Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #18
Heute ist der dritte Oktober, der Tag der deutschen Einheit, die heute im Jahr 1990 vollendet wurde. In einer Zeit, in der gern und oft von vielen Seiten darauf hingewiesen wird, welch furchtbare Zustände angeblich in diesem Land herrschen, sollte man den Tag nutzen, einmal auf die positiven Dinge hinzuweisen.
Demokratie, Wohlstand, das Rechtssystem und auch der Sozialstaat sind nur einige Beispiele. Man neigt dazu, diese Errungenschaften als selbstverständlich zu empfinden und bei manchen führt das dazu, dass sie diese sogar für verzichtbar halten. Die Demokratie ist im Moment von Extremisten aller Lager bedroht. Diesen Gefahren muss weiterhin konsequent entgegengetreten werden.
Desweiteren wird häufig angeführt, auch dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung sei die Einheit in den Köpfen nicht abgeschlossen, was ich für einen merkwürdigen Einwurf halte, weil es zum Beispiel auch zwischen Schwaben und Rheinländern keine solche mentale Einheit gibt.
Dieses Land hat Einiges geschafft und darauf kann man stolz sein. Nicht in Form nationalistischer Überhöhung, sondern im Rahmen eines gesunden Patriotismus. Nur wer ein harmonisches Verhältnis zum eigenen Land hat, kann anderen Ländern sowie mannigfaltigen Herausforderungen von Aussen entspannt begegnen. Diesbezüglich können wir von anderen Ländern noch viel lernen.
Nun aber los.
Diese Woche geht es unter Anderem um rechtsfreie Räume, eine elitär-apokalyptische Klimadebatte und Rassismus.
Politik und Gesellschaft
Oliver Michalsky hat einen lesenswerten Beitrag zur Wiedervereinigung geschrieben. Er enthält Dinge, die man sich vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich Teile des politischen Spektrums immer noch weigern, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen, immer wieder vor Augen führen muss.
Planwirtschaft, exzessiver Raubbau an der Natur, Verfolgung Andersdenkender, Einschränkung von Grundrechten, Tötung von Menschen, die das Land verlassen wollten: Das waren aus Sicht der alternden Herrschenden legitime Mittel, die Macht zu erhalten, …
Melania und Donald Trump sind an Corona erkrankt und die Häme ist grenzenlos. Besonders aus den Reihen derer, die sonst bei jeder Gelegenheit darauf hinweisen, dass Sprache das Denken forme und Hasssprache somit abzulehnen sei, tönt es besonders menschenverachtend. Wenn es um den politischen Gegner geht, scheinen die hohen moralischen Standards nicht mehr zu gelten. Besonders negativ hervorgetan haben sich die “Fridays For Future”-Aktivistin Luisa Neubauer und die Spiegel-Kolumnistin Margarete Stokowski. Was mich fast noch mehr beunruhigt als die nicht zum ersten Mal offenbar werdende Doppelmoral dieser Kreise ist die Anzahl der Menschen, die in Form eines Herzens ihrer Zustimmung zu diesen Aussagen Ausdruck verliehen. Bei Neubauer (Die ihre Stellungnahme löschte und neu veröffentlichte, dabei allerdings nichts Entscheidendes veränderte und eine halbherzige Klarstellung hinterherschob.) waren es 3.724 und bei Stokowski, die ihren Eintrag inzwischen ganz gelöscht hat, immerhin 2.167.
In einem Tagesthemen-Kommentar wurde Trumps Erkrankung alttestamentarisch als “zynische Antwort der Natur” bezeichnet. Ich stelle mir immer gern vor, wie ein Kommentar bei einer Erkrankung von Barack Obama ausgesehen hätte. Mit Sicherheit ganz anders. Man muss Trump nicht mögen, um diesen Umgang zu kritisieren.
Bei Luisa Neubauer, die ihre Bewegung gern für die eigene Karriere nutzt, könnte dieser Kommentar auch andere Gründe haben, hat “Fridays For Future” doch massiv an Unterstützung und somit Bedeutung verloren. Waren vor einem Jahr noch 100.000 Demonstranten in Berlin zusammengekommen, war es kürzlich laut Polizeiangaben nur noch eine Personenzahl im kleinen vierstelligen Bereich. Ich habe von Anfang an gesagt, dass für die meisten nicht das Thema, sondern das soziale Element entscheidend war. Es war eben auch chic, auf die Demos zu gehen. Durch Corona ist das weggefallen und viele Leute haben das Interesse verloren.
Clemens Traub gehört zu den immer zahlreicher werdenden Kritikern von “Fridays For Future”, wovon er selbst ein Teil war und worüber er ein Buch veröffentlicht hat. Er teilt die Ziele immer noch, missbilligt allerdings das Elitäre und Apokalyptische an der Bewegung.
Aber bei Fridays for Future stört mich, dass sich viele dort als unverstandene Aussenseiter der Gesellschaft sehen. In Wahrheit sind sie aufgrund ihres Elternhauses und ihrer Bildung Profiteure des Systems. Und dann zeigen sie mit erhobenem Zeigefinger auf den Diesel-Fahrer, der nicht genug Geld hat, um sich das teuerste Bio-Steak leisten zu können. Ich kann mir gut vorstellen, dass das für die betroffenen Familien sehr verletzend ist.
Fridays for Future denkt immer nur in apokalyptischen Bildern. Doch Apokalypse lähmt unseren innovativen Diskurs. Mich stören auch diese abstrakten Schwärmereien von einem Systemsturz, die ich bei Fridays for Future höre. Fragen Sie einmal einen Bandarbeiter bei Volkswagen oder einen selbständigen Handwerker, was er von einem Systemsturz halte. Derartige Forderungen kann man nur stellen, wenn es einem selbst gutgeht.
Die Aktivisten haben kein Gespür dafür, dass Parteien Interessenvertretungen sind und gerade deswegen Kompromisse eingehen müssen: Für die SPD ist das Soziale wichtig, die FDP schaut darauf, dass es Selbständigen und Unternehmern gutgeht. So funktioniert unsere Demokratie nun einmal. Bei Fridays for Future meint man aber, es gebe nur ein einziges Interesse, nämlich die Apokalypse abzuwenden.
Cancel Culture wird inzwischen glücklicherweise breit diskutiert, auch wenn manche immer noch ihre Existenz bestreiten. Ohne langweilen zu wollen, möchte ich trotzdem den folgenden Artikel empfehlen, der sich mit dem Thema befasst. Einzelne Aspekte kamen hier zwar bereits vor, aber ich halte es für wichtig, dass der Bereich im Gespräch bleibt, stellt er doch eine Gefahr für die offene Debattenkultur dar.
Dass es in politischen und gesellschaftlichen Fragen keine unangreifbaren Wahrheiten gibt, sondern nur das stetige Ringen um Positionen, will man nicht wahrhaben. Was falsch ist, ist falsch und muss nicht diskutiert, sondern abgedrängt werden. Ob es um Corona, Flüchtlinge oder Genderfragen geht. Was die eigenen Denkgewohnheiten infrage stellt, was irritiert, provoziert, wird nicht bekämpft, sondern aus der Diskussion verbannt. Wenn möglich zu Tode geschwiegen. Toleranz? Selbstverständlich, aber nur so lange, als niemand die Unverschämtheit besitzt, sie herauszufordern. Debatte? Immer, aber bitte nur da, wo man sich in guter Gesellschaft weiss: unter Gleichgesinnten.
In Berlin Friedrichshain-Kreuzberg haben Linksextreme Häuser besetzt und so einen rechtsfreien Raum geschaffen. Zusätzlich werden Anwohner terrorisiert. Seit Jahren werden die Gewalttäter von Teilen der Politik geschützt. Der RBB hat darüber eine gelungene Dokumentation produziert. Wer immer noch glaubt, diese Umtriebe seien kein Problem, wird hier eines Besseren belehrt.
Von der linken Szene als "Freiraum" verklärt, hat sich rund um zwei teilbesetzte Häuser eine Parallelgesellschaft gebildet, eine Art autonomer Staat im Staat. Doch anders als in linken Wunschträumen und Utopien herrschen dort Gewalt, Kriminalität und autoritäre Strukturen. Die Kontraste-Reporter treffen auf Menschen, die in der Nachbarschaft eine Baugemeinschaft gegründet haben und jetzt zum Ziel von Bedrohungen und Attacken werden.
Viele von ihnen wählen eher links, einer war sogar selbst einst Hausbesetzer und erlebt nun, wie Autonome Metallkugeln in das Kinderzimmerfenster schießen. Sie treffen auch auf einen Journalisten, der vor Ort festgesetzt wurde. Körperliche Gewalt erfuhr der Hausverwalter der Rigaer 94 und seit der Attacke obendrein die Verweigerung der Polizei, ihn bei seiner Arbeit am Gebäude zu schützen.
Bezüglich Covid-19 habe ich in den letzten Monaten eine Tendenz wahrgenommen, die Hinweise darauf, dass das Virus aus China käme, als “rassistisch” zu diffamieren. Es gab Diskussionen um ein Titelbild des “Cicero”. Auch Donald Trump wird scharf dafür kritisiert, dass er die Krankheit polemisch, aber zutreffend als “China-Virus” bezeichnet.
Denn es kann keinen Zweifel daran geben, dass die KP Chinas eine große Schuld trifft. Als die Krankheit in Wuhan ausbrach, versuchten die Behörden zunächst, sie zu vertuschen. Der Arzt Li Wenliang, der in einer Internet-Chatgruppe vor dem neuen Virus gewarnt hatte, wurde von der Polizei vorgeladen und beschuldigt, „unwahre Behauptungen gemacht“ zu haben, die die „gesellschaftliche Ordnung ernsthaft gestört“ hätten. Er und seine Kollegen mussten unter Androhung harter Strafen Schweigepflichtserklärungen unterschreiben. Li Wenliang starb später an der Krankheit, vor der er die Welt warnen wollte.
Trump spricht vom „China-Virus“? Recht hat er! - Welt
Schon häufig habe ich kritisiert, dass in der Debatte um Rassismus meist nur die Betroffenen zu Wort kommen, die das Bild Deutschlands als strukturell rassistisch und das Leben als Dunkelhäutiger oder sichtbar Zugewanderter als unerträgliches Martyrium zeichnen. In letzter Zeit werden glücklicherweise manchmal differenziertere Stimmen gehört, auch wenn das leider immer noch viel zu selten passiert. Eine dieser Stimmen ist Canan Topçu.
Richtung und Tonalität der Rassismuskritik wird bestimmt von einer jungen akademisch gebildeten Generation, die einerseits darauf pocht, nicht auf Herkunft reduziert, sondern als "von hier" wahrgenommen zu werden, andererseits aber selbst Identitätspolitik betreibt - nicht nur durch die Selbstbeschreibung als People of Color, sondern auch im Zelebrieren von Elementen aus der Herkunftskultur. Politisch problematisch ist die moralische Überlegenheit, die aus der Betroffenheit abgeleitet wird, ohne selbst auf Ressentiments zu verzichten oder Ausgrenzung zu betreiben. "Eure Heimat ist unser Albtraum" heißt ein Essayband, der wichtige Autoren der neuen Desintegrationsdebatte versammelt, wie Fatma Aydemir, Hengameh Yagoobifahrah oder Max Czollek.
In Deutschland findet Ausgrenzung und auch Gewalt gegen Minderheiten statt, ja. Aber es ist ein freies und demokratisches Land, in den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Eliten ist Rassismus verpönt, und Minderheiten werden vom Grundgesetz geschützt. Das soll ein Albtraum sein?
Nicht mein Antirassismus - Süddeutsche Zeitung
Kultur
Coverversion der Woche: The Moog Cookbook - Buddy Holly
Im Jahr 1995 landeten Weezer mit dem Stück “Buddy Holly” einen Hit, der auch bei mir Anklang fand. Ein Jahr später veröffentlichte das Projekt The Moog Cookbook, hinter dem sich Roger Joseph Manning Jr. und Brian Keyhew verbergen, eine eigene Version.