Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #160
Kognitive Dissonanz, relevante Debatten und Kulturpessimismus
Prolog
Dass Donald Trump die Wahl in den USA gewonnen hat, ist eine Katastrophe mit Ansage. Mich überraschen eher Menschen, die davon überrascht sind. Dieses vorhersehbare Ergebnis ist die Folge fortgesetzter Realitätsverweigerung. Das ist eine ungünstige Strategie, wenn man möchte, dass sich etwas zum Guten wendet. Wenn Schwarze und Frauen zuhauf einen (angeblichen) Rassisten und Sexisten wählen, hat das handfeste Gründe. Die Wähler einfach als Dummköpfe zu diffamieren, funktioniert nicht.
Ebensowenig sollte man auf die massenhaften, massiven Fehleinschätzungen sogenannter Experten in den deutschen Medien mit Spott und Häme reagieren, so sehr es sich auch anbietet. Die darin zum Vorschein kommende Haltung ist nicht nur kritikwürdig, sondern auch gefährlich.
Natürlich sind Wortmeldungen am Rande des Nervenzusammenbruchs darüber, dass die dummen Amerikaner wieder anders gewählt haben, als kluge deutsche Journalisten empfahlen, herrliche Realsatire. Es ist eine Steilvorlage, wenn eine bekannte Lehnstuhl-Amerika-Expertin in den sozialen Medien behauptet, Harris habe verloren, weil sie sich in den letzten Wochen als "Mitte-Rechts" präsentierte. Absurder geht es kaum.
Mit der AfD haben wir in Deutschland allerdings ein ganz ähnliches Problem im Umgang: Man weigert sich bis heute, die Gründe für ihren Erfolg seriös zu analysieren. Wenn sich daran nichts ändert, wird sie in der nächsten Bundesregierung sitzen. Wer Probleme nicht tabufrei zu thematisieren bereit ist und damit belegt, dass ihm eine Lösung weniger wichtig ist, als die Vermeidung kognitiver Dissonanz, disqualifiziert sich für den seriösen Diskurs.
Wenn das Volk als oberster Souverän eine Wahlentscheidung getroffen hat, muss man das als Demokrat akzeptieren. Man kann aber mit offenem Diskurs, den daraus zu ziehenden politischen/gesellschaftlichen Konsequenzen sowie seriöserer Berichterstattung dafür sorgen, dass es gar nicht zu solchen Ergebnissen kommt.
Winston Churchill sagte einmal:
[No one pretends that democracy is perfect or all-wise. Indeed, it has been said that] democracy is the worst form of government except all those other forms that have been tried from time to time.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Nun aber los. Heute geht es unter anderem um kognitive Dissonanz, relevante Debatten und Kulturpessimismus.
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Politik und Gesellschaft
Die Bedeutung zeitgeistiger Kleinkariertheiten für den Aufstieg unappetitlicher politischer Kräfte wird oft als irrelevant belächelt. Vor dem Hintergrund vorliegender Fakten ist das eine tragische Fehleinschätzung. Im Moment sorgt ein Vorgang um ein Lied von Udo Lindenberg für Diskussionen.
Man kann sich nur an den Kopf fassen. Ob das Wort “Indianer” diskriminierend oder gar rassistisch ist, ist keineswegs so klar, wie gern behauptet wird. Zudem gerät durch diese Gewichtung die Bedeutung des Liedes völlig in den Hintergrund. Selbstverständlich haben die üblichen Krawallmedien das Thema begeistert aufgegriffen und ins Groteske verzerrt. Well done, Elfenbeinturm. Nach der nächsten Wahl bitte leiser weinen.
Es war sicher nur eine Frage der Zeit, bis das passieren würde: Die Berliner Stiftung Humboldt Forum hat jüngst beschlossen, bei einer Aufführung von Udo Lindenbergs Song „Sonderzug nach Pankow“ im Rahmen eines Chorkonzerts das Wort „Oberindianer“ wegzulassen. So hatte Lindenberg im Jahr 1983 den DDR-Machthaber Erich Honecker genannt. Nun soll der Begriff gestrichen werden, weil er als diskriminierend wahrgenommen werden könnte.
Es wäre indes nicht das erste Mal, dass politisch korrekt wähnende Sprachregelungen auf eklatantem Unwissen beruhen. Ein anderer Fall ist „Eskimo“. Meist wird heute verlangt, diesen Begriff durch „Inuit“ zu ersetzen, da „Eskimo“ von einem Ausdruck komme, der „Rohfleisch-Esser“ bedeute und in abwertender Absicht für die Ureinwohner Grönlands und der hocharktischen Gebiete weiter westlich verwendet worden sei.
Doch diese Etymologie ist nachweislich falsch. Zeugnisse früher europäischer Reisender in dem Gebiet legen vielmehr eine Herkunft von dem Wort „a·y-askʸime·w“ aus der Sprache der Montagnais nahe, die zu der Familie der Algonkin-Sprachen gehört. Es bedeutet so viel wie „Schneeschuh-Knüpfer“. Und insofern man unter den Eskimovölkern üblicherweise die Sprecher von Sprachen der Eskimo-aleutischen Sprachfamilie bezeichnet, ist die Gleichsetzung von Eskimo mit Inuit auch ohne die Frage der Wortherkunft falsch. „Inuit“ sind nur die Sprecher der östlichen Eskimo-aleutischen Sprachen auf Grönland und in Zentral- und Nordostkanada. Die weiter westlich lebenden Yupik sind keine Inuit, aber sie sind Eskimos.
Man kann sich natürlich die Frage stellen, ob sich dieses Konglomerat aus Irrtümern jetzt noch reparieren lässt. Hören Angehörige der Eskimovölker nur lange genug, man bezeichne sie mit einem Wort, das „Rohfleisch-Esser“ bedeute, und bringe ihnen damit Verachtung entgegen, dann werden sie sich vielleicht irgendwann tatsächlich nicht mehr gerne als Eskimovölker ansprechen lassen. Es wäre nach dem oben Gesagten kein Gewinn an Respekt für die Betroffenen, wenn dem Wort „Indianer“ nun Ähnliches widerfahren sollte, nur damit ein paar Abendländer vor anderen Abendländern markieren können, wie antikolonialistisch sie doch gesonnen sind.
Ist „Indianer“ wirklich rassistisch? - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Dazu passt das Thema der kulturellen Aneignung, zu dem ich einen hochgradig lesenswerten Text von Markus Tauschek in der “Zeitschrift für empirische Kulturwissenschaft” entdeckte, den ich in - wie übrigens alle hier vorgestellten Texte - in Gänze zur Lektüre empfehle.
Die wissenschaftliche Debatte ist alles andere als einheitlich. Sie unterscheidet nicht immer trennscharf zwischen dem Vorwurf der kulturellen Aneignung und den problematisierten Gegenständen und Phänomenen; sie ist bisweilen selbst höchst normativ, ahistorisch und dekontextualisierend, wenn sie versucht, vermeintlich gute von vermeintlich schlechten Formen der kulturellen Aneignung zu unterscheiden; und einige Arbeiten legitimieren implizit wie explizit schließlich die Kritik an dem, was im öffentlichen Diskurs als kulturelle Aneignung skandalisiert wird – um den hohen Preis, dass sie Kultur als instrumentalisierbare Differenzkategorie nicht dekonstruieren, sondern bestätigen.
Es gilt, die wissenschaftlichen wie gesellschaftlichen Debatten um kulturelle Aneignung und die damit verbundenen problematischen, weil essenzialistischen Konzeptionen von Kultur nicht nur kulturwissenschaftlich einzuordnen, sondern ihre (identitäts-)politischen Dimensionen kritisch zu kommentieren. Dies ist wich‐tig, weil im Begriff der kulturellen Aneignung, mit dem die Cultural Studies in den 1970er- und 1980er-Jahren Machtasymmetrien aufdecken wollten, nun im gesell‐schaftlichen und teilweise auch im wissenschaftlichen Diskurs neue Asymmetrien in Stellung gebracht werden. Der Begriff munitioniert ideologische Kämpfe um kultu‐relle (Re-)Produktion in der Gegenwart und ist Teil „neuer, medial verstärkter Selbstvergewisserungsdiskurse“ (Dippel 2022: 217).
Vor diesem Hintergrund konterkariert die mitunter scharfe und polemische Kritik aus dem linken politischen Spektrum, die in Auseinandersetzungen um kulturelle Aneignung artikuliert wird, das eigentliche Ziel: Sie argumentiert zwar postkolonial informiert, (re-)essenzialisiert aber Kultur. Darauf hat aus einer philosophischen Perspektive u. a. Erich H. Matthes hingewiesen: „[. . . ] persons who make claims objecting to cultural appropriation predicated on essentialist distinctions between insiders and outsiders risk causing harms of a similar kind to the appropriations to which they are objecting“ (Matthes 2016: 346). Die von Matthes problematisierte dis‐kursive Herstellung vermeintlich distinkter, voneinander abgrenzbarer Kulturen ist dann auch anschlussfähig an rechtsextreme oder rechtspopulistische Diskurse, die ebenso – wenngleich mit anderen Zielen – von vermeintlich homogenen kulturellen Räumen ausgehen, aber mit rassistischen und völkischen Denkmustern argumentieren.
Der Vorwurf der kulturellen Aneignung ist immer mit der Beanspruchung von Sprecher*innenpositionen verknüpft. Doch wer spricht hier eigentlich in wessen Na‐men über oder für wen? Diese Frage ist alles andere als trivial (Noyes 2006): Denn für andere zu sprechen ist je nach Ausgangslage ein hegemonialer kolonialer Akt – so im Fall der Musikerin, die von der Fridays-for-Future-Demonstration ausgeladen wurde. Es ist davon auszugehen, dass die kritisierenden Aktivist*innen überwiegend nicht jener Akteursgruppe angehören, für die sie die Stimme erheben. 8 Dies gilt auch für die Debatten der Hamburger Kita und die Frage, welche Karnevalskostüme als (nicht) angemessen gelten. In jedem Fall formulieren Sprecher*innen Ansprüche für andere diskursiv hergestellte Kollektive oder für ein gleichfalls diskursiv hergestelltes ‚eige‐nes‘ Kollektiv, ohne die Bezugsgröße zu problematisieren.Diese symbolisch-diskursiven Ansprüche werden als (kulturelles) Eigentum ei‐ner vermeintlich distinkten Gruppe dargestellt. 9 Im Begriff der Aneignung ist der Verweis auf Vorstellungen des Eigentums semantisch schon angelegt (Scafidi 2005). In seiner Monografie „Ethik der Appropriation“ weist Jens Balzer auf diesen Aspekt hin: „In der Aneignung ist [. . . ] immer auch eine Enteignung inbegriffen, ein Dieb‐stahl, eine illegitime Tat“ (Balzer 2022: 13). Aber ist es wirklich so eindeutig? Die der Aussage zugrunde liegende Prämisse ist vielmehr – zumal in ihrem Anspruch auf universelle Gültigkeit – infrage zu stellen, auch weil sie mit definierten Rechtsbegriffen operiert, ohne diese kritisch einzuordnen. Alle skizzierten Fälle kreisen um die Frage, wem bestimmte kulturelle Ausdrucksformen gehören – zunächst noch nicht in einem rechtlichen (Shand 2002; Brown 2003), sondern in einem identitätspo‐litischen und durchaus auch ethnisierten Verständnis. Damit wird die Debatte um einiges komplexer, als sie im medialen Diskurs dargestellt wird. Denn weder Dreadlocks noch Dirndl oder „Indianerkostüme“ sind rechtlich geschützt. Sie haben keine Urheber*innen, sind Bestandteil eines kulturellen Repertoires, das global verfügbar geworden ist und als Teil einer globalisierten Populärkultur verstanden werden kann.Die Idee der Urheberschaft ist kulturspezifisch und keineswegs eine Universa‐lie, wenngleich sie inzwischen weltweit Geltung besitzt. Zudem ist sie angesichts der vielfältigen Felder und Phänomene, bei denen mit kultureller Aneignung argumentiert wird – von der Repatriierung bis zur Popkultur –, nicht pauschal anwendbar.
Das Konzept der kulturellen Aneignung im gesellschaftlichen Diskurs verdankt seinen rasanten Aufstieg der Genese eines Denk- und Argumentationsmusters, das kulturelle Differenz essenzialisiert. Damit reiht es sich ein in eine lange Tradition und schöpft seine Argumente aus Entwicklungen, in denen Ausschnitte von Kultur aufgewertet oder verrechtlicht werden – wie im Fall der entsprechenden UNESCO-Konventionen zum Schutz immaterieller Kultur oder zum Erhalt kultureller Vielfalt. Dass der Vorwurf der kulturellen Aneignung im medialen Diskurs hohe Aufmerk‐samkeit und vielfache Kommentierung nach sich zog, ist ein Beleg dafür, dass die hier vorgebrachten Argumente längst gesellschaftlich plausibel geworden sind. Auch wenn der Höhepunkt des Diskurses vielleicht schon hinter uns liegt und das Maß an Skandalisierung abgenommen hat, so bleibt doch ein Denken, das vermeintlich legitime von illegitimen Nutzungsweisen von Kultur unterscheidet, das Kultur als Container und als Differenzkategorie ideologisiert. So gesehen ist der Vorwurf der kulturellen Aneignung in seinem normativen Verständnis von Kultur Teil des Problems, das er lösen möchte.
Gegen die Essenzialisierung - Zeitschrift für Empirische Kulturwissenschaft
Bizarre Diskussionen um Begriffe, oder auch Menschen wie Thomas Gottschalk (Dem seit Wochen medial Ansichten um die Ohren fliegen, welche wahrscheinlich die Mehrheit der Bevölkerung teilt.) entfalten ihre negative Wirkung vor Allem in Kombination mit dem Unterbleiben dringend notwendiger Debatten.
Dazu gehört die Frage, ob eine Bundestagsvizepräsidentin, die eindeutig antisemitische Beiträge verbreitet, im Amt bleiben sollte. Früher trat man wegen Bonusmeilen zurück.
Natürlich hat sich die Vizepräsidentin des Bundestages hinreißen lassen und die Geschichte maximal dumm und schadensträchtig gestaltet. Natürlich hätte sie den Hass auf den Zionismus auch so ausdrücken können, dass die Islamisten in der Sonnenallee verstehend zustimmen und die politischen Gegner keinen richtigen Angriffspunkt finden. Aber nach fast einer Woche muss man sagen: Sie hat es populistisch und vulgär auf eine Art getan, die auf einer Linie mit Erdogan und Mahmud Abbas von der palästinensischen Autonomiebehörde liegt. Und die SPD hat in ihren Führungsspitzen nicht die Kraft und den Anstand, mit einem Rauswurf von Frau Özoguz die wahrlich nicht seltenen Anhänger dieser Sichtweise unter den Migranten zu brüskieren.
Linke Parteien gaben sich erfreut und lustvoll dem Deutschenhass hin und fanden Vaterlandsliebe zum Kotzen. Frau Özoguz sagte, eine deutsche Kultur sei jenseits der Sprache nicht erkennbar und half Vereinen wie Neue Deutsche Organisationen oder Neue Deutsche Medienmacher, deren führende Mitarbeiter dann wiederum Deutsche als Kartoffeln bezeichneten. Der Hass auf Weiße und auf den Westen ist voll anschlussfähig an neue Islamisten und die alte Doktrin des Antiimperialismus, die eigentlich mit der Sowjetunion untergegangen sein sollte. Aber die Grünen haben nicht umsonst den antisemitischen Terroristen Dieter Kunzelmann ins Berliner Abgeordnetenhaus gebracht.
Es ist auch kein Zufall, dass aus dieser politischen Richtung die Rückendeckung für umstrittene Figuren wie Naika Foroutan, die Unipräsidentin Geraldine Rauch oder die Moderatorin Nemi el-Hassan kam. Grüne profitieren von den Massenaufmärschen der Antisemitin Greta und solidarisierten sich mit der Letzten Generation, die mit Roger Hallam in Verbindung steht – die Aufmerksamkeit haben sie gern mitgenommen, die hässlichen Nebenaspekte werden, da man nun an der Macht ist und Geld verteilen kann, totgeschwiegen.
Der Lapsus von Özoguz ist kein einmaliger Ausrutscher, sondern ein weiterer Fall in einer langen Serie von mehr oder weniger deutlichem Verständnis für die Ablehnung von Israel. Und das erklärt auch den dritten Grund, warum Frau Özoguz im Amt gehalten wird: Würde sie von ihrer Partei in die Wüste geschickt werden, hätte man einen Präzedenzfall, an dem der nächste Verbreiter antisemitischer Propaganda gemessen und zum Rücktritt gedrängt werden würde.
Der Bundeskanzler von der SPD und Parteifreund von Özoguz hat sich vehement geäußert, als ein paar unbekannte Betrunkene auf einer Privatparty auf Sylt das berüchtigte Döp gesungen haben. Derselbe Bundeskanzler hat sich vehement geäußert, als die SZ Hubert Aiwanger fälschlicherweise der Autorenschaft eines über 30 Jahre alten Flugblatts beschuldigte. Gretas deutsche Freundin Luisa Neubauer hat wegen einer völlig harmlosen Bemerkung versucht, Hans-Georg Maaßen Antisemitismus zu unterstellen. Der Verfassungsschutz des rot-grün regierten Niedersachsen hat versucht, einen harmlosen grünen Comicfrosch zu einer rechten Gefahr zu machen. Rote und grüne Minister fordern die Überwachung von privaten Äußerungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze, die den Staat mangels Strafbarkeit als legale Aussagen nichts angehen. Rote und grüne Politiker haben zusammen mit Transaktivisten eine Hetzjagd auf eine Doktorandin betrieben, die gesagt hat, dass es nur zwei Geschlechter unter Säugetieren gibt. Wo sind die jetzt alle, da eine Bundestagsvizepräsidentin und Repräsentantin der Herzkammer unserer Demokratie so eine wirklich drastische, eindeutige Aussage verbreitet und Deutschland international bis auf die Knochen blamiert?
Vier Gründe für das feige Maulhalten im Fall Özoguz - Welt
Man könnte sich auch noch mit der Frage auseinandersetzen, warum die Außenministerin Antisemiten zum Abendessen einlädt und das Ministerium sich anschließend mit Händen und Füßen dagegen wehrt, die Gästeliste bekanntzugeben. Oder, ob es überhaupt Aufgabe des Außenministeriums ist, solche Dinner auszurichten.
Jedenfalls herrscht zumindest im politisch-medialen Berlin eher mehr Sprachlosigkeit, seit einige Teilnehmer des Abends bekannt machten, dass sie bei der Aussenministerin zu Gast waren. Zum Beispiel Alena Jabarine: Die freie Journalistin machte nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 die Opfer zu Tätern, verbreitet in der Hardcore-palästinensischen Community munter Verschwörungstheorien («auf keinen Fall deutsche Medien konsumieren»), insinuiert Vergleiche zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland damals und Israel heute und wird bisweilen direkt antisemitisch, wenn sie zum Beispiel Karikaturen verbreitet, auf denen Juden so aussehen, wie sie dereinst im «Stürmer» dargestellt worden sind.
Mit dabei war auch Emilia Roig, eine Aktivistin, die die radikale «woke» Ideologie der sogenannten Intersektionalität vertritt. Ihr Hass auf Israel ist legendär – allwissend in Bezug auf die vermeintlichen Fehler des Landes, aber noch nie im Land gewesen. Selbst im «Spiegel», einem Magazin, das Israel oft an der Grenze dessen kritisiert, was als legitime Kritik an Land und Regierung noch akzeptabel ist, wurde Roig Antisemitismus nachgewiesen und vorgeworfen.
Benötigen solche Aktivistinnen wirklich «einen Raum», in dem «Sprachlosigkeit überwunden» wird, wie das Amt sein Projekt intern im typischen Grünen-Duktus anpries? Vor allem: Warum haben Personen, die Israel hassen und deren Aussagen immer wieder ins Antisemitische kippen, einen Platz am Tisch der deutschen Aussenministerin und Zugang zu einer Spitzenbehörde des Landes? Während man im Innenministerium an Vorschlägen arbeitet, wie Hamas-Freunde ausgeschafft werden können, lädt das Aussenministerium Personen mit nicht wesentlich anderen Positionen zum Abendessen ein.
Als Omri Boehm zum Beispiel vor wenigen Monaten eine Rede in Wien hielt, sorgte das für massiven Streit. Ein Sponsor der Veranstaltung sprang ab. Auch das Wiener Jüdische Museum sagte die Kooperation ab. Darüber berichtete unter anderem die «TAZ». Kritiker haben Boehm zuvor Israelfeindlichkeit, selbst Relativierung des Holocaust vorgeworfen. Bei der deutschen Aussenministerin ist Boehm willkommen – und dient schlimmstenfalls als eine Art Feigenblatt: Seht, auch jüdische, selbst israelische Personen waren zu Gast!
Waren auch Vertreter des jüdischen Lebens eingeladen, die die Sorgen und Ängste vieler jüdischer Gemeinden seit dem 7. Oktober 2023 widerspiegeln? Eine stichprobenartige und unvollständige Umfrage unter jüdischen Institutionen in Deutschland verlief bisher negativ.
Stattdessen diskutiert man darüber, ob die Antisemitismus-Resolution des Bundestages angemessen sei. Das bleibt nicht unbemerkt. Wir blamieren uns international in Serie.
Darf man die israelische Regierung kritisieren? Man darf, es geschieht täglich. Dass sie derzeit einen Krieg führt, von dem sie nicht sagen will, wie er beendet werden könnte, liegt wie ein Albdruck auf Israel. Ministerpräsident Netanjahu scheint kein Interesse am Ende eines Krieges zu haben, das die Frage nach seiner Politik, seiner Korruption, seiner Zukunft aufwürfe. Solche Fragen werden auch in Israel täglich gestellt.
Es ist heute üblich, darüber zu klagen, man dürfe etwas nicht mehr sagen. So klagen die Kritiker der israelischen Regierung, sie dürften diese Kritik nicht mehr artikulieren, ohne als antisemitisch bezeichnet zu werden. Solche Befürchtungen werden auch jetzt anlässlich der Antisemitismus-Resolution laut, die dem Deutschen Bundestag als Ergebnis von Gesprächen zwischen der regierenden Koalition und der CDU/CSU-Opposition vorliegt. Behauptet wird etwa, der Entwurf betone besonders den migrantischen, sprich: islamistischen Antisemitismus, und es werde damit ein neues Feindbild entworfen.
Befürchtet werden jedenfalls Grundrechtseingriffe, weil zwischen Kritik an der israelischen Regierung und Antisemitismus nicht mehr unterschieden werden könne. „Große Teile“ von Wissenschaft und Kultur würden unter einen Generalverdacht gestellt und sollten der Resolution zufolge auf Gesinnung überprüft werden. Tatsächlich unterstellt der Resolutionsentwurf nicht, dass es große Teile in Wissenschaft und Kunst sind, die sich für Boykotte Israels einsetzen oder antisemitische Motive in ihre Werke aufnehmen.
Die attackierte Definition der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance) wird selten gelesen. Sie hält fest, dass Antisemitismus sich auch gegen den Staat Israel als jüdisches Kollektiv richten kann. Dezidiert hält sie fest, dass Kritik an Israel, die mit der Kritik an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden kann. Wenn allerdings gesagt wird, die Juden stellten den Holocaust übertrieben dar, erfüllt das ebenso die Definition wie die Behauptung, Israel verdanke sich einem rassistischen Unterfangen oder der Vergleich der israelischen Politik mit dem Nationalsozialismus. Anerkannt worden ist diese Definition seit Herbst 2017 von 43 Staaten, darunter fast alle europäischen außer Irland und Norwegen. Weshalb sie so unbrauchbar sei, wird weniger nachgewiesen als ständig behauptet.
Der entscheidende Punkt ist, ob die Kritik der israelischen Regierung zugleich eine Kritik am Existenzrecht Israels ist. Die wäre antisemitisch, denn sie liefe auf die Behauptung hinaus, die Juden hätten keinen Anspruch auf einen eigenen Staat. Israel müsse verschwinden, ist eine Forderung vieler, die das für eine pro-palästinensische Haltung halten. Ronen Steinke hat in der „Süddeutschen Zeitung“ gerade darauf hingewiesen, dass der von arabischstämmigen Demonstranten gerufene Satz „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein“ im Jahr 2014 von einer deutschen Staatsanwaltschaft als legitime Kritik an Israel aufgefasst wurde. Sie konnte beim besten Willen keinen Antisemitismus erkennen, es seien vielleicht ja nur israelische Militärs gemeint gewesen. Vielleicht.
Der vorliegende Entwurf lässt dem fallweisen Entscheiden darüber, wann Kritik der israelischen Regierung in Antisemitismus umschlägt, durchaus Raum. Es ist einfach nicht wahr, dass die Resolution Juden, die Israels Politik kritisch sähen, in Gefahr bringt. Sie ist kein Gesetz. Sie schneidet keine Diskussion ab. Sie schreibt den Antisemitismus nicht einseitig zu. Sie verlangt Konsequenzen für antisemitische Vorfälle, etwa an Hochschulen. Sie fordert die Bundesregierung auf, eine Zwei-Staaten-Lösung zu unterstützen, die es der palästinensischen Bevölkerung ermöglichen soll, ein gleichberechtigtes Leben zu führen. Sie redet nicht von bedingungsloser Solidarität mit der israelischen Regierung, sondern ausschließlich von der Existenz Israels.
Aber schon das ist manchen zu viel. Sie wollen nicht Antisemiten genannt werden, das ist verständlich. Doch deshalb sollten sie nicht behaupten, die Resolution und die IHRA-Definition mache sie zu solchen.
Die Klagen der Giftmischer - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Zum Ende der Rubrik wieder Sehens- und Hörenswertes. Hamed Abdel-Samad spricht mit Ferdinand Knapp.
Hamed Abdel-Samad ist ägyptisch-deutscher Politikwissenschafter und Autor. Abdel-Samad erlangte eine größere Bekanntheit durch islamkritische Werke und als Protagonist der ARD-Serie "Entweder Broder". Im Interview stellt er sein neues Buch vor: Der Preis der Freiheit - Eine Warnung an den Westen.
Alexander Grau ist in der Sendung “Sternstunde Philosophie” zu Gast.
Themen wie Moral, Gender und Klima sind zu Ersatzreligionen geworden, meint der deutsche Philosoph Alexander Grau. Es brauche wieder mehr Konservative, mehr Freiheiten und weniger Staat. Yves Bossart spricht mit dem Kulturpessimisten über Hafermilch und den Untergang des Abendlandes.
Kultur
Song der Woche: Andreas Dorau - Das ist Demokratie (Ata Tak/WR 44/1988)
Epilog
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