Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #14
Vor ein paar Tagen hatte ich bei Twitter eine Diskussion mit dem Soziologen Andreas Kemper, die sich daraus ergab, dass er den "Appell für freie Debattenräume", welchen der Journalist Milosz Matuschek und der Youtuber Gunnar Kaiser gestartet haben und den auch ich unterzeichnet habe, kritisierte. Daran wäre nichts auszusetzen, wenn er sich inhaltlich mit dem Appell auseinandergesetzt hätte.
Stattdessen tat er genau das dort Kritisierte und versuchte eine inhaltliche Debatte zu verhindern, indem er sich aus der Liste von Erstunterzeichnern eine Person herausgriff, sie auf eine ihrer (durchaus kritikwürdigen) Positionen, die nichts mit dem Appell zu tun hat, reduzierte und durch den Verweis auf eine Goebbels-Rede zusätzlich einen Bezug zum Nationalsozialismus herstellte.
So sollte das gesamte Anliegen delegitimiert und die geäusserten Positionen ausserhalb des seriösen Diskurses positioniert werden. Kein ernstzunehmender Akteur sollte sich noch mit der Sache identifizieren wollen. Diese Taktik (die umgekehrt auch von rechten Ideologen angewendet wird) ist nicht neu und hat maßgeblich zum jetzigen Zustand der Diskussionskultur beigetragen. Wer so vorgeht, will nicht diskutieren, sondern diffamieren.
Das von Kemper mitinitiierte Portal "Agent*In", welches ähnlich arbeitete, erntete so massive Kritik, dass die Heinrich-Böll-Stiftung es drei Wochen nach dem Start wieder vom Netz nahm, sich später entschuldigte und aus dem Projekt zurückzog.
Es ist mir unbegreiflich, wie Menschen es im Kopf zusammenbekommen, willkürlich von der Meinungsäusserungsfreiheit gedeckte Positionen für illegitim zu erklären, sich dann aktiv für die Ausgrenzung der Vertreter dieser Positionen einsetzen und gleichzeitig zu behaupten, Cancel Culture existiere nicht.
Mir geht es nicht um die Diskreditierung Kempers, die er durch sein Verhalten selbst betreibt, aber es waren auch solche Versuche der Diskursverhinderung, die sich in der letzten Zeit häufen und die mich zum Schreiben dieses Newsletters motiviert haben.
In dieser Ausgabe geht es unter Anderem um den “Sturm auf den Reichstag” und Antiamerikanismus.
Nun aber los.
Politik/Gesellschaft
Seit dem vergangenen Wochenende, an dem in Berlin eine Heilprakterin aus der Eifel zum Stürmchen auf den Reichstag aufrief, wird heftig darüber diskutiert. Natürlich lehne ich Thema und Klientel ab und Gewalt ist sowieso indiskutabel, aber es war gut, dass die Demonstration dann doch stattfinden konnte. Das zeigt, dass der Rechtsstaat funktioniert. Interessant war wieder die Doppelmoral in der Diskussion.
Wenn eine Demo gegen Coronamaßnahmen verboten wird, applaudiert man. Wenn eine Demo gegen Rassismus, wie neulich in Hanau, verboten wird, kritisiert man das.
Wenn ein Rechter mit Migrationshintergrund in Person des Kochs Attilla Hildmann im Würgegriff abgeführt wird, applaudiert man und photoshopt ihm noch hämisch eine vollgepinkelte Hose. Wenn ein Linker mit Migrationshintergrund im Würgegriff abgeführt wird, ist das rassistische Polizeigewalt.
Wenn, wie kürzlich, linke Greenpeace-Aktivisten mit einem Transparent in die Bannmeile vor dem Reichstag eindringen, applaudiert man. Wenn rechte Reichsbürger mit Fahnen in die Bannmeile vor dem Reichstag eindringen, ist das kritikwürdig.
Diese Abwesenheit fester Wert-/ und Moralvorstellungen ist meiner Meinung nach ein großes Problem. Es ist nicht seriös, Haltung und Forderungen davon abhängig zu machen, ob einem Thema und Personal persönlich gefallen.
Demokratie und Rechtsstaat funktionieren anders. Besorgniserregend, dass man darauf immer wieder hinweisen muss.
Michael Sommer hat sich mit dem Thema bezüglich des Narrativs der durch Rechtsextreme bedrohten Demokratie auseinandergesetzt, die diesen seiner Meinung nach in die Karten spielt.
Indem der Bundespräsident die ganz große Keule gegen die Demonstranten vor dem Reichstag schwingt, macht er sich, übrigens zum wiederholten Mal, zu einem der Herolde der Erzählung, die von der durch Rechtsextreme bedrohten Demokratie handelt. Begründen will man damit den „Kampf gegen Rechts", der im Deutschland der 2010er Jahre die gegen Totalitarismus jeder Art sich wappnende wehrhafte Demokratie abgelöst hat.
Problematisch wird es, wenn die Dissonanzen zwischen dem, was Politiker äußern, und dem, was Bürger wahrnehmen, unerträglich groß werden. Was ist, wenn die Richtigen das Falsche sagen und womöglich die Falschen das Richtige?
In letzter Zeit wird verstärkt die Frage erörtert, ob eine Spaltung der Gesellschaft droht. Ich bin der Meinung, dass sie längst gespalten ist und beschäftige mich gedanklich eher damit, was man dagegen tun kann. Dieses Themas, bei dem es auch viel um Diskussionskultur geht, hat sich der Deutschlandfunk in Form eines hörenswerten Austauschs zwischen Marina Weisband, Judith Basad und Asal Dardan angenommen.
„Zum Beispiel wenn man die Tendenz nimmt, nicht mehr zwischen rechten Ansichten und rechtsextremen Ansichten zu unterscheiden. Also dass man Konservative und Liberale gleichsetzt mit Rechts und dieses Rechtssein dann gleichsetzt mit Rechtsextremismus“, sagt Judith Basad.
Droht eine Spaltung der Gesellschaft? - Deutschlandfunk Kultur
Seit Donald Trump in den USA Präsident ist, gibt es eine Renaissance des Antiamerikanismus, der bereits eine lange Tradition hat. Gleichzeitig übt das Land eine gewaltige Faszination aus.
Wir sollten uns nichts vormachen: Es gibt einen fruchtbaren Boden für eine Politik der Abkopplung von den USA. Sie kleidet sich heute gern in das Gewand „europäischer Souveränität“. Das ist Traumtänzerei. Die Vereinigten Staaten und Europa werden sich nur gemeinsam gegenüber den Großmachtambitionen Chinas behaupten können – sicherheits- wie technologiepolitisch. Eine Abkopplung von den USA würde Europa spalten und in das Gravitationsfeld Russlands und Chinas treiben lassen. Gleichzeitig würde die Preisgabe des Westens den autoritären Gegenspielern der liberalen Demokratie enormen Auftrieb im globalen Systemwettbewerb geben.
Wurzeln und Gefahr des Antiamerikanismus - Internationale Politik
Von dem Buch “Wir müssen über Rassismus sprechen. Was es bedeutet, in unserer Gesellschaft weiss zu sein.” habe ich schon so Einiges gehört. Allerdings nichts Gutes. Die Argumentation, der sich die Autorin Robin DiAngelo bedient erinnert mich daran, was mir schon entgegnet wurde, wenn ich zum Ausdruck brachte, dass ich bestimmte Prämissen bezüglich Rassismus für falsch halte: Ich hätte Rassismus internalisiert und würde ihn unbewusst reproduzieren. Das ist natürlich gefährlicher Unsinn.
Im Grunde ist DiAngelos These, dass weiße Menschen nicht fähig sind, den ihnen aufgrund ihrer Hautfarbe inhärenten Rassismus anzuerkennen. Sie spricht bei dieser Abwehrhaltung von „weißer Fragilität“. Wer also behauptet, kein Rassist zu sein, irrt, schreibt DiAngelo. Die Tatsache, dass sie selbst eine weiße Frau ist, stört sie dabei nicht; sie habe schließlich – wie alle anderen Weißen auch – nicht die Wahl gehabt. Sie sei rassistisch sozialisiert worden. „Eltern können ihren Kindern nicht beibringen, keine Rassisten zu sein, und können selbst gar nicht frei von Rassismus sein. Eine rassismusfreie Erziehung ist unmöglich.“ Aber sie selbst bemühe sich, „weniger weiß“ zu sein. Wie sie sich das vorstellt, erfährt man nicht, aber es dürfte wohl nicht um Bräunungsmittel gehen.
Aber! Das Prinzip der Falsifikation, möchte man Robin DiAngelo zurufen, gilt doch auch in woken Zeiten. Wissenschaftliche Erkenntnisse gelten demnach solange als wahr, bis sie widerlegt sind. DiAngelo sieht das anders. Ihre Prämisse: Wenn eine Person verneint, ein Rassist zu sein, beweist das sowohl ihren Rassismus als auch ihre weiße Fragilität. Ein Zirkelschluß, für den der Begriff Pseudowissenschaft noch ein Euphemismus ist.
Wir müssen über Rassismus sprechen, bloss nicht so. - Salonkolumnisten
Diese Woche begann in Paris der Prozess gegen 14 mutmaßliche Helfer in Bezug auf das Attentat auf die Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo" im Januar 2015. Damals waren 17 Menschen ums Leben gekommen.
Nicht nur mich hat diese Tat damals sehr bewegt, auf der ganzen Welt nahmen Menschen Anteil und verliehen ihrem Mitgefühl mittels des Slogans "Je suis Charlie" Ausdruck. Wie ernst die meisten diesen Spruch nahmen oder ob sie verstanden, was er ausdrückt, wage ich zu bezweifeln.
Seit 2015 hat sich nichts verbessert, im Gegenteil. Wir diskutieren immer noch - je nach Präferenz - darüber, was Satire darf, die Debattenräume sind enger geworden und der Ton schärfer. Die Diskussion um Meinungs-/ und Satirefreiheit ist leider immer noch nicht zuende.
Richard Malka, der Anwalt von "Charlie Hebdo", wies darauf hin, dass die Täter vom Hass auf die Freiheit getrieben wurden. Die Redakteure und Zeichner von "Charlie Hebdo" seien für die diese Freiheit gestorben: "Der Geist von 'Charlie Hebdo' ist genau das: die Weigerung, auf unsere Freiheit zu verzichten, auf unser Lachen und auch auf unser Recht zur Gotteslästerung. Lasst uns keine Angst vor den Terroristen haben."
Sie sind froh über diesen Prozess - Tagesschau
Kultur
Kruder und Dorfmeister haben mit dem Stück “Johnson” ihren ersten neuen Song seit mehr als zehn Jahren (Das letzte Album, “The K&D Sessions” liegt schon 22 Jahre zurück.) veröffentlicht, das neue Album mit dem Titel “1995” folgt am 30. Oktober. Die Geschichte dahinter ist sehr interessant. Im Jahr 1995 wurde es fertiggestellt. Es gab zehn Testexemplare und und dann haben die beiden es einfach vergessen. Nun tauchte kürzlich die DAT-Kassette wieder auf und es erscheint mit 25-jähriger Verspätung. Natürlich abgestaubt und behutsam an die aktuelle Zeit angepasst. Sowohl das Stück als auch das Video finde ich sehr gelungen.
Coverversion der Woche: Johnny Cash - Solitary Man
Eine Version, die ich tatsächlich um Längen besser finde, als das Original, weil sie einfach noch mehr in die Tiefe geht. Das mag an der Stimme von Cash liegen, aus der ca. 3000 Jahre Lebenserfahrung sprechen. Zusammen mit der massgeschneiderten Produktion stimmt hier einfach alles.
Das Original von Neil Diamond aus dem Jahr 1966 ist natürlich ein Klassiker und wird durch Johnny Cashs geniale Interpretation nicht schlechter, landet allerdings klar auf dem zweiten Platz.