Prolog
Bundespräsident Steinmeier hat beim Festakt zur Geburtsstunde des Grundgesetzes eine vielbeachtete Rede gehalten, die bereits in anderen Publikationen umfassend thematisiert wurde. Was mir besonders auffiel, war das fehlende Betonen der historischen Bedeutung sowie des Werts von Grundrechten. Diese scheinen mir in den letzten Jahren in der öffentlichen Wahrnehmung immer mehr an Bedeutung zu verlieren. Sie werden zunehmend in einem kollektivistischen Sinn, gern auch unter dem Schlagwort “Gemeinwohl” verzerrt.
Umso wichtiger wäre gewesen, besonders auf sie hinzuweisen. Ich würde mir mehr Vertrauen in das Grundgesetz wünschen und gern häufiger etwas über dessen Stärken und die beachtliche Wirkungsgeschichte der Verfassung hören. Stattdessen überwog in der Rede, passend zum Zeitgeist, der Freiheit immer mehr zum Schimpfwort umdefiniert, das Warnen vor dem “Missbrauch von Freiheitsrechten” und die Sorge um den Bestand der Demokratie. Letztere ist sicher nicht unbegründet. Sie wäre allerdings glaubhafter artikuliert gewesen, wenn nicht nur (zurecht) auf Gefahren für die Demokratie Bezug genommen worden wäre, die rechts der Mitte lauern. Alle Zahlen und Informationen belegen, dass die Verfassung von vielen Seiten angegriffen wird. Diesen Umtrieben gilt es grundsätzlich entgegenzutreten. Das ist die Lehre aus der Geschichte.
Nun aber los. Heute geht es unter anderem um Förderung, Freiheit und Rhetorik.
Politik und Gesellschaft
Die Bundeszentrale für politische Bildung ist mir seit meiner Schulzeit durch ihre Heftchen bekannt, die Lehrer im Unterricht einsetzten. In den letzten Jahren hat sie meiner Wahrnehmung nach allerdings einen Wandel durchgemacht und fiel mir regelmäßig durch unterschiedliche Dinge eher negativ auf. Deshalb halte ich es für positiv, wenn mit öffentlichen Geldern geförderte Stellen regelmäßig auf den Prüfstand gestellt werden. Nun wurde gemeldet, dass die Förderung für die BPB von 96 Millionen auf 76 Millionen Euro gesenkt werden soll. Das löste große Empörung in den sozialen Medien aus. Es wurde der Eindruck erweckt, allein diese Institution sichere den Bestand der Demokratie. Dazu las ich die berechtigte Frage, ob überhaupt Empirisches darüber bekannt sei, wen die Einrichtung mit welchem Effekt erreiche. Antworten gab es keine, was mich nicht überrascht.
Die Bundesregierung will die Mittel für die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) massiv streichen. Das steht nach SPIEGEL-Informationen im Haushaltsentwurf aus dem Bundesinnenministerium von Nancy Faeser (SPD). Demnach soll der Etat der bpb um 20 Millionen Euro schrumpfen – von jetzt rund 96 Millionen auf etwa 76 Millionen Euro im Jahr 2024. Das wäre eine Kürzung um etwa ein Fünftel.
20 Millionen Euro weniger – Ampel will bei Bundeszentrale für politische Bildung sparen - Spiegel
Eingangs hatte ich bereits die zahlreichen Versuche der Umdefinition des Freiheitsbegriffs thematisiert. Einen weiteren stellt das Buch “Bleibefreiheit” Eva von Redeckers dar. Der kluge Ijoma Mangold hat dazu die richtigen Worte gefunden.
[…]l, deswegen holt Redecker jetzt mit ihrem neuen Buch zu einer großen Abrechnung mit "der liberalen Tradition" aus. In dieser wurden die Freiheitsrechte als Abwehrrechte gegen den Staat erkämpft und als "negative Freiheit" gefasst: als Abwesenheit von Zwang. Mit einem solchen Freiheitsbegriff, der die anderen nur auf Abstand halte, sei aber, so Redecker, im Angesicht apokalyptischer Krisen kein Staat mehr zu machen. Denn wenn wir Freiheit nur als freie Fahrt für freie Bürger begreifen, dann fahren wir mit Tempo 200 gegen die Wand.
Natürlich ist das ein ziemlicher Pappkamerad, was Redecker da als "liberale Tradition" beschreibt, aber ihr Buch trifft den Nerv der Zeit, denn es spricht dem progressiv-ökologischen Lager aus dem Herzen. "Preaching to the choir", zu den Bekehrten predigen – das ist die Redehaltung dieses gefeierten Buchs, das die Verfasserin als Meisterin des Chiaroscuro, des Schwarz-Weiß-Malens, ausweist.
In den vergangenen Jahren ist ein Kulturkampf um den Freiheitsbegriff entbrannt. Er schien die Seite gewechselt zu haben, war plötzlich nicht mehr links, sondern rechts. Während sich die 68er einst als antiautoritär verstanden hatten, neigt das progressive Milieu heute zu Konformismus und achtet peinlich darauf, dass alle dieselbe Sprache sprechen. Gleichzeitig lässt sich auf der rechten Seite, die früher für Law and Order stand, vom Aluhut über den "Querdenker" bis zum Schwurbler eine zunehmend gereizte Staatsfeindschaft beobachten. Im Lockdown der Pandemie kamen die "Maßnahmenkritiker", die vor Einschränkungen der Bürgerrechte warnten, nicht gerade aus dem regierungsfrommen Fortschrittsmilieu.
Wenn Demonstranten sich an Bäume fesseln, damit der Wald bleibt, dann ist das für Eva von Redecker ebenso ein Fall von Bleibefreiheit wie die Entschlossenheit der "Letzten Generation", das Bleiben buchstäblich zu verkörpern, indem man sich an den Asphalt klebt. Ihnen gegenüber stehen in diesem entschlossen klassenkämpferischen Buch die "Reichen und Phantombesitzer". Das Wort "Phantombesitz" liebt Redecker ganz besonders, denn es drückt aus, in welcher Illusion all die leben, die ihre Freiheitsvorstellung auf Besitzindividualismus gründen – sie wollen nicht einsehen, dass alles auf Sand gebaut ist, wenn erst einmal die Wasser steigen. Wofür Redecker ihrerseits blind ist: dass auch der Schutz des Eigentums eine Zeit-Dimension hat – wer spart, sorgt angesichts der Ungewissheit der Zukunft eigenverantwortlich vor. Vermutlich wäre indes schon der Ausdruck "Eigenverantwortung" für Redeckers Geschmack zu gemeinschaftsfeindlich.
Der Klimawandel bietet jetzt eine zweite Chance für ultimative Kapitalismuskritik. Wenn nämlich der Ressourcenverbrauch eine spezifische Eigenschaft der Wachstumslogik des Kapitalismus darstellt, dann erreichen wir das 1,5-Grad-Ziel nur, indem wir den Kapitalismus abschaffen. Dass die sozialistischen Staaten eine noch viel üblere Umweltbilanz vorwiesen, verfängt da nicht, denn der "undemokratische Staatssozialismus" – den wünscht sich auch Redecker nicht zurück. Aber was dann? Die Produktionsmittel sollen irgendwie nicht verstaatlicht, sondern vergemeinschaftet werden – das klingt weniger rabiat, weniger bürokratisch, weniger nach Enteignung und Zentralkomitee, dafür mehr nach Allmende, jener Gemeindewiese, auf der alle ihr Vieh grasen lassen dürfen. Vom Politkommissar indes, der am Ende immer entscheidet, wer Omas Häuschen behalten darf und wer seine Villa abgeben muss, ist in diesem Diskurs naturgemäß nie die Rede – das widerspräche dem sanften Gemeinschaftsgefühl der Allmende.
Die Phantombesitzer glaubten, erklärte Eva von Redecker in Tilo Jungs Podcast Jung und naiv, sie brauchten Jachten, um glücklich zu sein, dabei sei das Leben mit einem Segelschiff viel erfüllender. Das ist putzig, weil man hier sieht, wie geschickt Redecker die Grenze zwischen den reichen Phantombesitzern von Luxusjachten und Privatjets auf der einen Seite und den verantwortungsbewussten, postmateriellen Glückssuchern mit Segelbooten auf der anderen Seite zieht: immer knapp über dem Vermögensstand ihrer Leser. So bleibt die moralische Fremdverurteilung bis in die obere Mittelschicht mehrheitsfähig.
Und dann heißt es: "Der Überflusswunsch ist kein separates Problem. Er ist die mehr oder weniger verzweifelte Reaktion auf eine Knappheit, die die Freiheit selbst herstellt, solange sie ans Eigentum gekoppelt ist." Man muss sich diesen Satz in seiner Unschuld heischenden Wattigkeit auf der Zunge zergehen lassen. In Wahrheit meint er: Die Opfer der Konsumkultur könnten gar nicht anders, denn sie reagierten ja nur angstvoll auf eine Knappheit, die überhaupt erst durch die kapitalistische Ordnung hergestellt worden sei, weil diese die ursprüngliche Fülle (der Erde) in individuelles Eigentum aufgeteilt habe, von dem die einen mehr, die anderen weniger besäßen. Sprich: Ohne Privateigentum keine Mangel-Panik.
Totalitäres Biedermeier - Zeit
Die Kieler Ortsgruppe der sogenannten “Omas gegen Rechts” hat Wolfgang Kubicki unter anderem wegen seiner Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk einen offenen Brief geschrieben. In diesem stellt sie ihn als Populisten und eine Gefahr für die Demokratie dar. Abgesehen davon, dass es absurd ist, einen überzeugten Demokraten und einen der letzten echten Liberalen in der ersten Reihe der FDP in dieser Weise anzugreifen: Er hat es sich nicht nehmen lassen, diesen offenen Brief so zu beantworten, wie er es verdient hat. Junge Menschen würden sagen, er habe die Omas gegen Rechts “zerstört”. Deren Antwort war dann auch eher eine Kapitulationserklärung. Dass die Gruppe Kubickis Brief auf ihrer Website veröffentlicht hat, habe ich positiv überrascht zur Kenntnis genommen. Auch das ist Diskussionskultur.
Sehr geehrte Omas gegen rechts,
vielen Dank für die Zusendung Ihres offenen Briefes. Normalerweise antworte ich nicht auf Schreiben, bei denen ich davon ausgehen muss, dass meine Antwort die Empfänger intellektuell überfordert. In Ihrem Falle mache ich aber aus regionaler Verbundenheit eine Ausnahme.
In einem geordneten und gesitteten demokratischen Diskurs – den Sie vermutlich auch meinen pflegen zu wollen – wäre es zunächst einmal sinnvoll, die Fakten zu benennen und Unterstellungen und Unwahrheiten als solche zu definieren. Ich halte nichts von dem antiaufklärerischen Konzept der „alternativen Fakten“.
Und in diesem Zusammenhang wäre es vielleicht etwas sinnvoller gewesen, Sie hätten sich vorher einmal mit meinen politischen Positionen vertraut gemacht, bevor Sie ein solches Schreiben aufsetzen. Dies hätte geholfen, es inhaltlich immerhin auf ein akzeptables unterdurchschnittliches Niveau zu heben.
Selbstverständlich kann man angesichts der genannten kritischen Stimmen weiterhin unbeirrt behaupten, Kritik am ÖRR sei „rechts“. Das kann man intellektuell allerdings nur aushalten, wenn man a) die Wirklichkeit nur noch in homöopathischen Dosen wahrnimmt oder b) alles, was nicht der eigenen Haltung entspricht, als „rechts“ zu deklarieren.
Wenn Sie der Auffassung sind, Sie würden dem demokratischen Diskurs dienen, indem Sie Ihre Anti-Haltung („gegen rechts“) als genügend ansehen, dann kann ich Ihnen nicht helfen. Wer sich nur noch über die Ablehnung von anderen definiert, hat keine eigene Haltung. Wenn es Ihnen wirklich um die Bewahrung unserer Demokratie ginge, müssten Sie vielmehr für einen offenen Diskurs, für Meinungsvielfalt, für das gegenseitige Verstehen, gegen pauschale Vorurteile, gegen Lügen und gegen bodenlose Unterstellungen streiten. Nach Ihrem Schreiben muss ich allerdings davon ausgehen, dass Sie hierzu nicht bereit oder in der Lage sind. Wer es nicht schafft, „rechts“ von „rechtsradikal“, „rechtsextrem“ und „Nazi“ zu unterscheiden, sollte sich besser nicht als Lordsiegelbewahrer der Demokratie aufschwingen.
Wolfgang Kubickis Antwort - Omas gegen Rechts Kiel
Kultur
Seinetwegen wurde ich 1990 im Restaurant von Harrods nicht bedient. Der Kellner war von meinem T-Shirt, auf dem sein Design des Covers von "God Save The Queen" abgebildet war, negativ angefasst. Dreizehn Jahre nach Erscheinen der Platte hat das in London tatsächlich noch provoziert. Ich war 15 Jahre alt und hellauf begeistert.
Das Album "Never Mind The Bollocks, Here's The Sex Pistols" lief bei mir damals auf Schleife und steht nicht nur wegen des von ihm geschaffenen Covers bis heute weit oben auf meiner persönlichen Bestenliste. Die Ästhetik der Punk-Ära hat er entscheidend mitgeprägt. Die "Nowhere Buses" seines "Pretty Vacant"-Covers hingen jahrelang gerahmt an meiner Wand.
Nun ist er mit 76 gestorben. Ruhe in Frieden, Jamie Reid.
Epilog
Wurde Ihnen diese Publikation weitergeleitet? Melden Sie sich für “Marcellus Maximus meint.” an, um den Newsletter in Zukunft bequem über Ihr Emailpostfach zu empfangen.
Wenn Ihnen diese Ausgabe gefallen hat, leiten Sie sie gern an Freunde und Bekannte weiter. Danke im Voraus! Natürlich freue ich mich auch über Ihre Kommentare.
Folgen Sie mir bei Interesse gern in den sozialen Medien. Bei Twitter können Sie zusätzlich die #FreeBlackTwitterGermany-Liste für schwarze Meinungsvielfalt im deutschsprachigen Raum abonnieren.
Na aber. Die nachhaltigste und umfassendste Umdeutung des Freiheitsbegriffs kam ja wohl von den Neoliberalen, nicht wahr 😉