Prolog
Wenn man sich mit politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen befasst, muss man aufpassen, dass man nicht verbittert. Diese Verbitterung, aber auch Resignation nehme ich bei immer mehr Menschen der bürgerlichen Mitte wahr, mit denen ich mich über bestimmte Themen unterhalte. Interessanterweise decken sich die in diesen Gesprächen geäußerten Positionen nicht mit denen, die in der medialen Öffentlichkeit als Normalität verkauft werden. Die öffentliche und die veröffentlichte Meinung driften immer weiter auseinander. Mit fatalen Folgen für die Gesellschaft. Laute und gute vernetzte Minderheiten verstellen den Blick auf die Tatsache, dass sich immer mehr Leistungsträger emotional von Deutschland entfernt haben, an Diskussionen nicht mehr teilnehmen und nicht selten darüber nachdenken, ihre geschäftlichen Aktivitäten ins Ausland zu verlegen oder haben das bereits getan haben. Sie brauchen Deutschland nicht, Deutschland sie aber ganz dringend.
In bestimmten Kreisen besteht Einigkeit darüber, dass in Deutschland - um es salopp auszudrücken - der Drops gelutscht sei. Wie erwähnt, handelt es sich bei diesen Personen nicht um politisch Randständige. Ich kann diese Menschen verstehen, denn die Dinge, die sie kritisieren, empfinde auch ich als hochproblematisch. Ich gehe damit allerdings anders um. Ich bin nicht der Meinung, dass Deutschland verloren ist. Bereits das diesem Satz zugrundeliegende Pathos ist mir fremd, auch wenn ich weiss, was damit gemeint ist.
Lagerdenken lehne ich grundsätzlich ab und fühle mich deshalb weder bei denen, die den Zeitgeist unkritisch umarmen, noch bei denen, die ihn marktschreierisch als Untergang der westlichen Welt beschreiben, wohl. Denn beide Lager irren. Humor und kritische Differenzierung sind mein Weg, mit bestimmten Zumutungen der Gegenwart umzugehen. Und natürlich immer wieder Austausch. Leider sind die sozialen Medien, in denen ich lange ein großes Potential für gesellschaftlichen Diskurs gesehen habe, daran grandios gescheitert. Wenn ich Twitter/X öffne, bekomme ich sofort schlechte Laune. Das war mal anders. Ein Grund, warum ich dort kaum noch aktiv bin. Mit der Übernahme durch Elon Musk hat übrigens gar nichts zu tun.
Nun aber los. Heute geht es unter anderem um Studien, Medien und autoritäre Phantasien.
Spenden sind im Moment per Überweisung möglich. Schicken Sie mir einfach eine Mail an kontakt@peithmann.net und ich sende Ihnen eine Bankverbindung.
Politik und Gesellschaft
Dass Journalisten und Bevölkerung in unterschiedlichen Sphären unterwegs sind, ist keine Neuigkeit. Das Ergebnis des Versagens etablierter Medien sind Krawallportale, zu deren Zielgruppe auch ich nicht gehöre. Bestimmte Menschen bekommen in den seriösen Medien schon lange kein Forum mehr, obwohl ihre Ansichten von vielen geteilt wird. Damit sind selbstverständlich nicht Radikale und Extremisten gemeint. Wer allerdings wegen Meinungen abseits des Zeitgeistes - und genau das ist der Grund, auch wenn das immer bestritten wird - nirgends mehr schreiben kann oder in keine Sendung mehr eingeladen wird, der geht eben irgendwann zu "alternativen" Portalen. Diesen Angeboten werden die Leute durch das Ignorieren von Mehrheitspositionen geradezu in die Arme getrieben. Dass es diesbezüglich kaum Problembewusstsein gibt, ist einer der Gründe für die massive Kritik.
Die Journalisten des sogenannten Mainstreams sind aber keineswegs freier. Wer stets darauf bedacht ist, nur zu schreiben, was seine Kollegen auch schreiben oder zumindest goutieren, macht sich ebenso abhängig von der vorherrschenden Meinung. Während der Journalist mit Antimainstream-Reflex sich immerhin noch zugute halten kann, eine andere Perspektive aufzuzeigen, arbeitet dieser Journalist – aus Angst, Überzeugung oder Konformismus – an der Verengung des Diskurses.
Deshalb kann man sich als Journalist nur bemühen, sich von diesen Schablonen zu befreien und sich weder von Trotz noch Gefallsucht leiten zu lassen – im Wissen, dass dies in einer der eitelsten Branchen der Welt nicht ganz einfach ist. Der zwanghafte Versuch, zum medialen Establishment zu gehören, macht genauso unfrei wie dessen prinzipielle Ablehnung. Dessen ungeachtet darf man sich über die Tendenz zu einem journalistischen Einheitsbrei keine Illusionen machen.
Journalisten neigen dazu, ihre Wünsche zur Wirklichkeit zu erklären. Dies geht auf Kosten der Präzision der Berichterstattung und auf Kosten der Glaubwürdigkeit des Journalismus. Entwickeln sich die Dinge nicht nach den Wünschen der Journalisten, versuchen sie die Welt publizistisch zurechtzurücken, indem sie warnen: vor der AfD, vor Rechtspopulismus, vor Trump – der «Spiegel» hat ihn auf dem Cover gezeigt, wie er die Freiheitsstatue köpft, wie er eine Ku-Klux-Clan-Mütze trägt oder wie er als Feuerball auf die Erde zufliegt: «Das Ende der Welt (wie wir sie kennen)».
Die Versuchung von Journalisten, Haltung zu zeigen und für das vermeintlich Gute zu kämpfen, scheint eine Berufskrankheit zu sein. Zwar fühlen sich viele Journalisten dem Diversitätsgedanken verpflichtet, die Freude über vielstimmige Debatten hält sich allerdings in Grenzen. Denn machen sich polarisierende Meinungen bemerkbar, wird schnell vor einer «Spaltung» gewarnt. Darauf, dass die Journalisten selbst polarisieren, wie etwa in der Flüchtlingskrise mit dem «Refugees welcome»-Imperativ, kämen viele Kollegen in ihrem Aktivismus nicht.
Diese Einstellung färbt auch auf den Journalismus ab und ist in der Berichterstattung erkennbar. Dabei wäre gerade dies die Aufgabe der Journalisten: nicht dabei sein, sich dem Sog solcher Bewegungen entziehen, und sie stattdessen kritisch zu spiegeln. Wer selbst engagiert im Umzug mitmarschiert oder ihn gar organisiert, hat die Unabhängigkeit schon aufgegeben.
Man hat dasselbe Studium gemacht, man hat die gleichen Interessen, den gleichen Geschmack und teilt dieselben politischen Vorstellungen. Verschiedene Umfragen haben das Bild einer politischen Homogenität unter Journalisten bestätigt, das gilt sowohl für Deutschland als auch für die Schweiz. 2017 hat die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) eine Studie herausgegeben, wonach sich fast 70 Prozent der SRG-Journalisten als links bezeichneten. Selbst bei den privaten Medien verorteten sich ungefähr 62 Prozent als links – beide Zahlen spiegeln in keiner Weise die Stärke linker Parteien im Schweizer Parlament. Ein noch drastischeres Bild zeichnete eine Umfrage der deutschen Branchenzeitschrift «Der Journalist» zur politischen Einstellung von ARD-Volontären von 2020: 57 Prozent bekundeten ihre Sympathie für die Grünen, 23 Prozent für die Linken, 12 Prozent für die SPD. Die Union kam auf 3 Prozent und die FDP auf 1 Prozent.
All dies veranschaulicht, wie sich die Medien vom Alltag der Menschen entkoppelt und dadurch an Glaubwürdigkeit verloren haben. Die Rede von «Mainstream-Medien» ist ein Ausdruck davon. Ein anderer sind Statistiken, die regelmässig zeigen, wie das Vertrauen in die Medien erodiert. Oder Umfragen wie die Allensbach-Studie von 2021, in der 44 Prozent der Deutschen der Aussage zustimmten, man könne seine Meinung nicht frei äussern
Die Diskussion darüber, ob Cancel Culture existiert, scheitert oft an der Definition des Begriffs. Nicht selten muss erst einmal der Irrtum aus der Welt geräumt werden, es handele sich erst um Cancel Culture, wenn die Versuche, jemanden . in welcher Form auch immer - zu entfernen/stummzuschalten, erfolgreich seien. Nein, bereits der Versuch reicht aus. Daher ja auch “Culture”. Dass es dieses Phänomen selbstverständlich auch an Universitäten gibt, sollte nach zahlreichen Vorfällen, die zum Beispiel das “Netzwerk Wissenschaftsfreiheit” auflistet, gar nicht mehr zur Diskussion stehen. Eine Studie hat nun erneut interessante Erkenntnisse geliefert.
Doch immerhin findet knapp jeder fünfte Befragte (19 Prozent), dass es eher schlecht als gut um die Freiheit in der Wissenschaft steht, drei Prozent sagen sogar sehr schlecht (siehe Grafik).
Einschränkungen der persönlichen Freiheit können viele Gesichter haben: Doktoranden, die in Forschungsprojekten ihrer Professoren wenig selbst entscheiden können; oder Finanzierungsdruck, der dafür sorgt, nicht das eigene Interesse zu verfolgen, sondern zu einer Frage zu forschen, für die es eben Geld gibt. Doch auch die Angst, sich Anfeindungen einzuhandeln. Immerhin acht Prozent der Befragten fürchten moralische Angriffe, wenn sie ihre Forschung frei nach Gusto gestalten würden; in der Lehre gilt dies für sieben Prozent.
Unerheblich ist der Anteil der Personen, die angeben, moralische Abwertungen oder berufliche Probleme erlebt zu haben, nicht. Für die Forschung gilt dies beispielsweise für jeweils sechs Prozent. Welche Vorfälle dahinterstecken, lässt sich auf Basis der Studie nicht sagen. Der abwiegelnde Begriff der "Einzelfälle" trifft es aber nicht, wie die Studie vorrechnet: Bei insgesamt etwa 162.000 Professoren und wissenschaftlichen Angestellten an den 158 promotionsberechtigten Hochschulen in Deutschland entsprechen "sechs Prozent" knapp 10.000 Personen.
Ebenso beunruhigend wirkt, dass eine Reihe von Wissenschaftlern ihr Verhalten anpasst, weil sie Druck ausgesetzt sind oder diesen fürchten. Die Forschung ist davon stärker betroffen als die Lehre. 14 Prozent haben ein Thema vermieden, weil sie negative Konsequenzen fürchteten; zwölf Prozent, weil auf sie Druck ausgeübt wurde; neun Prozent verzichteten darauf, ein Forschungsergebnis zu veröffentlichen.
Einerseits berichtet nur eine sehr kleine Minderheit der Forscher von negativen Erlebnissen (nur ein Prozent der Befragten sagt etwa, in den vergangenen zwei Jahren auf dem Campus für ihre Forschung beschimpft worden zu sein); andererseits sagen 14 Prozent, Themen aus Angst nicht bearbeitet zu haben.
Dennoch zeigen einzelne Daten der Studie politische Linien auf. Erstens: Das Wissenschaftssystem ist linker als der Rest des Landes. Als rechts der Mitte verortet sich nur knapp jeder Zehnte. Zweitens deutet sich Dogmatismus eher bei als "links" verstandenen Positionen an. So finden 29 Prozent, es sollte nicht erlaubt sein, gendersensible Sprache zu verweigern. Einen Vortrag zur "rechten" These, Kriminalität von Migranten sei primär auf ihre Kultur zurückzuführen, möchten 10 Prozent absagen lassen – beim "linken" Gegenstück, die Kriminalität beruhe primär auf rassistischer Diskriminierung, sind es weniger als drei Prozent.
Gibt es eine Cancel-Culture an den Universitäten? - Zeit
Hochinteressant ist die Einordnung der “Zeit”, diese Ergebnisse zeigten keine Cancel Culture. Man muss schon sehr voreingenommen sein, um nach Lektüre der Studie, die das Gegenteil belegt, zu diesem Fazit zu kommen.
Seit der Bekanntgabe der geplanten Zusammenlegung von Arte und 3Sat wird wieder einmal hitzig über die Aufgabe öffentlich-rechtlicher Medien diskutiert. Die Argumentation, mit dem Wegfall bestimmter Sender fiel auch Qualität weg, wäre allerdings nur plausibel, wenn Qualität so hoch wäre, wie behauptet. Wenn ich mir die Onlineauftritte einiger Kultursender anschaue, sehe ich vor allem Anbiederung an den Zeitgeist und bunthaarige Jugendliche, die mir auf unterirdischen Niveau die Welt erklären wollen. Was ich nicht sehe, ist das, was diese Sender früher einmal ausgemacht hat: Qualitativ hochwertige Inhalte. Insgesamt und nicht nur bezüglich des öffentlich-rechtlichen Bereichs werden ehemals zentrale Organe des Bildungsbürgertums inzwischen von zeitgeistig-erwachten Narrativen und Akteuren dominiert. Sei es die "Zeit", der "Spiegel", der “Deutschlandfunk” oder eben auch “3Sat” und “Arte”: Früher Schlachtschiffe der seriösen Berichterstattung, heute oft schwer zu ertragen. Das bedeutet natürlich nicht, dass diese Angebote verschwinden sollten. Die Kritik ist allerdings berechtigt.
In Korb 2 finden sich beispielsweise die Sender Arte und 3sat. Wie soll hier die Konsolidierung aussehen? Im gerade publik gewordenen Diskussionsentwurf für die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks lautet die Antwort: Die Inhalte von 3sat sollen „teilweise oder vollständig“ in das Programm von Arte „überführt“ werden. Da allerdings die Sendezeit von Arte nicht mitwächst, dürfte das auf das Verschwinden von 3sat hinauslaufen und jedenfalls auf eine erhebliche Kürzung dessen, was das öffentlich-rechtliche Fernsehen an Kulturberichterstattung anbietet.
Das liegt im Trend. In fast allen Sendern werden die Programme für Literatur, ernste Musik und Theater zurückgefahren. Von Kai Gniffke, dem ARD-Vorsitzenden, heißt es, er könne sich vorstellen, dass jedes Buch, das im Reich der ARD rezensiert wird, von Flensburg bis Konstanz nur noch ein einziges Mal rezensiert werden wird. Auf die Idee, die Pop- und Volksmusik-Songs, die im selben Gebiet erklingen, nur noch von einem der Kanäle abspielen zu lassen, ist hingegen noch keiner der Intendanten gekommen. Stattdessen stehen Sendungen wie die hinreißenden zweistündigen „Interpretationen“ im Deutschlandfunk Kultur unter Druck, eventuell weil Abteilungsleiter und Intendanten nicht mehr wissen, wer Pietro Mascagni und Gustav Holst sind. Sie schauen auf die Quoten, nehmen wahr, dass sich weniger Leute für die unterschiedlichen Einspielungen musikalischer Werke interessieren als für Taylor Swift, und handeln entsprechend.
Ist es der Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, zu senden, was in diesem Sinne sehr beliebt ist? Erhofft er sich Unterstützung der Demokratie durch die Zuschauer des „Bergdoktors“, der „Rosenheim Cops“ und Real Madrids? Wer das kritisiert, dem begegnet schnell der Vorwurf, es mit den Feinden der Demokratie zu halten. Denn als Bollwerk der Demokratie kommen sich die Sender vor und begründen, um kein sinnloses Selbstbild verlegen, sogar das Senden von Fußballspielen damit, die Zuschauer schauten in der Halbzeitpause die Nachrichtensendungen.
So könnte man auch Einwände gegen die vielen Sokos, Nordsee-, Schweden-, Dänen- und Midsomer-Krimis vortragen. Oder gegen junge Ärzte, rote Rosen, mediterrane Pferdebesitzer-Geschichten samt dem „Traumschiff“. Aus dem Fernseher triefen Blut und Kitsch in einem Ausmaß, das die Frage aufwirft, weshalb das alles gebührenfinanziert werden muss. Die Antwort verweist dann regelmäßig auf die politischen Magazine, die Nachrichtensendungen sowie die Talkshows, die allen Ernstes für einen Beitrag zur Demokratie gehalten werden und nicht für einen zu ihrer Verächtlichmachung.
3sat war allerdings schon in den letzten Jahren kein geliebtes Kind mehr bei ARD und ZDF. Man spielt dort gern Dokumentationen über Kulturlandschaften ab, sendet von Festivals, pflegt das mehr oder weniger öde Kabarett und streut ab und zu etwas über Wissenschaft sowie das Magazin „Kulturzeit“ ein. Wetten wir, dass Wissenschaftssendungen jetzt entfallen werden und die Berichterstattung über die Künste reduziert wird? Und warum? Weil sich bei den Entscheidern niemand dafür interessiert, weil 3sat Politikern keine Auftritte bietet, weil die Quote alles dominiert. Der Marktanteil des Senders liegt bei 1,4 Prozent, Arte liegt in Deutschland bei 1,2 Prozent.
Doch aus der Quote und aus den Auftrittsgelegenheiten für das politische Personal ergibt sich keine Legitimation des öffentlich-rechtlichen Auftrags. Ziel der gebührenfinanzierten Sender kann nicht sein, um jeden Preis möglichst viele Zuschauer zu erreichen. Das wäre vielmehr die Logik eines privaten Senders. Und was die Demokratie angeht, so ist an der Leistung erheblichen Vorschubs für Sahra Wagenknecht durch ihre Dauerpräsenz in Talkshows die Dialektik der angeblichen Informationsformate gut zu erkennen. Kognitiv erfrischt geht niemand aus ihnen oder ihrer Betrachtung hervor.
Das Ende der Kulturzeit - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Als beunruhigend empfinde ich seit Jahren die unbekümmerte Verwendung des Begriffs “Hate Speech” oder auch “Hassrede”, denn es handelt sich nicht um einen juristischen Tatbestand. Meiner Meinung nach diente er immer der Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit. Die aktuelle Diskussion um die “Trusted Flagger” bestätigt diese Einschätzung erneut. Diese Einrichtungen melden vermeintliche Verstöße an die Betreiber sozialer Netzwerke. Diese sind dann verpflichtet zu reagieren. Die Folge davon wird sein, dass Netzwerke grundsätzlich eher löschen, um keine Probleme zu bekommen. Der einzelne Nutzer kann sich zwar juristisch dagegen wehren, aber wer macht das schon? Den meisten wird es den Aufwand von Zeit, Geld und Nerven nicht wert sein. Vor allem auch deshalb, weil ein Beitrag, wenn er dann nach langer Zeit wieder erscheint, ohnehin niemanden mehr interessiert.
Wörtlich bedeutet der Begriff «vertrauenswürdiger Hinweisgeber». Gemeint sind Organisationen, die das Internet nach problematischen Inhalten wie Hassrede oder terroristischer Propaganda durchsuchen und «illegale und schädliche Inhalte» bei den Plattformen melden. Die «Flagger» sind vom Staat als solche zugelassen und haben bei den Online-Plattformen Anspruch auf bevorzugte Behandlung. Plattformbetreiber wie YouTube, Instagram, TikTok oder X müssen Meldungen von ihnen besonders schnell abarbeiten. Damit sollen die gefundenen «problematischen Inhalte» schnell entfernt werden können – schneller als wenn normale Nutzer sie melden.
Die Bundesregierung argumentiert, dass sie nach dem europäischen Digital Services Act zu dieser Regelung verpflichtet sei. Allerdings richtet sich der Digital Services Act nur gegen illegale Inhalte. Netzagentur-Chef Müller hat den Anwendungsbereich weiter gefasst. «Illegale Inhalte, Hass und Fake News können sehr schnell und ohne bürokratische Hürde entfernt werden. Das hilft, das Internet sicherer zu machen», sagt Müller in einer Erklärung – und stösst damit auf Widerstand bei Juristen.
«Die Aussage von Müller ist verfassungswidrig», sagt etwa der Staatsrechtler Volker Boehme-Nessler. «Hass und Hetze sind grossteils erlaubt, soweit sie von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, ebenso Fake News.» Sogar verfassungswidrige Meinungen seien von der Meinungsfreiheit gedeckt, wie das Bundesverfassungsgericht klargestellt habe. Das Vorgehen passe in die Einschüchterungspolitik der Bundesregierung im Bereich der Meinungsfreiheit. «Das ist eine Aufforderung zur Denunziation», so Boehme-Nessler.
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, und was in der wirklichen Welt strafbar ist, ist es auch dort. Doch schon die Formulierung «Hass und Fake News» lässt die aufkommenden Probleme ahnen: Wer bestimmt, was Hass ist? Auch Unangenehmes und Verstörendes ist durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit in weitem Umfang erlaubt. «REspect!» fiel neulich durch eine Strafanzeige auf, die erstattet wurde, weil jemand die Grünen-Politikerin Ricarda Lang dick genannt hatte. Das bedeutet, auch wahre Tatsachen könnten verfolgt werden.
Die Neuerung fügt sich stimmig ein in ein Gesamtbild. Nicht nur wurde in den vergangenen Jahren die Meinungsfreiheit konstant beschränkt, etwa durch Erhöhung der Strafbarkeit. Sondern es wurde auch ein ganzes Netz von Meldestellen geschaffen, die «Meinungsäusserungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze» erfassen – also zulässige Meinungsäusserungen – und gegebenenfalls Strafanzeige erstatten.
Es heißt in manchen Milieus nicht selten, man solle die die Betroffenen hören. Ich halte das für richtig, habe allerdings schon häufig betont, dass Betroffene selbstverständlich nicht die alleinige Deutungshoheit haben und schon gar nicht automatisch Experten sind. Ich mache allerdings schon lange die Erfahrung, dass man auf Betroffene nur hören soll, wenn sie die richtige Meinung haben. Migranten oder Menschen bestimmter Ethnien, die sich nicht als Opfer empfinden und bestimmte Narrative in Frage stellen, werden misstrauisch beäugt. Wenn sie dann auch noch Kritik an den sie beschützen Wollenden üben, fliegen sie aus dem Diskurs. Dass viele nicht bereit sind, sich diesen Dynamiken zu unterwerfen, zeigt auch ein Text von Marco Antonio Cristalli, den ich erst kürzlich entdeckt habe.
Ein Lehrer bezeichnete mich einst wegen einer vier als Schulnote regelmäßig als „Pizza Quattro-Stagioni“, meine Körpergröße wurde als abnormal betrachtet („Italiener sind doch alle klein!“) und das generelle Misstrauen, dem man oft begegnet („Italiener sind ja alle korrupt und bei der Mafia!“), ist nun auch nicht sonderlich charmant. Das war nur eine kurze Zusammenfassung. Ich habe noch einige solcher Geschichten auf Lager. Wenn man aus dem Land von Dante, Boccaccio, Da Vinci und Fellini stammt, aber nur auf Pizza, Pasta und Mafia reduziert wird, ist das schon ziemlich bitter. Mein Leben lasse ich davon aber nicht bestimmen, denn es bleibt nur ein Teil meiner Erfahrungen.
Wenn ich von diesen Episoden erzähle, jubeln mir linksliberale Menschen regelrecht zu. Ich bin zu hundert Prozent ein Migrant, für viele sogar ein PoC (Person of Color). Kritisiere ich hingegen den deutschen Anti-Rassismus als elitär, weltfremd und überzogen, bin ich für die Lifestyle-Linke gleich so bio-deutsch, dass ich Sandalen mit Socken trage: „Du bist doch gar kein Ausländer. Du kannst da gar nicht mitreden.“ Auf kritische Nachfragen reagieren diese Menschen dann meist sehr gereizt. Warum ist Clan-Kriminalität ein rassistischer Begriff, aber Mafia nicht? Beide Begriffe beschreiben das identische Phänomen. Warum gelten identitätspolitische Konzepte, wie kulturelle Aneignung, nicht für die italienische Kultur? Döner- oder Brezel-Pizza sind nun wirklich nicht genuin italienisch. Sahne in der Carbonara auch nicht. Die Antwort ist verblüffend: Das könne man nicht vergleichen. Wir Italiener seien doch schon immer privilegierte Migranten gewesen, die noch nie von Rassismus betroffen waren. Wir wären ja nie marginalisiert worden. Das ist so falsch wie Olivenöl im Pastawasser.
Der doppelzüngige Umgang mit unserer Community offenbart den wahren Charakter des identitätspolitischen Anti-Rassismus. Es geht nicht um uns Migranten. Dann würde das Migrant-Sein nämlich nicht an Rassismus-Erfahrungen gekoppelt werden. Man würde versuchen, die komplette Vielfalt von Migrationserfahrungen in diesem Land abzubilden. Unter uns: Die meisten Migranten, die ich kenne, lachen über die populären Anti-Rassismus-Bücher unserer Zeit, da sie zum Teil völlig absurd sind. Mit migrantischen Lebenswirklichkeiten hat das nur bedingt etwas zu tun. Worum geht es dem neuen Anti-Rassismus also wirklich? Wir Migranten müssen eine bestimmte Opferrolle ausfüllen, damit Lifestyle-Linke sich schuldig und im Anschluss, nach durch uns erfolgter Absolution, als geläuterte, bessere Menschen fühlen können. Anti-Rassismus oder doch eher Narzissmus?
Vielleicht fremdelt man deswegen so mit uns. Vielleicht werden wir deswegen nicht zum Thema Rassismus befragt. Wir scheinen diese für uns vorgesehene Rolle nicht erfüllen zu wollen. Italienischstämmige Menschen, wie der Politiker Fabio de Masi, der Journalist Giovanni di Lorenzo oder die Vorsitzende des VW-Betriebsrates Daniela Cavallo, betonen nicht bei jeder Gelegenheit ihren Migrationshintergrund. Sie definieren sich nicht alleine darüber. Sie wollen als Individuen wahrgenommen werden, die ihre Arbeit gut machen. Ein vernünftiger Ansatz – aber der Alptraum von „woken“ Lifestyle-Linken, denen plötzlich ihr geliebtes Opfer genommen wird. Ich tue euch dieses Gefallen auch nicht, meine lieben deutschen links(il)liberalen Freunde. Ja, meine Familie und ich haben Rassismus erlebt. Gleichzeitig hat dieses Land uns jedoch großartige Chancen gegeben. Ich bin froh, hier zu leben. Eure Heimat ist mittlerweile eine meiner Heimaten. Sie ist kein Alptraum, sondern der Ort, an dem ich mich entfalten konnte. Mein Migrationshintergrund hat mir dabei oft genug Vorteile – gar Privilegien! – ermöglicht, die ein Bio-Deutscher nicht hatte.
Migrationsgeschichten sind facettenreich. Sie sind geprägt von widersprüchlichen Erfahrungen. Sie sind pluralistisch. Sie sind prinzipiell nicht dafür geeignet, in binäre Schemata gedrängt zu werden. Ich bin kein Opfer. Ich werde auch keines, um mich beim linksliberalen Milieu beliebt zu machen. Dafür habe ich zu viel kana-kischen Selbstrespekt. Es ist großartig, dass wir endlich mehr migrantische Stimmen im öffentlichen Diskurs erleben dürfen.
Doch wenn ein Teil dieser nur versucht, die Schuld- und Läuterungsbedürfnisse einer linken Elite zu bedienen, wird die ganze Sache zur Farce. Da steige ich aus – und mit mir viele andere Migranten. Auch, weil diese Herangehensweise Rassismus letztendlich bagatellisiert. Mein Großvater – ein Kommunist – hat mir beigebracht, was Würde und Empowerment bedeuten. Das waren die zentralen Gründe, warum er nach Deutschland kam. Er wollte vernünftige Arbeitsbedingungen und die hat er gefunden. Sein deutscher Traum hat sich erfüllt. Ähnliche Geschichten erzählen genügend andere Migranten. Es muss ihnen nur zugehört werden.
Wir reden viel über Diversität und allerlei schicke Begriffe. Was ich mir tatsächlich wünsche, ist eine Debatte und mediale Landschaft, die dem Meinungspluralismus der migrantischen Community gerecht wird. Eine Diskussion, die versucht, alle Einwanderergruppen miteinzubinden. In der Migranten, die Kritik am gegenwärtigen Anti-Rassismus üben, nicht wüst beschimpft werden. In der Migranten auf Augenhöhe begegnet wird. Dann könnte vielleicht auch ein Anti-Rassismus entstehen, der diesen Namen verdient hat. Wir brauchen ihn nämlich. Rassismus ist in unserer Gesellschaft präsent. Er bedroht das Leben vieler Menschen. Er muss jedes Mal aufs Neue bekämpft werden. Das können wir nur gemeinsam.
„Wir waren die Spaghetti-Fresser“ - Journal Frankfurt
Wolfram Eilenberger gibt interessante Einblicke in die Denkweise bestimmter Milieus. ein wirklich erhellendes Interview, nicht nur über Differenzierung und Denkfehler.
Eilenberger: Sich als besonders antiideologisch zu geben, kann in der Tat selbst zu einer Form der Ideologie werden. Mitunter erkennt man ausgezeichnete Ideologinnen gerade daran, dass sie behaupten, "beyond ideology" zu agieren und agitieren. Dem wahren Antiideologen geht es indes nicht vorrangig um die Ausleuchtung der Unmündigkeit der anderen, sondern um eine Diagnose der eigenen. Susan Sontag hat es einmal das "Gegen-sich-selbst-Denken" genannt.
ZEIT ONLINE: Ist es nicht vielmehr im Gegenteil so, dass sich kaum ein gesellschaftlicher Fortschritt ohne Aktivismus denken lässt? Keine Arbeitsschutzgesetze, keine Gleichstellung der Geschlechter, keine menschenwürdige Behandlung von Gefangenen ohne jenen initialen Aktivismus, der sich dafür starkmachte.
Eilenberger: Zunächst: Im Lichte der permanenten Dialektik der Aufklärung ist der Begriff des Fortschritts keiner, den man einfach so voraussetzen sollte. Womit ich nicht bestreiten will, dass es zweifellos ein Fortschritt ist, dass es heute in westlichen Industrieländern, sagen wir, keine Kinderarbeit mehr gibt. Was hier wesentlicher scheint: Aktivismus wird in seiner politischen Energieentwicklung von einem Bewusstsein getragen, das sich blind für die möglichen Ambivalenzen und auch Abgründe seiner eigenen Zielsetzungen macht. Und dies birgt immer Gefahren. An den Endmoränen solcher Entwicklungen sieht man dann beispielsweise Aktivisten, die im Namen eines unbedingten "Follow the Science" zur kontraapokalyptischen Weltrettung aufrufen. Auch eine mögliche Karikatur dessen, was Aufklärung einst meinen mochte. Dagegen gilt es selbstdenkend, gerade auch den Aktivismus und dessen Rezepturen zur Gesellschaftsverbesserung auf seine dunklen Flecken zu befragen. Genau das zeichnet auch Foucault, Adorno, Feyerabend und Sontag aus, sie alle waren in ihren eigenen Milieus permanente Mahner gegenüber allzu aktivistischen Überzeugungen. Zugegeben, keine Position, mit der man sich leicht Freunde macht.
Eilenberger: Nehmen Sie die Verwirrung, die sich im Genderdiskurs findet. Einerseits wird dort dogmatisch behauptet, Menschen seien von der gesellschaftlichen Struktur vollkommen bedingt, und zwar bis in ihre tiefsten Begehren. Andererseits gibt es eine rest-existenzialistische Authentizitätsvorstellung, wonach ebendiese Menschen in der Lage seien, völlig frei zu entscheiden und zu wählen, was sie sein wollen. Hier das Fantasma der alles unterdrückenden Struktur, dort das Ideal vollends autonomer Selbstschöpfung. Fragt man die Leute dann, wie das beides so zusammengehen soll, erntet man betretenes Schweigen oder vages Genuschel.
ZEIT ONLINE: Ist ihre Kritik wiederum nicht selbst polemische Diskursverdunkelung? In der Realität wird die Debatte doch gar nicht mit solchen Maximalpositionen geführt. Viele Menschen würden vermutlich sagen: Die gesellschaftlichen Strukturen bedingen mich, aber nicht zu einhundert Prozent, deshalb vermag ich bis zu einem gewissen Grad auch selbst zu entscheiden, ob ich mich als hetero-, homosexuell oder trans definiere.
Eilenberger: Innerhalb der politischen Linken scheint mir der Diskurs zu diesen Fragen insofern schon sehr einseitig, als dass es oft nur um den Kampf gegen "die Struktur" geht und sich die Selbstfindung dann von selbst ergäbe. Dabei wies gerade Foucault darauf hin, dass die Rede von der "sexuellen Befreiung" dunkelst ambivalent ist, weil sie eine Authentizitätsanstachelung erzeugt, die allzu leicht neue Formen der Unterdrückung etabliert – eben nicht im Modus des Verbots, sondern der narzisstischen, marktgewollten Ermunterung. Heute würde Foucault vermutlich sagen, dass die Art und Weise, wie man sich bei Starbucks seinen Erdbeer-Frappuchino mit Hafermilch und situativ erfundenem Namen bestellt, einer ähnlichen Logik folgt wie der Vorgang, bei dem Menschen die eigene Abschattung auf dem Regenbogenprisma ermitteln und digital zur Schau stellen. Beides folgt einer identischen, dominanten Drift unserer Zeit: Man könnte sie Marktnominalismus nennen. Mit Selbstbestimmung im eminenten Sinne hätte das dann offenbar wenig zu tun. Zumal ich kaum glaube, dass viele Linke, die sich in diesem Regenbogenprisma bewegen, die Analogie zugestehen würden.
Eilenberger: Man kann es vielleicht so formulieren: Die Positionen von Foucault, Adorno, Feyerabend und Sontag waren nicht deshalb so interessant, weil sie jene autoritären Strömungen ablehnten, die es auch schon damals gab, sondern weil sie die eigenen Milieus mit Widersprüchen konfrontierten und sich gegen die Vorstellung verwehrten, man selbst würde automatisch immer auf der richtigen Seite, am besten noch "der Geschichte" stehen. Man musste Foucault nicht erklären, dass es schrecklich ist, wenn Menschen zu Zwangsarbeit verurteilt werden oder Homosexuelle auf offener Straße zu Tode geprügelt. Wer zur Festigung solchen Empfindens eigens einer liberalen Theorie bedarf, dem ist als Mensch ja sowieso nicht mehr zu helfen. Foucault interessierte sich aber sehr wohl dafür, die impliziten Widersprüche des eigenen Milieus explizit zu machen. Oder anders gesagt: Bevor man sich fragt, ob man auf der richtigen Seite steht, sollte man sich erst einmal fragen, wo man überhaupt steht. Was die eigene Gegenwart ist und von welcher Position aus man in ihr das Wort ergreift. Verkörpert man wirklich jene Tugenden der Aufklärung, die man anderen abspricht?
ZEIT ONLINE: Gerade in der Linken gibt es doch permanent diese kritische Selbstbeschäftigung, vielleicht sogar im Übermaß. Auch deshalb zersplittert sie politisch immer weiter. Zuletzt trat etwa der Bundesvorstand der Grünen Jugend zurück und will nun womöglich eine eigene Partei gründen.
Eilenberger: Ist Ihr Eindruck tatsächlich der, dass man in der Linken gerade besonders viel Zeit damit verbringt, die eigenen Positionen zu hinterfragen? Meine Beobachtung wäre eher, dass vielerorts gar keine Ambivalenzen mehr zugelassen werden. Man also schnell als transphob gilt, wenn man Fragen zum Trans-Diskurs hat, man unter Rassismusverdacht steht, wenn man kritisch gegenüber manchen Positionen des Antikolonialismus ist oder man als Klimawandelleugner gilt, wenn einem bestimmte Klimaschutzmaßnahmen nur bedingt plausibel erscheinen. Gerade auf der Linken scheint es eine Differenzierungsunlust sowie eine Tendenz zur Vereindeutigung zu geben. Man mag dieser Tage deshalb an Adornos letzte Grußadresse an die 68er-Aktivisten denken, in der er sinngemäß sagte: Wenn ihr glaubt, dass ihr im Recht seid, nur weil ihr Begriffe wie Klasse, Privileg oder Bürgerlichkeit nutzt, dann seid ihr das Problem, nicht die Lösung.
"Gerade auf der Linken scheint es Differenzierungsunlust zu geben" - Zeit
Zum Ende der Rubrik wieder Sehens- und Hörenswertes. Philipp Hübl spricht im Rahmen der Sendung “Sternstunde Philosophie” über Moral.
Eigentlich ginge es in der Moral um Werte und Normen und darum, was zu tun ist, um eine gerechtere Gesellschaft und Weltordnung zu erschaffen und friedlich zusammenzuleben. Doch wenn heute der Begriff «Moral» fällt, denken viele eher an die Frage, ob sich Kinder noch als Indianer verkleiden dürfen, ob man gendern muss und ob Denkmäler von Staatsmännern, die nachweislich in den Kolonialismus verstrickt waren, entfernt werden sollen. Viele dieser Fragen sind längst zur Symbolpolitik geworden, sagt der Philosoph und Bestsellerautor Philipp Hübl. Mit negativen Folgen: Die Wurzeln von Unrecht packe man mit solchen Debatten nämlich nicht an. Die Moral werde stattdessen zu einem Spektakel degradiert, in dem es den meisten mehr ums eigene Image statt um die Sache geht. Schüttet Hübl damit das Kind nicht mit dem Bade aus? Und welche Moral braucht es, wenn die Welt gerechter werden soll? Barbara Bleisch trifft den Philosophen, der in diesen Tagen mit dem Tractatus-Preis ausgezeichnet wird, zum Gespräch.
Svenja Flaßpöhler spricht mit Ralf Hanselle über Streitkultur.
Im Cicero Podcast Gesellschaft spricht Ralf Hanselle mit Svenja Flaßpöhler, Chefredakteurin des Philosophie Magazins, Buchautorin und promovierte Philosophin, und eine Frau mit klarer Haltung, über die Frage, wie man sich gewinnbringend streitet, ab wann man als streitwütig oder gar umstritten gilt und wie es um die Streitkultur der Deutschen aktuell bestellt ist.
Dieter Schönecker spricht über Wissenschaftsfreiheit.
Am 29. Mai 2024 sprach der Siegener Philosophieprofessor Dieter Schönecker zum Thema „Akademische Verbannung – Über die Wissenschaftsfreiheit und ihre Feinde“. Besonders in den Geisteswissenschaften habe man mit Forschungsinteressen jenseits des akademischen Mainstreams kaum noch Chancen, da linke Ideologien die Hochschulen dominierten. Doch auch von rechts gebe es Tendenzen, die Wissenschaftsfreiheit einzuschränken, sobald die politischen Verhältnisse dies zuließen. Darum sei eine Debatte über Grund und Grenze der Wissenschaftsfreiheit unerläßlich.
Kultur
Coverversion der Woche: Millie Small/The Spencer Davis Group - I'm Blue (Gong Gong Song)
Als ich diesen Song das erste Mal hört, dachte ich mir “Die Stimme kenne ich doch.” Nach einiger Recherche stellte sich heraus, dass dem tatsächlich so war. Die Sängerin ist nämlich Millie Small, die den Meisten durch ihren Hit “My Boy Lollipop” bekannt sein dürfte.
Das Lied wurde ursprünglich von Ike Turner geschrieben und 1961 von Ike & Tina Turners Begleittrio The Ikettes aufgenommen. Im Jahr 2017 platzierte Billboard es auf Platz 63 der Liste der 100 größten Girlgroup-Songs aller Zeiten. Wie die meiste Musik der Ike & Tina Turner Revue in dieser Zeit wurde der Song aufgenommen, während die Gruppe unterwegs war. Bis 1961 sangen die Artettes als Begleittrio mit Ike & Tina.
Um sich die Zeit im Studio zu vertreiben, schrieb Ike Turner ein Stück, welches speziell für die Girlgroup gedacht war. Tina Turner selbst war an der Aufnahme beteiligt, half beim Arrangieren des Gesangs und konnte im Hintergrund mitsingen. Da Ike & Tina für Sue Records aufnahmen, beschloss Ike Turner, die Platte über eine andere Firma zu vertreiben und unterschrieb Ende 1961 einen Vertrag mit Atco, einer Tochtergesellschaft von Atlantic Records.
Das im November 1961 veröffentlichte Lied wurde ein landesweiter Hit und erreichte Platz 19 der Billboard Hot 100 und Platz 3 der R&B-Charts. „I'm Blue (The Gong-Gong Song)“ war die fünfte Hitsingle der Ike & Tina Turner Revue und die erste von drei Chartsingles der Ikettes zwischen 1962 und 1965. Die Coverversion ist von 1966. Am Klavier sitzt Peter Asher, der Bruder von Jane Asher, die lange mit Paul McCartney liiert war. Zudem war er Teil des Duos Peter & Gordon und später ein sehr erfolgreicher Musikmanager.
Epilog
Wurde Ihnen diese Publikation weitergeleitet? Melden Sie sich für “Marcellus Maximus meint.” an, um den Newsletter in Zukunft bequem über Ihr Emailpostfach zu empfangen.
Wenn Ihnen diese Ausgabe gefallen hat, leiten Sie sie gern an Freunde und Bekannte weiter. Natürlich freue ich mich auch über Ihre Kommentare.
Danke ganz besonders für das Interview mit Wolfram Eilenberger, das mir sonst entgangen wäre. »Man musste Foucault nicht erklären, dass es schrecklich ist, wenn Menschen zu Zwangsarbeit verurteilt werden oder Homosexuelle auf offener Straße zu Tode geprügelt. Wer zur Festigung solchen Empfindens eigens einer liberalen Theorie bedarf, dem ist als Mensch ja sowieso nicht mehr zu helfen.« Das kann man gar nicht genug betonen.
Meine Lieblingsversion von »I’m Blue« ist übrigens die von den Sweet Inspirations. Aber auch diese ist sehr schön.