Prolog
Dass ich Urlaub brauchte, wurde mir erst bewusst, als er begann. Ich schlief wie ein Stein und kam tagsüber auf neue Ideen. Nach der kurzen Sommerpause geht es hier nun gut erholt weiter.
Einige Vorkommnisse der letzten Wochen haben meine Aufmerksamkeit erregt. Zum Beispiel die Tatsache, dass ein Mitglied der sogenannten letzten Generation, welches am Beschmieren der Skulptur “Grundgesetz 49” in der Nähe des Bundestags beteiligt war, freigesprochen wurde. Die Begründung de Gerichts war, dass sich die Farbe leicht habe abwaschen lassen, das Kunstwerk sei nicht beschädigt worden.
Das mag juristisch korrekt sein, die nachhaltige Beschädigung ist ohnehin eine ganz andere: Mit dem Verschandeln eines Denkmals, das sich positiv auf das Grundgesetz bezieht, beweist die Gruppierung ein weiteres Mal ihre Geschichtsvergessenheit und Geringschätzung des Rechtsstaats. Wäre diese Aktion von einer Vereinigung mit anderen Zielen ausgegangen, hätten sich die öffentlichen Reaktionen in ihrer Lautstärke gegenseitig übertroffen. Wird mit den Zielen sympathisiert, bleibt es relativ still.
Ein Interview mit Friedrich Merz, in dem er sich offen für einen höheren Spitzensteuersatz zeigt, ließ mich aufhorchen. Der Mann, der vor allem dafür gewählt wurde, die Kernthemen der CDU wieder mehr in den Vordergrund zu rücken und dadurch die AfD kleinzukriegen, entpuppt sich diesbezüglich immer mehr als die größte Enttäuschung seit Langem. Er kann oder will die notwendige Reform der Partei nicht umsetzen. Die Wähler werden das mit einem Kreuz bei genau der Partei quittieren, die Merz eigentlich “halbieren” wollte. Eine Katastrophe, nicht nur für die Union.
Nun aber los. Heute geht es unter anderem um Kampagnen, Rassismusdebatten und Kontaktschuld.
Politik und Gesellschaft
Großen Wirbel gab es um den - haltlosen - Vorwurf, Hubert Aiwanger habe als 16-jähriger ein antisemitisches Flugblatt verfasst. Insgesamt habe ich selten ein durchsichtigeres Manöver zum Ausschalten eines politischen Gegners erlebt. Ebenso ungewöhnlich war der Jagdtrieb mancher Medien.
Die Causa Aiwanger - die eigentlich eine Causa SZ ist - zeigte wieder einmal, dass viele Menschen ein rein taktisches Verhältnis zum Rechtsstaat haben. Auch die Tatsache, dass nicht wenige es für normal halten, Familienmitglieder zu denunzieren, spricht Bände.
Besonders interessant war, dass das Münchener Blatt, das bisher nicht mit einer kritischen Haltung gegenüber Antisemitismus auffiel, sich hier derart ins Zeug legte. Noch im April 2015 durfte zum Beispiel Franziska Augstein in der Zeitung einen Entlastungsartikel zur SS-Vergangenheit von Günther Grass schreiben. Der entscheidende Satz darin:
Dass Günter Grass als Jugendlicher in der Waffen-SS war, ist keine unverzeihliche Sünde. Es diskreditiert den Mann auch nicht, weder den politisch engagierten Demokraten noch den Schriftsteller.
Hubert Aiwanger war nicht nur kein Mitglied der Elitetruppe eines der größten Massenmörders der Weltgeschichte. Es ist ihm bis heute überhaupt keine Verfehlung nachzuweisen. Aiwanger mag, wie alle 16-jährigen, in diesem Alter Unausgegorenes von sich gegeben haben, aber auch das lässt sich nicht belegen. Dass Zeugen eidesstattliche Versicherungen abgaben, ist für die Bewertung ihrer Glaubhaftigkeit unerheblich, denn eine falsche eidesstattliche Erklärung gegenüber Journalisten ist nicht strafbar.
Er selbst räumt ein, bestimmte Ansichten revidiert zu haben. Warum für ihn nicht die entlastende Argumentation des jugendlichen Irrtums und des Rechts auf individuell-intellektuelle Weiterentwicklung gilt, ist sonnenklar: Er ist politisch ein Dorn im Auge. Grass, der noch 2012 ein antisemitisches Gedicht schrieb, war opportun. Da drückt man gern beide Augen zu.
Bei “Telepolis” fand ich eine lesenswerte Analyse des ursprünglichen Artikels. Der Text ist - wie alle hier vorgestellten Texte - in Gänze zur Lektüre empfohlen.
Ungeachtet der wichtigen Fragen nach Richtigkeit und Relevanz der SZ-Aussagen fehlt es im Beitrag völlig an Einordnung. Wird den Lesern schon mit den vielen unbewiesenen Behauptungen keine Orientierung geboten, so fehlt selbst bei Annahme ihrer Richtigkeit alles, um mit diesen Informationen etwas anfangen zu können.
Dem SZ-Beitrag lässt sich nicht einmal das Bemühen um Orientierung entnehmen. So wird trotz der völlig vagen Ausgangssituation keinerlei entlastende Position referiert. Wie wäre denn ein solches Flugblatt eins 17-Jährigen zu bewerten? Was äußern 17-Jährige so allgemein, was einzelne (z.B. statistisch gesehen)?
Was kann eine Äußerung in diesem Alter über jemanden sagen, der sich der Rente nähert? Wie besonders wäre ein solcher Ausfall? (Wer sich bspw. Schülerzeitungen anschaut – in alten Ausgaben ggf. inklusive eigener Beiträge wird da eine Ahnung haben.) Und was sagt Hubert Aiwanger heute so zu Israel, zum Holocaust, zu Rechtsextremismus, zu rechter oder rechtsextremer Satire?
Die 'Einordnung' der SZ besteht allein darin, über ihre nur im Subtext mitgelieferte Interpretation eines wiederum winzigen Ausschnitts aus einer Aiwanger-Rede nahezulegen, der bayerische Wirtschaftsminister sei wohl schon immer sehr rechts, und zwar zumindest immer wieder über das (rechtlich oder moralisch) zulässige Maß hinaus.
Die fehlenden Quellennennungen sind nicht nur ein Problem für die Einschätzung der Richtigkeit, sondern in jedem Fall ein Qualitätsdefizit bei der Transparenz. Dies wird besonders deutlich bei der Frage, die doch am Anfang von allem stehen muss und von der SZ nicht einmal gestreift wird: Wie kam man auf das Thema? Wie hat die SZ es gefunden?
Wer hat welches Interesse daran, an genau der nun gewählten Darstellung? Das wäre auch rechtssicher unter Wahrung eines Informantenschutzes benennbar. Dass die Zeitung darüber schweigt, muss – wie so oft bei Verdachtsberichterstattung – besonders skeptisch machen.
Womit wir wieder bei der Maßstabsgerechtigkeit wären: Wird alles Gleiche gleich behandelt? Wird bei allen politischen Akteuren gleichermaßen kritisch auf die Jugendphase geschaut? Sind diejenigen, die der SZ unter dem Siegel der Anonymität Behauptungen geliefert haben, im Hinblick auf den an Aiwanger angelegten Maßstab "sauber"?
Antisemitismus-Affäre: Hubert Aiwanger am SZ-Pranger - Telepolis
Auch Jan Fleischhauer hat sich in seiner aktuellen Kolumne mit dem Fall beschäftigt.
Die Chefredaktion entscheidet dennoch, die Geschichte groß zu bringen, auf der Titelseite, mit einem Foto des Beschuldigten. Es liest sich so, als ob die Schuld feststehen würde. Wir wissen, wie die Sache weitergegangen ist. Hubert Aiwanger hat dementiert, er hatte auch gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ ausführlich dementiert, jedenfalls ausführlicher, als es dann Eingang in den Text fand. Dann outet sich der Bruder als Urheber der Schmierschrift. Es ist der größtmögliche Unfall für ein Presseorgan: Man bezichtigt einen Politiker einer Tat, die man dort zu Recht als „ungeheuerlich“ bezeichnet – und steht dann blank da, als der einen anderen als Täter benennt.
Am Dienstag dann die vollständige Selbstexkulpation der Chefredaktion: Auf die Urheberschaft komme es gar nicht mehr an. Der Rest sei schrecklich genug, um die sofortige Entlassung des Ministers erforderlich zu machen. „Auf die Urheberschaft kommt es nicht mehr an“: Auch so kann man den Journalismus in Deutschland zu Grabe tragen.
Man veröffentlicht den denkbar schlimmsten Vorwurf, den man einem Politiker machen kann. Als sich die entscheidende Anschuldigung als falsch beziehungsweise nicht beweisbar herausstellt, sagt man einfach: Aber alles andere stimmte ja. Wie soll man das nennen? „Kampagnenjournalismus“ ist als Wort zu schwach. Kampagnen gibt es im Journalismus viele, aber Kampagne bedeutet nicht, dass man mit unbewiesenen Vorwürfen um sich schmeißen darf.
Aber das war der „SZ“ zu klein. Sie wollte den bayerischen Wirtschaftsminister unbedingt erledigen. Deshalb wählte man für die Veröffentlichung einen Text, in dem zunächst seine Auftritte im Wahlkampf beschrieben wurden. Jeder Satz, den Hubert Aiwanger gesagt hat oder künftig sagen wird, soll ab jetzt vor dem Hintergrund des Flugblatts gelesen werden. Das war die Intention, deshalb war die Behauptung der Urheberschaft so wichtig.
Finde ich Hubert Aiwangers Erklärungen ungenügend? Ja, das finde ich. Ich halte sein Agieren für konfus und widersprüchlich. Kann man die Geschichte mit dem Bruder als Autor bezweifeln? Das kann man. Aber es ist nicht die Aufgabe des Beschuldigten, zu beweisen, dass die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen unzutreffend sind. Es ist die Aufgabe des Beschuldigers, zu belegen, dass das, was er behauptet, stimmt.
Die „Süddeutsche“ war nicht die einzige Redaktion, die im Besitz des Flugblatts war, das sollte nicht unerwähnt bleiben. Dem „Spiegel“ lag ebenfalls eine Kopie vor. Zufällig kenne ich den Redakteur, der dort mit der Recherche betraut war. Ohne zu indiskret zu sein, kann ich sagen, dass man ihm nicht aufs Pferd helfen muss, wenn es gegen rechts geht. Aber in diesem Fall riet er nach eingehender Prüfung von einer Veröffentlichung ab. Die Vorwürfe erfüllten nicht die Mindeststandards für eine Verdachtsberichterstattung, lautete sein Urteil.
Es spricht für die Chefredaktion des „Spiegel“, dem Urteil ihres Redakteurs vertraut zu haben. Ich kenne das Jagdfieber, das Redaktionen erfassen kann, zumal wenn man fürchten muss, von der Konkurrenz abgehängt zu werden. Hier einen kühlen Kopf zu bewahren, ist eine Eigenschaft, die einen Chefredakteur auszeichnet – und die den des „Spiegel“ von dem der „Süddeutschen“ unterscheidet.
Wer vorgeht wie die „Süddeutsche”, trägt den Journalismus zu Grabe - Focus
Ich hatte hier bereits kritisiert, dass woke Weltanschauungen zunehmend den Kunstbetrieb infiltrieren. Nun wird weißen Besuchern Samstags für vier Stunden der Eintritt in das Dortmunder Museum “Zeche Zollern” verwehrt. Das Haus begründet die Entscheidung folgendermaßen:
"Wir möchten Menschen, die von Rassismus betroffen sind, einen geschützten Raum geben, in den sie sich zurückziehen und offen austauschen können", erklärte eine LWL-Sprecherin die Schutzmaßnahme, "für BIPoC sind solche sicheren Räume im Alltag sowie in musealen Räumen nur selten gegeben."
Diese Stellungnahme zeigt ein zentrales Problem der aktuellen Rassismusdebatten auf: Sie basieren teilweise auf falschen Prämissen. Es wird suggeriert, dass “von Rassismus betroffene Menschen” in Deutschland grundsätzlich in Gefahr seien und “sichere Räume” benötigten. So wird das Zerrbild einer strukturell/systemisch rassistischen Gesellschaft gezeichnet, das lediglich Akteuren zugute kommt, die das Thema zum Geschäftsmodell gemacht haben. Zur Versachlichung dieser wichtigen Debatte trägt es nicht bei.
Die Behauptung von Ciani-Sophia Hoeder, es gebe keinen Rassismus gegen weiße Menschen, ist nachweislich unzutreffend. Nicht nur dieser Fall belegt das Gegenteil. Was die umstrittene Amadeu-Antonio-Stiftung unter Rassismus versteht, ist sogenannte “erweiterte Rassismusdefinition”, welche man als unwissenschaftlich verwerfen muss.
Das Engagement gegen Rassismus ist wichtig und es gibt viele Menschen, die sich diesem Thema seriös widmen. Ihnen sollte mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die Unterwanderung von Institutionen durch aktivistische Gruppierungen muss dagegen kritischer hinterfragt werden.
Dieser Text ist zudem ein gutes Beispiel dafür, wie Journalismus die Narrative von Lobbyisten übernimmt und kann als Negativbeispiel dienen.
Samstags kein Einlass für weiße Menschen – Museum sorgt für Debatte - T-Online
In Deutschland kommt kein Comedian qualitativ an Helge Schneider oder Harald Schmidt heran. Zudem sind beiden bizarre Zeitgeisterscheinungen und die Meinung von Kritikern egal. Deshalb werden sie immer wieder zum Ziel von Shitstorms, was sie ebensowenig interessiert. Nun wurde Ersterer auf dem Sommerfest der “Weltwoche” in heiterer Stimmung zusammen mit Hans-Georg Maaßen und Matthias Matussek fotografiert. Der Aufschrei ließ nicht lange auf sich warten. Zusätzlich wurde bekannt, dass vor Wiederholungen seiner alten Sendungen in Zukunft Warnhinweise eingeblendet werden. Schmidt hat sich in einem Interview mit der “Zeit” zu diesen und anderen Dingen geäußert. Mein Bedauern darüber, dass er keine eigene Sendung mehr hat, hat durch die Lektüre nicht nachgelassen.
Schmidt: Natürlich. Und ich stelle fest, dass mittlerweile ein Foto genügt, um die Gemeinde in Wallung zu bringen. Ich mit halb leerem Glas. Ich hätte nicht gedacht, dass ich diesen Status noch erreiche.
Schmidt: Ich war schon letztes Jahr eingeladen, da konnte ich aber nicht. Natürlich kann ich mir die Aufregung ausrechnen, die ich ernte, wenn ich da hingehe. Aber es ist mir egal. Letzten Endes bin ich Autor. Ich verwerte das, was ich erlebe, auf der Bühne. Ich gehe dorthin, wo ich Material erwarte.
ZEIT: In Hamburg konnte man Matthias Matussek mal bei einer Demo gegen die Flüchtlingspolitik auftreten sehen, wo er "Merkel muss weg" rief und davon sprach, dass Deutschland von Millionen muslimischen Bodybuildern geflutet werde.
Schmidt: Ich lasse mich ja nicht bei ungefähr 400 Gästen vorher briefen, was der und der vorher gemacht haben. Also, wenn Sie mit jedem nicht mehr gesehen werden wollen, der ein bisschen eine merkwürdige Entwicklung gemacht hat, dürfen Sie nicht mehr ins Fußballstadion gehen. Ich könnte Ihnen die Namen vieler anderer nennen, die auf dem Fest waren. Aber die herauszufinden, überlasse ich dem Rechercheverbund von NDR und Bäckerblume.
ZEIT: Was hat sich in der Politik in Ihren Augen am meisten verändert in den vergangenen Jahren?
Schmidt: Das Tempo hat sich unfassbar erhöht. Sie holen einmal falsch Luft und sind erledigt. Zum Beispiel Armin Laschet, den ich dafür bewundere, dass ihm das Lachen selbst bei einer Rede von Frank-Walter Steinmeier nicht vergeht. Meine Lieblingsgeschichte von Steinmeier ist die, wie er Sergej Lawrow tätschelt, als der noch enger Partner war. Das sind die Sachen, auf die ich achte. Ich habe mal den Satz gehört: Wir schauen auf den Rahmen, nicht aufs Bild. Genau das ist es.
ZEIT: Neuerdings zeigt der WDR alte Folgen Ihrer Show Schmidteinander – mit dem Hinweis, dass Passagen diskriminierend seien. Gibt es eine neue Verletzlichkeit, sodass man vor Ihnen warnen muss?
Schmidt: In den Redaktionen herrscht Angst. Das sagen mir Redakteure: "Wenn wir ein neues Format entwickeln, müssen wir immer überlegen, welche Shitstorms das auslöst. Und wie wir dann darauf reagieren." Als wir Schmidteinander gemacht haben, gab es keine Angst, da sagten Intendanten wie Friedrich Nowottny und später Fritz Pleitgen: Ich will jetzt mal vier Wochen keinen Ärger mit euch haben! Wir haben mal 30.000 Fliegen in der WDR-Kantine losgelassen, da musste die vier Tage geschlossen werden. So was ist heute nicht mehr möglich. Deswegen kann ich diesen Hinweis verstehen.
ZEIT: Können Sie die Kritik nachvollziehen, dass die Öffentlich-Rechtlichen zu links und grün seien?
Schmidt: Ja. Aber das kann man sich ja wegdenken. Ich höre nur die Meldung – und nicht, wenn der Moderator dann noch, nach einem Beitrag über ein Horrorflüchtlingslager, betroffen nickt und sagt: Schlimm. Meine Lieblingssprecherin ist Susanne Daubner: super Stimme, kein Zusatzkommentar, kein Zusatzblick, kein verschwörerisches Lächeln, einfach die Nachricht. Ich möchte die Meldung selber beurteilen.
ZEIT: Sie haben Leute verletzt mit diesen Witzen.
Schmidt: Deswegen macht man Satire. Der dümmste Satz ist: Er macht Satire, ohne zu verletzen.
Schmidt: Vollkommen lächerlich. Was soll sinnvoll sein? Wenn Sie was Sinnvolles machen wollen, müssen Sie als Arzt oder Bauingenieur in die Sahelzone, sich um Wasserversorgung und Krankenhäuser kümmern. Alles andere ist Katrin Göring-Eckardt. Man fliegt fürs Frühstücksfernsehen zu Flüchtlingen auf eine Insel nach Griechenland, zwei Tränchen, und ist abends wieder zu Hause. Folklore. Geschwafel. Geschwätz. Dann lieber Carola Rackete, die Kapitänin ist und ein Schiff fahren kann und Flüchtlinge aus dem Wasser rausholt. Haltung zeigen kostet gar nichts. Null.
"Haltung zeigen kostet gar nichts. Null" - Zeit
Die Staatsanwaltschaft Berlin hat die Ermittlungen gegen den Rammstein-Sänger Till Lindemann eingestellt. Manche Stellungnahmen dazu sind wirklich gruselig. Man kann nur hoffen, dass die sie Abgebenden niemals in verantwortliche Positionen gelangen. Diese Rechtsstaatsverachtung ist atemberaubend. Dr. Max Kolter hat bei “Legal Tribune Online” ausführlich über den Vorgang geschrieben.
Die Staatsanwaltschaft (StA) Berlin hat das Ermittlungsverfahren gegen Till Lindemann nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt, wie die Behörde am Dienstag mitteilte. Gegenstand der strafrechtlichen Ermittlungen war, ob der Rammstein-Sänger Sexualdelikte begangen oder gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen hat. Nach Auswertung der Beweismittel kam die StA zu dem Schluss, dass kein hinreichender Tatverdacht vorliegt, also eine Verurteilung durch ein Strafgericht nicht überwiegend wahrscheinlich wäre.
Als Beweismittel standen den Ermittlern laut Mitteilung der StA zum einen die "Presseberichterstattung, die sich auf anonyme Hinweisgeber bezieht", zur Verfügung. Auch habe die StA selbst Zeuginnen ergänzend vernommen. Das alles habe "keine Anhaltspunkte dafür erbracht, dass der Beschuldigte gegen deren Willen sexuelle Handlungen an Frauen vorgenommen, diesen willensbeeinflussende oder -ausschaltende Substanzen verabreicht oder gegenüber minderjährigen Sexualpartnerinnen ein Machtgefälle ausgenutzt hat, um diese zum Geschlechtsverkehr zu bewegen".
Auf beide Fälle geht die StA Berlin in ihrer Pressemitteilung vom Dienstag ein: Shyx habe man selbst als Zeugin vernommen. Ihre Schilderungen seien aber "zu unkonkret geblieben" – "zumal die Zeugin jedenfalls kein eigenes Erleben strafrechtlich relevanter Vorfälle schildern konnte". Die wegen des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (vgl. § 250 S. 2 StPO) gebotene Vernehmung der selbst betroffenen Frauen sei nicht gelungen, teilte die StA mit. Die Frauen seien "nicht hinreichend identifizierbar benannt" worden, auch die Polizei habe sie nicht ausfindig machen können.
Shelby Lynn hat die StA Berlin laut eigenen Angaben nicht persönlich vernommen. Insofern zogen die Ermittler aber Unterlagen der litauischen Strafverfolgungsbehörden bei. Diese hatten Lynn vernommen, aber die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Lindemann wegen der Vorfälle beim Konzert in Vilnius abgelehnt. Nach Auswertung der litauischen Ermittlungsakten habe die StA Berlin auch in Bezug auf Lynn "keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte für Sexualstraftaten" durch Lindemann finden können. "Die Herkunft eines Hämatoms allein lässt jedenfalls weder einen Rückschluss auf eine solche Tat noch auf einen bestimmten Beschuldigten zu."
Der für mich entscheidende Absatz im Artikel ist der Fogende:
"Mutmaßliche Geschädigte haben sich bislang nicht an die Strafverfolgungsbehörden gewandt, sondern ausschließlich – auch nach Bekanntwerden des Ermittlungsverfahrens – an Journalisten, die sich ihrerseits auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen haben."
Ohne jemanden der Lüge zu bezichtigen, halte ich es für höchst merkwürdig, sich als mutmaßliches Opfer an Medien, aber nicht an Strafverfolgungsbehörden zu wenden. Das zieht sich durch den gesamten Fall: Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wurden durch die Anzeigen unbeteiligter Dritter in Gang gesetzt. Wer kein Problem damit hat, schwerwiegende Vorwürfe in den Medien zu äußern, aber offensichtlich nicht an regulären Ermittlungen interessiert ist, tut seiner Glaubwürdigkeit keinen Gefallen.
Warum die Staatsanwaltschaft nicht länger gegen Lindemann ermittelt - Legal Tribune Online
Fatina Keilani hat einen lesenswerten Artikel über das Unwesen der Meldestellen geschrieben.
Problematisch erscheint nicht so sehr, was gemeldet wird, sondern dass es diese Portale überhaupt gibt. Denn die gemeldeten Vorfälle bewegen sich unterhalb der Strafbarkeitsgrenze und sind damit ganz überwiegend vom Recht auf Meinungsfreiheit erfasst.
Auf der Website steht auch, was gemeldet wird: «In die Dokumentation der Berliner Register fliessen Vorfälle ein, die Bürger im Alltag beobachten oder selbst erleben. Bei den Vorfällen handelt es sich um Aktivitäten der extremen Rechten, um rassistische Vorfälle im Alltag und Diskriminierung an verschiedenen Orten. Im Gegensatz zur Kriminalitätsstatistik der Polizei beziehen die Register auch Vorfälle in die Dokumentation ein, die keine Straftaten sind oder die nicht angezeigt wurden.» Letztlich bedeutet das: Bürger denunzieren Bürger.
Um Strafbarkeit geht es dem Register auch nicht. «Es geht eher darum, ein gesellschaftliches Klima zu beschreiben, denn aus Meinung wird irgendwann Verhalten», sagt die Mitarbeiterin.
Es geht also darum, eine zivilgesellschaftliche Grauzone des Verdachts und der Prä-Strafbarkeit zu schaffen. Dass man den Rechtsstaat dabei untergräbt, scheint egal. Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Unterhalb der Strafbarkeit sind unwillkommene Äusserungen anderer Menschen womöglich lästig, aber erlaubt. Oberhalb ist die zuständige Meldestelle die Polizei.
An der Zahl der «Vorfälle» wird durchaus getrickst. Das gibt die Verwaltung offen zu. In einem Brief aus der Berliner Sozialverwaltung, der der NZZ vorliegt, bestätigt der zuständige Sachbearbeiter, dass er es völlig in Ordnung findet, wenn derselbe «transfeindliche» Aufkleber, der von fünf Personen gemeldet wird, als fünf transfeindliche Vorfälle gezählt wird.
Die Zahl der Meldungen hänge vom «Grad der Sensibilisierung» ab, heisst es auf der Website des Berliner Registers. Das erscheint schlüssig. Je höher die Sensibilisierung, desto mehr Vorfälle und desto grösser natürlich der Bedarf für mehr Meldestellen. Diese werden dann «dokumentieren», wie diskriminierend und ausgrenzend die Gesellschaft ist, und dementsprechend braucht es mehr Beauftragte, um dies zu bekämpfen. Das alles greift nahtlos ineinander mit den Bestrebungen der Antidiskriminierungsbeauftragten des Bundes, Ferda Ataman, die für ein Verbandsklagerecht diskriminierter Gruppen eintritt. So könnten Vereine die Rechte der von ihnen Vertretenen vor Gericht durchsetzen.
Das Demokratiefördergesetz ist nicht die einzige Regelung, die zur Denunziation einlädt. Bereits in Kraft getreten ist das Hinweisgeberschutzgesetz, das es Whistleblowern ermöglichen soll, auf Missstände in der Arbeitswelt aufmerksam zu machen, ohne dafür Nachteile befürchten zu müssen. Nur dass Deutschland bei der Umsetzung einer entsprechenden EU-Richtlinie über das Ziel hinausgeschossen ist und ein Monstrum erschaffen hat, das zur Denunziation einlädt. Über 100 000 Meldestellen bei Arbeitgebern werden derzeit dafür aufgebaut.
Zum Ende der Rubrik wieder Sehenswertes. Ein Vortrag von Prof. Dr. Norbert Frei über Hitlers Eliten nach 1945.
Kaum jemand behauptet heute noch, 1945 habe es in Deutschland eine „Stunde Null" gegeben. Tatsächlich konnten – im Gegensatz zu den politischen Spitzen des „Dritten Reiches" – fast alle Unternehmer, Juristen, Journalisten, Militärs und Wissenschaftler, die dem NS-Regime in wichtigen Positionen gedient hatten, ihre Karrieren nach dem Ende der Entnazifizierung fortsetzen. Für mehr als zwei Jahrzehnte prägten folglich überwiegend ‚Männer mit Vergangenheit' Politik und Gesellschaft der jungen Bundesrepublik. Was bedeutete diese weitgehende personelle Kontinuität der Funktionseliten für die Demokratie? Wie sahen die politischen und moralischen Folgen aus? Und wie gehen wir heute mit dieser Nachgeschichte des Nationalsozialismus um? Die Geschichte der Funktionseliten in den Gründerjahren der Bundesrepublik ist ein spannendes Lehrstück politischen Verhaltens zwischen Strafe und (Re-)Integration, Kontrolle und Unterwanderung, Reform und Restauration.
Kultur
Coverversion der Woche: The Specials - A Message To You Rudy
Heute im Jahr 2015 starb der Posaunist Rico Rodriguez. Von daher ging es schnell mit der Auswahl. Interessant ist, dass Rodriguez sowohl in der Originalversion als auch in der Coverversion zu hören ist.
„A Message to You Rudy“ ist ein Song von Dandy Livingstone aus dem Jahr 1967. Ursprünglich mit dem Titel „Rudy a Message to You“, erlangte das Lied später größeren Erfolg, als 1979 die Coverversion der Specials Platz 10 der britischen Single-Charts erreichte. Livingstone hatte die Idee zu dem Song innerhalb von etwa 10 Minuten und nahm ihn einige Tage später innerhalb von 20 Minuten im Maximum Sounds Studio in der Old Kent Road mit dem Toningenieur Vic Keary auf. Während der Aufnahme des Liedes entschied sich Livingstone für eine Posaune im Lied und so beauftragte er eine Woche nach der Aufnahme den Posaunisten Rico Rodriguez, die Intro-Melodie zu spielen. Gleichzeitig ließ er einen Tenorsaxophonisten namens Pepsi das gleiche Intro-Riff spielen.
Das Stück war kommerziell recht erfolgreich und verkaufte 30.000 Einheiten. Außerdem erreichte es im August 1967 Platz 9 der Top-R&B-Single-Charts vom Record Mirror, wo es als „Rudie Take a Message“ aufgeführt wurde. Livingstone bemerkte, dass es 1969 drei Coverversionen von „Rudy a Message to You“ gab, die erste stammte von The Locomotive. Er erfuhr von der Coverversion der Specials erst, als er ihren Auftritt bei Top of the Pops sah.
Er fand heraus, dass Carlin Music Rechteinhaber war und bereits nach ihm gesucht worden war. Er wurde auch von Eddy Grant kontaktiert, der die Rechte erwerben wollte. Livingstone lehnte das Angebot jedoch ab und unterschrieb bei Carlin. Nach dem Erfolg der Version der Specials wurde Livingstones Version im Dezember 1979 auf Trojan Records erneut veröffentlicht, wobei der Song von Clem Bushay neu gemischt wurde.
Epilog
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Jede Coverversion der Woche bestärkt mich in dem Glauben, dass Du eigentlich in meinem Plattenschrank wohnst. Ich geh mal nachgucken...