Prolog
Heute wird viel über die gestrigen Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen diskutiert. Dazu schrieb ich Samstag auf Twitter/X:
”Ich fürchte, wir werden morgen unser blaues (No pun intended.) Wunder erleben. Dann werden für ein paar Tage alle kreischend durcheinander laufen und anschließend weitermachen wie bisher. Lerneffekt: keiner.”
Leider ist es genau so gekommen. Sehr beliebt ist dieses Mal wieder der fast schon tragische Irrtum, man habe die eigene Politik lediglich nicht gut genug erklärt. In einer anderen, nun marginalisierten, Partei bezweifelt man, dass Thema Migration die Wähler bewegt. Als sei es ausgeschlossen, dass der Wähler mündig ist und seine Wahlentscheidung gut informiert und bewusst getroffen hat. Dass die eigene Politik von der Mehrheit der Ostdeutschen abgelehnt wird und die Gründe dafür eventuell sogar berechtigt sein könnten, wird nicht einmal in Betracht gezogen. Dabei tragen die Ampelparteien dafür sogar die Hauptverantwortung.
So besorgniserregend die Wahlergebnisse der AfD, einer rechtsextremen Partei, auch sein mögen: Die in manchen Medien gezogenen Vergleiche zwischen dem 01. September 1933 (Überfall auf Polen) und dem 01. September 2024 und die in Bezug auf die jungen Wähler der AfD interpretierte Parallele zur Tatsache, dass auch ein großer Teil der NSDAP-Wähler junge Menschen waren, könnte ein Teil der Erklärung sein. 2024 ist nicht 1933, das weiss jeder gebildete Mensch. Diese “Everyone I don’t like is literally Hitler”- Mentalität führt zu dem, was man nicht möchte.
Als weiterer Grund ist die Tatsache denkbar, dass mit Grenzkontrollen während der Europameisterschaft und Abschiebungen nach Syrien auf einmal Dinge möglich waren, bezüglich derer der Bevölkerung jahrelang weisgemacht wurde, sie seien es nicht. Diese Maßnahmen belegen, dass bisher lediglich der politische Wille zu ihrer Durchführung fehlte. Auch so geht Vertrauen verloren. Der Wähler fühlt sich hinter die Fichte geführt und quittiert das mit einer, meiner Meinung nach falschen, Wahlentscheidung.
Nun aber los. Heute geht es unter anderem um Lernkurven, Lebensstile und moralische Abgrenzung.
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Politik und Gesellschaft
Links der Mitte stellt man sich die multikulturelle Gesellschaft wie einen bunten Wochenmarkt vor. Charakteristisch für die deutsche Migrationspolitik ist, dass aus Fehlern nicht gelernt wird. Dass erst Morde zu politischem Umdenken führen, ist bedauerlich. In manchen Milieus verweigert man dennoch weiterhin, die Realität zur Kenntnis zu nehmen.
Den besten Kommentar zu diesem Vorgang hat Jasper von Altenbockum in der FAZ geschrieben.
Wieder einmal hinkt die Politik einer Entwicklung hinterher, weil sie nicht mit Populismus verwechselt werden wollte und deshalb ausblendete, was ihr den Vorwurf hätte eintragen können, Ressentiments zu bedienen. Diese Art, aus moralischer Überheblichkeit und mangelnder Zivilcourage unangenehme Wahrheiten unter den Teppich zu kehren, hat sich seit drei Jahrzehnten als Muster der deutschen Ausländerpolitik etabliert.
Diese Hilflosigkeit begleitet nicht nur jede Tat, die Entsetzen hervorruft. Da ist von der ganzen Härte des Gesetzes die Rede, vom Rechtsstaat, der entschlossen reagieren werde, vom Staat, der mit aller Konsequenz vorgehe. Man kann diese Reden im Schlaf nachbeten.
Die Hilflosigkeit äußert sich vor allem darin, dass von einer anderen Politik selbst dann noch nicht die Rede ist, wenn aus Einzelfällen längst eine Serie geworden ist. Auch jetzt wird das wohl wieder bestritten werden, und es wird nicht an Parteien, Verbänden und Professoren fehlen, die auf die Tausenden von Fällen geglückter Integration hinweisen.
Die Ampelkoalition hat noch einmal vorgemacht, wie Politik in die Gegenrichtung unterwegs sein kann: strenge Integrationsforderungen hält sie für Anmaßung; der weiche, anspruchslose Staat, der nicht fordert, sondern bittet, ist ihr Idealbild; blind ist sie für kulturelle Fremdheit.
Solange Flüchtlingspolitik nicht rechtsstaatlich, sondern gesinnungsethisch betrieben wird, solange wird es ein Asylrecht geben, das eben nicht das Gesetz hochhält, sondern die Selbstgerechtigkeit. Abschiebungen nach Afghanistan oder Syrien wird es deshalb, selbst wenn es sich um notorische Unruhestifter oder Mehrfachtäter handelt, nicht so schnell geben.
Flüchtlingsorganisationen und Medien, die keinen Unterschied mehr machen zwischen Flüchtlingen und Migranten, werden das jeweils gut begründen können. Ratlos stehen sie aber da, wenn ihre Sicht der Dinge den Vertrauensverlust so sehr befördert, dass eine ungeahnte Radikalisierung um sich greift.
Der Gipfel der Abgehobenheit ist es dann, wenn nicht etwa die jahrzehntelang praktizierte Politik für gescheitert erklärt wird, sondern die Unmündigkeit „abgehängter“ Bürger gegeißelt wird.
Dem linken Axiom, dass man eigentlich nichts tun könne, wenn wieder einmal ein Solingen zu beklagen ist, weil Willkommenskultur über alles geht, muss entgegengehalten werden, dass nationale Gesetze sehr wohl geändert, dass abgelehnte Asylbewerber sehr wohl strenger behandelt, dass Einreisen sehr wohl strenger kontrolliert werden können, dass Einreisen aus bestimmten Staaten generell beschränkt oder ganz unterbunden werden könnten und dass Integration sehr wohl konsequenter betrieben werden könnte. Wenn man nur wollte. Wer das nicht will, sollte zur AfD, zum BSW und sollte auch zu den Morden von Solingen schweigen.
Schuld hat nicht das Messer - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Harald Martenstein befasst sich in der “Welt” mit der Floskel, die Gesellschaft dürfe sich durch solche Taten nicht in ihrer Art zu Leben einschränken lassen. Spoiler: Sie tut es längst.
Spätestens seit 2001, dachte ich, kann jeder wissen, was Islamismus ist und was er will. Jeder, der sich nicht absichtlich blind stellt, kann seit Langem sehen, dass ein Eroberungskrieg geführt wird, mit dem Ziel, die offenen Gesellschaften des Westens zu vernichten und einen globalen Gottesterrorstaat zu errichten.
Dieses Ziel ist nicht ganz so unrealistisch, wie es scheint. Ein naiver Gegner, der sich nicht wehrt, ist leicht zu besiegen. 300 Spanier genügten, um das Großreich der Azteken zu erobern. Sie hatten aber tausende einheimische Verbündete, deren Naivität mit ihrem Untergang bestraft wurde. Die Azteken hielten die Eroberer anfangs für Götter, also für eine Art Erlöser.
Erinnern die Azteken nicht ein wenig an die woke Linke, an all die Baerbocks und Faesers, an ihre Blindheit für die Risiken und Nebenwirkungen der Massenmigration kampftüchtiger, uns verachtender junger Männer aus Syrien und Afghanistan?
Der Islamismus hat einen Plan, das unterscheidet ihn zum Beispiel von der Regierung Olaf Scholz. Die Opfer wählt der Zufall aus. Jeden kann es überall treffen, auf der Parkbank, beim Volksfest, im Zug. Das soll so sein. Es kommt darauf an, unter den Ungläubigen ein Klima maximaler Unsicherheit zu schaffen, dabei ist es völlig egal, ob auch Muslime unter den Opfern sind. Sie sterben ja, in den Augen ihrer Mörder, für die richtige Sache. Der Islamismus geht auch über die Leichen von Muslimen.
„Unsere Art zu leben“, wie eine Politikerfloskel lautet, gibt es in Wahrheit schon nicht mehr. Ein Volksfest, dass gesichert werden muss wie ein Hochsicherheitstrakt, ist keines.
Das Motiv der Islamisten ist klar. Aber was ist das Motiv der Regierenden und jener Medien, die seit 2015 alle Gefahren geleugnet und alle Hellsichtigen diffamiert haben, das Motiv derer, die immer die gleichen Phrasen ausspucken und die auch diesmal ihren Worten erst kurz vor den Wahlen, aus Angst vor den Wählern, vermutlich nicht aus Einsicht, ein paar eher symbolische Taten folgen lassen?
Ich glaube, es ist inzwischen vor allem Feigheit. Es gehört Mut dazu, Irrtümer einzugestehen und sich von Lebenslügen zu verabschieden.
„Unsere Art zu leben“ gibt es schon lange nicht mehr - Welt
Der immer klug argumentierende Philipp Hübl spricht in einem Interview mit der “Zeit” ausführlich über Haltung als Statussymbol gebildeter Schichten.
Philipp Hübl: Wer eine wissenschaftliche Ausbildung genießt, lernt das ja eigentlich: Wissen ist vorläufig und kann korrigiert werden. Dasselbe gilt auch für moralische Überzeugungen.
ZEIT Sinn: Nun behaupten Sie aber, gerade eine akademische, progressive Klasse diskutiere moralische Fragen nicht mehr vernünftig, sondern führe ein Moralspektakel auf.
Hübl: Das klingt paradox, ist aber gut belegt. Gebildete Menschen halten sich eher für moralisch überlegen. In Europa sind Gebildete und Wähler von linken und grünen Parteien außerdem am stärksten polarisiert – sie diskutieren nicht gern mit Leuten, die andere moralische Ansichten haben.
ZEIT Sinn: Nach dem Soziologen Pierre Bourdieu setzen wir alle unser ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital ein, um unseren Status in der Gesellschaft zu erhöhen. Nun sagen Sie: Es gibt auch ein moralisches Kapital.
Hübl: Ja, das lässt sich zum Beispiel vermehren, indem man bestimmte Begriffe verwendet. Sagt man noch PoC oder schon BIPoC? Da in der progressiven Klasse besonders viele studiert haben, fällt es ihnen leichter, das Vokabular zu kennen und anzuwenden. 80 Prozent der Deutschen haben allerdings keinen akademischen Abschluss, viele können kein Englisch und haben keine Zeit, sich mit sprachlichen Feinheiten zu beschäftigen.
ZEIT Sinn: Von Gott erhofft man sich Vergebung, sollte er mal eine Sünde beobachten.
Hübl: Die Logik des Moralspektakels kennt aber nur Schuldige. Der Mensch hat einst die Rechtsprechung eingeführt, damit nicht eine aufgebrachte Dorfgemeinschaft urteilt – weil deren Strafen meist zu hart ausfielen. Heute haben wir wieder einen Pranger, durch Shitstorms und Versuche des Cancelns. Ich sehe darin eine neue Einschüchterungskultur. Wer nur eine kleine Normverletzung begeht, wird von anderen ausgegrenzt und öffentlich beschämt. Oft genug trifft es sogar Unschuldige.
ZEIT Sinn: Welche Rolle spielt der Journalismus im Moralspektakel?
Hübl: Wenn Journalisten sich daran beteiligen, indem sie mit ihrer Berichterstattung moralische Signale in die eigene Gruppe senden und nicht mehr fragen, wie die Mehrheit der Bevölkerung denkt, wäre das gefährlich. Wenn wir Informationen filtern, gibt es den Impuls, die eigene Identität zu schützen: Hat man eine starke moralische oder politische Agenda, ist man eher geneigt, Informationen für wahr zu halten, die dieser Agenda entsprechen. Der Kognitionsforscher Keith Stanovich nennt das myside bias.
ZEIT Sinn: Moralvorstellungen verzerren also, was Menschen für wahr halten?
Hübl: Ja – glaubt man, Frauen würden in Deutschland massiv benachteiligt und durch das Gendern lasse sich mehr Gerechtigkeit herstellen, wird man sich kaum die Studien anschauen, die zeigen: Gendern hilft gar nicht, die Welt gerechter zu machen. Und wer den menschengemachten Klimawandel leugnet, wird vor allem Berichte lesen, die dem wissenschaftlichen Konsens widersprechen.
ZEIT Sinn: Im vergangenen Jahr erschien eine Studie des Soziologen Steffen Mau, der feststellte, die Deutschen seien in ihren Ansichten zum Klimawandel, zur Migration oder zur Gleichberechtigung gar nicht so gespalten. Im öffentlichen Diskurs wirkt das oft ganz anders.
Hübl: Die Polarisierungsunternehmer am linken und rechten Rand führen ein Moralspektakel auf und regen sich demonstrativ über die Aussagen der anderen Seite auf. Sie brauchen einander, um sich zu bekämpfen.
ZEIT Sinn: Und die anderen?
Hübl: Die ziehen sich aus der Diskussion zurück. Die meisten Leute, auch das zeigen Studien, sorgen sich, für jeden Fehler oder ein ungeschicktes Wort an den Pranger gestellt zu werden. Sie überlegen: "Ich könnte etwas Schlaues sagen, zum Feminismus oder zum Nahostkonflikt, aber es ist ja ein heißes Thema mit vielen Seiten, das könnten viele falsch verstehen. Das ist mir zu mühsam und noch dazu schlecht für meine psychische Hygiene." Zurück bleiben also die lauten, robusten, eher unverträglichen Typen, die digital mehr Aufmerksamkeit bekommen.
Hübl: […] Heute setzen Aktivisten ihre Handlungen aber häufiger als Loyalitätssignal ein: Wenn du nicht dahinterstehst, dass sich andere auf die Straße kleben, bist du gegen Klimagerechtigkeit. Sie trennen nicht zwischen Zielen und Mitteln. Wenn moralische Anliegen zur Abgrenzung verwendet werden und diejenigen, die nicht so reden wie die Aktivisten, sofort als Rassisten oder Klimaleugner gelten, macht man die Mehrheit der Gesellschaft zu Gegnern, statt sie für die gute Sache zu gewinnen.
ZEIT Sinn: Weniger Moralspektakel, bedeutet das für Sie auch: weniger über Gefühle reden?
Hübl: Eine faktenbasierte Diskussion ist wichtig, Statusgefühle sollten wir aber viel mehr beachten. Lange dachte man, es habe vor allem ökonomische Gründe, dass Menschen am rechten Rand die Demokratie ablehnen und eher gegen Einwanderung sind. Entscheidend ist aber, dass sie meinen, ihre Art zu leben und zu sprechen sei nicht mehr angesehen.
"Gebildete halten sich eher für moralisch überlegen" - Zeit
Kultur
Coverversion der Woche: Downbeat Crowd - The Snake
Das Lied wurde 1963 vom Bürgerrechtler Oscar Brown geschrieben und aufgenommen. Ein Hit wurde es 1968 für den amerikanischen Sänger Al Wilson. Es erzählt eine ähnliche Geschichte wie Aesops Fabel „Der Bauer und die Viper“ und das afroamerikanische Volksmärchen „Mr. Snake and the Farmer“. Erneut erlangte es während des Wahlkampfs für die US-Präsidentschaftswahl 2016 Aufmerksamkeit als Donald Trump es für seine Kampagne gegen Hillary Clinton verwendete.
Die von mir ausgewählte Coverversion ist aus dem Jahr 1965 und bewegt sich deutlich näher am Original als die weitaus populärere Version von Al Wilson.