löst sich alles in einer krassen Selbstbezüglichkeit auf, völlig theoriearm, völlig theorieentkernt.
Hören Sie auf, Sie beleidigen uns! - TAZ
Doppelmoral ist hier regelmäßig Thema und auch ein aktueller Fall ist relevant. Die mir bisher nicht durch geistreiche Einlassungen aufgefallene Komikerin Idil Baydar setzte in einer Diskussionsrunde mit dem Clanchef Arafat Abou-Chaker die Verfolgung der Juden im dritten Reich mit Ermittlungen gegen Clanmitglieder gleich. Der Aufschrei blieb aus. Abgesehen davon, dass man sich fragen muss, was Baydar bewogen hat, an dieser Runde teilzunehmen, eine unfassbare Entgleisung.
Jemand sagte zum Umgang mit Clan-Kriminellen: „Das erinnert mich ganz stark an, wie heißt das noch mal, Zweite-Weltkrieg-Geschichte, hier, wo sie auf die Juden geritten sind.“
Baydar stimmte zu: „Das ist die gleiche Story!“
Idil Baydar, die sich freundschaftlich zu ihnen gesellte, ist oft Gast im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, moderiert auch bei den „Neuen deutschen Medienmachern“, einem mit Millionen Euro Steuermitteln geförderten Lobbyverein, der angeblich gegen Stereotype kämpft, dessen Vorsitzende allerdings Deutsche ohne Migrationshintergrund als „Kartoffeln“ bezeichnet.
Nun, da sie den Holocaust verharmlost und sich mit mutmaßlich Kriminellen gemeinmacht, bleibt die Kritik eher leise. Als sich eine durchgeknallte, bis dahin unbekannte junge Frau auf einer „Querdenker“-Demo mit Widerständlerin Sophie Scholl verglich, kritisierte selbst der deutsche Außenminister die Jugendliche hart.
Im Fall Baydar aber schweigt er, wie so viele andere. Es kommt offenbar immer darauf an, wer sich im Ton vergreift.
Holocaust-Verharmlosung ist in bestimmten Milieus Alltag - Welt
Dass Selbstständige in Deutschland eher misstrauisch beäugt werden und vielerort noch das Klischee des “reichen” Unternehmers im Dreiteiler mit dicker Zigarre etabliert ist, darüber könnte man mit dem Kopf schütteln. Dass aber auch der Staat selbst dieses Misstrauen gegenüber Menschen, welche das Schicksal in die eigene Hand nehmen, hegt, befremdet. Mich wundert auch, wie lässig zu hundert Prozent staatlich finanzierte Personen bezüglich der Pandemiebekämpfung darüber befinden, was dem Teil der Bevölkerung zuzumuten ist, der seinen Unterhalt selbst erwirtschaften muß. Wolf Lotter, Gründungsmitglied des Wirtschaftsmagazins “Brand Eins” hat sich zu der Sicht auf Selbstständige in einem Interview geäussert.
Man darf nicht vergessen, dass die Vorurteile gegen Selbstständige in Deutschland ein Klima der Aggression und Ausgrenzung erzeugt haben. Gegenüber Selbstständigen herrscht in den meisten Organisationen mittlerweile eine Art Fremdenfeindlichkeit. Wir sind die Ausländer, die Anderen, die das Gefüge der Scheinsicherheit in Frage stellen. Das macht vielen unsicheren Leuten Angst. Es ist wie immer: man schürt Vorurteile gegen etwas, was man nicht kennt, um die eigene Bräsigkeit zu schützen.
Die Politik empfiehlt sich, ganz ähnlich der Mafia, als Schutzgeldbeauftragter für all jener, die Angst vor Selbständigkeit haben. Schauen Sie mal auf die Mitglieder des Bundestags, die Parteimitglieder. Die meisten gehören dem öffentlichen Dienst an, sind Beamte oder Festangestellte älteren Jahrgangs. Alles Leute, die das Neue und Innovative skeptisch sehen. Für die wird Politik gemacht. Der Rest wird ausgegrenzt. Deshalb geht hier schon so lange nix mehr, deshalb haben wir den Anschluss verloren. Die Politik hat eigentlich einen einfachen Job: Ein neues Sozialversicherungssystem zu schaffen, dass den neuen Arbeitsbedingungen entspricht. Davor drückt man sich seit mindestens vier Jahrzehnten.
Jede Abweichung, jeder Unterschied macht verdächtig - man "tanzt aus der Reihe“ und dann muss man halt wieder "das, was nicht passt, passend machen". Unternehmer sein, selbstständig Lösungen finden, die auf neue Probleme passen, also innovativ denken, tüfteln, dass ist eigentlich den meisten Leuten zutiefst fremd.Sie machen ihre Routinearbeit – und fertig – "Haben wir immer so gemacht.“ Mit so einer Denke wird ein Unternehmer nicht alt.
Die 68er haben viel über Selbstbestimmung geredet, aber sie haben sich im langen Marsch durch die Institutionen, also Richtung Eigentumswohnung und hohe Pensionsansprüche, verlaufen. Aus Leuten, die mehr Selbstbestimmung, persönliche Freiräume forderten, sind Funktionäre geworden. Ich erlebe das jeden Tag so. Wenn es um etwas geht, sind die Alt-68er und ihre Epigonen zuverlässig auf der Seite der Fremdbestimmung. Mit Kunden wird mittlerweile wie mit Kindern geredet, man duzt sie ungefragt, das hat nichts mit Nähe zu tun, sondern damit, dass man sie für unmündig hält.
"Erfüllungsgehilfen einer politischen Bürokratie" - Deutsche Handwerkszeitung
Prof. Dr. Hinnerk Wißmann, Professor für Öffentliches Recht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat auf dem “Verfassungsblog” einen sehr guten Artikel über die Pandemiepolitik geschrieben.
Niemand würde ja zunächst ernstlich bestreiten, dass seit März 2020 die schärfsten Grundrechtseingriffe in der Geschichte der Bundesrepublik zu verzeichnen sind, noch dazu flächendeckend und ohne absehbares Ende – die Vermutung für die Freiheit, die unseren Staat 70 Jahre gekennzeichnet hat, wurde zugunsten des Schutzes der individuellen Gesundheit und des Systems der Krankenversorgung praktisch aufgehoben. Dennoch ist scheinbar zu all dem für viele Vertreter des Fachs im Grunde nichts zu sagen. Man verweist bestenfalls auf das Schutzgut Leben, auf die besondere Konstellation des Eilrechtsschutzes, auf das dynamische Geschehen, die „Stunde der Exekutive“, und überwintert in einer ziemlich privilegierten Stellung.
Wäre stattdessen die Lehre von der Verfassung eine Grundwissenschaft im lebendigen Verfassungsstaat – an der Spitze aller Beratungsvorgänge, unverzichtbar für ein nachhaltiges Krisenmanagement – müsste sie zu den inneren Zusammenhängen von Freiheit und Schutz, von Eingriff und Leistung, sogar von Leben und Tod vordringen, unabhängig von der kleinen Münze gerichtlicher Verfahren. Dann könnte sie, und so müsste es doch vielleicht sein, auch jetzt die Anwendungsebene in Exekutive, Legislative und Judikative prägen, statt als praktisch irrelevant zur Seite geschoben zu werden. Es gäbe ein Bewusstsein dafür – und es würde vom Fach einhellig verteidigt –, dass alle Intensivmedizin, alle Forschung, alle Produktion von Arzneimitteln, aber auch alle Vorsorge, alle Hilfe für Kinder, alle Versprechungen der sozialstaatlichen Hilfe von Grundverabredungen des freiheitlichen Verfassungsstaats abhängen, und man diese jedenfalls nicht einfach auf Kredit suspendieren kann.
Der Ort, an dem diese Sicht auf die Dinge sich zu Entscheidungen verdichtet, ist seit 10 Monaten bekanntlich die „BKMPK“, also die faktisch durch das Bundeskanzleramt geleitete Ministerpräsidentenkonferenz: Hier werden die großen Linien der Corona-Strategie abgestimmt, bevor sie dann vor Ort politisch durchzusetzen sind. Nahegelegt wird diese Praxis letztlich durch den Bundesstaat selbst mit seiner eigentümlichen Mischung aus Zuständigkeiten, die „vertikal“ zwischen Bund und Ländern und „horizontal“ zwischen Regierungen und Parlamenten aufgeteilt sind. Das hat zunächst einmal seine gute Ordnung – von tiefem Staat oder Corona-Diktatur keine Spur. Allerdings wird so der eigentlich vorgesehene Gang der politischen und gesellschaftlichen Diskussion eben doch von den Füßen auf den Kopf gestellt, mit zunehmenden Wagenburg-Effekten. Schon die Zulieferung und Auswahl von Informationen folgt erkennbar deutlich engeren Pfaden, als das etwa im regulären parlamentarischen Betrieb der Fall wäre. Rechtfertigen muss sich, wer von der Marschroute der Absprachen abweicht, längst bevor daraus verbindliche Rechtsnormen gemacht sind, und in Gegensatz zu der Idee des Grundgesetzes, die Ausführung der Bundesgesetze in Art. 83 GG zur „eigenen Angelegenheit“ der Länder zu machen.
Deswegen kann sich auch die Infektionsschutzpolitik mit dem Begriff der Vorsorge nicht von einem verbindlichen Tatsachenbezug verabschieden, um in den Bereich der dauernden Modellierung von Wirklichkeit zu wechseln. Und entsprechend reicht es auch nicht hin, die Frage nach der Geeignetheit der brachialen Maßnahmen über Wochen und Monate angesichts bescheidener Erfolge mit der Feststellung abzuwehren, ohne genau diese Maßnahmen stünde man jedenfalls schlechter da. Das ist in einem ganz schlichten Sinn nicht zu widerlegen, verwechselt letztlich die Welt aber mit einem Labor.
Nur in unübersichtlichen, zeitlich und sachlich begrenzten Sondersituationen wurde dem Staat zugebilligt, „auf Verdacht“ zu handeln. So konnte es auch zu Beginn der Corona-Epidemie im letzten Frühjahr vertreten werden. Aber statt die Anforderungen etwa an den Nachweis von Tatsachen und Begründungen für die Wirksamkeit von Maßnahmen zu erhöhen, wird ganz im Gegenteil derzeit erwartet, dass sich das Publikum an eine „Im-Zweifel-für-die-Sicherheit“-Begründung gewöhnen soll. Der Begriff der Vorsorge kehrt die Beweislast um. Man sollte ehrlich sein: Freiheit, die ihre Ungefährlichkeit beweisen muss, ist abgeschafft.
Die Politik hat sich aber vollkommen an eine einseitige (intensiv-)medizinische Perspektive gebunden und sie in der ihr eigenen Art zu einem totalen Anspruch umformuliert. Eine solche Politik muss aber scheitern, wenn sie ihre Formeln („Jeder Tote ist zu viel!“) wirklich ernst nimmt, oder sie führt in die totale Entgrenzung des Maßnahmenstaats. Das sind Alternativen, die mit unserer Verfassungsordnung nicht viel gemein haben. Das Grundgesetz ist in der Tat eine Verfassung, die dem Leben verpflichtet ist. Jedes leichtfertige Reden über die Grenzen von Leben und Gesundheit würde die historischen Einsichten hintergehen, auf die unser Staat gegründet ist. Es besteht aber ein kategorialer Unterschied zwischen den verfassungsrechtlichen Geboten, menschliches Leben nicht zu schädigen und miteinander im Schutz solidarisch zu sein – und der Hybris, einen bestimmten Tod aus dem Feld schlagen zu wollen und dafür notfalls die offene Gesellschaft zu opfern. Darüber kann gestritten, aber nicht geschwiegen werden.
Verfassungsbruch? Schlimmer: Ein Fehler - Verfassungsblog
Wieder einmal macht die “New York Times”, die schon länger kein Ort der freien Rede mehr ist, von sich reden. Leider erneut nicht positiv. Der 67 Jahre alte Wissenschaftsjournalist Donald McNeil muss wegen schräger Vorwürfe die Redaktion verlassen.
Zum Verhängnis wurde ihm ein einziges Wort, ein Schimpfwort für Afroamerikaner. Das Wort stand nicht in einem seiner Artikel. McNeil hat es nicht schriftlich, sondern mündlich verwendet, und er nahm es nicht in den Mund, um jemanden zu beschimpfen.
Demnach wurde er beim Abendessen von einer Schülerin gefragt, ob er meine, dass eine Mitschülerin der Fragenden wegen eines Videos der Schule hätte verwiesen werden sollen, in dem sie als Zwölfjährige das Schimpfwort im Mund geführt habe. Um eine begründete Meinung äußern zu können, erkundigte sich McNeil, wie das Mädchen das Wort gebraucht habe: als Schimpfwort für einen bestimmten Adressaten, als Kunstwort in einem Rap-Song oder als Zitat? Bei der Rückfrage gebrauchte McNeil selbst das Wort, statt auf eine Umschreibung zurückzugreifen wie die Formel „the n-word“, die man nun in den Berichten über den Skandal lesen kann. Das war der Fehler, der McNeil nicht verziehen wird.
Dass seinem Arbeitgeber ein einziges falsches Wort genügte, um eine jahrzehntelange Zugehörigkeit zu beenden, sendet laut Suzanne Nossel, der Vorsitzenden von PEN America, eine einschüchternde Botschaft über die Risiken der freien Rede in die Welt. McNeil verwendete das „n-word“ sozusagen in Anführungszeichen; es war der Gegenstand des Gesprächs.
Möglicherweise sah er sich als Botschafter eines evidenzbasierten Wissenschaftsjournalismus in die aufklärerische Pflicht genommen? Und was ist „white supremacy“? Eine diskreditierte Ideologie und ein abgeschafftes Unrechtssystem mit toxischen Nachwirkungen? Oder ein Ensemble informeller Privilegien, die Weiße kraft Geburt genießen? In der Philosophie des „Afro-Pessimismus“ wird behauptet, Strukturen weißer Bevorrechtung lebten etwa auch dort fort, wo Fachzeitschriften für Altertumswissenschaft Aufsätze ohne Rücksicht auf die Hautfarbe der Einsender auswählen. Wollte McNeil eventuell bloß sagen, dass er nicht schon rassistisch agiert, wenn er nur seiner Arbeit nachgeht?
Das Gruseligste an diesem Gesinnungsterror ist, dass er sich um die Gesinnung gar nicht schert. Nur um die Sprache geht es: Durchgreifende Kontrolle verwandelt sie in ein System von Codewörtern.
Ein Wort zu viel - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Es freut mich sehr, dass Identitätspolitik immer mehr Teil der kritischen Auseinandersetzung ist. In diesem Zusammenhang sei auf zwei hörenswerte Diskussionen hingewiesen.
Da ist zum einen das SWR-Gespräch “Wir zuerst! Wie verändert Identitätspolitik die Gesellschaft?” mit Alice Hasters, Prof. Dr. Andreas Rödder und Prof. Dr. Bernd Stegemann.
Schwarz, feministisch, queer - immer mehr Menschen betonen ihre Gruppenidentität. Und beklagen Diskriminierung. Aber, wer abgrenzt, spaltet.
Bedrohen die identitätspolitischen Grabenkämpfe die Demokratie?
Wir zuerst! Wie verändert Identitätspolitik die Gesellschaft? - SWR
Das zweite Gespräch mit den Teilnehmern Linda Teuteberg und Prof. Dr. Andreas Rödder hat den Titel “Wird Identitätspolitik zur Systemfrage?”.
Identitätspolitik zieht sich durch viele politische Themen: Cancel Culture, Wokeness, Quoten & Safe Spaces sind nur einige der Stichworte. Wird sie zur Systemfrage?
Kultur
Coverversion der Woche: The Four Tops - You Can’t Hurry Love
Weil Mary Wells, Mitbegründerin der Gruppe gestorben ist, heute etwas von den Supremes. Das Stück “You Can’t Hurry Love” wurde 1966 vom Produzententeam Holland–Dozier–Holland geschrieben und bereits in diesem Jahr von den Supremes aufgenommen. Für die Version der Four Tops, ebenfalls von 1966, habe ich mich entschieden, weil die Interpretation mit männlichen Stimmen dieser eine interessante Note verleiht und wesentlich roher ist, als das Original.