Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #29
Am Montag habe ich mir mal wieder eine Ausgabe von “Hart aber fair” mit Frank Plasberg angeschaut. Meiner Meinung nach ist das die einzige dieser Sendungen, die man noch ohne den Drang, den Fernseher aus dem Fenster zu werfen, übersteht.
Es ging natürlich um COVID-19 und wer mich besonders befremdet hat, war der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil. Der sprach in der Sendung bezüglich der Maßnahmen und Weihnachten über Bürger wie über unartige Kinder und sagte unter Anderem, es gebe ein Problem mit einer Gruppe, "die nicht hören will". Da wurde mir etwas kalt. In meiner Familie wird Weihnachten dieses Jahr auch völlig anders verlaufen als sonst. Alle bedauern das, aber natürlich halten wir die Regeln ein. Das ist gar keine Frage.
Was sich im Zuge der Diskussionen über Corona bei vielen (leider auch bei vermeintlich Liberalen) für ein autoritäres Denken offenbart, bestürzt mich. Ich bemerke eine richtiggehende Lust daran, sich über andere zu erheben. Immer mehr Menschen fühlen sich dazu berufen, Anderen ihre vermeintliche Rechtschaffenheit und denen ihre vermeintlich Unzulänglichkeit unter die Nase zu reiben. Das ist keine gute Entwicklung.
Dies ist die letzte Ausgabe in 2020, denn der Newsletter geht in die Weihnachtsferien. Ausgabe #30 erscheint am Freitag, den 08.01.2021. Ich freue mich darüber, dass die Publikation so gut angenommen wird und wünsche meinen Lesern schon jetzt frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr!
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Nun aber los.
Heute geht es unter Anderem um Shitstorms, Quoten und Liberalismus.
Willkommen im Club!
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Politik und Gesellschaft
Zum weiter oben bereits thematisierten Drang nach Belehrung passt auch die Redewendung “Wir müssen reden.”, mit der solche gern eingeleitet werden. Entgegen der Erklärung beweist dieser Einstieg keine Bereitschaft zu einem echten Austausch.
Denn inzwischen ist „Wir müssen reden“ wie und warum auch immer zu einem Standard-Einstieg deutschsprachiger Meinungspublizistik geworden, wenn jemand dringenden Mitteilungsbedarf hat. Genau darum geht es dabei: Nicht reden, sondern mitteilen. Hinter dem pseudo-lockeren Psychologenton stecken in der Regel Vorwürfe und missionarischer Eifer aus der Position des moralisch Bessergestellten. „Deutschland, wir müssen reden“ – danach wird es garantiert nie locker. Und nie witzig. Wie auch, wenn schon der erste Satz eine nachgeplapperte und deshalb strafverschärfende Marotte ist? Es folgt immer eine Predigt, dass „wir“ irgendwas tun oder lassen sollen. Genau genommen nicht „wir“, sondern „ihr“. Denn die predigende Person tut oder lässt es ja schon.
Wenn Sie also das nächste Mal auf Twitter oder von einem Text mit dem Einstieg „Wir müssen reden“ überfallen werden, denken Sie daran, was wirklich gemeint ist. „Ich will einen Vortrag halten und du hältst dabei das Maul.“ Und dann wissen Sie: Muss ich nicht lesen.
Wir müssen nicht reden. Mit Dir nicht. - Salonkolumnisten
Die Firma Douglas war diese Woche mit scharfer Kritik in den sozialen Medien konfrontiert, weil sie - um die Schließung der Geschäfte zu verhindern - diese kurzerhand zu Anbietern lebensnotwendiger Toilettenartikel umdefinierte. Aufgrund des Aufruhrs unterwarf sich Geschäftsführerin Tina Müller dem Onlinemob und ruderte schließlich zurück. Man kann zu der kreativen Idee, sich zur Drogerie umzulabeln, unterschiedlicher Ansicht sein. Die Empörung war allerdings scheinheilig. Sie enthielt zudem viel Gesellschaftskritik und Klassenkampf. Das kennt man aus der aktuellen Diskussion um das Feiern des Weihnachtsfests. Reine Ablehnungsfolklore von Leuten, die Weihnachten und intakte Familien aus ideologischen Gründen schon immer kritisch sahen. Im Fall von Douglas rufen Menschen zum Boykott (Warum muss es eigentlich immer gleich ein Boykottaufruf sein?) von Geschäften auf, in denen sie aus ideologischen Gründen sowieso nicht einkaufen. Dass sich der Konzern nun entschuldigt hat und umsteuert, mag bezüglich der aktuellen Situation vernünftig sein. Hinsichtlich der Signalwirkung für Verursacher von Shitstorms, halte ich diese Entscheidung für hochproblematisch.
Dass ich Quoten in jeder Form für falsch halte, habe ich hier bereits mehrfach betont und die Gründe erläutert. Der vom “Manager Magazin” als “wohl einflussreichster Personalberater des Landes“ bezeichnete Headhunter Dieter Rickert, dessen ehemaliger Partner Hubert Johannsmann ihn sicher anders nennen würde, hat in der FAZ einen lesenswerten Artikel über die Frauenquote aus seiner beruflichen Sicht geschrieben. Auch mal eine interessante Perspektive.
Die Quote wird zu mehr Vorstandspositionen für Frauen führen, aber ob dadurch die Produktivität der Unternehmen verbessert wird und das eigentliche Unternehmensziel, der Gewinn, steigt, ist mehr als zweifelhaft. Wenn Politiker eine Meinung haben über Dinge, die sie nur vom Hörensagen kennen, und das in Gesetze gießen, gilt häufig: Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Mit der neuen Regelung werden sicher qualifizierte Frauen in die Vorstände kommen, die es auch ohne Quote geschafft hätten. Nun werden sie stattdessen als „Quotenfrauen“ diskriminiert. Es werden jedoch durch die Quote Bestellungen erfolgen, die sinnvoller mit einem qualifizierten Mann besetzt worden wären oder die wegen der Quote erst erfunden werden. Man fragt sich dabei, wie gleichzeitig ein gesetzliches Diskriminierungsverbot für alle Geschlechter und eine gesetzliche Quote für nur ein Geschlecht Gültigkeit haben können. Da wird das Bundesverfassungsgericht wohl Klarheit schaffen müssen.
Das gängige Narrativ für diese Aktion lautet: „Gemischte Teams fällen bessere Entscheidungen.“ Der generelle Beweis dürfte schwer zu führen sein, denn gegenüber Ländern mit höherer Frauenquote wie Amerika, Schweden oder Frankreich zeigt die deutsche Handelsbilanz, dass sich unsere Unternehmen mit ihrer Leistungsfähigkeit hinter ihren Wettbewerbern nicht zu verstecken zu brauchen. Exportweltmeister wird man nicht zufällig. Also muss für die Politik ein empfundener Mangel an Geschlechtergerechtigkeit als Motiv herhalten.
Wenn man das ändern möchte, darf man das Pferd aber nicht vom Schwanz her aufzäumen und die angestrebten Ergebnisse erzwingen, statt bei den Ursachen anzusetzen. Dazu bedürfte es eines Kulturwandels, der das gängige Bild von Erziehung, Ausbildung, Familie und Mutterschaft evolutionär verändert. Wir müssen den Kindern vom ersten Schultag an Freude und Interesse an Wirtschaft und Technik vermitteln. Dazu braucht man Lehrer, die erklären können und wollen, dass wir unseren Lebensstandard der stetigen Verbesserung technologischer Prozesse verdanken. Nur so gibt es auch mehr Abiturientinnen, die anschließend unternehmensrelevante Fächer studieren und in zehn oder zwanzig Jahren auf natürlichem Weg im Vorstand landen.
Quoten sind völliger Unsinn - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Der Liberalismus hatte es schon immer schwer in Deutschland. Vor Allem deshalb, weil die meisten Menschen ihre Meinung über ihn aus Vorurteilen gebildet haben. Das führt dazu, dass Diskussionen über Liberalismus oft damit beginnen, dass man erst einmal alle Irrtümer und Vorurteile richtigstellen muss. Dazu kommt, dass die Mentalität “Der Staat weiß am besten, was gut für mich ist und wird es richten.” in Deutschland deutlich verbreiteter ist, als in anderen Ländern der Welt. Im Moment greift der Staat extrem in das Leben der Bürger ein. Teilweise ist das aufgrund der Situation gerechtfertigt, teilweise nicht. Leider nehmen im Rahmen dieser Debatte auch auch Anwürfe gegen Liberale zu, die den staatlichen Drang nach mehr Kontrolle naturgemäß kritisch sehen. Da tut es gut, einen Text zu lesen, der noch einmal klarmacht, dass viele Vorurteile keine sachliche Grundlage haben aber auch, dass nicht wenige davon Liberale selbst zu verantworten haben. Gefreut hat mich auch der Hinweis auf den seiner 1960 veröffentlichten Abhandlung “Die Verfassung der Freiheit” angehängten Essay “Why I am not a Conservative” von Friedrich August von Hayek, den ich heute Abend mal wieder lesen werde.
„Wenn jeder an sich selbst denkt, dann ist an alle gedacht“: es ist solcher neunmalkluge Infantilismus, der dem Liberalismus den größten Schaden zufügt. Denn wer so denkt, verwechselt die Unparteilichkeit des Staates mit persönlicher Unbeteiligtheit. Wer das Individuum zum Primat der Politik erklärt, der muss sich auch im Privaten daran messen lassen. Aus der anti-autoritären Politik-Agenda des Liberalismus müssen im Umkehrschluss Mitgefühl und Empathie im Privaten folgen. Zumindest, wenn man wie die meisten Vordenker von Adam Smith über Max Weber bis Robert Nozick der Überzeugung ist, dass wir Menschen sind, für die solche Werte zentrale Bedeutung haben. Damit ist jedoch nicht „mitfühlender Liberalismus“ das Ziel, sondern „mitfühlende Liberale“. Denn ein „mitfühlender Liberalismus“ verwechselt das Mitgefühl zwischen zwei Individuen mit gegenstandslosem kollektivem. Sollen die Ideen von Freiheit und Marktwirtschaft wieder jene Anziehungskraft entfalten wie im 19. und 20. Jahrhundert, müssen Liberale ihre persönlichen Tugenden mehr in den Vordergrund rücken und sie auch leben. Kurzum: Der Liberalismus braucht mehr Lametta.
Weniger Lamenta, mehr Lametta - Prometheus
Kultur
Nicht nur das Humboldtforum wurde diese Woche eröffnet, auch die Bauarbeiten an der Neuen Nationalgalerie von Mies van der Rohe sind abgeschlossen. Wunderschön, wie ich finde. Kann es kaum erwarten, dass sie wieder eröffnet.
Coverversion der Woche: Ella Fitzgerald - Santa Claus Is Comin’ To Town
Das Lied wurde ursprünglich von John Frederick Coots zu einem Text von Haven Gillespie geschrieben. Nachdem die beiden zunächst Schwierigkeiten hatten, einen Verleger für das Lied zu finden, spielte Harry Reser mit seiner Band am 24. Oktober 1934 mit dem Sänger Tom Stacks die erste Version ein. Der Titel wurde unzählige Male gecovert. Allein im Jazzbereich gibt es mehr als 200 Versionen. Als langjähriger Bewunderer von Ella Fitzgerald habe ich mich letztendlich für ihre Version entschieden, das war aber gar nicht einfach. Ich mag einfach, wie locker sie es geschafft hat, sich fremde Lieder zu eigen zu machen, ohne den Respekt vor ihnen zu verlieren. Das schafft nicht jeder.