Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #25
Dies ist die fünfundzwanzigste Ausgabe des Newsletters, ein Viertel von Hundert und natürlich mache ich mir auch Gedanken über die thematische Ausrichtung. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Themen immer Ähnliche sind, denn das war ja - ohne meine persönliche Bedeutung dabei überschätzen zu wollen - die Motivation, dieses Projekt überhaupt zu starten. Sichtweisen zum Diskurs beizutragen, die entweder gar nicht, zu selten oder zu leise geäussert werden.
In letzter Zeit war Cancel Culture hier immer wieder ein Thema und wird es auch weiterhin sein, denn das Problem breitet sich hierzulande aus. Leider nehme ich bei manchen derer, die das Phänomen kritisieren wahr, dass sie in den Bereich der Verschwörungsmythen abdriften und sich mit Personen/Institutionen sowie Positionen gemein machen, mit denen ich persönlich nichts zu tun haben möchte. Um es anders auszudrücken: Der Feind meines Feindes ist nicht automatisch mein Freund.
Auch Doppelmoral ist hier immer wieder Thema. Besonders fällt diese im Moment bezüglich des Umgangs mit der Dissertation von Franziska Giffey auf. Ich kann mich noch gut an die flammenden Reden und und Rücktrittsforderungen von SPD-Politikern erinnern, als es um Karl-Theodor zu Guttenberg ging. Aus den Reihen der SPD hört man in der aktuellen Situation nur ohrenbetäubendes Schweigen. Bezeichnend.
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Nun aber los.
Heute geht es unter Anderem um einen missglückten Film, politische Kultur und Musik.
Politik und Gesellschaft
Im Zusammenhang mit dem neuen Infektionsschutzgesetz gab es diese Woche einige Aufregung. Als sei es nicht schon ungeheuerlich und enthemmt genug, den Vergleich mit dem Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten zu ziehen. Als das Gesetz, welches man berechtigt aus vielen Gründen kritisieren kann und muss, am Mittwoch verabschiedet werden sollte, hatten Abgeordnete der AfD Gäste in den Reichstag eingeladen, die sich nicht nur Zugang zu Räumlichkeiten verschafften, die sie nicht betreten durften, sondern auch Abgeordnete filmten, bedrängten und beleidigten. Ein Video, in dem Peter Altmaier von einer Besucherin angegangen wird, kursiert im Internet. Warum diese Personen unbeaufsichtigt im Gebäude herumliefen und welche Folgen dieses Verhalten haben kann, wird nun glücklicherweise gründlich untersucht. Wer im Reichstag gegenüber Andersdenkenden versucht, ein Klima der Angst zu schüren, um ihr Abstimmungsverhalten zu beeinflussen, kündigt den demokratischen Konsens auf. Das muss empfindliche Folgen haben.
Die Behauptung, in den letzten Jahrzehnten habe sich in puncto Gleichberechtigung nichts zum Positiven geändert, ist nachweislich unzutreffend. Das ändert nichts daran, dass sie ständig wiederholt wird. Nun wurde sie erneut durch Fakten widerlegt. Eine Studie kam zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2019 Frauen in DAX-Vorständen mehr verdienten als Männer.
Laut der Studie verdienten die Frauen in den Vorständen der 30 Dax-Konzerne im Schnitt etwa 2,93 Millionen Euro und damit im Mittel rund 30.000 Euro mehr als die dort vertretenen Männer. Bei den 60 Firmen im MDax war das Gehalt der Managerinnen mit 1,44 Millionen Euro im Schnitt um etwa 115.000 Euro höher. Im SDax mit seinen 70 Unternehmen fiel die durchschnittliche Gesamtdirektvergütung mit rund 1,07 Millionen Euro etwa sieben Prozent höher aus als die der männlichen Vorstandsmitglieder – erstmals seit Beginn der Untersuchung im Jahr 2013.
Frauen in Dax-Vorständen verdienten 2019 erstmals mehr als Männer - Die Zeit
Bei den Salonkolumnisten wird ein interessanter Fall von Cancel Culture im Zusammenhang mit Amazon Prime geschildert. Ähnliche Vorgänge sind bereits von Netflix bekannt.
Der Rassismusforscher Shelby Steele geht in seinem Film „What killed Michael Brown?” all dem nach. Er sollte am 16. Oktober auf der Amazon-Plattform ausgestrahlt werden. Doch Amazon cancelte den Film zwei Tage vorher. Begründung per E-Mail: „Er entspricht nicht Prime Videos Erwartungen an die Qualität des Inhalts“. Vulgo: Das Narrativ passt uns nicht. Steele folgt nicht dem Dictum vom systemischen Rassismus in der amerikanischen Polizei, der Film zeichnet ein sehr komplexes Bild von der Wirklichkeit. Vorsorglich wurde den Filmmachern mitgeteilt, dass sie den Film auch in veränderter Form nicht wieder einreichen bräuchten. Gegen diesen Bescheid könne auch kein Widerspruch eingelegt werden. Ein Rausschmiss erster Klasse.
Komplex ist gefährlich - Salonkolumnisten
Gestern gelangte mir ausser dem zur Kenntnis, dass BBC Radio 1 dieses Jahr die Originalversion des Weihnachtssongs “Fairytale Of New York” der von mir in jüngeren Jahren hochgeschätzten The Pogues nicht spielen wird, weil Menschen sich vom Text verletzt fühlen könnten. Es ist nicht das erste Mal, dass der Song zensiert wird. Bereits 2007 wurde eine solche Entscheidung getroffen, dann allerdings nach Kritik wieder zurückgenommen. Wer weiss, vielleicht passiert das ja auch in diesem Jahr.
BBC Radio 1 will not play the original version of Fairytale of New York by The Pogues and Kirsty MacColl this Christmas, because its audience may be offended by some of the lyrics.
The station said young listeners were particularly sensitive to derogatory terms for gender and sexuality.
But Radio 1 has decided younger listeners who are unfamiliar with the track would find some of the words stark and not in line with what they would expect to hear on air.
Fairytale of New York: BBC Radio 1 will not play original version - BBC
Dieses Hypersensible beunruhigt mich. Wenn junge Menschen nicht einmal mehr verkraften können, rustikale Sprache im Radio zu hören (Hören junge Menschen überhaupt noch Radio?), möchte ich sie mir nicht als spätere Konzernlenker oder Politiker vorstellen. Und zum Thema “young listeners”: Als ich anfing die Pogues zu hören, war ich dreizehn Jahre alt. In der Zeit kamen auch die ersten Ärzte-Alben auf den Plattenteller. Das hat mich nicht traumatisiert, sondern beflügelt. Zudem sprechen doch genau diese dauergetriggerten Jugendlichen ständig davon, Klassismus bekämpfen zu wollen. In besagtem Lied geht es um die tragische Liebesbeziehung eines Alkoholikers und eines Junkies. Wenn man sein Engagement gegen die Benachteiligung Unterprivilegierter ernstmeint, kann man nicht, sobald man authentischen Jargon hört, Zensur fordern. Es wird nicht überall so gesprochen, wie im AStA-Büro. Wie auch immer: Hier ist das phantastische Lied natürlich im Original zu hören.
Der Film “Ökozid”, der diese Woche in der ARD ausgestrahlt wurde und katastrophal schlechte Einschaltquoten einfuhr, hat für viel Diskussion gesorgt. Völlig zu Recht, denn man weiss gar nicht, wo man anfangen soll. Mein Hauptkritikpunkt ist der, dass hier Vergleiche zur NS-Zeit gezogen werden. Schon der Titel “Ökozid” soll an “Genozid” erinnern. Das ganze Setting ähnelt den Nürnberger Prozessen. Insgesamt eine bizarre Verharmlosung des Nationalsozialismus. Man kann aber noch deutlich mehr kritisieren.
Die Krönung war der Auftritt der amtierenden Bundeskanzlerin, die eines schweren Delikts angeklagt war. Das könnte man als „Verbrechen gegen zukünftige Generationen“ definieren. Aber dazu kam es natürlich nicht: Die Bundeskanzlerin war Zeugin vor diesem ARD-Gerichtshof, die in den Schlussminuten zur Zeugin der Anklage wurde, ohne aber als Angeklagte Kronzeugin sein zu dürfen. Dabei war sie in der Klimapolitik seit den 1990er Jahren an allen wesentlichen Entscheidungen beteiligt und maßgeblich für die Konsequenzen verantwortlich.
Hinterher gab es eine Gesprächsrunde bei Sandra Maischberger, bei der wie immer alle Positionen klar verteilt waren, so dass man sich das Anschauen eigentlich hätte sparen können. Einige Punkte waren dann aber doch interessant.
Wenigstens hätte man das ansprechen können, anstatt nur andächtig Nasheeds Worten zu lauschen. Hätte es doch das konkretisiert, was Luisa Neubauer später so formulierte: Das seien „alles ganz, ganz wichtige und komplexe Themen.“ Sie meinte damit aber nicht den Umgang der Malediven mit ökonomischen und sozialen Fragestellungen in Zeiten des Klimawandels, sondern unsere eigene Klimapolitik. Für diese Form der nationalen Borniertheit gibt es die immer gleiche Begründung. Deutschland gehöre historisch zu den größten Kohlendioxid-Emittenten, daraus resultiere eine historische Verantwortung, so der Star der deutschen Klimaschutzbewegung. Sie erzählte zudem jenes Ammenmärchen über die zwischen den alten Industriestaaten und den früheren Entwicklungsländern in den Klimaabkommen vereinbarte Lastenteilung. Dabei ging es nämlich nicht um eine moralische Verantwortung für frühere Sünden, wie Frau Neubauer meinte: Auch die Malediven wissen den in den westlichen Industriestaaten entwickelten Fortschritt zu schätzen. Der Lastenausgleich war schlicht die Voraussetzung, um sich überhaupt auf eine globale Klimapolitik zu einigen. Ansonsten hätte niemand außerhalb Europas bei einem solchen Abkommen mitgemacht.
So bemühte sich Peter Altmaier jene Realität zu vermitteln, die auch erklärt, warum Fridays for Future nur in Deutschland eine signifikante Bedeutung erlangen konnte. In Indonesien oder China setze man auf den Bau von Kohlekraftwerken, weil sie weiterhin als die wirtschaftlichste Energiequelle gelten.
Zudem machte Altmaier deutlich, dass bisher niemand unseren Weg eines gleichzeitigen Ausstiegs aus der Kernenergie und der Kohleverstromung nachvollzogen hat. Selbstredend hätte man die Bundeskanzlerin auch für ihren parteipolitisch motivierten Ausstieg aus dem von der rot-grünen Vorgängerregierung vereinbarten Atomkonsens vor dem ARD-Gerichtshof anklagen können.
In der Wirklichkeit wird der Veränderungsprozess in unseren Gesellschaften nicht von den planwirtschaftlichen Phantasien einer Frau Göbel oder einer Frau Neubauer angetrieben.
Das Gefühlsleben der Deutschen - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Vor allem ist mir wieder die arrogante Art von Luisa Neubauer aufgefallen, die sich nicht nur in dem äussert, was sie sagt, sondern auch Mimik und Gestik sprechen Bände. Peter Altmaier erzählt davon, dass er von tausend Kohlearbeitern ausgebuht wurde, weil die ihre Arbeitsplätze verloren. Frau Neubauer zuckt lediglich mit den Schultern. Empathie bringt sie offenbar nur noch gegenüber dem Klima auf. Mir wurde gestern in einer Diskussion entgegengehalten, mit dieser Art der Kritik schütze man sich davor, sich inhaltlich mit ihr auseinandersetzen zu müssen. Leider ist da inhaltlich aber nicht viel, mit dem man sich auseinandersetzen könnte. Sie wiederholt - laut und omnipräsent - im Prinzip immer das Gleiche:"Hört auf die Wissenschaft." und "Pariser Klimaabkommen". Bei allem Anderen zieht sie sich mit "Kann man von Jugendlichen nicht verlangen." aus der Affäre. Dabei wird gern übersehen, dass sie keine Jugendliche, sondern eine erwachsene Frau mit abgeschlossenem Studium ist. Man kann keinen Welpenschutz beanspruchen, wenn man derartig meinungsstark öffentlich auftritt und eine solche Macht hat, dass man einen Aufsichtsratsposten bei Siemens angeboten bekommt und sich die Kanzlerin mit einem trifft.
Kultur
Ich habe eine Serie entdeckt, die ich meinen Lesern wärmstens ans Herz legen möchte. Es handelt sich um die HBO-Produktion “The Undoing”. Eine Serie wie aus einer vergangenen Zeit. Sie hat diese besondere Stimmung, die ich auch in Woody Allen-Filmen mag. Das alte New York, das gefühlt nur aus Manhattan besteht und das es leider nicht mehr gibt. Eine dieser Serien, in denen jeder an der Park Avenue wohnt und ein Wochenendhaus in den Hamptons besitzt. Total realistisch also. Neben den perfekt gewählten Drehorten ist auch die Besetzung brillant. Hugh Grant, Nicole Kidman, Donald Sutherland, um nur einige zu nennen. Ich möchte nicht zu sehr auf die Handlung eingehen, aber ich kann verraten, dass es an menschlichen Abgründen nicht mangelt und ein Mord im Zentrum steht. Perfekt für die kalten Tage. Bisher sind vier Folgen verfügbar, insgesamt sind es sechs.
Coverversion der Woche: The Platters - My Prayer
Ich weise ja gern darauf hin, dass für diese Rubrik auch Einreichungen gern genommen werden. Bei der heutigen handelt es sich um eine solche, für die ich mich an dieser Stelle herzlich bedanke, denn sie hat zu einigen Erkenntnissen geführt. Die Version der Platters kannte ich natürlich, mir war nur nicht klar, dass es sich um eine Coverversion handelt. Das Original stammt aus dem Jahr 1939 und ist von Georges Boulanger, Carlos Gomez Barrera und Jimmy Kennedy. Sowohl Glenn Miller (Instrumental) als auch Die Band The Ink Spots (Vokal) nahmen den Titel dann bereits 1939 auf.
Ursprünglich wurde das Stück von Boulanger bereits 1926 mit dem Titel “Avant de mourir” geschrieben. Im Jahr 1939 verfasste Jimmy Kennedy dann den Text für diese erste Version. Insgesamt wurde “My Prayer” unzählige Male gecovert. Die Version der Platters ist aus dem Jahr 1956.