Prolog
In Gesprächen der letzten Zeit bestätigte sich wiederholt das, was nicht nur ich seit Jahren vermute und was sich inzwischen in immer mehr Umfragen offen zeigt: Auch bei Menschen, die sich politisch eher links der Mitte verorten wachsen Irritation und Unmut über bestimmte Zeitgeistphänomene. Zusammenfassend sagte neulich jemand, der von unreflektierten Äußerungen weit entfernt ist, sinngemäß zu mir:”Wir alten Linken sind in den Augen der jungen Linken die neuen Rechten.” Ich wusste genau, was er meint.
Diese Haltung zeigt sich auch in Zusammenhang mit den im Moment stattfindenden Demos “gegen Rechts”. Die unzulässige Gleichsetzung von rechts und rechtsextrem wird ganz bewusst betrieben, weil viele der Veranstalter und Teilnehmer auch ein Problem mit FDP, CDU/CSU und teilweise sogar der SPD haben. Diese sollen gleich mit abgeräumt werden. Jeder kluge Mensch sollte allerdings wissen, dass man für den Kampf gegen Extremismus Mehrheiten braucht. Die Behauptung “Wir sind mehr!” wird bereits durch die schieren Teilnehmerzahlen widerlegt.
Meine Hautfarbe war zwar nie ein relevanter Bestandteil meiner Identität, trotzdem werde ich vor allem von Menschen mit vermeintlich fortschrittlichen Ansichten immer wieder darauf reduziert. Insgesamt habe ich in meinem Leben den meisten Rassismus von Menschen erfahren, die sich für glühende Antirassisten halten. Da gibt es viele blinde Flecken. Diese Woche wurde ich wieder gefragt, wie ich mit meiner Hautfarbe denn solche Ansichten haben könne. Auf meine Gegenfrage, was Ansichten denn mit dem Teint zu tun haben, stotterte mein Gegenüber herum, das sei ja wohl klar. Ist mir natürlich auch klar: Seit den 90er Jahren erlebe ich, dass Menschen automatisch annehmen, aufgrund meines Aussehens müsse ich weit links stehen. Das Weltbild hinter dieser Annahme ist hochgradig rassistisch.
Man muss als Mensch mit dunkler Hautfarbe mitnichten links sein. Viele sind es auch nicht. Wenn ich mich politisch einordnen müsste, würde ich “klassisch liberal” angeben. Zu Dunkelhäutigen, welche die AfD wählen oder sich sogar in der Partei engagieren, fällt mir ein irrtümlich Bertolt Brecht zugeschriebenes Zitat ein:"Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihren Schlächter selber."
Nun aber los. Heute geht es unter anderem um Lernkurven, wissenschaftliche Fakten und Moral.
Politik und Gesellschaft
Zum Thema Liberalismus passt, dass Holger Zastrow, ehemaliger Bundesvorsitzender der FDP, die Partei verlassen hat. Sein Austrittsschreiben ist vielsagend. Diese Begründungen höre ich seit Jahren von FDP-Wählern/Mitgliedern, die sich abgewendet haben oder diesen Schritt in Erwägung ziehen. Bis auf die unpassenden DDR-Vergleiche kann ich sie gut nachvollziehen. Ja, hinter den Kulissen wird viel Wahnsinn verhindert. Das reicht auf Dauer aber nicht.
Ich habe lange gezögert und gezaudert. Ich habe vor allem in den letzten Tagen und Wochen nach einem Zeichen gesucht, das mich hält, einen Strohhalm, der sagt „bleib“. Die Debatte um den Haushalt, die vorgeschlagenen Kürzungen, die Erhöhung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie, eine Mitgliederbefragung zum Verbleib in der Ampel, die in jeder Hinsicht Bände spricht, eine Europa-Spitzenkandidatin, die für eine Art der politischen Auseinandersetzung steht, die nicht meinem Bild von politischer Kultur entspricht. All das war nicht hilfreich.
Eine Regierung, die die Unterstützung der Bevölkerung längst verloren hat. Eine Regierung, die mit ihrer Politik weder die Mehrheit anspricht noch die, für die die FDP als Impulsgeber, Interessenvertreter und Korrektiv den Platz am Regierungstisch eingenommen hat – die Leistungsträger unseres Landes, die Freiheitlichen, die Marktwirtschaftler, die Individualisten, die Anpacker.
Der Fehler liegt auf der Hand. Wir haben uns nicht nur mit einem uninspirierten Kanzler und einer aus der Zeitgefallenen SPD ins Bett gelegt, sondern vor allem mit den Grünen. Diese Partei arbeitet nicht im Interesse unseres Landes. Sie hat mit ihren sektiererischen Zügen anderes im Sinn und will die Gesellschaft nach ihrem Duktus umgestalten – koste es was es wolle – und sie macht das erstaunlich konsequent. Ihr geht es nicht um die Menschen, nicht um Deutschland. Ihr geht es darum, Recht zu haben und unter Inanspruchnahme allerlei Bedrohungs- und Angstszenarien das Land fundamental umzugestalten. Auf Kosten liberaler Werte wie der Freiheit und der wirtschaftlichen Zukunftsfähigkeit.
Ich habe Verständnis, dass man es mit den Grünen probiert. Es hätte vielleicht auch funktionieren können, wenn auf der anderen Seite pragmatische Menschen sitzen würden. Aber allerspätestens vor einem halben Jahr hätte die FDP feststellen müssen, dass es mit den Grünen eben nicht geht. Sie sind mit ihrem Menschenbild und ihrer gesellschaftlichen Vorstellung eine Gefahr für die liberale Gesellschaft.
Überall agieren Überzeugungstäter, deren Biografien und berufliche Karrieren sie zwar zu nichts qualifizieren, die sich aber anmaßen, es stets und immer besser zu wissen. Längst regiert die Politik am Volk vorbei, längst hat sie die Bindung zu ihren Bürgern verloren, Randthemen sind wichtiger als die Grundlagen, Rituale wichtiger als ehrliche Arbeit, Wahrheiten werden genauso ausgeblendet wie der Blick auf die Realität. Man lebt in seinem Kokon, abgeschirmt von nicht wenigen Medien und Interessensvertretern, die ihnen eine Welt vorgaukeln, die es gar nicht gibt und die sie in gut und böse einteilen. Und dann wundert man sich, dass sich die Leute abwenden, dass sie nicht mehr zuhören, auch nicht, wenn man viele ordentliche Dinge sagt und tut. Regierende und Volk senden auf unterschiedlichen Frequenzen.
Eigentlich wäre es – mal wieder – Zeit für die FDP. Sie wird so dringend gebraucht. Denn während sich die Ränder aufmachen, das Land zu erobern, schläft die Mitte. Während sich die Leute in großer Zahl Gruppierungen zuwenden, die die Probleme unseres Landes nicht lösen werden, machen die etablierten Parteien einfach weiter, als würde nichts passieren. Das kann ich nicht akzeptieren.
Als jemand, der in der Öffentlichkeit steht und durch seinen Beruf mit sehr vielen Menschen zu tun hat, möchte und kann ich die Politik der FDP im Bund nicht mehr rechtfertigen. Als jemand der zumindest in Dresden Wahlergebnisse erreicht, die weit über das für eine FDP übliche hinausgehen, kann ich keine Politik verteidigen, die sich praktisch gegen die Mehrheit meiner Wähler, meine Mitstreiter, Kollegen und Freunde richtet. Ich lebe wohl in einer anderen Welt als meine Partei. Ich sehe andere Probleme und andere Lösungen. Ich will den Leuten noch in die Augen schauen können.
Der immer geistreiche Ijoma Mangold hat einen lesenswerten Artikel in der “Zeit” Geschrieben. Darin vertritt er die These, die Zeit der Wokeness sei vorbei. Auch wenn ich dieser nur teilweise zustimme, finde ich Mangolds Argumente bedenkenswert.
Und so sind die Prinzipien der Wokeness so allgegenwärtig wie nie, sie haben sich in vielen Institutionen und Konzernen festgesetzt, sie bestimmen die Castings der Filmindustrie, die Bildsprache des Marketings, die Berufungen auf Lehrstühle und die Stellenausschreibungen der öffentlichen Verwaltungen (mit generationeller Langzeitwirkung). Doch die unhinterfragte Deutungsmacht, die das woke Denken zwischen 2014 und 2022 hatte, also zwischen der Ermordung von Michael Brown in Ferguson, Missouri, und den Nachwehen von Black Lives Matter, ist gebrochen.
Woke war man, wenn man in Gruppenidentitäten dachte und für eine stärkere Repräsentation marginalisierter Gruppen eintrat. Wenn also ein alter weißer Mann ein Argument vortrug, hieß es, hier wolle nur ein alter weißer Mann seine Privilegien verteidigen. Wenn hingegen eine Rapperin den Mund aufmachte (selbst wenn sie aussah wie ein Angel von Victoria’s Secret), galt es als feministisches Empowerment.
Das Trübsinnige an dieser bleiernen Zeit war, dass die bürgerliche Mitte den Katechismus schluckte, um sich Ärger zu ersparen. So fehlte es an produktiven Debatten. Wer widersprach, fand sich gleich auf der anderen Seite des Frontverlaufs im Kulturkrieg. Jetzt hingegen ist der Bann gebrochen. Um es mit einem Begriff aus der marxistischen Ideologiekritik auszudrücken: Die Phase der Naturalisierung ist vorbei. Bis vor Kurzem herrschte ein Diskursklima, wonach es sich bei woken Haltungen keineswegs um ein bestimmtes ideologisches Set handelte, sondern um die ganz normale, naturwüchsige Moral, der sich jeder Mensch guten Willens notwendig anschließen müsse. Jetzt müssen woke Haltungen erstmals begründet und plausibilisiert werden, und man kann ihnen widersprechen, ohne als finsterer Reaktionär zu gelten.
Die wichtigste Zäsur war der 7. Oktober. Das Massaker der Hamas an Israelis hat das Lager der Moralisten, für die sich die Welt in the West and the rest aufteilte, tief gespalten. Mehr noch, es hat die woke-postkoloniale Community vollkommen zerbröselt. Denn zu den zentralen Glaubenslehren zählte die Überzeugung, dass der Westen zutiefst rassistisch sei und immer schon ein kolonialistisches Projekt gewesen sei. Entsprechende Sätze gingen auch den einflussreichsten Stützen der westlichen Gesellschaften überraschend leicht von den Lippen. Nicht nur Churchill-Denkmäler sollten entfernt werden, sondern die von Immanuel Kant gleich mit. Dass in diesem Geschichtsbild der Staat Israel als Kolonialmacht betrachtet wurde, die es im Grunde auf einen Genozid an den "indigenen" Palästinensern abgesehen habe, war zwar bekannt, wurde aber nicht als weiter problematisch empfunden.
Das hat sich mit dem 7. Oktober schlagartig geändert. Plötzlich wurde unübersehbar, wie ernst es dem postkolonialen Lager mit seiner Israel-Gegnerschaft war. Die woke-linke Bewegung zerbrach in den radikal postkolonialen Flügel, der sich im Sinne Judith Butlers jedes Mitempfinden für die israelischen Opfer verbat, und in ein universalistisches Lager, dem Terror Terror war. Der jüdische Pianist Igor Levit, bis dahin vielleicht der vollkommenste Posterboy woker Gesinnung, war plötzlich politisch heimatlos – und fühlte sich zu Recht verraten und verkauft.
Seither wanken die Geburtsstätten woker Denkweisen: die amerikanischen Ivy-League-Universitäten. Über zehn Jahre lang hatte man dort jedes Wort auf die Goldwaage gelegt, jeden klassischen Text mit Triggerwarnungen versehen, die strukturelle Gewalt aller liberalen Institutionen entlarvt und den phantasmatischen Begriff der Mikroaggression so groß gemacht, dass sich jeder jederzeit beleidigt und retraumatisiert fühlen durfte, solange es ihm nur gelang, sich als Teil einer marginalisierten Minderheit auszugeben. Als es dann an den amerikanischen Universitäten zu Demonstrationen gegen Israel kam, auf denen die Auslöschung des israelischen Staates gefordert wurden, fanden die Präsidentinnen von gleich drei Eliteuniversitäten bei der Anhörung vor dem amerikanischen Kongress keine Worte, um die genozidalen Forderungen klipp und klar zu verurteilen. Stattdessen verkrochen sie sich hinter winkeladvokatischer Paragrafenreiterei. Es war der moralische Bankrott der Hypermoralisten.
Der Berliner Kultursenator Joe Chialo hat die kürzlich erst eingeführte Antidiskriminierungsklausel, welche auch ein Bekenntnis gegen Antisemitismus enthielt, wieder zurückgenommen. Vor dem antisemitischen Mob eingeknickt sei er, hieß es sofort. Ich fand diese Entwicklung auch seltsam, möchte mit einem abschließenden Urteil allerdings noch warten. Der Vorwurf, die als Grund angegebenen rechtlichen Bedenken seien nur vorgeschoben, lässt sich durch eine zeitnah vorgestellte gleichwertige und rechtssichere Klausel widerlegen. Dafür, dass eine solche grundsätzlich sogar auf Bundesebene möglich ist, gibt es Beispiele. Claudius Seidl hat sich in der “FAZ” mit dem Thema auseinandergesetzt.
Dass Joe Chialo trotzdem sehr verständliche Motive für seine Aktion hatte, liegt genau daran: dass es um Kunst nicht unbedingt geht. Überall dort, wo Künstler sich in den Dienst der einfachheitshalber postkolonial genannten Sache stellen, erklären sie, dass der Begriff der Kunst überwunden werden müsse, weil dieser Begriff nur die geistige und ästhetische Hegemonie des Westens perpetuiere und die Künstler gewissermaßen zu dessen Hofmohren mache.
Kaum einer, der sich nicht mindestens als „Künstler und Aktivist“ vorstellt. Kaum einer, der nicht trotzdem den Schutzraum der Kunst für sich beansprucht, jenen Raum, in dem die Kunst mehrdeutig, schwer verständlich, rätselhaft und sinnlos sein darf.
Aktivismus zielt aber auf Eindeutigkeit und Verständlichkeit. Aktivismus provoziert Zustimmung oder Gegnerschaft – und dass der Kultursenator einen Aktivismus, der Israel als Apartheidstaat und Siedlerkolonie verleumdet, das Gebiet vom Jordan bis zum Mittelmeer von den Juden befreien und den Terror der Hamas als Befreiungskampf feiern will, dass Chialo also diesen antisemitischen Aktivismus nicht mit Steuergeld fördern möchte, ist nichts, was man ihm vorwerfen müsste.
Groteskerweise feiert „Strike Germany“, die Boykottaktion, zu der sich kein Urheber bekennen mag, jetzt Chialos Entschluss als Sieg der eigenen Sache. Die Antisemitismusklausel und die Proteste Berliner Künstler gegen sie, das legt die Chronologie nahe, waren wohl der Anlass gewesen für den Aufruf an die Künstler der Welt, fortan deutsche Institutionen zu boykottieren, und zwar so lange, wie Deutschland den „genocidal war“ in Gaza unterstütze und jede Solidarität mit der palästinensischen Sache, ja jedes Mitgefühl mit den Palästinensern angeblich zensiere, unterdrücke, mit Gewalt unterbinde.
Am vergangenen Samstag haben Aktivisten ein Symposion des Goethe-Instituts in New York gestürmt, Flugblätter verteilt und diskutiert; danach, so berichten sie auf X, hätten sich viele mit dem Kampf gegen die deutsche Zensur solidarisiert. Der Kampf, so liest man in den sozialen Medien, geht weiter. Er läuft auf den Showdown hinaus, dass die, die sich von Chialo nicht canceln lassen wollen, sich umso lieber selbst canceln.
Wir canceln uns selbst - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Die Grünen-Politikerin Jutta Boden hat, nachdem sie wegen Alkohol am Steuer von der Polizei festgesetzt wurde, zweimal den Hitlergruß gezeigt und “Heil Hitler!” geschrien. Ich bin weit davon entfernt, mich als Moralapostel aufzuspielen. Zudem könnte man das als tagesaktuelle Empörungsmeldung bezeichnen und mit solchen setze ich mich hier nicht auseinander. Dieser Eindruck ist allerdings falsch. Die Relevanz speist sich aus der Tatsache, dass keine Partei so hohe moralische Standards bei anderen ansetzt, wie die Grünen. An diesen Standards muss man sich dann eben auch selbst messen lassen. Nach diesen sind betrunkene Autofahrten (Diese erfreuen sich in Milieus, welche gern hypermoralisch argumentieren, offenbar größter Beliebtheit. Gut in Erinnerung ist diesbezüglich die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland.) vollumfänglich inakzeptabel. Vielsagend ist auch, dass jemandem als Reaktion auf legitime polizeiliche Maßnahmen nationalsozialistische Gesten und Ausrufe einfallen. Oder um es mit Sandra Maischberger zu formulieren:”Es kann einem nur rausrutschen, was in einem drin ist.” Vor dem Hintergrund, dass zu den Gründungsmitgliedern der Grünen einige ehemalige Nationalsozialisten gehörten, könnten das Bösmeindende als logische Kontinuität bezeichnen. Es ist gut, dass sie ihr Mandat niedergelegt hat.
Anschließend soll die Diplom-Kommunikationswirtin laut Polizeibericht zweimal den Hitlergruß gezeigt haben. Dabei seien auch die Worte „Heil Hitler“ gefallen.
Nach eigenen Angaben habe sie lediglich darauf hinweisen wollen, dass sie sich von den Beamten ungerecht behandelt gefühlt hätte. Sie hätte diese gefragt, warum man dementsprechend mit ihr umgehe, …
Die “NZZ” hat ein interessantes Interview mit SAP-Gründer Hasso Plattner geführt. In diesem äußert er einige Dinge, die auch für diesen Newsletter relevant sind. Dass Menschen, denen man nicht mehr existenziell schaden kann, sich in einer gewissen Deutlichkeit äußern können, versteht sich von selbst. Seine Aussagen zu China lassen sich auf seine Tätigkeit zurückführen.
In Deutschland haben wir die Selbstzweifel entwickelt bis zum Selbstzerstörerischen. Das ist eine besondere deutsche Eigenschaft. In Amerika ist das völlig anders, und das schwächt uns im internationalen Wettbewerb. Man sollte also nicht alles auf den armen Bundeskanzler schieben, der halt nicht so viel Strahlkraft hat. Merkel wird im Rückblick auch von allen Seiten angegriffen. Ihr «wir schaffen das» hat sich anders entwickelt. Leben Sie in Berlin?
Ja.
Dann wissen Sie, wie es dort aussieht. Ich bin Berliner, aber ich fahre nicht mehr nach Berlin, ich bleibe in meinem Potsdam. Dass ganze Stadtteile scheinbar übernommen wurden von Arabern, dass dort deren Ethik und Verständnis für Gesetze gelebt wird, ist nicht gut. Hinter vorgehaltener Hand sagt jeder, dass da etwas schiefgegangen ist.
Was ist schiefgegangen?
Die Integration ist schiefgegangen, die Erziehung, die Schulpolitik. Aber keiner geht hin und sagt: Ja, das ist schiefgegangen, jetzt müssen wir es ändern. Weil das auch wieder unpopulär ist. Und dann kommt die AfD, und einige Mitglieder sagen offenbar in einem geheimen Treffen, man müsse Millionen Ausländer wieder zurückführen.
Ich bin mein Leben lang Pazifist gewesen. Aber jetzt muss Deutschland aufrüsten. Es muss sich verteidigungsbereit zeigen und die anderen Nato-Länder genauso. Der russische Präsident Putin hat etwas Besonderes mit uns vor, wenn er sein Ukraine-Problem gelöst hat. Und Trump, der mögliche neue Präsident in den USA, will raus aus der Nato, will Europa nicht mehr unterstützen. Ich tröste mich damit, dass Europa, also EU plus die europäischen Nato-Staaten, über 500 Millionen Menschen hat. Da werden wir uns doch gegen dieses vergleichsweise kleine Russland zur Wehr setzen können.
Dass die Massenproteste dem Erfolg der AfD nicht schaden, ist inzwischen erwiesen. Das Gegenteil ist der Fall. Seit dem Correctiv-Artikel ist die Zahl der Mitgliedsanträge in die Höhe geschnellt. Eine tragische Entwicklung, die sich weiter fortsetzen wird, wenn nicht endlich Grundlegendes begriffen wird. Peter Unfried hat seine Gedanken aufgeschrieben.
Am vergangenen Sonntag wurde ich am Berliner Reichstag zum Hass aufgefordert. Ich sollte doch tatsächlich im Rahmen einer großen Kundgebung für die liberale Demokratie in den Choral einstimmen: „Ganz Berlin hasst die AfD.“ Tat ich selbstverständlich nicht. Ich lehne Hass ab. Als „Haltung“ ist das indiskutabel und als Strategie fatal.
Selbst wenn einige Teile dieser Gesellschaft unsere Art zu leben hassen sollten: Auf Hass mit Hass zu reagieren, potenziert Hass. Genauso wenig wird die Gleichsetzung AfD-Wähler = Nazi etwas Gutes bringen, außer dem, der das propagiert, ein geiles Gefühl moralischer Überlegenheit.
Zunächst einmal teile ich die Unterstellung nicht, dass unsere demokratische Mehrheitsgesellschaft (die anderen, nicht wir!) eine lasche Pipifax-Truppe sei, die sofort ins Illiberal-Autoritäre lemmingt, wenn das Hardcore-Nazis so passen würde. Das ist für den Westen angesichts der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik eine Unverschämtheit und für den Osten zu negativ gedacht.
Es ist fundamental, dass dies keine linken oder grünen Kundgebungen sind und schon gar keine „gegen rechts“, sondern Demokratiefeiern, zu denen selbstverständlich auch Konservative und CDU/CSU gehören. Gehören müssen, sonst hätten wir ja keine Mehrheit.
Der Denkwechsel angesichts von AfD und radikal veränderter Lage, und das meint explizit sich für „progressiv“ haltende Leute: Wir müssen verstehen, dass wir durch Verhärtung und Dagegensein nichts gewinnen können, sondern nur durch Allianzen. Dass wir ein kritischer, aber überzeugter Teil der Mehrheitsgesellschaft sein müssen.
Wir können nichts verteidigen und verbessern, wenn wir uns nicht eindeutig darauf verpflichten. In der Realität, mit all ihren moralisch und politisch schwierigen Umständen. Wir sind nicht mehr dagegen, wir sind dafür. Das ist unsere Bundesrepublik und unsere Europäische Union – und genauso die von konservativen Demokraten.
Wir brauchen keinen Hass, wir brauchen jetzt bundesrepublikanischen Patriotismus.
Hilft Hass gegen die AfD? - TAZ
Der Fußballverein Bayer Leverkusen wurde vom DFB-Sportgericht zu einer Geldstrafe von 18.000 Euro wegen “unsportlichen Verhaltens” verurteilt. Das gerügte Fehlverhalten bestand im Zeigen eines Transparents mit folgender Aufschrift:”Der :-) sagt: Es gibt viele Musikrichtungen. Aber nur zwei Geschlechter!” Man kann sich nur an den Kopf fassen: Eine Geldstrafe wegen eines Banners, auf dem biologische Fakten stehen. Ja, man hätte das Wort “biologische” hinzufügen können, aber das hätte wahrscheinlich nichts geändert. Deshalb kann ich mich Ijoma Mangolds These des Endes des Wokeness nicht komplett anschließen. Hier würde ich eher auf “Wehret den Anfängen.” verweisen. Wen sich der Trend, wissenschaftliche Tatsachen als Hassrede zu diffamieren, fortsetzt, ist das in mehrfacher Hinsicht besorgniserregend.
Im Leverkusener Fanblock wurde während des Spiels ein großes dreiteiliges Banner mit der Aufschrift „Der ;-) sagt: Es gibt viele Musikrichtungen. Aber nur zwei Geschlechter!“ gezeigt. Das gezeigte Banner ist diskriminierend im Sinne des § 9 Nrn. 2. Abs. 1, 3. DFB-Rechts- und Verfahrensordnung in Bezug auf die geschlechtliche bzw. sexuelle Identität. Es verstößt damit in grober Weise gegen die der Satzung und den Ordnungen des DFB innewohnenden Wertordnung.
Entscheidung Nr. 202/2023/2024 - Deutscher Fußballbund
Zum Ende der Rubrik wieder Sehenswertes. Michel Friedman war nicht nur bei Tilo Jung zu Gast, sondern ihm intellektuell auch haushoch überlegen. Absolute Empfehlung!
Zu Gast im Studio: Michel Friedman, deutsch-französischer Publizist, Talkmaster, Jurist, Philosoph und ehemaliger Politiker. Von 1994 bis 1996 gehörte Friedman dem CDU-Bundesvorstand an. Er war von 2000 bis 2003 stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland und Herausgeber der Wochenzeitung Jüdische Allgemeine sowie von 2001 bis 2003 Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses, bis er im Zuge der „Friedman-Affäre“ alle öffentlichen Ämter niederlegte. Er moderierte mehrere Talksendungen, zum Beispiel von 1998 bis 2003 Vorsicht! Friedman beim Hessischen Rundfunk oder von 2004 bis 2021 Studio Friedman beim Sender N24 (heute Welt). Seit 2016 ist er Honorarprofessor für Immobilien- und Medienrecht an der Frankfurt University of Applied Sciences. Ein Gespräch über seine Berufe, Aufwachsen als Kind von "Schindlerjuden", sein Verhältnis zu Oskar Schindler, die deutsche "Erinnerungskultur", Schweigespirale und der vorherrschende Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus im heutigen Deutschland, die Migration seiner Eltern nach Frankfurt, Erziehung und deutsche Sprache, seine Rolle in der Schule, Angst vor Gewalt, sein Medizinstudium, Einfluss von Sartre und de Beauvoir, sein Weg in die Medien und vor die Kamera, die Koks-Affäre 2003, seine CDU-Mitgliedschaft, die AfD und die potenzielle Kooperation mit der Union, Hans-Georg Maaßen & Höcke, das Ost-CDU-Feindbild Grüne, CDU-Chef Friedrich Merz sowie deutsche Streitkultur und die Staatsräson gegenüber Israel.
Ulrike Herrmann diskutierte mit Stefan Kolev im Rahmen des Formats “taz Talk” über grünen Kapitalismus.
Schließen sich Umweltschutz und kapitalistisches Wirtschaften aus? Oder sind sie doch vereinbar? Ulrike Herrmann diskutiert mit Prof. Dr. Stefan Kolev, Leiter des Ludwig Erhard Forums, ob grüner Kapitalismus möglich ist. Moderation: Konstantin Peveling, taz lab-Redakteur.
Boris Palmer war beim “Forum” der Rhein-Neckar-Zeitung zu Gast.
Beim RNZ-Forum sprach Tübingens OB Boris Palmer über seine politischen Erfolge und Niederlagen mit und ohne die Grünen. Außerdem erklärt Palmer, warum er so oft sehenden Auges in "Shitstorms" rennt und wieso er eine Rückkehr zum "Gesunden Menschenverstand" als Leitbild in der Politik für dringend notwendig hält.
Kultur
Heute im Jahr 1969 spielten die Beatles ihr legendäres Spontankonzert auf dem Dach des Apple-Gebäudes in der Londoner Savile Row. Es dauerte 40 Minuten, brachte den Verkehr zum Erliegen und sollte ihr letzter Auftritt sein. Am Ende der Darbietung sagte John Lennon:”I’d like to say ‘Thank you’ on behalf of the group and ourselves and I hope we passed the audition.”. Das verfügbare Filmmaterial ist über den Link aufrufbar.
Epilog
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Wieder eine sehr gelungene Ausgabe, gratuliere. Mit dem Herrn Zastrow ist es so eine Sache. Immer und immer wieder hört man aus den Reihen der Liberalen, zu denen ich auch als aktives Mitglied gehöre, man werde wieder gebraucht und es wäre doch endlich an der Zeit ... Vernunft ... Pragmatismus ..., um im nächsten Satz genau jene Parteifreunde anzugreifen, die die Menschen erreichen und mit den Überzeugungen der Partei vertraut machen. Frau Strack-Zimmermann eine sonderliche Art der Auseinandersetzung vorzuwerfen legt den Finger dann auch in die eigentliche Wunde, wieso Liberalen oft der Durchbruch versagt bleibt: ihre Betulichkeit und ein gewisser Snobismus gegenüber dem Populären und der Öffentlichkeit. Andere Parteimitglieder in Verantwortung dabei aus der zweiten und dritten Reihe anzugreifen hat dabei leider auch Tradition.
Das gesuchte Brecht-Zitat geht in eine ähnliche Richtung, es ist tatsächlich ein ganzes Gedicht, und beginnt so:
<blockquote>
Hinter der Trommel her.
Trotten die Kälber.
Das Fell für die Trommel.
Liefern sie selber.
</blockquote>