Prolog
In der vergangenen Woche wurde erbittert über das neue DFB-Trikot gestritten. Das ließ in mir wieder einmal die Frage aufkommen, ob die Leute keine anderen Probleme haben. Abgesehen davon, dass es bereits in den 70er Jahren ein pinkes Torwarttrikot der Nationalmannschaft gab, ist das Kulturkampf auf Baumschul-Niveau. Um nicht falsch verstanden zu werden: Wie befinden uns in einer realen Auseinandersetzung um kulturell-gesellschaftliche Deutungshoheit und dieser Wettbewerb, den man in bestimmten Bereichen durchaus als Kampf verstehen kann, muss angenommen werden, sonst ist er verloren. Um sich durchzusetzen, sollte man allerdings die besseren Argumente haben. Das meiste, was ich dazu an Argumentation gelesen habe, war schwach bis peinlich. Die zu lösenden Probleme sind zudem ganz andere, als die Farbe eines Fußballtrikots. Das sind Ablenkungsgefechte. Wer sich mit so etwas befasst, hat schon verloren. Es braucht weniger Empörung und mehr Analyse. Abgesehen davon gefällt mir die Kombination aus Pink und Dunkelblau ganz gut.
Nun aber los. Heute geht es unter anderem um Extremismus, Kulturkampf und Kommunikation.
Politik und Gesellschaft
Neben dem wichtigen Engagement gegen Rechtsextremismus wird in Deutschland leider oft vergessen, dass es auch schwerwiegende Probleme mit anderen Formen des Extremismus gibt. Neben dem Islamismus ist das vor allem der Linksextremismus. Die Behauptung, der Rechtsextremismus sei die größte Gefahr in Deutschland, wird auch durch ständiges Wiederholen nicht zur Tatsache. Wer die entsprechenden Statistiken kennt, weiss, dass diese Behauptung faktisch unzutreffend ist. Dass es immer noch ein großes linksextremes Unterstützermilieu gibt, zeigte nicht nur die Solidaritätsdemonstration für Daniele Klette und die anderen RAF-Terroristen, zu der kurzfristig 600 Menschen kamen. Dass eine solche Personenzahl man auf rechtsextremen Aufmärschen, die meist bundes- oder sogar europaweitweit mit längerer Vorlaufzeit beworben werden zusammenkam, hat man lange nicht gesehen. auch andere Vorfälle in jüngerer Vergangenheit lassen an der Redlichkeit der Erzählung vom Rechtsextremismus als größte oder gar einzige Gefahr Zweifel aufkommen.
Mittlerweile gibt es aus Sicht der Linksextremisten noch mehr Grund zu Freude. Denn der jüngste Anschlag auf die Stromversorgung des Tesla-Werks im brandenburgischen Grünheide kostet den Konzern wohl rund eine Milliarde Euro. Damit ist allein, was die Schadenshöhe angeht, eine neue Dimension erreicht. Wieder bezichtigt sich eine ähnliche Gruppe der Tat, diesmal nennt sie sich „Vulkangruppe Tesla abschalten!“. Und wieder ist das Bekennerschreiben ähnlich wirr wie nach dem Anschlag auf die Berliner Brücke.
Es wirft Tesla „extreme Ausbeutungsbedingungen“ vor und fordert die „komplette Zerstörung der Gigafactory“. Tesla-Chef Elon Musk wird als „Technofaschist“ bezeichnet. „Jeder Tesla, der brennt, sabotiert die imperiale Lebensweise und zerstört faktisch das immer enger werdende Netz einer lückenlosen smarten Überwachung jeder menschlichen Lebensäußerung“, heißt es. Der Anschlag sei zugleich ein „Schritt auf dem Weg der Befreiung vom Patriarchat“. Die Täter scheinen von Technikfeindlichkeit geprägt und eher anarchistisch motiviert zu sein, als dass es ihnen um Klima- und Umweltschutz geht.
Doch haben sich auch linksextreme Gruppen wie die „Interventionistische Linke“ oder „Ende Gelände“ dem Protest gegen das Tesla-Werk angeschlossen, in der Hoffnung, ihren Einfluss zu erweitern.
Die „Vulkangruppe“ hat seit 2011 schon mindestens zehn Anschläge verübt. Alle Taten geschahen in Berlin und Brandenburg. Ziel waren stets neuralgische Punkte der Infrastruktur, also Starkstromkabel, Verteilerkästen, Strommasten, Kabelschächte. Beim ersten Anschlag im Mai 2011 wurde am Berliner Ostbahnhof eine provisorische Brücke mit Starkstromkabeln in Brand gesetzt, der Zugverkehr der S-Bahn und der Fernbahn waren tagelang gestört. Die Gruppe nannte sich damals „Das Grollen des Eyjafjallajökull“ – nach dem isländischen Vulkan, der kurz zuvor nach einem Ausbruch mit seinem Ascheausstoß den Flugverkehr behindert hatte.
Bei weiteren Anschlägen nutzten die Täter die Namen der isländischen Vulkane Hekla, Grimsvötn und Katla als Bezeichnung für ihre Gruppe. Niemals wurde einer der Täter gefasst. Nach dem Angriff auf Tesla hat nun die Bundesanwaltschaft Ermittlungen wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, der verfassungsfeindlichen Sabotage und der gemeinschaftlichen Brandstiftung aufgenommen.
Nimmt der Linksextremismus in Deutschland also zu? Wird er gewalttätiger und gefährlicher? Die vielen Berichte über die jüngste Verhaftung der RAF-Terroristin Daniela Klette, die 30 Jahre im Untergrund lebte, und die Suche nach ihren Komplizen Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg haben die Jahrzehnte in Erinnerung gerufen, als die Rote-Armee-Fraktion in Deutschland gezielt mordete. Was auch für Sicherheitskreise überraschend war: Zu einer Solidaritätsdemonstration für Klette kamen am vergangenen Samstag im Berliner Szenebezirk Kreuzberg 600 Personen, doppelt so viele wie angemeldet. Das kann als ein Indiz dafür gelten, dass die Sympathie für die Mörder der RAF größer ist als bisher angenommen.
Was in Klettes Wohnung in der Kreuzberger Sebastianstraße gefunden wurde, zeugt jedenfalls nicht davon, dass sich die heute 65 Jahre alte Frau von ihrer terroristischen Vergangenheit losgesagt hatte. Kriegswaffen wie eine Panzerfaustgranate oder das Sturmgewehr Kalaschnikow gehören dazu, auch eine Pistole der Marke Heckler&Koch, die 1984 bei einem Überfall von RAF-Mitgliedern aus einem Waffengeschäft in Maxdorf zusammen mit zwei Dutzend anderen Handfeuerwaffen geraubt wurde.
Die Verfassungsschutzbehörden beobachten seit Jahren eine steigende Zahl von Linksextremisten. Im Jahr 2022 waren es 36.500 Personen, 1800 mehr als im Jahr zuvor und gut 2000 weniger als Rechtsextremisten. Die Zunahme folgt vor allem daraus, dass die Rote Hilfe die Zahl ihrer Mitglieder deutlich steigern konnte. Sie ist mit 13.100 Mitgliedern die größte Gruppierung im linksextremistischen Spektrum in Deutschland, von 2020 bis 2022 hat sie rund 2000 neue Mitglieder geworben. Als gewaltorientiert betrachtet der Verfassungsschutz rund 10.800 Linksextremisten, davon sind etwa 8300 sogenannte Autonome. Ihre Hochburgen sind Berlin, Hamburg und Leipzig, wobei vor allem die Szene in Sachsen an Bedeutung gewonnen hat. Der Linksextremismus sei auch 2023 weiter gewachsen, ist aus Sicherheitskreisen zu hören. Dasselbe gelte für seine Gewaltbereitschaft.
Gewalt nicht nur gegen Sachen, sondern auch gegen Personen, ist im Linksextremismus kein neues Phänomen. In den letzten Jahren zeichnet sich ein Anstieg ab. Von einem neuen Linksterrorismus, der gezielt Menschen töten will, wollen Verfassungsschützer noch nicht sprechen. Aber sie halten es für möglich, dass es dazu kommen kann. Bisher richtet sich die Gewalt besonders gegen Polizisten und Angehörige der Justiz – sie gelten als Vertreter des kapitalistischen Unterdrückungssystems und seines Repressionsapparats. Im Jahr 2022 wurden knapp 300 Gewaltdelikte gegen Polizeibeamte von Linksextremisten registriert, darunter 95 Körperverletzungen und zwölf Brandstiftungen, etwa auf private Fahrzeuge von Polizisten.
Wie gefährlich sind Deutschlands Linksextremisten? - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Im Prolog wies ich darauf hin, dass man sich nicht in sinnlosen Debatten verkämpfen solle, da es wichtigeres gibt. Wichtiger sind zum Beispiel die Angriffe auf die Kunst- und Meinungsäußerungsfreiheit, die inzwischen teilweise sogar von höchster Stelle erfolgen. Dafür kommen aktuell zwei Beispiele in den Sinn. Auch hier muss man allerdings positiv anmerken, dass die Gerichtsbarkeit in Deutschland immer noch funktioniert. Was Menschen tun sollen, die sich keinen teuren Rechtsbeistand leisten können oder den Weg der Klage aus anderen Gründen nicht beschreiten wollen, wäre ein eigenes Thema.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) war im Juni 2023 voll des Lobes, als das "Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit" (UEM) seinen Bericht vorstellte. Es gelte nun, sich ernsthaft mit den Empfehlungen des vorliegenden Berichtes auseinanderzusetzen und "entschlossen gegen Muslimfeindlichkeit vorzugehen", hielt sie in einem persönlichen Vorwort fest.
Allerdings werden in dem Bericht auch bekannte Islamismuskritiker persönlich genannt und angegriffen, darunter die Expertin Sigrid Herrmann, sie ist Mitglied in Faesers SPD-Landesverband.
Nun zog das Bundesinnenministerium (BMI) den umstrittenen Bericht zurück. rbb24-Recherche liegt ein entsprechendes Schreiben des BMI an das Berliner Verwaltungsgericht vor. Darin heißt es, das BMI habe den Bericht mit dem Titel "Muslimfeindlichkeit - Eine deutsche Bilanz 2023" vom Internetportal genommen.
Der UEM war nach dem Anschlag in Hanau 2020, dem zehn Menschen zum Opfer fielen, vom Bundesinnenministerium - damals noch unter CSU-Politiker Horst Seehofer - einberufen worden. Das BMI hatte auch den beklagten Bericht herausgegeben. Darin werden neben dem Mit-Herausgeber des rechtskonservativen Blogs "Die Achse des Guten" Henryk M. Broder und dem CDU-Bundestagsabgeordneten Christoph de Vries auch die Bloggerin und Islamismus-Expertin Sigrid Herrmann namentlich erwähnt und somit in den Kontext von "Muslimfeindlichkeit" gerückt.
Die Studie nennt als Ziel, "muslimfeindliche Diskurse anhand von konkreten Beispielen zu analysieren". Das BMI teilte auf Anfrage mit, die Studie sei mit 1,5 Millionen Euro gefördert worden.
Herrmann betreibt seit vielen Jahren den Blog "Islamismus und Gesellschaft" und berät Verfassungsschutzämter und Medien. Über die Bloggerin heißt es in dem UEM-Bericht, sie selbst bezeichne sich auf Ihrem Blog als "Islamismus-Expertin", "trotz fehlender fachlicher Expertise oder relevanter Sprachkenntnisse".
Allein die Erwähnung in einem offiziellen Bericht des Bundesinnenministeriums schade ihr massiv in ihrer Berufsausübung als Expertin, sagt Herrmann. Seit Jahren sieht sie sich öffentlichen und juristischen Angriffen von Protagonisten des politischen Islam ausgesetzt. Selbst in ihrer Partei, der SPD in Hessen, vermisse sie die notwendige Unterstützung gegen islamische Extremisten.
Zuerst hatte der Publizist Henryk M. Broder gegen seine Erwähnung in dem Bericht geklagt und Recht erhalten. In seiner Entscheidung hatte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg das BMI verurteilt, die Passagen über Broder nicht mehr zu veröffentlichen, da sie sein Persönlichkeitsrecht verletzten.
Das Gericht rügte dabei vor allem, dass die Studie als amtliche Äußerung der Bundesregierung verstanden werden könne. Das Innenministerium sei zu Zurückhaltung, Sachlichkeit, Ausgewogenheit und "rechtsstaatlicher Distanz" verpflichtet.
Die Äußerungen der Sachverständigen im Bericht über Muslimfeindlichkeit seien aber so bewertend, dass sie den Autor herabsetzen könnten. Das Problem: Die möglicherweise rufschädigenden Aussagen erhalten durch die Herausgeberschaft des Ministeriums den Anschein, amtlich zu sein. Eine etwaige Rufschädigung würde dadurch noch verstärkt.
Besondere namentliche Erwähnung in dem UEM-Bericht hatte auch der CDU-Innenpolitiker und Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries gefunden. Ihm wurde eine mangelnde Abgrenzung zur AfD vorgeworfen, weil er in seine Argumentation gegen den islamischen Extremismus auch "reguläre Strukturen des Islams und strengreligiöse Verhaltensweisen eines orthodox-konservativen Teils der Muslimen" bruchlos mit einbeziehe.
Auch heißt es in dem Bericht der Expertenkommission: "Die CDU/CSU (de Vries) wandte sich gegen Muslimfeindlichkeit, lehnte dafür aber (ebenso wie die AfD) die Bezeichnung 'Antimuslimischer Rassismus' als angeblich konstruierten Begriff ab."
De Vries sieht in diesen Absätzen eine Herabwürdigung seiner Arbeit, da er sich sehr wohl für Integration einsetze. Dass das BMI den Abschlussbericht "Muslimfeindlichkeit" nun auf gerichtliche Weisung hin wieder einkassiere, sei "eine krachende Niederlage der Bundesinnenministerin auf ganzer Linie", sagte de Vries auf Anfrage.
Von dem ursprünglichen Auftrag, Muslimfeindlichkeit im Alltag aufzuzeigen und dieser Form der Menschenfeindlichkeit entgegenzuwirken, sei im UEM-Bericht wenig geblieben. De Vries fordert die Bundesinnenministerin auf, sich bei den Betroffenen zu entschuldigen.
Das wünscht sich auch die Bloggerin Herrmann, die juristisch gegen das BMI vorgeht. Den Rechtsstreit mit ihr erklärt das BMI laut dem Schreiben an das Berliner Verwaltungsgericht nun aber "für erledigt", da er vom Ministerium nicht mehr herausgegeben werde. Herrmann ist darüber nur bedingt erfreut. Denn die Anschuldigungen gegen sie kursieren weiter, wenn auch nicht mehr über die Webseite des BMI.
Auf Anfrage, ob das BMI sich inhaltlich von den Aussagen über Herrmann und Broder distanzieren werde, erklärte das Ministerium lediglich, es habe zu der Studie stets deutlich gemacht, "dass diese kein Bericht des BMI ist, sondern ein Bericht eines unabhängigen Expertenkreises ist, der vom BMI lediglich veröffentlicht worden ist".
Sigrid Herrmann hilft das nicht: Da sich das Ministerium auf diese Weise juristisch aus der Affäre ziehe, müsse sie nun auf eigene Kosten gegen weitere Verbreiter des Berichts juristisch vorgehen.
Bericht zu "Muslimfeindlichkeit" zurückgezogen - Tagesschau
Das zweite Beispiel ist das Verfahren um die Kabarettistin Monika Gruber, die bereits seit einiger Zeit von mehreren Seiten verleumdet wird. Sie gehört nämlich zu den mit der Lupe zu suchenden deutschen Kabarettisten, deren Programm keine Wohlfühlveranstaltung für Wähler der SPD und den Grünen ist. Wie kann sie es wagen! Dass Kabarett sich eigentlich gegen die Mächtigen wenden sollte, scheint immer mehr in Vergessenheit zu geraten. Dass der “Stern”, der sich seiner journalistischen Seriösität leider längst entledigt hat, das Urteil in einem Meinungsbeitrag skandalisiert und Grubers Äußerungen als “tiefbraunen Dreck” bezeichnet, ist nicht nur NS-Relativierung in Reinform. Es zeigt auch ein weiteres Mal die Rechtsstaatsverachtung und die Doppelmoral bestimmter Milieus.
Die Zivilkammer 24 (Pressekammer) des Landgerichts Hamburg habe nun durch Beschluss vom 23. Februar befunden, so Irle Moser Rechtsanwälte, dass die Bloggerin nicht in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt sei und als "selbsternannte Influencerin" bezeichnet werden dürfe, da dies eine zulässige Meinungsäußerung darstelle. Das müsse sich die Bloggerin aufgrund ihrer öffentlichen Posts gefallen lassen. Auch die namentliche Nennung der Bloggerin sei nicht zu beanstanden. Denn sie habe sich auf den Plattformen der sozialen Netzwerke Instagram und X mit ihrem bürgerlichen Namen registriert, und unter eben diesem Namen in ihrem Tweet vom 18. März 2023 vor einer rechten Unterwanderung der Hobbyszene gewarnt, sich damit selbst mit ihrem Namen in die öffentliche Auseinandersetzung begeben. Durch die Bitte um Retweets habe sie zu erkennen gegeben, dass sie eine möglichst große Reichweite ihrer namentlich zugeordneten Warnung wünsche.
Auch die übrigen, durchweg durch das Stilmittel der Satire geprägten Äußerungen der Autorin Monika Gruber habe das Gericht für zulässig gehalten. Vorliegend sei aus Lesersicht offensichtlich, dass die Äußerungen nicht ernst gemeinte Überspitzungen darstellten. Eine Herabsetzung der Bloggerin stand nach Auffassung des Gerichts damit eben nicht im Mittelpunkt der beanstandeten Äußerungen, so Grubers Rechtsanwälte.
Das bestätigte die Gerichtspressestelle des Hanseatischen Oberlandesgerichts auf Anfrage von Börsenblatt online. Gruber hatte etwa in einer Passage spekuliert, ob die Bloggerin nicht vielleicht "Maria Müller" heiße. Die offensichtlich nicht ernst gemeinte Mutmaßung über eine Namensänderung enthalte inhaltlich keine allein gegen die Person der Antragstellerin gerichtete Schmähung, sondern behalte einen Bezug zur inhaltlichen Auseinandersetzung, so der Pressesprecher über die Auffassung des Gerichts. Vor dem Hintergrund des insgesamt satirisch überspitzten Artikels und der auch in der Passage enthaltenen absurden Übertreibungen, sei es für Leser als nicht ernst gemeinte groteske Phantasie zu erkennen.
Der eigentliche Aussagegehalt, der satirisch überspitzt zum Ausdruck gebracht werde, bestehe in einer Kritik an einem übertriebenen Alarmismus gegenüber rechten Tendenzen, wie er nach Auffassung der Autorin in dem Tweet der Bloggerin zum Ausdruck komme. Diese Kritik könne man teilen oder nicht, sie sei jedenfalls als Meinungsäußerung rechtlich zulässig, referiert der Pressesprecher die Position des Gerichts.
Bei der Bezeichnung als "selbst ernannte Influencerin" handele es sich um eine wertende Meinungsäußerung, für die ausreichende Anknüpfungstatsachen vorlägen, ergänzt der Pressesprecher. Es komme nicht darauf an, ob sich die Antragstellerin selbst so genannt habe.
Landgericht Hamburg entscheidet zugunsten von Monika Gruber - Börsenblatt
Herbert Reul hat einen Beitrag in der FAZ geschrieben, in dem viel Richtiges steht. Leider betet er auch die Mär vom Rechtsextremismus als größter Gefahr nach. Dennoch hochgradig lesenswert. Man würde sich wünschen, dass diese Stimmen insgesamt wieder lauter zu vernehmen wären. Auch hier gilt allerdings, dass schmissige Gastbeiträge kein politisches Handeln ersetzen. Leider werden Politiker, die Unpopuläres äußern, nicht wiedergewählt. Die, im Vergleich zu früheren Jahren deutlich größere Zahl an politischen Akteuren, die wirtschaftlich auf die Politik angewiesen ist, führt dazu, dass es deutlich weniger Stellungnahmen dieser Art gibt. Das ist ein großes Problem. Die AfD wird nur durch eine CDU verkleinert, die ihren konservativen Kern wieder herausstellt. So könnte sie die in Richtung einer inzwischen in Gänze rechtsextremen Partei Entlaufenen wieder einfangen. So falsch eine solche Wahlentscheidung auch ist: Die Mehrheit sind verzweifelte Protestwähler und keine Rechtsextremisten.
Wir Politiker sind verantwortlich für den Vertrauensverlust. Die Entfremdung zwischen uns und Bürgern ist das Ergebnis einer Politik, die einerseits Probleme nicht anspricht und andererseits zu viel verspricht. Zu oft regiert das Prinzip der Opportunität das politische Handeln: Was kein Gewinner-Thema ist, wird nicht angefasst. Bürger spüren, wenn Probleme nicht angegangen und nicht angesprochen werden. Wer so handelt, verliert erst das politische Mandat und dann das Vertrauen.
Seit 2015 sind mehr als zwei Millionen Menschen nach Deutschland gekommen. Sie sind geflohen vor Krieg, Katastrophen, Hunger und Armut. Solange Menschen flüchten, solange gibt es Probleme, und wir Politiker sollten diese Probleme weder gesund reden noch verschweigen noch Scheinlösungen ins Schaufenster stellen. Migration ist die neue Ewigkeitsaufgabe unserer Zeit. Das hätten wir von Anfang an sagen sollen und das sollten wir auch jetzt sagen. Und: Wir können nicht alle aufnehmen; es gibt eine Grenze des Machbaren.
Die meisten Menschen, die seit 2015 zu uns gekommen sind, achten unseren Rechtsstaat. Aber unter ihnen sind auch Kriminelle, die sich weder an Gesetze halten noch unsere Werte teilen.
Auch ich habe gehadert. In meinen ersten Tagen als Innenminister sollte ich mich zur Ausländerkriminalität äußern; die Entscheidung darüber habe ich zunächst einmal weggeschoben. Das gehorchte ebenjenem politischen Opportunitätsprinzip. Heute weiß ich: Ich hätte sofort Klartext reden und entsprechend handeln sollen. Dass ich das erst nicht gemacht habe, war ein Fehler.
Wie heilsam es ist, Probleme zu benennen, habe ich lernen müssen. Als wir erwogen haben, die Clankriminalität zu bekämpfen, riet mir mancher politische Weggefährte: kein Gewinnerthema. Auch ich zögerte. Doch nur wer ein Problem benennt, kann es heilen – und Heilung dauert. Wer etwas anderes behauptet, ist vielleicht an einer Überschrift interessiert, aber nicht ehrlich und aufrichtig an einer Lösung. Denn selten lässt die Komplexität unserer Welt einfache Antworten zu. Der Kampf gegen die Clankriminalität ist langwierig, es gibt immer wieder Rückschläge und selten Erfolge. Es ist mühsam, aber es ist das Tun unseres Sagens.
Wer schweigt, macht sich mitschuldig – dieser Satz gilt in diesen Tagen nicht nur für den Kampf gegen Rechtsextremismus, sondern auch für das politische Handeln – und das muss sich ändern. Was wir brauchen, ist schonungslose Ehrlichkeit – und zwar nicht nur in der Problembenennung, sondern auch in der Erwartungshaltung. Kleine Schritte statt große Sprüche mögen nicht gerade ehrgeizig erscheinen, aber sie kosten kein Vertrauen. Sagen, was ist, und tun, was man sagt – und nicht zu viel versprechen. Traut Euch! Nutzen wir die Chance! Es könnte unsere letzte sein.
Politiker, traut euch zu sagen, was ist! - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Zum Ende der Rubrik wieder sehens- und hörenswerte Beiträge. Es freut mich, dass es immer mehr öffentlich-rechtliche Beiträge gibt, die von den üblichen Narrativen abweichen. Die massive Kritik scheint langsam zu einer Rückbesinnung auf den eigentlichen Auftrag zu führen.
Über die "Geheimplan"-Recherche von Correctiv ist in den letzten Wochen ein öffentlicher Kampf über die Deutungshoheit entbrannt. Die einen glauben möglicherweise, es gäbe konkrete Deportationspläne gegen deutsche Staatsbürger - die anderen bezichtigen die Journalisten des Onlinemagazins Correctiv der Lüge. Was sagen die AFD-Mitglieder und die Redaktion von Correctiv?
Norbert Lammert spricht mit Jörg Thadeusz.
In der Sendung „phoenix persönlich“ spricht Jörg Thadeusz mit Norbert Lammert, Bundestagspräsident a.D. und Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung über seine politische Vita, Politik in Krisen- und Kriegszeiten und Streit in der Demokratie. „Ohne Streit gibt es keine vitale Demokratie“, sagt der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert. „Wir haben uns auf demokratische Verfahrensregeln verständigt, weil wir begriffen haben, dass niemand über absolute Wahrheiten verfügt, folglich jeder die Möglichkeit haben muss, das zu vertreten, was ihm vernünftig, richtig und wichtig erscheint. Und die Folge ist Streit oder Konflikt.“ Mit Blick auf die aktuelle politische Debatte um die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine erklärt Lammert weiter, dass gestritten werde, mache den „prinzipiellen Unterschied“ von politischen Systemen wie in Deutschland und Verhältnissen etwa in Russland, China oder vielen autoritär geführten Ländern aus: „Ein solcher Streit könnte dort gar nicht geführt werden. Bei uns wird er auf offener Bühne geführt. Und wenn man genauer hinsieht, kann man auch beobachten, dass er keineswegs nur zwischen den konkurrierenden politischen Gruppierungen, Parteien, Fraktionen geführt wird, sondern in den Parteien und Fraktionen geführt wird. Was mich sehr ermutigt, was die Belastbarkeit unserer demokratischen Verfahrensregeln betrifft.“ Irritiert zeigte sich Norbert Lammert von der Äußerung des Bundeskanzlers bei der Fragestunde im Bundestag. Olaf Scholz hatte sich einen Schlagabtausch mit Nobert Röttgen geliefert und diesem vorgehalten, dass er alles wisse und eine öffentliche Kommunikation betreibe, „die darauf baut, dass dein Wissen kein öffentliches Wissen ist“, also im Grunde Röttgen geheimes Wissen unterstellt. „Dass eine solche Bemerkung nicht nur besondere Aufmerksamkeit erzeugt, sondern zu Spekulationen einlädt, das ist ja nun offensichtlich“, erklärt Lammert. Vor dem Hintergrund der Gleichzeitigkeit „großkalibriger Probleme“ sieht Norbert Lammert die „wichtigste einzelne Aufgabe von Mandatsträgern“ darin, der Öffentlichkeit zu erklären, warum sie wie mit diesen Themen umgehen und warum es für keines dieser Themen Patentlösungen gebe. „Für beinah alle in der Diskussion befindlichen Vorschläge lässt sich zeigen, dass sie, wenn sie mehrheitsfähig sein sollten, mit Nebenwirkungen verbunden sind, die die Protagonisten eigentlich lieber vermeiden möchten, die man aber miteinkauft, wenn man sich für diese und nicht jene Variante entscheidet. Und ich glaube, das ist ein Aufklärungsdienst, den die Politik tatsächlich leisten muss.“
Harald Martenstein kommentiert wie immer zutreffend die Rolle des Staates und das “Volksempfinden”.
Martenstein über Volksempfinden und die Rolle des Staates - NDR
Kultur
Coverversion der Woche: Keith Richards - I'm Waiting For The Man
Dass Keith Richards ausgerechnet dieses Lied covert, beweist seinen Humor. Es handelt von jemandem, der auf seinen Dealer wartet. Er selbst hat das als ehemaliger Junkie wahrscheinlich unzählige Male getan. Dass er noch lebt, ist sowieso ein Wunder. In einem Interview äußerte er einst, dass er auf der Beerdigung eines Arztes war, der ihm zu einem gesünderen Lebensstil geraten hatte.
„I'm Waiting for the Man“ ist ein Lied der amerikanischen Band Velvet Underground. Es wurde von Lou Reed geschrieben und erstmals 1967 auf ihrem Debütalbum “The Velvet Underground & Nico” veröffentlicht. Der Text beschreibt die Bemühungen eines Mannes, in Harlem an Heroin zu kommen.
In verschiedenen Rezensionen wird der Song als „harter Garagenrock“, „Proto-Punk-Klassiker“ und „einer der klassischen Rocksongs aller Zeiten“ beschrieben.
In einer Besprechung für AllMusic nannte Dave Thompson ihn „einen der klassischen Rocksongs aller Zeiten [...] Über klobiger Gitarre, klirrendem Klavier und Presslufthammer-Schlagzeug singt Reed halb, halb intoniert er, was er einmal als […] Liebeslied über einen Mann und die U-Bahn bezeichnete.“ Er bemerkt, dass das Stück von zahlreichen Künstlern neu aufgenommen wurde. Darunter „David Bowie und die Stooges [die] beide faszinierende Coverversionen des Songs schufen.“. Die meisten Mitglieder von Velvet Underground haben ihn in eigenen Versionen gespielt.
Im Jahr 2004 platzierte das Magazin Rolling Stone das Lied auf Platz 159 seiner Liste der 500 größten Lieder aller Zeiten. Im Jahr 2010 wurde es auf Platz 161 verschoben und schließlich im Jahr 2021 wieder auf Platz 81 eingestuft. Das Magazin stellte fest:
“Die Velvets mischten R&B-Rhythmus-Gitarren-Workout, Blues-Piano-Stampf und verträumte Kunstdrohne, während Reed ausdruckslos erzählt, wie er in Harlem Heroin im Wert von 26 Dollar kaufte. „Alles an diesem Lied stimmt“, sagte Reed, „außer dem Preis.“
Im Jahr 2012 nahm Consequence of Sound es auf Platz 65 in die Liste der 100 besten Songs aller Zeiten auf. In der Rangliste der besten Songs der 1960er Jahre platzierte NME es auf Platz 6, während Pitchfork es auf Platz 27 setzte. Im Jahr 2012 inkludierte Paste den Song auf Platz 3 seiner Liste der 20 besten Velvet Underground-Songs. 2021 wählte der Guardian den Song auf Platz 9 der 30 besten Velvet Underground-Songs.
Epilog
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