Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #137
Unangenehme Fakten, die progressive Krise und Bullshit-Resistenz
Prolog
Neben den wichtigen Geschehnissen der Gegenwart ereignen sich auch auf regionaler Ebene immer wieder erwähnenswerte Dinge. Allein die Berliner Provinzpossen könnten Bücher füllen. Zum Beispiel wird der Busverkehr weiter ausgedünnt. Wer in Berlin den Bus benutzt weiß, dass dieser bereits seit Jahren kein zuverlässiges Verkehrsmittel mehr ist. Dass regelmäßig sogar mehrere Fahrten hintereinander ausfallen, ohne dass darauf in irgendeiner Weise hingewiesen wird, ist Alltag. Manchmal stehen Menschen dann dreißig Minuten ahnungslos herum. Nun soll es noch weniger Fahrten geben. Warum die BVG es nicht schafft, den angebotenen Fahrplan einzuhalten, muss Fahrgäste nicht interessieren. Sie steigen dann eben wieder vermehrt ins Auto. Soviel zum Thema Verkehrswende.
Interessant ist auch, dass das Restaurant “Borchardt” aufgrund einer Protestaktion der Organisation PETA (Ja, dass sind die, die Tierhaltung mit dem Holocaust gleichsetzen und insgesamt durch sektenartige Strukturen auffallen.) Stopfleber von der Karte genommen zu haben scheint. Man kann Stopfleber und das Einknicken vor obskuren Gruppierungen gleichermaßen problematisch finden.
Nun aber los. Heute geht es unter anderem um unangenehme Fakten, die progressive Krise und Bullshit-Resistenz.
Bald erscheint die dritte Ausgabe des “relevant.”-Newsletters. Sollten die dort behandelten Themen für Sie interessant sein, freue ich mich über ein Abonnement.
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Politik und Gesellschaft
Kaum ein Anlass hat blinde Flecken und Inkonsistenzen der internationalen Linken so deutlich zum Vorschein gebracht, wie die Vorgänge in Israel seit dem 07.10.2023. Sie waren in mehrfacher Hinsicht eine Zäsur. Das bedeutet auch, dass es in vielen Bereichen kein “Weiter so.” geben kann. Vielleicht der einzig positive Aspekt. Das Thema ist eng verwoben mit meiner Kritik an der neuen Auffassung von Progressivität, welche ich hier seit Jahren äußere. Josef Joffe erörtert in der NZZ einige Aspekte.
Die neue Linke hantiert mit Dekonstruktivismus und Neologismen. Vergessen sind die altlinken Parolen von «Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit», weggedrückt wird die blutrünstige Tyrannei der Hamas. Ein zweites Novum: Seinerzeit war die demokratische Linke eine Bewegung von unten. Heute ist «links» alias «woke» ein Projekt der Elite.
Beheimatet ist es nicht in den Slums, sondern in den schicken Stadtteilen von Berlin bis Boston. Der typische Protagonist ist gebildet und gut alimentiert. Er wird vom Staat getragen. Sein Habitat ist die Universität, die Schule, der städtische Kulturbetrieb, der staatsnahe Rundfunk. Die Ironie: Diese neue Linke kämpft gegen Privilegien, doch könnte sie selber nicht privilegierter sein. Ihr Einkommen ist so gesichert wie ihre Kulturhoheit.
Die alte Linke schwenkte nicht die Regenbogenfahne, sondern die Flagge der Aufklärung. Auf ihr prangten Säkularismus («kein Gottesstaat!»), Internationalismus («kein Chauvinismus!») und universelle Menschenrechte, unabhängig von Herkunft und Glauben.
Die falschen Erben malen ein manichäisches Weltbild, das nur «Unterdrücker» und «Unterdrückte» kennt. Der globale Schinder ist der weisse Mann, seine Opfer sind alle People of Color (POC), als wenn Pigmentierung Schicksal sei. Das ist historischer Unsinn. Lange vor dem weissen Mann haben POC erobert: Ägypter, Babylonier, Assyrer, Perser. Im 13. Jahrhundert reichte das Mongolen-Imperium vom Pazifik bis zur Donau; unter Dschingis Khan sind geschätzt bis zu vierzig Millionen umgekommen. Kein weisser Imperialist hat diesen Rekord gebrochen. Nach Entkolonisierung und Zweiteilung des Subkontinents flohen zwölf Millionen Hindus nach Indien und Muslime nach Pakistan. Heute bringen Muslime hauptsächlich einander um – siehe den Irak-Iran-Krieg der 1980er Jahre, wo eine Million Soldaten und Zivilisten umkamen. Im postkolonialen Afrika tobt der Binnenkrieg Schwarz gegen Schwarz.
Auf der Anklagebank sitzen allein der Westen und Israel als sein jüdischer Erfüllungsgehilfe, das ein «kolonialer Siedlerstaat» sein soll, was ebenfalls Geschichtsklitterung ist. Diese Siedler sind nicht von Kaiser und König unter Flottenschutz entsandt worden. Sie sind die Nachfahren von Ausgestossenen. Die Hälfte ist arabischer Herkunft – so weiss wie die Nachbarn. Der renommierte britische Historiker Simon Sebag Montefiore zieht das dürre Fazit: «Die Israeli sind weder ‹Kolonialisten› noch ‹weisse› Europäer.»
Im Westen ist inzwischen ein schiefer Begriff von Gerechtigkeit en vogue. Im westlichen Kanon bezieht sich diese auf den Einzelnen, und jeder ist gleich vor dem Gesetz, ob arm oder reich, braun oder weiss. Im linken Narrativ aber herrscht das Kollektiv, definiert durch Pigmentierung, Herkunft, Identität, vor allem Opferstatus. Die Moral ist selektiv. Da sind manche Gruppen «gleicher»: Schwarze, Muslime, LGBTQ+. . ., nicht aber die Opfer von gestern wie Juden oder, in Amerika, die Nachfahren der Chinesen, die beim Eisenbahnbau wie Sklaven gehalten wurden. Recht wird zugeteilt, nicht gewogen; es geht nicht um Wohl- oder Fehlverhalten, sondern favorisierte Minderheiten.
Mithin um einen neuen Ständestaat, den grotesken Rückschritt in eine Welt, wo König, Kirche und Kaste bestimmten – siehe zuletzt den Austro- und Mussolini-Faschismus. Das Kollektiv schlägt das Individuum, die Quote das freie Spiel der Talente und Ambitionen, das ausgerechnet die Aufsteiger der Leistungsgesellschaft als Privilegienherrschaft verleumden. Angesichts solcher dialektischer Zuckungen war Karl Marx ein kristallklarer Denker.
Rainer Hank befasst sich in einem lesenswerten Text mit der Frage, ob die Träume der Linken ausgeträumt sind.
Nur zur Erinnerung: Die SPD verfügte damals im Deutschen Bundestag über satte 33 Prozent der Mandate. Ein paar Jahre später gelang es dem heute viel geschmähten Gerhard Schröder mit über 40 Prozent die amtierende schwarz-gelbe Bundesregierung abzulösen und die erste rot-grüne Regierung zu bilden. Heute käme die SPD im Bund auf 17 Prozent, drei Prozentpunkte weniger als die rechte „Alternative für Deutschland“. In einigen Bundesländern ist die SPD noch nicht einmal zweistellig. Und die Partei „Die Linke“, die sich einstmals von der SPD abgespalten hat, zerlegt sich gerade selbst, demissioniert als Fraktion im Bundestag und hätte nicht die geringste Chance, dorthin wieder einzuziehen.
Die Linke hat sich zu Tode gesiegt. Ihr Aufstiegsversprechen hat sich erfüllt. Der Sohn eines Tischlers und einer Fabrikarbeiterin ist jetzt Bundespräsident. Er heißt Frank-Walter Steinmeier, empfängt die schwedische Kronprinzessin und nimmt die 102-jährige Holocaust-Überlebende Margot Friedländer in den Arm, ein anrührendes Bild. Das Fortschritts-Junktim von sozialer Gerechtigkeit und Wohlstand, Utopie der Nachkriegsjahre, ist Realität. Jeder, der will, kann studieren und dafür Bafög oder ein Stipendium bekommen. Jeder, der will, findet einen Job. Wer von Zufall und Geburt weniger privilegiert wurde, dem bietet der Sozialstaat einen Ausgleich an: Jeder dritte Euro im Bundeshaushalt wird für Soziales ausgegeben. Die Umverteilung funktioniert. Wofür braucht es dann noch Sozialdemokraten?
Angesichts ihrer Arbeitslosigkeit auf dem Feld der sozialen Gerechtigkeit hat die Linke sich seit einigen Jahren nach einem neuen Geschäftsmodell umgesehen. Es heißt Identitätspolitik. Das ist ihr nicht bekommen und von den Wählern nicht goutiert worden. Sogenannte Wokeness – der Kampf gegen Sexismus, Homophobie, Rassismus und Kolonialismus – dominiert heute das Weltbild vieler Linker. Das wäre ja noch in Ordnung. Doch ehe sie sich versah, mauserte sich die linke Identitätspolitik zu einer Kritik am Universalismus der europäischen Aufklärung, die nun selbst als rassistisch, kolonialistisch und eurozentristisch bekämpft werden müsse. Dass dies schnurstracks in „linken“ Antisemitismus mündet, wird seit dem 7. Oktober besonders deutlich. Damit hat sich diese Spezies der Linken endgültig von ihrem humanistischen Fortschrittsethos verabschiedet.
Woke ist nicht links, wie die jüdische Philosophin Susan Neiman zu Recht sagt. Also Abschied von der Identitätspolitik. Und Abschied von der Apokalyptik. Die kann die Linke getrost den Grünen und ihren moralistischen Klimakämpfern überlassen. Was dann bleibt, ist das überkommene Kerngeschäft, Gerechtigkeit, Wohlstand und Fortschritt für alle politisch zusammenzubringen. Auch das Thema Ungleichheit gehört noch lange nicht in die Ablage – dabei geht es für meinen Geschmack weniger um Einkommens- oder Vermögensungleichheit (Erbschaften), sondern um die wachsende Kluft zwischen den kosmopolitischen Eliten der großen Städte und dem Elend auf dem Land und in den ehemals stolzen Kleinstädten.
What’s left? - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, äußert sich in einem Interview kenntnisreich zur Migrationspolitik. Bereits im Rahmen der Vorfälle im Jahr 2015 hatte er der Debatte bereits das nötige Maß an Ratio hinzuzufügen versucht.
WELT AM SONNTAG: Die Bundesinnenministerin sagt: „Wenn eine Person an der Grenze um Asyl bittet, dann muss der Asylantrag in Deutschland geprüft werden, das ist eine klare rechtliche Verpflichtung.“ Zurückweisungen von Asylsuchenden nach Österreich, Tschechien oder Polen sind demnach nicht möglich. Teilen Sie die Rechtsauffassung?
Papier: Nein. Dem habe ich schon 2015 und 2016 widersprochen. Das ist so ein Narrativ, das die Politik sich angeeignet hat, dass jedem Mann oder jeder Frau auf dieser Welt die Einreise in die Bundesrepublik zu gestatten ist. Die überwiegende Auffassung der Politik und auch der Rechtspraxis besagt, dass mit der Anzeige, man werde einen Asylantrag stellen, die Einreise legal vollzogen werden kann. Aus dem damit verbundenen vorläufigen Aufenthaltsrecht wird dann faktisch oder auch aus Rechtsgründen vielfach ein Aufenthalt von unüberschaubarer Dauer.
Das Problem dabei: Es handelt sich vielfach um illegale, rechtswidrige Migration, für die das Asylrecht zweckentfremdet als Türöffner dient.
Ja, ich habe schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass in der EU-Verordnung Dublin III ausdrücklich anderes vorgesehen ist. Wenn ein Asylantrag noch auf dem Boden eines anderen Mitgliedstaates gestellt wird, dann ist dieser Mitgliedstaat derjenige, der über die Zuständigkeit entscheidet. Dieser Mechanismus, dass man jeden einreisen lassen muss in das Gebiet der Bundesrepublik, weil er einen Asylantrag oder auch einen Folgeantrag in Deutschland stellen will, ist nicht zwingend.
Der Paragraf 18 Absatz 2 des Asylgesetzes der Bundesrepublik Deutschland besagt, dass Personen die Einreise zu verweigern ist, wenn sie aus einem sicheren Drittstaat einreisen. Dazu gehören alle EU-Staaten und die Schweiz. Deutschland ist also ausnahmslos von sicheren Drittstaaten umgeben. Man hat nun Grenzkontrollen eingeführt. Doch was nutzen die, wenn sie nicht zu Zurückweisungen führen?
Nötig wäre eine stärkere Rechtsklarheit auf europäischer und nationaler Ebene. Es geht mir nicht darum, das Asylrecht als Schutzgewährung für Verfolgte anzutasten. Aber dass dieses Asylrecht von Menschen benutzt wird, die aus anderen, asylfremden Gründen kommen und sich gleichsam das Land aussuchen, in dem sie künftig leben wollen, diese beliebige Einreise ist weder durch das Grundgesetz noch durch europäisches oder internationales Recht gedeckt.
Das Grundgesetz ist die beste Verfassung, die Deutschland je hatte. Und doch enthält es gewisse Regelungslücken. So sagt es nichts zur Staatsbürgerschaft, obwohl die staatsrechtlich gesehen eine zentrale Frage ist, weil sie gewissermaßen festlegt, wer zum Kreis des deutschen Volkes als Träger der Staatsgewalt gehört. Das ist bei uns nur einfach gesetzlich geregelt – und deshalb abhängig von den politischen Mehrheiten im Bundestag. Ich habe das immer bedauert.
Bei den aktuellen Beratungen müsste meiner Meinung nach bei der Einbürgerung ein stärkeres Gewicht darauf gelegt werden, ob eine Integration in die kulturelle, soziologische und werteorientierte Gemeinschaft möglich und zu erwarten ist.
Wir leben in einer repräsentativen, parlamentarischen Demokratie. Die wiederum lebt davon, dass Repräsentation nicht nur formal besteht, sondern tatsächlich gelebt und inhaltlich ausgefüllt wird. Sie stellt sich nicht von selbst her. Repräsentanz ist nicht allein dadurch gegeben, dass die Bürger alle vier Jahre wählen. Ihre Repräsentanten müssen die Wünsche, Nöte und Belange der Bürger aufnehmen. Wenn das auf Dauer ausbleibt, dann ist die repräsentative Demokratie in der Tat gefährdet und es droht ihr allmählicher Zerfall.
Seit Jahren beklage ich die immer tiefer gehenden Repräsentationslücken und die Tatsache, dass schwerwiegende Phänomene wie die Flüchtlingsproblematik von den Repräsentanten des Staatsvolkes nur ungenügend aufgegriffen werden. Das bereitet mir tiefe Sorgen. Politiker müssen die Probleme der von ihnen Repräsentierten in stärkerem Maße aufgreifen.
„Asylrecht dient zweckentfremdet als Türöffner für illegale, rechtswidrige Migration“ - Welt
Robert Pausch hat einen Text über die Entwicklung der Grünen geschrieben, der einige interessante Teile enthält.
Aber selbst wenn man argumentiert, dass die Zeiten heute andere seien und konsequente grün Politik mittlerweile belohnt werde, lohnt der Blick auf Berlin. Dieser Landesverband ist in vielerlei Hinsicht der Gegenentwurf zu Hessen. Prinzipienfest, mit leichtem Hang zu Dogmatismus, weshalb man etwa den Wahlkampf Anfang des Jahres vor allem mit der Forderung bestritt, dass ein paar Meter des langweiligsten Ortes Berlins (Friedrichstraße) künftig für den Autoverkehr gesperrt sein sollten. Als dann über dieses etwas abseitige Thema ein regelrechter Kulturkampf entbrannte, verbuchten die Berliner Grünen das als Erfolg, schließlich diene es, siehe oben, der eigenen Profilbildung.
Bekanntermaßen führte diese Strategie die Grünen nicht ins Rote Rathaus, sondern schnurstracks in die Opposition, wo sich nun orthodoxe Berliner und pragmatische Hessen jeweils in die Kunst der Kleinen Anfrage einarbeiten dürfen.
In der vergangenen Woche stellte eine Gruppe von Soziologen des "Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt" eine große Untersuchung vor. Es ging darin um "entkoppelte Lebenswelten", also die Frage, inwieweit sich die deutsche Gesellschaft in Grüppchen von Gleichgesinnten zersplittere. Besonders stachen in der Studie nicht Junge oder Alte, Migranten oder Herkunftsdeutsche hervor, sondern: Grünen-Wähler. 62 Prozent von ihnen gaben an, dass sich ihr Bekanntenkreis hauptsächlich aus anderen Grünen-Wähler zusammensetze. Sie hätten, schreiben die Autoren, die Tendenz entwickelt, "sich vom Rest der Gesellschaft zu entkoppeln". In ihren Werthaltungen seien sie offene und tolerante Menschen, die sich allerdings überwiegend mit ähnlich offenen und toleranten Menschen umgeben wollen.
So kommt es, dass die Grünen-Wähler, laut den Daten der Forschergruppe, in stärkerem Maße die Tendenz einer Parallelgesellschaft aufweisen als etwa Menschen muslimischen Glaubens.
Ein weiterer Befund: Während sich etwa Muslime und Christen sowie Stadt- und Landbevölkerung eigentlich ganz sympathisch finden, herrscht zwischen zwei Gruppen in der Gesellschaft eine tatsächliche Feindschaft: Die (tendenziell hochgebildeten und gut verdienenden) Grünen-Wähler verachten die (tendenziell gering qualifizierten und schlecht verdienenden) AfD-Wähler genauso inbrünstig wie andersherum.
Die Grünen in der Regierung und im Parlament mögen weiterhin bei jeder Gelegenheit betonen, eine Politik "jenseits der Lagerlogik" betreiben zu wollen. Bei den Grünen in der Gesellschaft lässt sich dagegen ein ausgeprägtes Lagerdenken beobachten, was wiederum exakt die Ressentiments bestätigt, die die Gegner derzeit so ergiebig bewirtschaften.
Mau stellte damals die Ergebnisse einer Studie vor, die er kurz zuvor mit seinen Kollegen Thomas Lux und Linus Westheuser veröffentlicht hatte. Die Ökologie nennt Mau darin eine "Klassenfrage im Werden". Die Sorge vor der Bedrohung durch den Klimawandel werde zwar (anders als früher) durch alle Schichten hinweg geteilt, was die Strategien dagegen angehe, erkenne man jedoch deutliche Klassenunterschiede.
Die unteren Schichten seien nicht per se gegen eine ökologische Transformation, jedoch seien die Bedenken hier andere als im grün geneigten Bürgertum: 50 Prozent der Produktionsarbeiter sorgten sich etwa vor einem Wohlstandsverlust durch die Klimawende, in den kulturellen Oberschichten seien es nur 20 Prozent. Mau und seine Kollegen schreiben von einer "Ökologie der Arbeiterklasse", die sich mithilfe ihrer Daten erkennen lasse: Für die unteren Schichten werde die ökologische Frage in erster Linie ökonomisch vermittelt. Dem abstrakten Nutzen des Klimaschutzes stünden die unmittelbaren Kosten entgegen, und Klimapolitik erscheine als Bedrohung, wenn sie nicht explizit mit Verteilungsmaßnahmen einhergehe.
Es folgt zum Beispiel, dass es eine sehr schlechte Idee war, ein Heizungsgesetz niederzuschreiben, ohne sich Gedanken über die soziale Absicherung gemacht zu haben. Es folgt, dass es überdies eine sehr schlechte Idee wäre, weiterhin auf eine Entkopplung der deutschen Wirtschaft von China zu drängen, ohne zugleich darüber zu reden, wer dafür bezahlt, wenn die Waren dadurch am Ende teurer werden (weil man in China günstiger produzieren kann als in Deutschland). Zu viele Kompromisse oder zu wenige; zu radikal oder nicht radikal genug – das sind womöglich die falschen Fragen. Tatsächlich wird es für die Grünen darum gehen, wie der Anspruch, eine Politik für die "Breite der Gesellschaft" (Robert Habeck) zu betreiben, dazu passt, dass man die Wirkungen ebenjener Politik in den Grünen-fernen Schichten so regelmäßig unterschätzt. Wie wollen sie eine Polarisierung der Gesellschaft vermeiden, wenn sie selbst Teil der Polarisierung sind?
Zum Ende der Rubrik wieder Sehenswertes. Die Vorlesungsreihe “Bullshit-Resistenz” von Philipp Huebl möchte ich insgesamt empfehlen. Ein Thema, welches gesellschaftlich für besonders viel Sprengstoff sorgt, ist bekanntlich das Gendern. Jeder, der an Diskussionen darüber teilnimmt, sollte vorher diese Vorlesung gehört haben. Das würde dem Niveau guttun.
Kultur
Coverversion der Woche: Rumi Koyama - My Sweet Lord
Der Song “My Sweet Lord” wurde im November 1970 auf George Harrisons erstem Soloalbum “All Things Must Pass” von George Harrison veröffentlicht. Die Singleauskopplung landete weltweit an der Spitze der Charts und war die meistverkaufte Single des Jahres 1971 in Großbritannien. In Amerika und Großbritannien war das Lied die erste Nummer-eins-Single eines Ex-Beatles.
Harrison überließ das Lied ursprünglich Billy Preston. Dessen, von Harrison mitproduzierte Version, erschien im September 1970 auf Prestons “Encouraging Words”-Album. Harrison schrieb „My Sweet Lord“ aus Zuneigung zum Hindu-Gott Krishna und wollte mit dem Text zur Abkehr vom religiösen Sektierertum aufrufen. Dies unterstrich er, in dem er das hebräische Wort „Halleluja“ mit Gesängen von „Hare Krishna“ und vedischen Gebeten vermischte.
Die Aufnahme beinhaltet die Wall of Sound-Klangbearbeitung des Produzenten Phil Spector und läutete die Epoche von Harrisons Slide-Gitarren-Technik ein, die ein Biograph als „musikalisch so unverwechselbare Signatur wie das Zeichen von Zorro“ beschrieb. Zu den weiteren Musikern auf der Aufnahme gehören Ringo Starr, Eric Clapton, Gary Brooker, Bobby Whitlock und Mitglieder der Gruppe Badfinger.
Die Version von Rumi Koyama erschien 1973 auf dem Album “Rumi Sings The Beatles”.
Epilog
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Ich weiß ja, dass Berlin es nicht leicht bei Marcellus Maximus hat. Aufgrund des Namens daher eine Frage, dabei ärgere ich mich auch oft über den öffentlichen Nahverkehr: wie sollen die BVG denn die nachweislich fehlenden Fahrer auftreiben? Idealerweise auch noch für den Job ausgebildet?
Eine Referenz aus der Tagesschau dazu: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/busfahrer-mangel-verkehrsunternehmen-101.html Zuletzt auf Reisen habe ich übrigens auch erfahren müssen, dass selbst in Städten wie Hamburg oder München die Taktung reduziert wurde… und das ist ja gar nicht Berlin!