Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #23
Diese Woche ist bestimmt von der Präsidentschaftswahl in den USA, bei der seit Tagen auf ein Ergebnis gewartet wird. Das zerrt bei Vielen merklich an den Nerven und offenbart Unerwartetes. Diskussionen zu bestimmten Themen empfinde ich als in negativer Hinsicht erhellend, denn hier zeigt sich, wer die Werte, die er vorgibt zu haben, wirklich lebt. Hier outen sich sogar vermeintlich Liberale als Autoritäre. Zu Donald Trump gibt es nur eine "richtige" Meinung. Wer darauf hinweist, dass Differenzierung angezeigt ist und eine simple Schwarz/Weiss-Betrachtung der Komplexität des Themas nicht gerecht wird, der wird als "Trump-Fan", also nicht satisfaktionsfähig, diffamiert. Man wähnt sich im Besitz der einzigen Wahrheit, versucht, mit "Basta!"-Ansagen Diskussionen zu unterbinden und zwangsverortet nicht genehme Meinungen sowie ihre Vertreter in unappetitlichen Lagern. Differenzierung und der Hinweis auf Fakten, die nicht ins Narrativ passen, werden aggressiv abgewatscht. Dieses Verhalten kenne ich eigentlich aus anderen Milieus. Wenn jetzt sogar Liberale so agieren, dann ist das Anlaß zur Sorge. Die liberale Idee ist im Moment (nicht nur) parteiintern sowohl von Links als auch von Rechts unter Beschuss. Wer die Idee einer freien Gesellschaft, sowie Demokratie und Rechtsstaat wirklich wertschätzt, verhält sich anders. An ihrem Diskussionsstil sollt Ihr sie erkennen.
Neuen Abonnenten empfehle ich die “About”-Seite. Wer mir in den sozialen Medien folgen möchte, findet Accounts bei Twitter, Instagram und LinkedIn.
Nun aber los.
Heute geht es unter Anderem um Wahrheitsansprüche, Journalismus und den Kulturbetrieb.
Politik und Gesellschaft
Bezüglich Donald Trump, weise ich seit Jahren darauf hin, dass er die politische Kultur beschädigt, was ausser Frage steht. Von mancher Seite wird behauptet, er sei eine Gefahr für die Demokratie an sich, das sei sogar wissenschaftlicher Konsens, was natürlich Unsinn ist. Die Vermischung von Ideologie und Wissenschaft ist ein wachsendes Problem welches man bereits sehr gut in der Ökonomie beobachten kann. Nun scheint auch die Politikwissenschaft teilweise davon betroffen zu sein. Meiner Meinung nach ist Trump der Beweis dafür, dass die Demokratie in den USA stabil ist, weil sie sich selbst von einem Elefanten im Porzellanladen nicht ins Wanken bringen lässt. Die “checks and balances” funktionieren wunderbar.
Was auch nicht zum in den Medien gezeigten Bild Trumps passt ist, dass er bei klassisch demokratischen Wählerschichten, wie Latinos und Schwarzen im Vergleich zur letzten Wahl kräftig zugelegt hat. Gern wird dann, wie auch insgesamt nicht selten arrogant 62 Millionen Wählern die Kompetenz abgesprochen wird, eine überlegte Wahlentscheidung zu treffen, weil sie nicht so wählen, wie man das gerne hätte, entgegnet, die könnten das alles nicht überblicken. Hallo Rassismus. Die Antwort auf die Frage, warum Latinos und Schwarze einem doch angeblich rassistischen Mann ihre Stimme geben, ist dann doch deutlich schwieriger zu beantworten.
Zunächst einmal dürfte die Attitüde von Politikern wie Maxine Waters dazu beitragen, Wähler aus Minderheiten zu verprellen. Waters' Demokratievorstellung ist offenbar, dass schwarze Männer den Demokraten ihre Stimme "schulden" – und nicht, dass ihre Partei den Menschen etwas bieten muss. Ähnlich hochnäsig gerierte sich Joe Biden im Mai, als er dem Radiomoderator Charlamagne Tha God sagte, wenn er sich ernsthaft nicht zwischen Trump und ihm entscheiden könne, dann sei er nicht wirklich schwarz.
Sozioökonomsich hat sich in den vergangenen Jahrzehnten wenig verbessert. Das Economic Policy Institute schrieb 2018 in einem Papier: "In Bezug auf Wohneigentum, Arbeitslosigkeit und Inhaftierung hat Amerika in den vergangenen fünf Jahrzehnten keine Fortschritte für Afroamerikaner erzielt." In diesen Bereichen habe sich ihre Situation im Vergleich zu Weißen entweder nicht verbessert oder verschlechtert. Nun könnte man sich darüber streiten, inwieweit die Demokraten für diese Situation verantwortlich sind. Aber in der Zeit, in der die soziale Situation der Schwarzen sich nicht verbesserte, regierten vier demokratische Präsidenten – von denen einer sogar selbst schwarz war. Die hohe Zahl an Gefängnisinsassen geht auch auf die Law-and-Order-Politik der Demokraten in den Achtziger- und Neunzigerjahren zurück, die übrigens maßgeblich durch den damaligen Senator Joe Biden geprägt wurde.
Die Trump-Bewegung wird diverser - Die Zeit
Es gibt inzwischen mehrere Untersuchungen über die Parteipräferenzen von Journalisten. Diese belegen, dass Mehrheit den Grünen und der SPD zuneigt. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Eine neue Studie über die Parteineigung von Volontären der ARD und des Deutschlandradios ergab, dass insgesamt 92,2% Grüne, Linke und SPD wählen, dagegen nur 3,9% CDU und FDP. Ich halte das für schwierig, da besonders die öffentlich-rechtlichen Medien zur ausgewogenen Berichterstattung verpflichtet sind. Wie das mit dieser Gewichtung auf Parteien links der Mitte umsetzbar ist, bleibt dahingestellt. Die Diskrepanz zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung wird groß bleiben.
Weshalb schneiden vor allem Grüne und Linke bei den Volontären so stark ab? Gregor Daschmann sieht einen möglichen Anfang dieser Entwicklung in der 68er-Bewegung. „Da sind viele Linke in den Journalismus gegangen, weil sie der Überzeugung waren, in den Medien für eine Veränderung einstehen zu können.” Das idealistische Motiv, gesellschaftliche Missstände abschaffen zu wollen, sei im Journalismus noch immer stark verankert.
Wie divers ist der ARD-Nachwuchs? - Journalist
Es ist zu begrüßen, dass immer mehr Zeitungen Debattenressorts einführen, mit denen zumindest versucht wird, eine Bandbreite von Positionen abzubilden, auch wenn das oft zu wütendem Protest der Stammleserschaft führt und für Abokündigungsankündigungsorgien sorgt. Nun ist auch der “Freitag”, das Medium von Jakob Augstein dabei. Die erste Kolumne schrieb Bernd Stegemann, Dramaturg und Professor an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch zu den Dilemmata aktueller linker Politik. Jeder Satz sitzt.
Einst wollte linke Politik die Lasten und Pflichten in der Gesellschaft solidarisch verteilen, heute wird jeder Einzelne danach beurteilt, ob er der herrschenden Moral genügt. Dass die herrschende Moral die Moral der Herrschenden ist, ist dabei links der Mitte vergessen worden. Klimawandel ist kein Thema nur für wohlhabende Grünen-Wähler. Doch wenn der Klimawandel vor allem dafür herhalten muss, die Preise zu erhöhen und den Lebenswandel der ländlichen Bevölkerung als rückständig zu diffamieren, wird das Thema dazu gemacht.
Heute herrscht Verwirrung über die Werte einer gerechten Gesellschaft. So übte emanzipatorische Politik schon immer Religionskritik. Heute gilt alles, was mit dem Islam zu tun hat, für nicht wenige Linke als Tabu. Früher waren Kunst- und Meinungsfreiheit erklärte Ziele einer progressiven Politik. Heute wünschen sich viele Linke eine Einschränkung der Freiheiten, wenn dort Meinungen kundgetan werden, die sie ablehnen.
Wem die Zwietracht nützt - Der Freitag
Der von mir bekanntlich sehr geschätzte Alan Posener beschäftigt sich ebenfalls regelmäßig mit diesem Thema und bringt es auch gern mit Religionskritik in Verbindung. Ein blinder Fleck, über den im Moment glücklicherweise endlich mehr diskutiert wird. Nach den islamistischen Anschlägen der letzten Wochen kann man zu diesem Thema nicht mehr schweigen.
Dabei ist der Islamismus als Ideologie schlicht Klerikalfaschismus: demokratiefeindlich, frauenfeindlich, schwulenfeindlich, judenfeindlich, wissenschaftsfeindlich, lustfeindlich, ja im Kern lebensfeindlich. Alles, was Linken und Liberalen heilig ist, verachtet der Islamismus. Alles, was Linke und Liberale hassen, ist dem Islamismus heilig. Wir sind in seinen Augen alle Kandidaten für den Galgen oder den Genickschuss.
Wenn allerdings fast die Hälfte der 2.800 Moscheen in Deutschland entweder von der türkischen Religionsbehörde Ditib – dem verlängerten Arm des islamistischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan – oder von der noch rechts von Erdoğans AKP stehenden Millî Görüş kontrolliert werden; wenn also der Islamismus nicht bloß eine Sache von Onlinechatgruppen – obwohl sie gefährlich genug sind – und Hinterhofmoscheen, sondern von Amts wegen in Tausend Moscheen präsent ist, so ist die Abgrenzung des Islamismus vom Islam nicht so einfach, wie wir Liberalen und Linken es gern hätten. Also wir, die wir unsere muslimischen Freunde und das Ideal einer multikulturellen Gesellschaft gegen die Angriffe der Rechten verteidigen wollen.
Die "Deutschenfeindlichkeit" wolle sie als Form des Rassismus aber nicht gelten lassen. Weil "diejenigen, von denen diese Angriffe ausgehen, nicht über die gesellschaftliche Macht verfügen, ihre Ressentiments dahin gehend durchzusetzen, dass sie die Opfer, die zur Gruppe der Etablierten gehören – in diesem Fall also weiße Deutsche – auf eine untergeordnete soziale Stellung verweisen könnten". Shooman ist nicht irgendwer, sondern Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung und Mitglied des Expertenrats Muslimfeindlichkeit.
Der Islamismus hasst alles, was Linken heilig ist - Die Zeit
Ähnlich wie Alan Posener gehen auch Anna Schneider und Lucien Scherrer in einem nicht minder lesenswerten Artikel an die Problematik heran.
Dass der Islam so als Rasse behandelt wird, birgt einen doppelten Widerspruch: Einerseits gibt es keine biologischen Rassen, und andererseits ist der Islam eine Religion, die sich nicht an der Hautfarbe festmachen lässt. Beides wird ignoriert. Dieser konstruierte Rassismus fällt im gegenwärtigen Diskurs auf fruchtbaren Boden: Die identitäre Linke benutzt die globale «Black Lives Matter»-Bewegung, um sich im Namen des Antirassismus eine Rerassifizierung der Welt schönzureden. Das Konzept der Farbenblindheit hat ausgedient, wenn die Welt wieder nach Hautfarben in Unterdrückte und Unterdrücker eingeteilt wird. «White supremacy» und «white privilege» sind die geflügelten Worte aus den USA, die auch der Islamismus im Kampf gegen westliche Werte gut verwenden kann.
Wie sich diese Theorie konkret auswirkt, zeigt sich unter anderem an Universitäten. In der sozialwissenschaftlichen Forschung und Lehre haben etwa Gender- und Postcolonial Studies grossen Einfluss, der sich inzwischen auch im Medien- und Kulturbetrieb bemerkbar macht. Diese Studien bauen darauf auf, eine Opfergruppe nach rassistischen Merkmalen zu definieren, aus deren Sicht die Welt zu betrachten ist. Gefühle sind sakrosankt.
Nach dieser Logik verkommt jede Islamkritik zum Sakrileg, weil sie Muslime verletzen könnte. Schnell fällt der Kampfbegriff «Islamophobie», der legitime Religionskritik absichtlich mit dem Hass auf Muslime vermischt. Eine Debatte wird so jedenfalls verunmöglicht, die Menschenrechte des Westens als eurozentristisch abgetan.
Ein Weltbild bröckelt – die Linke und der Islamismus - Neue Zürcher Zeitung
Kultur
Bei aller Berechtigung der Coronamaßnahmen fällt auch mir auf, dass Kultur seitens der Politik offenbar als etwas Verzichtbares angesehen wird. Von Jetzt auf Gleich wird ein ganzer Wirtschaftszweig ohne Not komplett handlungsunfähig gemacht.
Das Signal, das der Staat mit dieser Massnahme aussendet, ist fatal. Er reduziert die in vielen Bereichen immerhin von ihm selbst massgeblich geförderte Kultur auf die Rolle eines Dienstleisters, den man beliebig herbeirufen oder abbestellen kann – wie einst die zu Speis und Trank kredenzte Tafelmusik bei Hofe. Das erscheint nicht nur anachronistisch und willkürlich, es verrät auch einen erschreckend schlichten, tendenziell rein utilitaristischen Kulturbegriff: Solange die Kultur der Erbauung und im Idealfall auch der Wertschöpfung dient, darf sie spielen; sobald es ernst wird, wird sie zum Schweigen gebracht.
Dass es nun dennoch dazu kommt, hat einen anderen Grund. Allerdings ist es keineswegs die nur noch mangelhaft funktionierende Kontaktrückverfolgung, wie die deutsche Bundeskanzlerin insinuierte. Dieses scheinbar rationale Argument, mit dem man künftig übrigens alles und jedes rechtfertigen könnte, ist eine Nebelkerze. Sie verschleiert den peinlichen Umstand, dass die gesamte Live-Kultur zum Bauernopfer einer Symbolpolitik geworden ist, die nahezu alles, was nicht unmittelbar dem Broterwerb, der Lebenshaltung oder der schulischen Bildung dient, unterschiedslos als «entbehrlich» deklariert. Ob dies um der breiteren Akzeptanz willen geschah, aus fehlender Einsicht oder blindem Aktionismus, bleibe dahingestellt.
Denn da blitzt es wieder durch, das Bild von der Kultur als Tafelmusik, die als entbehrliche Dreingabe lediglich die Nahrungsaufnahme versüssen darf. Dabei ist Kultur selbst jenes Grundnahrungsmittel, dessen Produktion und genussreicher Verzehr die Spezies Mensch von allen anderen unterscheidet.
Ausgeknipst: Sobald es ernst wird, wird die Kultur zum Schweigen gebracht - Neue Zürcher Zeitung
Claudius Seidl hat einen wunderbaren Text zu Elke Sommers Achtzigstem geschrieben.
Die Filmgeschichte ist ungerecht – wir erinnern uns, zu Recht, an Blake Edwards’ „Ein Schuss im Dunkeln“, in dem die lustigste ihrer Sexszenen darauf hinauslief, dass, weil der Partner Peter Sellers war, das Schlafzimmer in Trümmer fiel. Vergessen sind aber leider „Heiße Katzen“ oder „Rollkommando“, Filme, in denen sie sehr böse Frauen mit sehr viel Vergnügen spielte. Dabei sind es gerade solche nicht ganz so meisterhafte Filme aus Italien, England, Amerika, in denen, unbehelligt vom Kunstwollen eines Regisseurs, Elke Sommers Präsenz und somnambuler Zauber sich besonders gut entfalten können.
Wunder gibt es - Fankfurter Allgemeine Zeitung
Coverversion der Woche: Nat King Cole - L-O-V-E
Nat King Cole fügte der ursprünglichen Instrumentalversion von Bert Kaempfert 1965 als Erster den Text von Milt Gabler hinzu.