Prolog
Berlin kommt in meinen Bewertungen oft nicht besonders gut weg. Das wurde inzwischen auch mehrmals von Lesern kritisch angemerkt. Deshalb weise ich hiermit auf eine Sache hin, die Berlin in positiver Hinsicht einzigartig macht. Natürlich gehört dazu auch die kulinarische Vielfalt. Man kann theoretisch jeden Tag eine andere Länderküche in authentischer Umsetzung genießen. Noch bemerkenswerter ist allerdings das Angebot im Bereich der Kunst. Die Zahl an Museen und Galerien von Weltrang sucht ihresgleichen. Dieses riesige Angebot führt zu Luxusproblemen: Ich habe im Moment mehrere sehenswerte Ausstellungen auf meiner Liste und komme zeitlich einfach nicht dazu, sie zu besuchen. In manchen Städten freut man sich, wenn einmal im Jahr eine relevante Schau stattfindet. Hier schiebt man Besuche immer weiter auf. Genauso verhält es sich bei anderen kulturellen Ereignissen. Man ist doch sehr verwöhnt.
Nun aber los. Heute geht es unter anderem um Meinungspluralismus, Übergriffigkeit und Humor.
Politik und Gesellschaft
Einschränkungen für die Meinungsäußerungsfreiheit werden grundsätzlich von denen kleingeredet oder bestritten, die von ihnen profitieren. Im Moment werden glücklicherweise kritische Stimmen, die auf damit verbundene Gefahren hinweisen, immer lauter. Ijoma Mangold schreibt darüber in der “Zeit”.
Kommt es zu dem geplanten Gesetz, wird die Exekutive entscheiden, welche Vereine und Organisationen in den Genuss der Steuergelder kommen. Das treibt den Schulterschluss zwischen Regierung und Nichtregierungsorganisationen stärker voran, als es für die urliberale Trennung von Staat und Gesellschaft bekömmlich ist. Es ist das eine, wenn die Amadeu Antonio Stiftung eine Seite im Netz einrichtet, auf der man angeblich antifeministisches und transfeindliches Verhalten von Mitbürgern anonym melden kann – oder ob dieses Portal mit Bundesmitteln gefördert wird. Denn es ist nicht die Aufgabe der Regierung, die ideologische Meinungsbildung der Gesellschaft zu organisieren.
Dass das Recherchenetzwerk Correctiv, dessen Berichterstattung über das Potsdamer "Geheimtreffen" nun als Grund für die Überfälligkeit des Demokratiefördergesetzes angeführt wird, selbst Empfänger von Geldern aus dem Bundestopf "Demokratie leben" ist, scheint dabei Methode zu haben. Lisa Paus erklärte auf ihrer Pressekonferenz, eine aktuelle Studie einer anderen NGO, nämlich des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz, habe ihr eindringlich vor Augen geführt, wie sehr diese Form von Hass zugenommen habe. Und siehe: Auch das Kompetenznetzwerk wird vom Familienministerium gefördert.
Das sieht nach einem weltanschaulich geschlossenen System aus, in dem NGOs und Regierung wie ein eingespieltes Team zusammenarbeiten.
Hass ist hässlich, keine Frage – und die sozialen Medien haben ihn sichtbarer und hörbarer gemacht. Wer wäre nicht gegen Hass. Trotzdem ist Hass ein zu vager Begriff, um juristisch operationabel zu sein. Jeder politische Akteur empfindet die Anwürfe aus dem gegnerischen Lager als tendenziell hassgetrieben. Entsprechend hat jede NGO ihre eigenen Kriterien, was Hass, was Sexismus und was Rassismus ist. Ein skeptischer Blick auf die Migrationsströme wird vielerorts bereits als Rassismus, ein freundliches Wort über das Glück der Mutterschaft als Sexismus gewertet. Was wiederum vollkommen in Ordnung ist für eine Nichtregierungsorganisation, nicht jedoch für staatliche Organe. Der Staat soll das Recht durchsetzen, nicht über Einstellungen wachen.
Genau darauf aber zielt Paus ab, wenn sie sagt: "Wir wollen dem Umstand Rechnung tragen, dass Hass im Netz auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze vorkommt." Und damit man sie nicht missversteht, fügt sie hinzu: "Viele Feinde der Demokratie wissen ganz genau, was gerade noch so unter Meinungsfreiheit fällt."
Eigentlich wäre man ja davon ausgegangen, dass "unterhalb der Strafbarkeitsgrenze" die Gedanken frei seien.
Noch ganz beseelt vom Kampf gegen rechts, hat sich Innenministerin Nancy Faeser bei der Vorstellung ihres Aktionsprogramms gegen Rechtsextremismus (zu dem auch das Demokratiefördergesetz zählt) zu dem erstaunlichen Satz hinreißen lassen: "Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen." Doch die Demokratie darf sich ihren Schneid nicht abkaufen lassen, indem sie angesichts ihrer Verächter selbst autoritär wird. Souverän geht anders. Faesers Satz klingt, als wolle sie das Strafdelikt der Majestätsbeleidigung aus dem Deutschen Kaiserreich für den demokratischen Souverän wiederbeleben – nur dass sie dabei übersieht, dass in einer Demokratie das Volk der Souverän ist, nicht die Regierung. Demokratien unterscheiden sich von Monarchien genau dadurch: Man darf sie verhöhnen.
Gerade weil der freiheitliche Rechtsstaat das außerordentliche Privileg des Gewaltmonopols genießt, darf er von dieser Gewalt nur begrenzt Gebrauch machen – das ist gewissermaßen der Deal zwischen dem Souverän und seiner Regierung, philosophisch: der Staatsvertrag. Doch solche Skrupulositäten scheinen nicht mehr zu zählen. Thomas Haldenwang, der als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz an Nancy Faeser berichtet, assistierte dieser mit der Aussage: "Wir dürfen nicht den Fehler machen, im Rechtsextremismus nur auf Gewaltbereitschaft zu achten." Es gehe auch um verbale und mentale Grenzverschiebungen: "Wir müssen aufpassen, dass sich entsprechende Denk- und Sprachmuster nicht in unserer Sprache einnisten." Er denke dabei an die Karriere des Wortes "Remigration". Aber es ist doch auch hier wieder etwas anderes, ob ein zivilgesellschaftlicher Verein wie die "Aktion Unwort" vor verbaler Enthemmung warnt und entsprechend "Remigration" zum Unwort des Jahres kürt oder der Verfassungsschutz, der in Verdachtsfällen seine Bürger aushorchen darf. Würde Thomas Haldenwang den Gebrauch des Wortes "abschieben" durch den Bundeskanzler auch als ein Symptom dieser "mentalen Grenzverschiebung" sehen? Dafür mag es gute Gründe geben, aber es gehört nicht zur Aufgabe des Verfassungsschutzes, semantische Prüfsiegel zu verleihen.
Der Staat soll den Pluralismus der Gesellschaft ermöglichen, er soll ihn nicht dekretieren. Nur totalitäre politische Systeme streben die Identität von Staat und Gesellschaft an. Dann regiert die Überzeugung, der Staat verfüge über eine die Wohlfahrt aller befördernde Wahrheit, die ohne Reibungsverlust auf die Gesellschaft als Ganze übertragen werden müsse.
Der Staat ist keine Gesinnungsgemeinschaft, sein Gewaltmonopol ist nur durch einen einzigen Zweck gerechtfertigt: die Freiheit seiner Bürger zu sichern. Und zu dieser Freiheit des Bürgers zählt immer auch die Freiheit vom Staat selbst. Deswegen sind die Bürgerrechte Abwehrrechte gegen den Staat – diese fundamentale Einsicht, die am Beginn der bürgerlichen Gesellschaft steht, ist heute in Vergessenheit geraten.
Man könnte aber mit ebenso guten Gründen argumentieren, dass die Leugnung eines Migrationsproblems zuallererst die AfD groß gemacht hat. Oder dass der Vorwurf der Wissenschaftsfeindlichkeit während der Corona-Zeit oftmals nur dazu diente, abweichende, aber wissenschaftlich durchaus valide Gegenpositionen zum Schweigen zu bringen. Oder dass Medien sehr mächtig sind und ein bisschen Verächtlichmachung abkönnen, weil das im Zweifel nur ihren Ehrgeiz, noch besser zu werden, anspornt. Oder dass Quotierung von Identitätsgruppen das meritokratische Grundprinzip aushebelt. Keine Ahnung, wer recht hat bei all diesen heißen Streitfragen, aber sie sollten Teil des Meinungsstreits bleiben und nicht durch politische Vorfeldorganisationen mit Staatsknete inkriminiert werden.
"Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen" - Zeit
Auch Harald Martenstein behandelt die Verengung des Meinungskorridors nicht zum ersten Mal in seiner Kolumne.
So etwas Seltsames wie die Anti-AfD-Demos der letzten Wochen habe ich noch nicht erlebt. Diese Veranstaltungsreihe läuft fast durchweg unter der Überschrift „Gegen rechts“, auch auf den mitgetragenen Schildern kann man’s lesen. Bekanntlich gilt das Wörtlein „rechts“, seit es moderne Politik gibt, als Sammelbegriff für die eher auf das Bewahren fixierte Hälfte des politischen Spektrums. Auf der linken Seite wohnt der Veränderungswille.
Bismarck, Begründer des deutschen Sozialstaats: rechts. Gustav Stresemann, der bei den Nazis verhasste Kanzler und Friedensnobelpreisträger: rechts. Der Hitler-Attentäter Stauffenberg und sein Team: rechts. Die alte BRD hatte zwei große Parteien, von denen die eine, die Union, sich als „rechte Mitte“ verstand.
Wer glaubt, „rechts“ bedeute das Gleiche wie „rechtsradikal“, ist dumm. Ich meine das nicht so böse, wie es vielleicht klingt. Es muss auch dumme Menschen geben, die Evolution hat es so gewollt.
Wie schrecklich wäre eine Welt ganz ohne rechtes Personal – keine Wagner-Opern, kein „Dschungelbuch“ und kein Thomas Mann, keine Gina Lollobrigida, kein John Wayne und keine Disneyfilme, kein vereintes Europa (Churchill!), keine deutsch-französische Freundschaft (de Gaulle!). Ohne die rechte Nato und die rechte Bundeswehr wären wir irgendwann Sowjetrepublik geworden.
Die Demonstranten fordern, „rechts“ solle verschwinden. Danach bleiben logischerweise nur links und grün übrig. Diese Demonstranten verlangen im Grunde das Ende der Demokratie. Vielen von ihnen ist das natürlich nicht klar, sie würden es empört zurückweisen, aus dem oben erwähnten Grund mit „D“.
Dies ist der aktuelle Stand der deutschen Demonstrationskultur: Gegen Linksradikalismus und Islamismus demonstriert fast niemand. Gegen Antisemitismus demonstrieren relativ wenige. Gegen eine Demokratie mit dem seit Jahrhunderten üblichen Meinungsspektrum aber demonstrieren viele.
Die Demonstranten möchten die CDU der AfD zum Fraß vorwerfen. In der besten aller möglichen Welten gäbe es nach Ansicht vieler dieser Demonstranten nämlich nur noch linke Parteien. Außer der AfD. Und die wird verboten.
Wenn "rechts" verschwindet, bleiben halt nur links und grün übrig - Welt
In einer Zeit, in der Kapitalismus von allen Seiten kritisiert wird, muss verstärkt auf deine Errungenschaften hingewiesen werden. Diese werden nicht nur von Degrowth-Ideologen beharrlich ignoriert. Wer den Kapitalismus abschaffen möchte, kann selten schlüssig darlegen, was Gleichwertiges an seine Stelle treten soll. In Kombination mit einer jungen Generation, die über immer weniger Allgemeinbildung verfügt und lieber Parolen nachplappert, besteht hier Gefahrenpotential.
Zu den Daten und den Fakten: Kapitalismus nennen wir eine Wirtschaftsweise, die die Produktion von Gütern, Dienstleistungen und Finanzen dem Markt überlässt, auf dem das (mehr oder weniger) freie Spiel von Angebot und Nachfrage den Preis bestimmt. Voraussetzung einer guten Marktordnung ist eine Gesellschaft, in der Rechtssicherheit herrscht und das Privateigentum respektiert wird. Mithin bedarf es eines staatlichen Ordnungsrahmens als Ermöglichungsbedingung für kapitalistisches Wirtschaften. Staat und Markt sind keine Gegensätze, sondern aufeinander angewiesen.
Nun ist auf den ersten Blick nicht ausgemacht, dass der Wohlstandsfortschritt der Menschheitsgeschichte auf den Kapitalismus zurückzuführen ist. Zum Beleg sie auf die Geschichte Koreas verwiesen, die wie ein Laborexperiment gelesen werden kann. 1953, nach dem Koreakrieg, war das ganze Land arm. Inzwischen hat sich der Wohlstand zwischen dem Norden (Kommunismus) und dem Süden (Kapitalismus) weit auseinanderentwickelt. Einem Bruttosozialprodukt Südkoreas von 2027 Milliarden Dollar stehen 40 Milliarden im Norden gegenüber.
Doch es gibt eine Kehrseite. Inwiefern ist der Kapitalismus verantwortlich dafür, dass die Welt nicht gleich ist? Ungleichheit sei ungerecht, sagen selbst viele Sympathisanten des Kapitalismus. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts waren die meisten Menschen der Welt arm, eine verschwindend kleine Oberschicht lebte in grossem Luxus. Wollen wir diese egalitäre Welt wiederhaben? Gewiss nicht. Der Kapitalismus verspricht keine Ergebnisgleichheit. Gute Ideen und Erfolg im Wettbewerb führen zu Ungleichheit. Das ist gewollt.
Kurz und knapp: Der Kapitalismus erfüllt ein Versprechen, das er als solches nie gegeben hat, dem wir aber zugestimmt hätten, wenn es so gewesen wäre. Man kann von «adaptiven Präferenzen» sprechen: Es kommt uns so vor, als hätten wir das gewählt, was der Kapitalismus geschaffen hat, ohne uns zu fragen: Wohlstand, Gesundheit, Freiheit.
Zum Ende der Rubrik wieder Sehens- und Hörenswertes. Josef Hader spricht mit Wolfram Eilenberger in der “Sternstunde Philosophie” über Humor und dessen Grenzen.
Seit gut 40 Jahren ist der Österreicher Josef Hader im Namen der Satire unterwegs. Er hält sich und seinem Publikum den Spiegel vor, lotet gegenwärtige Abgründe aus und legt kulturbestimmende Verlogenheiten frei. Seine Strategie bezeichnete er dabei einmal als: «einfach jeden Scheiss raushauen». Doch auch diese Aussage ist mit Vorsicht zu geniessen, schliesslich nimmt Hader sich für sein Schreiben viel Zeit, geht geradezu perfektionistisch vor. Hader interessiert, wo sich das Politische im Privaten zeigt. Sein oft schwarzer Humor richtet sich nicht zuletzt gegen die Spassgesellschaft selbst. Wolfram Eilenberger fragt den Satiriker, an welchen Vorbildern er sich orientiert, warum seine moralisch verkommenen Bühnenfiguren den gleichen Namen tragen wie er selbst – und inwiefern sein jüngstes Programm auch als Abrechnung mit der Generation der 68er begriffen werden kann.
Esther Bockwyt warnt vor den Gefahren der Wokeness.
Wokeness soll Diskriminierung verhindern. Die Psychologin Esther Bockwyt warnt jedoch vor den negativen Folgen der Bewegung. Im Gespräch mit Anja Backhaus kritisiert sie Wokeness, wenn sie etwa Weißen Männern per se Empathie abspreche oder mit strikten Regeln die Freiheit aller einschränke.
Wie Wokeness die Gesellschaft spalten kann - WDR 5
Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Markus Linden hält einen hochinteressanten Vortrag über rechte Netzwerke.
Aufgrund der letzten Correctiv-Recherche „Geheimplan gegen Deutschland“ spricht Prof. Dr. Markus Linden bei uns über Netzwerke in der rechten Szene in Deutschland. Dabei wird er nicht nur die Verankerung dieser Netzwerke in unserer Gesellschaft erörtern, sondern auch die zunehmende Normalisierung rechter Ideen in Deutschland beleuchten. Ein besonderer Fokus liegt auf der Rolle und dem Einfluss von Akteuren, zum Beispiel dem Institut für Staatspolitik, der AfD und der Werteunion. Die strategischen Konzeptionen der Neuen Rechten sind hier von besonderer Bedeutung. Der Vortrag zielt darauf ab, ein umfassendes Verständnis der derzeitigen Situation und ihrer potenziellen Gefahren für die Demokratie zu vermitteln. Es handelt sich um eine einzigartige Gelegenheit, Einblicke in die aktuellen Herausforderungen und Dynamiken der rechten Szene zu gewinnen.
Kultur
Heute erfuhr ich, dass der Comedian und Schauspieler Richard Lewis vorgestern im Alter von 76 Jahren gestorben ist. Ich stieß durch die Serie “Curb Your Enthusiasm” auf ihn, die bis heute zu meinen Allzeit-Favoriten zählt. Ein Höhepunkt der Serie waren für mich immer die komplett improvisierten Dialoge zwischen ihm und Larry David. Besonders schön, wenn beide über die grotesken Antworten des anderen lachen mussten. Ein fleißiger Mensch auf Youtube hat sämtliche Interaktionen in einem Video aneinandergereiht. Es lohnt sich. Ruhe in Frieden, Richard Lewis!
Epilog
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