Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #21
Wieder ist eine, von für diesen Newsletter relevanter Ereignisse übervolle, Woche vorbei. Zusätzlich gibt es Neuigkeiten zu meiner Frage von vor einigen Wochen, ob ich eine Sonderausgabe über den Berliner Senat machen solle. Da es hier grundsätzlich nicht allzu regional werden soll, die Berliner Lokalpolitik allerdings in vielerlei Hinsicht auch bundesweit relevant ist, kam mir diese Idee. Dazu erreichten mich zahlreiche Nachrichten, in denen diesbezüglich großes Interesse bekundet wurde. Ich werde es also tun. Das kann allerdings eine Weile dauern, denn dabei handelt es sich um eine Mammutaufgabe.
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Nun aber los.
Heute geht es unter Anderem um lautes Schweigen, journalistisches Versagen und vermeintlich Problematisches in deutscher Kunst.
Politik und Gesellschaft
Die öffentliche Enthauptung eines Lehrers in Paris durch einen Islamisten hat weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Auch in Deutschland wurde darüber berichtet. Aus Kreisen links der Mitte bliebt es hier aber wie immer auffällig still. Man könnte das Schweigen gar als ohrenbetäubend bezeichnen. Rechts der Mitte wurde dieser Vorfall natürlich begeistert instrumentalisiert und genau darin liegt das Problem. Seit vielen Jahren kritisiere ich, dass man bestimmte Themen aus Angst, selbst als “rechts” zu gelten relativiert oder beschweigt und sie so leichtfertig rechten Populisten, Radikalen und Extremisten überlässt. Dann musste ich mir im Laufe der Woche aber gleich zweimal ungläubig die Augen reiben. Sowohl Kevin Kühnert, als auch Sascha Lobo setzten sich in Artikeln, welche sie in ihren Milieus sicher nicht beliebter machen, mit genau diesem blinden Fleck auseinander. Vielleicht ist das ja der Beginn eines grundsätzlichen Umdenkens. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Diese Selbstermächtigung, (über) andere zu richten, stellt nicht nur einen ungeheuerlichen Eingriff in die erstrittenen Regeln menschlichen Miteinanders dar. Es handelt sich auch um durch und durch autoritäre Taten, die sich nicht nur gegen Recht, Gesetz und gesellschaftliche Normen, sondern insbesondere auch gegen die von links proklamierte Gesellschaft der Freien und Gleichen mit mörderischer Brutalität wendet. Wie kann man das übersehen oder gar dazu schweigen?
Es steht der Vorwurf im Raum, in linken Weltbildern gebe es "richtige" und "falsche" Opfer oder Täter. Und auch wenn dieser Vorwurf polemisch und pauschal daherkommen mag, so kann doch der Eindruck entstehen, dass da ein Funke Wahrheit im Spiel ist.
Penibel wird in vielen Beiträgen über Samuel Paty darauf geachtet zu erwähnen, er habe muslimischen Schülern während der Präsentation der Mohammed-Karikaturen die Möglichkeit gegeben, den Klassenraum kurzzeitig zu verlassen.
Das war zweifelsohne ein kluger pädagogischer Schachzug. Aber was tut das im Kontext seiner Ermordung zur Sache? Es wird ja wohl niemand ernsthaft argumentieren wollen, ein weniger sensibel agierender Lehrer hätte den Tod oder zumindest weniger öffentliche Anteilnahme verdient gehabt.
"Die politische Linke sollte ihr Schweigen beenden" - Der Spiegel
Sascha Lobo geht in seinem Artikel, an dessen Ende er Ahmad Mansour dankt (Dass ich das noch erleben darf.), sogar noch weiter.
Man erkennt die Absurdität im direkten Vergleich: Auf einen rechtsextremen Mord folgt linke Empörung, auf einen islamistischen Mord folgt eine stille, linke Zerknirschtheit, wie man sie Erdbebenopfern entgegenbringt. Manchmal sogar ergänzt durch Relativierungen.
Es ist auch eine Form von Verniedlichungsrassismus, wenn man muslimischen Menschen und ganzen Ländern in toto die Verantwortung für ihr eigenes Handeln abspricht und stattdessen offenbar glaubt, alles, was auf der Welt geschieht, sei ausschließlich eine Reaktion auf den bösen Kapitalismus der weißen Europäer und Amerikaner.
Für viele Linke scheint es eine Menschenfeindlichkeit erster und eine Menschenfeindlichkeit zweiter Klasse zu geben. Bitter nachzuvollziehen etwa bei muslimischem Antisemitismus, der von links in Deutschland überraschend selten adressiert und manchmal sogar noch als "Israelkritik" wohlwollend einsortiert wird.
Das Desinteresse besteht darin, sich von links selten bis gar nicht für die tatsächlichen migrantischen Sphären zu interessieren, die unendlich vielfältig und eigenständig und komplex sind. Stattdessen definiert man praktischerweise ohne nähere Nachfrage migrantisch geprägte Menschen und erst recht Muslime ausschließlich als zu schützende Minderheit, als irgendwie mitleidpflichtigen Migrantenmonolith.
Stille. Und Verniedlichungsrassismus - Der Spiegel
Der mit Abstand beste Artikel, den ich zu diesem Thema gelesen habe und bezüglich dessen ich die Einschätzung teile, dass er schon jetzt ein Klassiker ist, stammt von einem Moslem. Ein großes Problem in Debatten zu diesen Themen ist nämlich, dass Betroffene, die anderer Meinung sind, als die tonangebenden organisierten Teile ihrer “Community”, entweder kaum zu Wort kommen oder diffamiert und ausgegrenzt werden. Ich persönlich kenne das aus Diskussionen um Rassismus. Murat Kayman hat hier wirklich einen großen Text verfasst.
Weil also Gewalt nichts mit dem Islam zu tun hat, sind Gewalttäter auch keine richtigen Muslime. Um gemeine Straftäter kümmern sich die staatlichen Behörden mit den passenden Sanktionsmitteln. Wenn nun immer wieder und weiterhin von muslimischen Organisationen eine Stellungnahme oder Verurteilung erwartet wird, habe das etwas mit dem antimuslimischen Rassismus in unserer Gesellschaft zu tun. Die permanente, an die muslimischen Organisationen adressierte Erwartungshaltung, mehr zu tun, als das Problem nur von sich zu weisen, diene folglich der Anprangerung und Stigmatisierung der muslimischen Verbände und letztlich aller Muslime in Deutschland – ja gar weltweit. Davon ist man in den muslimischen Dachverbänden vollständig überzeugt.
Hindus leben in Europa gemeinsam mit Muslimen in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Zusammenhängen. Was einem Hindu heilig ist, landet bei Muslimen nicht selten auf dem Grill oder am Dönerspieß. Gleichwohl ist es zumindest im europäischen Kontext kaum überliefert, dass Hindus wegen verletzten religiösen Gefühlen ein von Muslimen betriebenes Kebab-Restaurant überfallen oder Muslime auf offener Straße umgebracht hätten.
Von Juden ist nicht bekannt, dass sie das jährliche christliche Osterfest als Affront des permanenten antisemitischen Vorwurfs des Gottesmordes empfinden. Oder dass sie sich deswegen von österlichen Feierlichkeiten dazu provoziert fühlen, mit einem Lastwagen in eine Menschenmenge zu rasen.
Als Muslime haben wir jedoch den Grundsatz der Vergebung vollkommen verdrängt und stattdessen weitere Tatbestände erfunden, bei denen der Täter das von ihm begangene Unrecht mit dem Leben bezahlen soll. Und so willkürlich sich die Auswüchse einer solchen Rechtsauffassung entwickelt haben, so beliebig ist die Vorstellung geworden, das Leben eines anderen Menschen sei antastbar, disponibel, nicht schutzwürdiger als die eigenen Interessen oder Gefühle.
Das hat was mit uns Muslimen zu tun - Murat Kayman
Letzte Woche berichtete ich vom Artikel über Igor Levit in der Süddeutschen Zeitung. Inzwischen hat sich einiges getan. Erst stellte sich die SZ in einer Stellungnahme hinter den Artikel und wies auch Antisemitismusvorwürfe zurück. Es wurde nämlich behauptet die Verwendung des Begriffs “Opferanspruchsmentalität” sei bezogen auf einen Juden antisemitisch. Dabei wurde auf der Basis eines Cocktails aus intellektuellen Defiziten und absichtlichem Missverstehen nicht berücksichtigt, dass sich dieser Begriff nicht auf Juden oder das Judentum, sondern auf Twitter als Debattenraum bezog. Nicht jede Kritik an einem Menschen jüdischen Glaubens ist automatisch Antisemitismus. Verrückt, dass man darauf überhaupt hinweisen muss.
Dabei blieb es aber nicht. Es ist unbekannt, was diesen Sinneswandel auslöste, aber die Zeitung verfasste eine weitere Stellungnahme, in der sie öffentlich bei Igor Levit und ihren Lesern um Entschuldigung bat. Man war dann doch vor dem Twitter-Mob in die Knie gegangen. Ein journalistischer Offenbarungseid.
Die als Rechtsextremismusexpertin herumgereichte Publizistin Natascha Strobl moniert auf Twitter „problematische rhetorische Strategien“ in Maurós Text. Die allerdings hätte man auch einmal – ohne Zorn und Eifer – an den zahlreichen tagespolitischen Einlassungen Levits untersuchen können, ohne damit gleich eine Diskussion über seinen Rang als Pianist zu verknüpfen. Dass er twitterte, die AfD bestehe aus „Menschen, die ihr Menschsein verwirkt“ hätten, und das in der Talkshow von Maybrit Illner wiederholte, ist eine keineswegs harmlose Entgleisung. Levit versuchte im Nachhinein zu beschwichtigen, er habe das Wort „Menschsein“ im Sinne des jiddischen Wortes „Mensch“ gebraucht, welches in der Tat einen „ehrenhaften, umsichtigen Menschen“ meint. Sprachlicher Kontext von Tweet und Talkshow zeigen aber, dass er sich in einem deutschen Sprachumfeld bewegte, ohne die Verwendung eines gleichklingenden Wortes mit einer spezifizierten semantischen Nuance zu markieren. Als rhetorische Strategie ist das hochproblematisch, wenn nicht gar ein kalkulierter Tabubruch, der nachträglich relativiert wurde – eine Technik, die Levit von seinen politischen Gegnern gelernt hat.
Der Druck der Masse - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Nach 40 Jahren wird sich der Verlag S. Fischer von seiner Autorin Monika Maron trennen. Die Begründungen sind abenteuerlich. Ich sehe Marons Entwicklung in den letzten Jahren ebenfalls sehr kritisch und teile viele ihrer Ansichten nicht. Noch kritischer sehe ich allerdings die Tatsache, dass Maron keinerlei inhaltliche Vorwürfe gemacht werden, sondern dass ihr auf der Basis der Kontaktschuld eine Freundschaft und die Tatsache zur Last gelegt wird, dass einer ihrer Essaybände über den falschen Vertrieb erhältlich ist, der übrigens auch linke Autoren im Programm hat. Ich persönlich finde das Umfeld des “Kulturhaus Loschwitz” ebenfalls zweifelhaft und würde mich mit aller Kraft dagegen wehren, dass meine Bücher vom Antaios Verlag vertrieben werden. Das macht Monika Maron aber nicht zu einer rechtsradikalen Autorin. Dass sie in einer Art Nibelungentreue zu ihrer Freundin Susanne Dagen steht, mag nicht klug sein, zeichnet sie meiner Meinung nach aber als Mensch aus. Hier wurde eine Gelegenheit verpasst, wichtige Diskussionen zu führen.
Weil man rechte Positionen gesellschaftlich nicht ignorieren könne, sondern sich damit auseinandersetzen müsse, sei Maron eine wichtige Autorin: „Die eben nicht in dieses Spektrum gehört, die da auch nicht hineingehören darf, die sich mit ihren Positionen immer streitbar einmischt in unsere Debatten.“
Die Trennung von Maron sei „Wasser auf die Mühlen genau der Leute, die sagen, man darf in Deutschland nie alles sagen, wir werden ausgegrenzt“, meint der Literaturkritiker.
„Ich finde es auch ein bisschen degoutant, wenn ein Verlag, der eine Autorin 39 Jahre lang publiziert hat und der sie als Exil-Autorin in seinen Reihen begrüßt hat – denn nichts anderes war eine Publikation in der Bundesrepublik – sich jetzt daran stößt“, so Magenau. Über Maron könne man politisch streiten, und ein Verlag wie Fischer müsse dafür sorgen, „dass das in seinen Reihen möglich bleibt“.
„Das falsche Signal“ - Deutschlandfunk Kultur
Der neue Bundestagskandidat für den Wahlkreis Berlin-Mitte, der Musikmanager Joe Chialo, ist dunkelhäutig und hat eine eigene Meinung. Das mag man im organisierten Teil der schwarzen “Community”, in der man sich hauptsächlich als Opfer sieht, gar nicht. Auch die Tatsache, dass er für die CDU kandidiert, dürfte dort wenig Begeisterung hervorrufen.
Wer sich das wünscht – in Ordnung. Ich persönlich bin für eine auf Augenhöhe gerichtete Kommunikation - also Schwarz und Weiß. Das schafft für mich Gleichheit. People of Color – da wünsche ich denjenigen viel Erfolg, die im ländlichen Teil Brandenburgs Menschen erklären, dass sie bitte People of Color sagen sollen. Meiner Meinung nach ist das mittelfristig in der Breite schwer durchsetzbar.
Wenn man immer wieder in den Wunden wühlt und allen Menschen das Gefühl gibt, sie seien im Grunde rassistisch, dann schafft das keine Brücken, sondern spaltet mehr und mehr und verursacht Unsicherheit im Umgang miteinander.
Ein Schwarzer in Deutschland ohne Diskriminierungserfahrung – das käme einem Wunder gleich. Aber ich bin nicht in den Südstaaten Amerikas aufgewachsen. Ich möchte ein anderes Narrativ, keines, das mich als Opfer abbildet. Reden wir doch über die vielen großartigen Menschen hier in Deutschland, die mir im Kleinen wie im Großen geholfen haben, dahinzukommen, wo ich heute bin. Reden wir über die Menschen, die sich mit mir zusammen gegen dummes Zeug redende Leute gestellt haben. Die Helden des Alltags, die Gutes bewirken und deren Schaffen durch das Spotlight auf negative Schlagzeilen in den Hintergrund tritt. Diese Menschen sind das Rückgrat und Gewissen unserer Gesellschaft. Das ist viel spannender als aus meinem Leben eine traurige Geschichte zu konstruieren.
CDU-Kandidat Joe Chialo: „Ich bin doch kein Opfer“ - Berliner Zeitung
Kultur
Immer häufiger wird innerhalb der deutschen Kunstszene in den letzten Jahren über vermeintlich Problematisches in deutscher Kunst diskutiert und aktiv gesucht. Dabei wird mitunter grotesk argumentiert.
So schreibt Leon Kahane, Antisemitismus werde meist nicht offen geäussert, sondern transportiere sich über implizite Codes, die sich zudem verselbständigen könnten, ohne dass ihre Nutzer wüssten, was sie eigentlich genau bedeuteten. Eine merkwürdige Vorstellung: Der Nutzer würde quasi zum unwissenden Träger eines Antisemitismus-Virus. Die französische Autorin und Rabbinerin Delphine Horvilleur legt dar, Verschwörungstheorien aller Art seien, auch wenn sie nicht offen antisemitisch seien, doch stets mit Antisemitismus verwandt und kompatibel, sie erzählten «die gleiche Geschichte». Diese bestehe in einer sich selbst entlastenden und die eigene Verantwortung negierenden Reaktion auf die abstrakten Macht- und Kapitalverhältnisse der Moderne.
Daraus folgt: Wer gegen die negativen Begleiterscheinungen der Moderne opponiere, gegen anonyme Bürokratie, komplexe Finanzwirtschaft, globale Arbeitsteilung und Entfremdung des Individuums, neige zum Antisemitismus. Insgesamt entsteht so der Eindruck einer Entgrenzung des Antisemitismusvorwurfs. Jegliche Kritik an politischen und gesellschaftlichen Eliten, jegliche Kritik an real existierenden Machtgremien, mächtigen Personen, Seilschaften, Monopolen und Kartellen kann nach diesem Muster als antisemitisch denunziert werden.
Unter Verdacht: Joseph Beuys, Neo Rauch und die Documenta in Kassel - Neue Zürcher Zeitung
Coverversion der Woche: The Verve - Bittersweet Symphony
Nicht direkt eine Coverversion, allerdings basiert der Song auf der Instrumentalversion des Rolling Stones Stücks “The Last Time” ihres Managers Andrew Loog Oldham aus dem Jahr 1965. Das Arrangement ist von David Wilkinson.