Prolog
Der Tag nach der Europawahl gleicht einem Kater nach exzessivem Alkoholgenuß: Die Verkaterten schwören, nie wieder auch nur einen Tropfen zu trinken und wissen bereits während dieses Schwurs, dass sie ihr Trinkverhalten mitnichten ändern werden. Nach jeder Wahlniederlage hört man “Wir haben verstanden.”-Floskeln, die meist bereits wenige Sätze später als unglaubwürdig entlarvt werden.
Diese Wahlergebnisse kamen mit Ansage. Man wird sich trotzdem weiterhin weigern, die Gründe für den Erfolg der AfD seriös zu analysieren. Weil man ahnt, dass die Erkenntnisse nicht ins Weltbild passen. Lieber lässt man eine rechtsextreme Partei, von der sich sogar Marine Le Pen distanziert, immer stärker werden. Das ist tragisch.
Zusätzlich wächst eine außenpolitische Gefahr heran. Bei Putin knallen angesichts der Ergebnisse von AfD und BSW auf jeden Fall die Krimsekt-Korken.
Für den Ausgang der Wahl gibt es zahlreiche Gründe, die von den Betroffenen hoffentlich endlich genau untersucht werden. Auch den Grünen, die gestern ihre ganz eigene Erfahrung mit Degrowth machten, sei das empfohlen. Die Liebe, welche sie seitens der Medien erfahren, sagt eben nichts über die Meinung der Bevölkerung aus.
Interessant auch, dass Anhänger von “Fridays for Future” und “Letzte Generation” offensichtlich nicht die Mehrheit unter Jugendlichen stellen. Nicht nur das zeigt, dass veröffentlichte und öffentliche Meinung unterschiedliche Dinge sind.
An allem hat es angeblich gelegen, nur nicht an schlechter Politik und unattraktivem Personal. Die schwer erträgliche moralische Überheblichkeit im Vorfeld der Wahl hatte natürlich auch nichts damit zu tun. In den sozialen Medien waren häufig Beiträge zu lesen, in denen dazu aufgefordert wurde, bestimmte Parteien zu wählen und anderen auf keinen Fall die Stimme zu geben. Das ist übergriffig und offenbart ein fragwürdiges Demokratieverständnis.
Die Aufforderung, wählen zu gehen, ist ebenfalls grenzüberschreitend. Zum Wahlrecht gehört das Recht, von diesem keinen Gebrauch zu machen. Nach überwiegender Rechtsauffassung kann darin eine schutzwürdige politische Aussage liegen. Deshalb wäre eine Wahlpflicht nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.
Ich würde mir politisch und gesellschaftlich auch bestimmte Dinge wünschen, käme allerdings nie auf die Idee, andere moralisch unter Druck zu setzen. Wahlen sind frei und geheim. Das bedeutet: Was und ob jemand wählt, geht nur ihn selbst etwas an. Das hat man als Demokrat zu akzeptieren.
Man kann Fakten und Realität weiterhin ausblenden, aber dann wird es bald sehr ungemütlich. Es ist zu wünschen, dass die Politik - inklusive der Akteure im vorpolitischen Raum - nach diesem schockierenden Ergebnis endlich aufwacht.
Es gibt auch weiterhin keine Alternative zum weltanschauungsübergreifenden Dialog. Dafür kann man sich, wie es Roman Herzog gern machte, an eine Pommesbude stellen. Es gibt aber auch zahlreiche weitere Möglichkeiten, mit Menschen anderer Meinung ins Gespräch zu kommen. Ich habe das schon immer gern getan und kann es empfehlen.
Nun aber los.
Heute geht es unter anderem um Doppelstandards, Meinungsvielfalt und Erkenntnisse.
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Politik und Gesellschaft
Ein weiterer Grund für den Ausgang der Wahl ist die Doppelmoral bestimmter Milieus, welche immer mehr Menschen als unerträglich empfinden. Bernd Stegemann hat sich in einem lesenswerten Artikel damit befasst.
Die nächste Stufe der Doppelmoral hat Carolin Emcke auf der Republica erklommen. Es soll nun nicht mehr nur die Gewalt gegen die Bösen als unschön aber selbst verschuldet bewertet werden, sondern es sollen auch diejenigen mit der falschen Meinung aus dem gewaltfreien Raum der Diskussion ausgeschlossen werden. Ab jetzt gilt für die Bösen, dass sie selber Schuld haben, wenn Islamisten ihnen Messer in die Kehle rammen. Hätten sie sich nicht so islamkritisch geäußert, wäre ihnen das nicht passiert. Und geht es nach der Predigerin der einzigen Wahrheit, dann sollen alle, die nicht ihrer Wahrheit folgen, nicht mehr gehört werden.
Für diese Forderung gibt es in der Soziologie ein kompliziertes Wort: Dethematisierung. Damit ist gemeint, dass man die andere Meinung am besten dadurch unschädlich macht, indem man sie ignoriert. Man verweigert dem Anderen den Dialog. Dann kann nicht mehr das bessere Argument überzeugen, sondern es gewinnt derjenige, der über die größere Öffentlichkeit verfügt, und wer darüber entscheiden darf, was hier Thema wird und was nicht. Die Behauptung einer Kontaktschuld, wenn man mit den Falschen gesehen wird, und die Forderung nach einer „Brandmauer“ sind die robusten Formen der Dethematisierung. Es handelt sich bei dieser Strategie also um eine Machttechnik der gerade herrschenden Eliten.
Dass auf der Republica, die eine Konferenz der digitalen Gesellschaft sein will, die Strategie einer alten Medien-Elite gepredigt wird, und dass diese nostalgische Herrschaft als erstrebenswert gefeiert wird, gewährt einen entlarvenden Einblick.
Es ist für die neue Elite offensichtlich ein großes Ärgernis, dass jetzt jeder mitreden kann. Und so entpuppt sich ihr Eintreten für Demokratie und Meinungsfreiheit als weiterer Baustein in ihrer Doppelmoral. Meinungsvielfalt wird solange verteidigt, wie alle dasselbe meinen wie die Guten. Sollte es zu Abweichungen kommen, dann wählt man wieder das alte Mittel der Ausgrenzung. Oder in den Worten von Carolin Emcke: „Das Pro und Contra, das muss aufhören!“
Der euphorische Applaus für die Rede von Carolin Emcke ist gruseliges Zeugnis dieser Feier der Doppelmoral. Man behauptet, die Demokratie verteidigen zu müssen, und fordert zugleich, dass es keine zwei Meinungen mehr geben dürfe.
Dieses Video steht in einer ganzen Reihe von Aussagen, in denen die aktuellen Eliten die Geduld mit dem störrischen Volk zu verlieren scheinen. Demokratie war solange willkommen, wie die Gedanken der Herrschenden auch die herrschenden Gedanken waren. Doch in den meinungspluralen Zeiten weht der Wind aus unterschiedlichen Richtungen. Die autoritäre Art, wie die woken Eliten auf den Gegenwind reagieren, enttarnt ihre Weltanschauung als anti-demokratisch und führt ihren Moralismus der doppelten Standards vor.
Dass sogar Eliten-Kritik, die lange als Kennzeichen linken Bewusstseins galt, inzwischen als rechts gilt, kann nur noch als ohnmächtiger Versuch verstanden werden, die eigenen Privilegien zu retten. Je reflexartiger die Kritiker des woken Autoritarismus alles als „rechts“ diffamieren, was ihnen missfällt, desto mehr wird sichtbar, dass die „Guten“ keine Argumente haben, sondern nur noch das Machtmittel des Ausschlusses kennen.
Der Beitrag von Emcke zeigt, dass sie weder an der Demokratie noch an der Meinungsfreiheit interessiert ist. Ihre Weltanschauung ist so einfach wie die aller Autoritären: Es soll kein Pro und Contra geben. Es soll allein ihre Wahrheit herrschen. Dass diese reaktionäre Botschaft nicht häufiger enttarnt wird, liegt an dem Trick des woken Milieus, sich als progressiv und moralisch gut zu inszenieren. Um hinter dem Schleier der Tugendsignale den reaktionären Gehalt zu erkennen, ist es hilfreich, sich einen anderen Redner vorzustellen, der die gleichen Sätze sagt. Dass bei der einen gelobt wird, was bei dem anderen zur sozialen Ächtung führen würde, offenbart, wie weit die Macht der doppelten Standards reicht.
Predigerin der einzigen Wahrheit - Cicero
Benedict Neff und Marc Felix Serrao haben ein langes Interview mit Giovanni di Lorenzo geführt.
Sie dürfen keine Angst vor guten Mitarbeitern haben. Im Gegenteil: Sie müssen bereit sein, auch Leute zu fördern, die vieles besser können als Sie selbst. Die Mitarbeiter sollten auch merken, dass Sie ihre Arbeit schätzen. In unserem Fall heisst das: lesen, was sie schreiben, und darüber sprechen. Das klingt wie eine Banalität, aber es ist nicht selbstverständlich.
Ärgern Sie sich dabei oft?
Klar. Vieles entspricht nicht meiner Meinung, aber das macht nichts. Wichtig ist nur: Der Autor muss sich bemühen, mich als Leser überzeugen zu wollen. Wir haben als erstes Blatt im ganzen deutschsprachigen Raum ein Streitressort eingeführt. Da gibt es nur eine Spielregel: Wer streitet, muss bereit sein, sich auf das Argument des anderen einzulassen und nicht einfach nur zu etikettieren. Du bist links, rechts, woke, Nazi, homophob – das ist keine Argumentation. Das empfinde ich als eine unglaubliche Verarmung des Diskurses.
Das Streitressort haben Sie 2019 eingeführt, auch gegen interne Widerstände. Hatte sich die «Zeit» davor in eine ideologische Sackgasse manövriert?
Ideologische Sackgasse gefällt mir gar nicht. Wozu wir alle hin und wieder neigen, ist: die Blase zu bedienen, in der wir selbst leben.
Um welche Themen macht die «Zeit» einen Bogen?
Wir machen keinen Bogen. Aber wir bilden zu wenig den Alltag der Menschen ab, die uns lesen, besonders wenn sie nicht in grossen Städten leben. Und wir haben manchmal eine gewisse Scheu, uns zum Beispiel mit den problematischen Seiten der Migration auseinanderzusetzen – aus der Angst heraus, dass man dafür Applaus von der falschen Seite bekommen könnte, also rechte Narrative bedient. Da bin ich absolut gegenteiliger Meinung. Gefährlich ist es, wenn man diese Themen nicht behandelt.
Sie haben vorhin vom Phänomen der Blasen gesprochen. Bewegen Sie sich in derselben Blase wie Ihre Redaktoren?
Auch ich bewege mich in Blasen. Aber ich bin sehr froh, dass ich immer wieder auch andere Begegnungen habe. Und das verdanke ich zum Teil dem Fernsehen: Wo du hinkommst, erkennen dich die Leute und fangen an, mit dir zu reden, und zwar ohne Filter. Manchmal spürt man da einen grossen Unterschied: Was uns Journalisten ganz, ganz wichtig ist, beschäftigt die Leute oft gar nicht.
Werden die deutschen Medien der Aufgabe gerecht, die Realität abzubilden?
Ich sehe jedenfalls die Gleichförmigkeit nicht, die die NZZ hin und wieder moniert. Das Feuilleton der «Süddeutschen Zeitung» zum Beispiel ist vielstimmig, fast jeden Tag lese ich da einen interessanten, manchmal auch verstörenden Artikel. Es gibt die «Bild»-Zeitung, die nun wirklich nach jedem Aufreger greift. Es gibt die «FAZ», die ich als pluralistisch empfinde. Ich habe seinerzeit selbst auf die Gefahr einer zu gleichförmigen Kommentierung der Flüchtlingspolitik Ende 2015 hingewiesen. Viele, die das damals kritikwürdig fanden, würden mir heute recht geben.
Lassen Sie uns noch über den öffentlichrechtlichen Rundfunk in Deutschland sprechen, den Sie aus Ihrer Talkshow «3 nach 9» sehr gut kennen. Wie sieht es da mit der politischen Vielfalt aus?
Da verändert sich auch etwas, das weiss ich aus vielen Gesprächen. Ich war mehrmals sowohl beim ZDF als auch bei der ARD eingeladen zu Sendungs- oder Programmkritiken. Ein Unternehmen, das von allen bezahlt wird, muss Pluralität abbilden. Als ich in der Oberstufe war, haben wir uns manchmal verabredet, nur um uns über bestimmte Programme aufzuregen. Über den früheren ZDF-Moderator Gerhard Löwenthal gab es ein Lied und darin die Strophe: «Die Milch wird sauer, das Bier wird schal, im Fernsehen spricht der Löwenthal.» Wir haben das angeschaut, weil es unsere Meinung geschärft hat. Das Öffentlichrechtliche braucht auf beiden Seiten Figuren, die auch Widerspruch provozieren.
Wer fällt Ihnen da heute ein?
Mir fällt immer noch kein dezidiert Konservativer auf. Wir können ja schlecht sagen, die Farbe für das Konservative ist Dieter Nuhr. Die Last wäre ein bisschen zu gross für ihn.
Stimmt unsere Wahrnehmung, dass Sie in Ihren Leitartikeln ein bisschen konservativer geworden sind?
Nein. Ich bin mit den Jahren nicht konservativer, aber misstrauischer geworden gegenüber Schwarz-Weiss-Darstellungen. Es gibt eine Erfahrung, die mich stark geprägt hat. Ich habe etwas gemacht, was man als Journalist eigentlich lieber nicht machen sollte: Vor vielen Jahrzehnten war ich mal für ein paar Monate Aktivist. Ich habe in München die erste Lichterkette gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit mitorganisiert. Und nach dieser Lichterkette kontaktierte mich ein deutschtürkisches Paar und sagte: Bei uns in der Wohnung ist ein Brandsatz gelegt worden. Ich bin sofort hingefahren. Bei der Polizei haben sie mir gesagt, es gebe keinen Anhaltspunkt für eine politische Tat. Und ich habe gedacht: Ja, weil ihr ihn nicht sehen wollt! Mein Artikel erschien, und ein paar Monate später kam die Meldung: Das Paar hatte den Brandsatz selbst gelegt, es ging um einen Streit mit dem Vermieter.
Heute würden Sie keine Lichterkette mehr initiieren?
Auf keinen Fall, weil es mich in einen unerträglichen Rollenkonflikt bringen würde: Wie sollen die Kollegen über etwas schreiben, wenn der Redaktionsleiter an vorderster Front aktiv ist?
Zum Ende der Rubrik wieder Sehenswertes. Eine Dokumentation über die Arbeit von Ahmad Mansour.
Für seine Unterstützer ist er eine "Lichtgestalt", für seine Feinde ein "Hetzer" und "Islamhasser". An Ahmad Mansour scheiden sich die Geister. Geboren in Israel als Sohn einer palästinensischen Familie, kämpft der bundesweit bekannte Psychologe Mansour in Bayern und Deutschland gegen Antisemitismus und Extremismus. Der gläubige Muslim Mansour warnt vor dem politischen Islam, leistet Präventionsarbeit in bayerischen Gefängnissen und Schulen. Er sucht den Dialog und kann dennoch als hochgefährdete Person ohne massiven Polizeischutz keinen Schritt mehr tun. Monatelang haben Journalisten von "report München" Ahmad Mansour exklusiv begleiten können. Wird er trotz des permanenten Drucks und Morddrohungen gegen sich und seine Familie weitermachen, wird es ihm gelingen mit seinen schärfsten Kritikern in Gespräch zu kommen oder wird er wie so viele andere frustriert aufgeben?
Friedrich Merz war zu Gast im Podcast “Hotel Matze”, der mir in letzter Zeit wiederholt positiv auffiel. Auch hier scheint man gemerkt zu haben, dass es nicht weiterführt, nur mit Seinesgleichen zu sprechen. Werde das Format im Auge behalten.
Friedrich Merz ist CDU-Vorsitzender und Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Außerdem ist er studierter Jurist, Vater von drei Kindern und Großvater. Kurz vor der Europawahl sprechen wir darüber, wie Friedrich Merz aufwuchs, was ihn zur Politik brachte, warum er ein schwieriges Verhältnis zu Angela Merkel hat und wieso er sich manchmal gern einer sehr direkten Sprache bedient. Es geht um ihn als Familienmenschen, als Juristen und Politiker. Wir sprechen über Selbstwahrnehmung, Selbstverwirklichung und Selbstbewusstsein, es geht um Zweifel und um Lebensentscheidungen. Für mich war es schwierig, den Friedrich Merz, den ich aus Polit-Talkshows kenne, mit demjenigen zusammenzubringen, der mir im Hotel Matze gegenüber saß – aber ich habe, glaube ich, ein wenig mehr verstanden, wie er so tickt.
Hans-Olaf Henkel spricht bei Maischberger über seine Zeit in der AfD und kommentiert die Entwicklung der Partei.
Kultur
Im April letzten Jahres schrieb ich hier über merkwürdige Vorgänge bei den Münchener Kammerspielen. Etwas ähnliches geschieht im Moment am Schauspiel Dortmund. Falsch verstandene Diversität sowie die Unterwanderung von Kunst und Kultur durch zeitgeistige Weltanschauungen treiben bizarre Blüten.
Es gebe keinen besseren Ort für eine erste Intendanz als Dortmund, hatte Julia Wissert 2020 zum Einstand als Leiterin des Dortmunder Schauspiels gesagt. Trotz der Herausforderungen durch die Covid-Pandemie war sie zuversichtlich, das Publikum hier einbeziehen und nicht-elitäres Theater machen zu können. Die Voraussetzungen schienen gut, in jedem Fall brachte Wissert, Jahrgang 1984, als junge schwarze Frau eine neue Perspektive mit, für die die Zeit mehr als reif schien. Allein das erregte Aufsehen weit über Dortmund hinaus.
Anlass der Aufregung war eine von Wissert verantwortete Stellenanzeige für die Regie- und Produktionsassistenz. der Bewerber solle bereit sein, sich „mit machtkritischen Arbeitspraxen (sic) an einer weißen Kulturinstitution“ auseinanderzusetzen, hatte es darin geheißen. Jener Institution wohlgemerkt, die sie selbst seit Jahren leitet.
Viele im Haus fühlten sich durch diese Formulierung verunglimpft, die suggeriere, es gehe am Dortmunder Schauspiel latent rassistisch zu. Ein Teilnehmer hielt Wissert vor, sie sage immer, Hautfarbe spiele keine Rolle. Zugleich stempele sie das Theater dann aber als weiße Institution ab. Auch das sei ausgrenzend.
Wissert widersprach: Die weiße Hautfarbe stehe in diesem Kontext lediglich als Synonym für Privilegierung.
Dieses Mal hielten sich die Wissert-Gegner im Rat zurück. Keiner wollte erleben, was dem CDU-Politiker Joachim Pohlmann widerfahren war. Der hatte der Intendantin einmal „eine ganz schlechte Performance“ attestiert und dafür aus den Reihen der SPD den Vorwurf kassiert, bei seiner Bemerkung schwinge „unterschwellig Rassismus mit“.
Es gehe an diesem Theater derzeit weit mehr um ethnische Fragen als um Kunst, sagen interne Wissert-Kritiker. Was die von Mitarbeitern kritisierte Stellenanzeige angeht, habe die Intendantin nicht zum ersten Mal in einer offiziellen Kommunikation nach außen den Eindruck erweckt, dass es am Theater rassistisch zugehe. Bereits 2023 war in einem von ihr gestellten Förderantrag an das nordrhein-westfälische Kulturministerium davon die Rede, dass „rassifizierte Menschen“ es schwer hätten am Schauspielhaus Dortmund, weil ihnen dort Rassismus widerfahre. Es sei „derzeit unmöglich, von einem Wir zu sprechen“.
Interne Kritiker fühlen sich jedoch von ihr abgebürstet. Sie sei „dogmatischer als mancher alte weiße Mann, der hier Intendant war“, zitierte die WAZ einen langjährigen Mitarbeiter. „Es herrschte eine besondere Form von Druck und Angst, eine Form von weicher Gewalt“, sagte ein ehemaliges Ensemble-Mitglied der SZ. Zunächst einverstanden damit, namentlich mit diesem und anderen kritischen Sätzen zitiert zu werden, zog die betreffende Person ihre Zustimmung wieder zurück.
So ist es häufig, wenn man mit Wissert-Kritikern spricht. Die Angst ist groß, am Ende als alter weißer Mann oder alte weiße Frau gebrandmarkt dazustehen, der oder die auf eine junge schwarze Intendantin losgeht. „Nur kein Beifall von der falschen Seite“, sagt jemand.
„Nur kein Beifall von der falschen Seite“ - Süddeutsche Zeitung
Heute im Jahr 1972 erreichte das letzte gute Album der Rolling Stones “Exile On Main Street”, Platz 1 der britischen Charts. Aus diesem Grund möchte ich die Dokumentation “Stones In Exile” empfehlen, die von der turbulenten Entstehung der Werks erzählt. Der Film hatte feierte am 19. Mai 2010 seine Premiere auf dem Filmfestival in Cannes. Regie führte Stephen Kijak.
Epilog
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