Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #20
Dies ist die zwanzigste Ausgabe des Newsletters und ich bin hocherfreut, dass er immer noch so gut angenommen wird. Meine Motivation war ja, eine Stimme in den Diskurs einzubringen, die dort meiner Meinung nach fehlt bzw. zu leise ist. Damit meine ich nicht mich persönlich, sondern mittig-differenzierte Positionen, die zwar von vielen Menschen vertreten werden, die sich aber immer weniger Menschen trauen zu äussern, weil sich heute oft schon verdächtig macht, wer sich nicht ohne Wenn und Aber einem Lager zuordnet. Ausgewogenheit und gesunder Menschenverstand (Ganz dünnes Eis!) werden kritisch beäugt.
Standpunkte, die noch vor wenigen Jahren niemanden hinter dem Ofen hervorgelockt hätten, lösen heute Skandale aus. Neulich behauptete jemand in meiner Gegenwart, es sei ein Mythos, dass der Meinungskorridor enger geworden wäre. Dies erlaube ich mir zu bestreiten. Nicht nur mehrere Untersuchungen, sondern auch zahlreiche Beispiele belegen das Gegenteil. Das bedeutet natürlich nicht, dass wir in einer “Meinungsdiktatur” leben, in der “Lügenpresse” und “Parteienkartell” das Volk unterjochen. Kritisches Denken bedeutet auch, den Populisten, Radikalen und Extremisten aller Lager deutlich zu widersprechen.
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Nun aber los.
Heute geht es unter Anderem um Diskussionskultur und Rassismus.
Politik und Gesellschaft
Inzwischen ergreifen lagerunabhängig Menschen das Wort und äussern sich zu aktuellen Fehlentwicklungen. Aktuelles Beispiel ist Oskar Lafontaine, der sich - wie das auch seine Frau Sahra Wagenknecht bereits getan hat und nach wie vor tut - damit gegen eine Mehrheit in seiner Partei stellt. Auch links der Mitte scheint sich immer mehr die Erkenntnis durchzusetzen, dass bestimmte Dinge der Gesellschaft schaden.
Wir haben es heute mit der sogenannten Identitätspolitik zu tun, die autoritäre Züge annimmt. Man will anderen vorschreiben, was sie zu denken und zu sagen haben. Das lehne ich ebenso ab wie die «Cancel Culture», nach der Leute ausgeladen werden müssen, die sich «unkorrekt» ausgedrückt haben.
Schon einige Male habe ich darauf hingewiesen, dass es falsch ist, mit Menschen anderer Meinung nicht zu kommunizieren. Streit und Dissens sind zentrale Elemente einer Demokratie. Wo nicht mehr miteinander diskutiert wird, schiesst man irgendwann aufeinander. Das weiss auch der eben erwähnte Oskar Lafontaine und hat sich zusammen mit Thilo Sarrazin und Peter Gauweiler auf ein Podium gesetzt, um über Einwanderung zu diskutieren. Und siehe da: alle leben noch. Unterschiedliche Ansichten sind nichts Schlechtes, die Demokratie zehrt sogar von ihnen. Ich fand diese Diskussion hochinteressant. Besonders aufgefallen ist mir die Altersmilde von Peter Gauweiler. Warum läuft sowas nicht um 20:15 Uhr im Hauptprogramm der Öffentlich-Rechtlichen? Früher gab es dort solche kontroversen Runden.
Das Talent des kürzlich mit einem Nobelpreis bedachten Pianisten Igor Levit ist unbestritten. Er ist allerdings nicht nur musikalisch aktiv und da beginnt mein Störgefühl. Levit äussert sich lautstark öffentlich politisch und setzt sich gegen Rechtsextremismus ein. Daran ist erst einmal nichts zu kritisieren. Die Art und Weise wie er das tut, halte ich allerdings für höchst problematisch. In einer Fernsehsendung behauptete er zum Beispiel, AfD-Mitglieder hätten ihr Menschsein verwirkt. Die Gedankenwelt die da zum Vorschein kommt, unterscheidet sich in keiner Weise von der derer, die er bekämpfen möchte, sie ist menschenverachtend.
Nun hat Helmut Mauró in der “Süddeutschen Zeitung” in einem meiner Meinung nach verunglückten Artikel mit Levit abgerechnet. Ein Text, der am Anfang wie eine Gegenüberstellung der Pianisten Igor Levit und Daniil Trifonov wirkt, verwandelt sich innerhalb weniger Zeilen in einen Vorschlaghammer aus Buchstaben und ist stilistisch einfach nicht gut. In der Schule hiesse das “Thema verfehlt.”. Trotzdem finden sich im Stück einige bedenkenswerte Abschnitte.
Er ist mit den richtigen Journalisten und Multiplikatoren befreundet, coram publico und aufgekratzt fällt man sich via Twitter mehr oder weniger täglich in die Arme und versichert sich gegenseitiger Bewunderung.
Das Netz ist hier nicht Kommunikation, sondern die Bühne für ein Pausenstück, dessen Clownerien eine Schattenseite haben: die vehemente Ausgrenzung vermeintlich und tatsächlich Andersdenkender.
Es hat sich da ein etwas diffuses Weltgericht etabliert, deren Prozesse und Urteile in Teilen auf Glaube und Vermutung, aber auch auf Opferanspruchsideologie und auch regelrechten emotionalen Exzessen beruhen. Es scheint ein opfermoralisch begründbares Recht auf Hass und Verleumdung zu geben, und nach Twitter-Art: ein neues Sofa-Richtertum.
Im Spiegel-Interview geht es gleich gegen das ganze Land: "Deutschland hat ein Menschenverachtungsproblem." Kann man das mal so eben behaupten über ein Land, in dem es zweifellos zu viele Antisemiten gibt, die große Mehrheit aber zum Beispiel nicht AfD wählt, hingegen Millionen Flüchtlinge willkommen heißt?
Das sind ja keine überstürzten Tweets, sondern es sind wohlüberlegte Aussagen.
Igor Levit ist müde - Süddeutsche Zeitung
Der Migrationsforscher Gerald Knaus hat ein Buch geschrieben, welches ich nach der Lektüre dieses Artikels unbedingt lesen möchte. Die Positionen von Knaus, die ich nicht in Gänze teile, sind übrigens genau das, was ich mit ausgewogen meine.
Knaus verbindet zeitgeschichtliche Streiflichter zur neueren Geschichte des Asyls, die oft eine Geschichte von dessen Verweigerung war, mit konkreten Vorschlägen dafür, wie sich Europas Grenzen sichern ließen, ohne den Kontinent in eine brutale Festung zu verwandeln. Dabei widerlegt er sowohl „linke“ wie „rechte“ Mythen der Migrationsdebatte.
Als Beispiel für nicht zu Ende gedachte Beiträge zur Migrationsdebatte zitiert Knaus unter anderem aus dem Buch „Realitätsschock: Zehn Lehren aus der Gegenwart“ des Autors Sascha Lobo, der darin orakelt: „Migration wird weder mit Gewalt noch mit Geld gestoppt werden können.“ Migration, so Lobo, lasse sich nämlich nicht aufhalten, auch nicht durch Abschreckung und Zäune: „Die Wahrheit ist, Migration lässt sich nicht verhindern, auch nicht gewaltsam.“
Knaus hält das Bild von der Unaufhaltsamkeit der Migration für ein gefährliches Klischee. Für ihn sind Lobos Ausführungen Teil einer Kaskade von „populären Trugschlüssen“ oder Wahrnehmungen, „die oberflächlich plausibel klingen, aber nicht plausibel sind.“ Die Frage, ob man Grenzen schließen könne, stelle sich nämlich nicht – natürlich könne man: „Nicht technisches Unvermögen oder irgendein Naturgesetz der Migrationsphysik hält Regierungen davon ab, größere Migrationsbewegungen zu stoppen, sondern ihre Werte und die Interessen, die sie verfolgen.“.
Gegen unmenschliche Grenzen - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Es gibt einen Trend, weißen Menschen die Teilnahme an der Debatte um Rassismus zu verwehren. Der geneigte Leser wird sich denken können, dass ich diesen für falsch halte. Selbstverständlich hat jeder das Recht, sich zu diesem Thema zu äussern. Christoph Giesa hat das in einem klugen Essay getan, den ich mit Gewinn gelesen habe. Nur in einem Punkt widerspreche ich ihm: Die Behauptung des strukturellen Rassismus in Deutschland ist unzutreffend.
Das Problem daran ist einmal mehr, dass kein Platz mehr für die alltägliche Fehlbarkeit des Menschen vorgesehen ist. Wer etwas sagt oder tut, was man als rassistisch verstehen kann, ist in dieser Lesart automatisch Teil eines rassistischen Unterdrückungssystems. Im Zweifel auch, ohne davon etwas zu wissen. Darunter geht es nicht mehr. Dabei – auch da differenziert Eddo-Lodge wieder – müsste allen Wohlmeinenden daran gelegen sein, zu akzeptieren, "dass es einen Unterschied zwischen Unwissen und Bösartigkeit gibt – obwohl ersteres sich wie letzteres anfühlen (und dazu werden) kann".[6] Wer, außer radikalen Kräften, die eher am Konflikt als an einem wirklichen Miteinander interessiert sind, kann daran Interesse haben, jemanden, der ohne Hintergedanken aus reiner Unwissenheit das N-Wort sagt, mit jemandem in einen Topf zu werfen, der dies gezielt tut, um zu provozieren und zu verletzen?
Ich spreche nur für mich selbst, auch wenn ich aus vielen Gesprächen weiß, dass zumindest viele der Menschen, mit denen ich persönlich zu tun habe, dies ähnlich oder genauso sehen. Was ich aber beanspruche, ist ein Platz an dem Tisch, an dem die wichtigen gesellschaftlichen Diskussionen geführt und die Leitplanken für die Gesellschaft, in der auch meine Kinder aufwachsen werden, definiert werden. Und zwar auch dann, wenn ich nicht direkt Betroffener von Diskriminierung bin. Das ist kein weißes Privilegiendenken, sondern vielmehr eine Selbstverständlichkeit in einer liberalen Demokratie, die sich selbst ernst nimmt.
Warum und wie ich auch als Weißer über Rassismus rede – Bundeszentrale für politische Bildung
Die blinden Flecken bezüglich Extremismus in den eigenen Reihen bei Grünen und Linken waren hier bereits Thema. Besonders offenbar wurden sie wieder bei den Vorgängen um die letzte Woche erfolgte Räumung des besetzten Hauses in der Liebigstraße 34 in Berlin.
Auf den zweiten Blick haben sie eine ganz eigene Agenda, in der es um andere Gesellschafts- und Wirtschaftsmodelle geht. Diese alternativen Szenen zu fördern, kann man gesellschaftspolitisch legitim finden. Dann aber müssten Senat und Bezirke hierfür Immobilien bereitstellen und nicht die Enteignung privater Besitzer schönreden. Seien die jeweiligen Immobilieneigner auch noch so unsympathisch: Entweder handeln sie legal und haben die gleichen Rechte wie alle, oder man gibt die Herrschaft des Rechts aus ideologischen Gründen preis.
Gewaltbereite Linksextremisten bedienen sich der Mittel von Kriminellen und Rechtsextremisten, wenn sie Menschen als ihre Gegner ausmachen. Das ist immer undemokratisch und da, wo Individuen in ihrer körperlichen Unversehrtheit oder wirtschaftlichen Existenz gefährdet werden, auch immer unmenschlich. Wer Verantwortung für dieses Land übernehmen will, wer einen demokratischen Rechtsstaat regieren will, muss deshalb auch Gewalttaten aus vermeintlich nahestehenden Kreisen konsequent als das verurteilen, was sie sind: inakzeptabel.
Linke und Grüne haben ein Gewaltproblem - NTV
Ijoma Mangold, Literaturkritiker bei der “Zeit”, dessen Gedankengänge ich sehr häufig teile, hat sein neues Buch “Der innere Stammtisch” veröffentlicht, welches ich ebenfalls zu lesen gedenke. Über dieses Buch hat er sich mit Robert Habeck unterhalten, von dem ich bei diesem Gespräch eine mir bisher unbekannte Seite gesehen haben, die ihn mir richtig sympathisch gemacht hat. Als Politiker halte ich ihn weiterhin für weitgehend irrend, mit dem Menschen Robert Habeck würde ich sofort ein Bier trinken gehen.
Kultur
Den Beginn meiner Karriere als Serienjunkie markierte die Serie “Dexter”. Sie handelt vom Blutspurenexperten Dexter Morgan, der bei der Polizei angestellt ist und nebenher Morde begeht. Die Serie lief in acht Staffeln von 2006-2013. Bis heute für mich eine der besten Serien aller Zeiten, wenngleich es auch schwache Staffeln gab und das Finale mich überhaupt nicht zufriedenstellte. Deshalb nahm ich mit Freude zur Kenntnis, dass eine Fortsetzung in Form einer Miniserie (10 Folgen) geplant ist. Ich bin sehr gespannt, wie das umgesetzt wird.
Coverversion der Woche: Nina Simone - Here Comes The Sun
Schon das Original der Beatles ist wunderschön und beweist, dass George Harrison in der Band viel zu wenig Einfluß hatte. Nina Simones Version ist ätherischer und auf ihre ganz eigene Art dargeboten stellt sie definitiv einen Mehrwert dar. Klingt komisch, aber ich finde, dass eine Coverversion immer mindestens so gut sein sollte, wie das Original.