Prolog
Ein Thema, das mich nach wie vor stark beschäftigt, ist der Zustand der Diskussionskultur. In den letzten Jahren hat er sich enorm verschlechtert und diese Entwicklung ist noch nicht zuende. Nicht nur in den sozialen Medien, in denen schon immer ein salopperer Jargon üblich war, ist es kaum noch möglich, sich über bestimmte Themen auszutauschen, ohne dass irgendjemand über die Stränge schlägt. Auch im persönlichen Umgang sind diese Mechanismen verstärkt zu beobachten. Unredliche rhetorische Mittel und ein Umgangston am Rande der Schicklichkeit schaden nicht nur dem gesellschaftlichen Frieden, sondern letztlich auch der Demokratie.
Dabei fällt auf, dass die Grundregeln einer seriösen Debatte häufig von denjenigen ignoriert werden, die sonst bei jeder Gelegenheit erklären, Sprache führe zu Gewalt und man müsse mehr Achtsamkeit walten lassen. Doppelmoral ist eine im Diskurs oft zu beobachtende Unart.
Nicht förderlich ist auch die Tatsache, dass rechtsstaatliche Standards von vielen nur akzeptiert werden, solange sie nicht mit den eigenen Ansichten kollidieren. Diese Ansichten beinhalten häufig die auf einem Irrtum basierende Erzählung, dass Angehörige bestimmter Gruppen pauschal Opfer und Angehörige anderer Gruppen grundsätzlich Täter seien. Dabei ist unerheblich, ob es sich um Geschlechterfragen, Rassismus oder andere Themen handelt: Einem friedlichen Miteinander ist dieses Narrativ nicht zuträglich.
Ebenso fällt auf, dass vermehrt Begriffe umdefiniert und als moralische Waffe verwendet werden, wohingegen andere Begriffe gezielt abgewertet werden. Ein Beispiel: Mit den Begriffen "Gemeinwohl" und "Solidarität" kann man so gut wie jede Freiheitseinschränkung rechtfertigen. Das ist den Akteuren, die strategisch mit ihnen hantieren, auch bewusst. Die gleichzeitige Entwicklung von "Freiheit" oder auch "Eigenverantwortung" zu Unworten ist nicht weniger strategisch motiviert. Schon Franz-Josef Strauß wusste, dass die Macht über die Sprache, die Macht über die Menschen zur Folge hat. Dieses Spiel sollte man nicht mitspielen.
Nun aber los. Heute geht es unter anderem um Meinungsvielfalt, Journalismus und Rechtsstaatlichkeit.
Politik und Gesellschaft
In der letzten Ausgabe berichtete ich über ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat von Karin Prien, das ihr Rassismusvorwürfe einbrachte. Viele Medien und Politiker griffen die Vorwürfe ungeprüft auf und drehten weiter an der Eskalationsschraube. Zurück bleibt eine beschädigte Prien. In zehn Jahren wird sich kaum noch jemand daran erinnern, wie es wirklich war. Die Rassismusvorwürfe werden dagegen noch gut im Gedächtnis sein. Das Portal “Übermedien” hat den Fall noch einmal genau untersucht.
Allerdings war es nicht die CDU-Bildungsministerin, welche Zweifel an der Unbefangenheit von Aminata Touré ins Feld geführt hat: Prien wurde, wie sich mittlerweile herausgestellt hat, von dem NDR-Info-Reporter aufs Glatteis geführt. Und ist ausgerutscht.
Das ließ sich im Hörfunk-Beitrag zumindest erahnen. Der Ton von Karin Priens Aussage deutete, wenn man aufmerksam hinhörte, darauf hin, dass die Politikerin nur auf eine entsprechende Interview-Frage reagierte und lediglich die darin aufgestellte These aufgriff.
Tatsächlich war es genau so. Der Reporter hatte die Frage gestellt: „Ist Aminata Touré zu sehr von ihrer eigenen Geschichte beeinflusst und sieht den Blick für die Realität nicht?“ Die Frage ist aber im Beitrag nicht zu hören.
Am Freitag hat der NDR – nach zwei Tagen öffentlicher Empörung – den Mitschnitt des gesamten Gesprächs im Netz veröffentlicht. „Aus Transparenzgründen“, wie der Sender schreibt, weil sie Prien „verkürzt zitiert sieht“.
Es stellt sich heraus: Nicht nur hat Prien bis zu diesem Zeitpunkt im Gespräch ihre Grüne Kabinettskollegin mit keiner Silbe erwähnt. Auch verwies sie in ihrer Antwort explizit auf ihren eigenen jüdischen Hintergrund. Aber auch dieser Teil wurde von NDR Info aus der Antwort herausgeschnitten.
Vom NDR kam bisher keine Entschuldigung; auch Kritiker wie die SPD-Politikerin Serpil Mydiatli haben sich bisher nicht korrigiert.
Wie der NDR Karin Prien eine Rassismus-Debatte einbrockte - Übermedien
Angesichts besorgniserregend hoher Umfragewerte der AfD überbieten sich die Parteien in gegenseitigen Vorwürfen, an diesen Schuld zu sein. Meine Analyse hat sich seit Jahren nicht verändert: Bestimmte Themen und die damit verbundenen Probleme werden nach wie vor nicht offen diskutiert. Davon profitieren die politischen Ränder. Aus dieser Situation käme man heraus, wenn sich daran etwas ändern würde und die Parteien ihre Profile schärften. Das ist keine Raketenwissenschaft, es passiert trotzdem seit Jahren nicht. Roland Koch hat in einem Gastbeitrag für die FAZ eine ähnliche Erklärung formuliert.
Wir beobachten in der gesellschaftlichen Wirklichkeit dieses Landes beachtliche Umbrüche. Deutschland ist das attraktivste Ziel für Migranten in Europa, wir leben im Westen und im Osten Deutschlands mit beachtlich unterschiedlichen politischen Einstellungen und Haltungen, zur Demokratie, zu den USA oder dem Krieg Russlands gegen die Ukraine. Nicht zuletzt wird seit Längerem Sprache als Instrument gesellschaftlicher Konflikte genutzt, womit Ausdrucksformen anerkannt und betrieben oder geschmäht werden. Ob das dann Wokeness, kulturelle Aneignung oder Diversity genannt wird, ist schon eine kaum wirklich verbreitete Differenzierung.
Alle diese Themen gehören in die Mitte der Gesellschaft, aber auch der Streit über diese Themen gehört dorthin. In den letzten Jahren haben besonders CDU/CSU und SPD durch ihr taktisches Schweigen viele der genannten Themen zu sachlichen oder zumindest emotionalen Tabuzonen werden lassen. Das können Parteien vereinbaren, aber Bürger müssen dem nicht folgen. Und sie tun es offenkundig nicht. Sie haben ein Recht auf ihre Gewohnheiten, ihre grundlegenden Ansichten und ihre eigene Definition ihres Veränderungswillens.
Wenn der Eindruck entsteht, das werde von Regierungen und Parteien nicht akzeptiert und es gebe eine „Sprachpolizei“, dann entsteht Resignation, aber auch Empörung und Protest. Zuerst drückt sich das zumeist in Wahlenthaltung aus, aber wenn dann auf einmal eine Partei anbietet, den ganzen Frust demokratisch legitim bei Wahlen zu bündeln, dann passiert das auch.
Wahlforscher, so mein Eindruck, erliegen in ihren Therapievorschlägen einem grundlegenden und gefährlichen Irrtum. Gerade in diesen Tagen wird wieder davor gewarnt, dass, wenn die Parteien der Mitte die Themen aufnehmen, die etwa auf der rechtsradikalen Seite gerade die AfD eskaliert, dann werde diese nur davon profitieren. Denn wenn das Thema legitim sei, wähle man das „Original“, das sei nun einmal die radikale Partei.
Wer auf diese Leimspur geht, akzeptiert, dass engagierter Protest gegen bestimmte Ausprägungen von Veränderung oder auch von Zukunftskonzepten schon deshalb rechtsradikal ist, weil das Thema von rechtsradikalen Parteien instrumentalisiert wird. Genau diese Konsequenz scheint mir auch die Absicht zu sein. „Framing“ nennt man das auf Neudeutsch.
Die Parteien der Mitte dürfen dem nicht nachgeben. Eine Mehrheit der Deutschen erwartet eine Reduzierung der Migration, man darf diese Unions- und SPD-Wähler nicht in die rechte Ecke prügeln. Über die Angemessenheit einer Gendersprache gibt es keinen Konsens und man darf sich über ihre Benutzung empören, die überwältigende Mehrheit lehnt sie ab und will sich nicht vorschreiben lassen, wie sich Sprache zu verändern hat.
Klare politische Fronten schaden der AfD - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Dazu passt auch die groteske Empörung über eine Demonstration gegen das neue Heizungsgesetz in Erding. Überall war zu lesen, es habe sich um eine Ansammlung von Wutbürgern und Extremisten gehandelt. Die mitwirkenden Politiker hätten sich mit ihrer Teilnahme disqualifiziert. Die bayerischen Grünen forderten die Entlassung von Hubert Aiwanger. Wer sich genauer informierte, konnte sich über diese Hysterie nur wundern. Nicht nur im Vorfeld, sondern auch während der Veranstaltung distanzierten sich Organisatoren und Mitwirkende klar von der AfD und sonstigen radikalen Kräften. Dass die Partei zum Besuch der Veranstaltung aufrief und dann auch entsprechendes Publikum anwesend war, dafür konnten die Organisatoren freilich nichts. Man kann ohne triftigen Grund niemandem verwehren, an einer öffentlichen Veranstaltung teilzunehmen. Trotzdem kursierten Fotos von Wirrköpfen in Warnwesten mit unappetitlichen Aufschriften. So wurde der Eindruck erweckt, die Mehrheit der Teilnehmer hätte aus Extremisten bestanden. Mir ist das egal, ich gehe grundsätzlich nicht auf solche Veranstaltungen und hätte die Örtlichkeit verlassen, wenn ich dieses Milieu wahrgenommen hätte. Aber auch diese Art der Berichterstattung trägt zum vergifteten Klima bei. Wenn jede Kritik an der Bundesregierung als “rechts” gerahmt wird, wird es noch spannend.
Offenkundig trauen sehr viele Menschen, die von der Politik der grün dominierten Bundesregierung entsetzt sind, Politikern der Unionsparteien nicht zu, diese ernsthaft aufhalten zu wollen. Und das spiegeln schließlich auch die Wahlumfragen wider. Die Union vermag längst nicht so sehr vom Unmut weiter Bevölkerungsteile zu profitieren, wie man es eigentlich für die größte Oppositionspartei und die einzige mit realistischer Machtperspektive erwarten sollte. Das gilt für die CDU auf Bundesebene noch deutlich mehr als für die CSU auf bayrischer. Man mag sich nicht vorstellen, wie Friedrich Merz in Erding empfangen worden wäre.
Erstens ist es ihre demokratische Pflicht als bürgerliche Parteien, diesem legitimen Unmut eine politische Repräsentanz zu bieten, wenn sie nicht wollen, dass sich der Unmut andere, radikalere Vehikel sucht. Zweitens ist es zumindest mittel- bis langfristig aber auch ihre einzige Überlebensperspektive, sich als politischer Gegner der Grünen und ihrer antibürgerlichen, wohlstandsvernichtenden Projekte zu zeigen, statt als potentieller Koalitionspartner und Erfüllungsgehilfe. Dauerhaft gewählt werden Parteien und Politiker nur, wenn sie glaubhaft machen können, dass ihnen sachpolitische Ziele (oder zumindest die Abwehr der Ziele der anderen) ein unbedingtes Anliegen ist – wichtiger als die reine Machtperspektive.
Die Wirkung der Populismusvorwürfe dürfte im Politikbetrieb selbst größer sein als unter Menschen außerhalb dieses Betriebs, die unter den Folgen politischer Entscheidungen unmittelbar leiden. Wenn nicht arm werden zu wollen, populistisch sein soll, dann zieht der Vorwurf eben nicht.
Erding kann die Republik bewegen - Cicero
Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Berlin gegen Till Lindemann. Das ist gut, denn dadurch werden die Vorwürfe genauer untersucht. Einem solchen Thema wird man nur mit Sachlichkeit, Fakten und Differenzierung gerecht. Auch in diesem Fall wird gern behauptet, wer das so sehe, würde Frauen nicht glauben. Das ist genauso gefährlicher Unsinn, wie die Aufforderung, man solle Frauen unhinterfragt glauben. Wer so argumentiert und skandalisiert, dass Vorwürfe untersucht werden, muss sich Fragen nach seinem Demokratieverständnis gefallen lassen. Die Unschuldsvermutung ist ein zentrales Element des Rechtsstaats. Wer sie aushebeln will, legt die Axt an diesen an. Ich habe zu dem Thema mal einen Artikel in der “Welt” geschrieben, aus dem ich mir erlaube, ganz uneitel zu zitieren:
Natürlich ist es schwer, Dinge zu beweisen, die sich zwischen zwei Personen in intimer Begegnung ereignet haben. Dass in einem Rechtsstaat Vorwürfe belegt werden müssen, ist aber kein Zeichen dafür, dass Frauen, die einen sexuellen Übergriff anzeigen, nicht geglaubt wird. Natürlich ist es jedem selbst überlassen, in welcher Form er vermeintlich Erlebtes kommuniziert. Wer allerdings (wie hier geschehen), anstatt bei der Polizei Anzeige zu erstatten, in den sozialen Medien öffentlich Anschuldigungen artikuliert, tut der eigenen Glaubwürdigkeit keinen Gefallen.
Das Problem der moralischen Schuld ist, dass Moral als subjektiver Begriff von jedem Menschen anders verstanden und definiert wird. Dieses Verständnis beziehungsweise diese Definition hängt wiederum von individuellen Überzeugungen und Ansichten ab. Deshalb sind Argumente auf der Basis von Moral grundsätzlich schwierig und immer unscharf.
Wer für die Unschuldsvermutung eintritt, dem wird schnell unterstellt, das Opfer der Lüge zu bezichtigen. Dabei wird übersehen, dass erst ein Gericht prüft, ob es überhaupt ein Opfer gibt. Über einen Anfangsverdacht entscheidet die Staatsanwaltschaft, über Schuld oder Unschuld ein Gericht. Die Mehrheit der Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe trifft zu. Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass die Vorwürfe der Wahrheit entsprechen, rechtfertigt allerdings nicht die Zerstörung von Existenzen ohne rechtsstaatliches Verfahren.
Das Ende der Unschuldsvermutung - Welt
Der Rechtsanwalt Dr. Yves Georg hat in zwei Artikeln, welche ich in Gänze zur Lektüre empfehle, nicht nur im allgemeinen mit der Thematik beschäftigt, sondern sich auch die aktuelle Titelgeschichte des Spiegel, in der Frauen von Begegnungen mit Till Lindemann berichten, vorgenommen und die Schilderungen juristisch eingeordnet. Das ist von daher interessant, weil es zeigt, dass die ganze Sache nicht so klar ist, wie sie oft dargestellt wird.
Einstweilen bleibt festzuhalten: Allein der Umstand, dass erwachsene Frauen in einer von ihnen als Drucksituation empfundenen Lage einem "Star" – institutionalisiert und sukzessive-systematisch (Raum 1, Raum 2, Raum 3...) – nähergebracht werden, dessen zuvor nicht offen kommunizierten sexuellen Avancen sie dann aus den unterschiedlichsten Gründen nicht ablehnen, obwohl sie es uneingeschränkt könnten, ist strafrechtlich von keinem der oben beschriebenen Tatbestände erfasst.
Solche womöglich problematischen Mechanismen, über die auch aus anderen Bereichen des Pop-, Rock- und Rap-Bereichs berichtet wird – sind von den unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Disziplinen zu untersuchen, strafrechtlich aber derzeit nicht relevant.
Anders könnte es hingegen mit den – von Lindemann bestrittenen Vorwürfen – aussehen, welche die Einvernehmlichkeit etwaiger sexueller Handlungen in Frage stellen.
Mediales Wirrwarr um sexualstrafrechtliche Begriffe - Legal Tribune Online
Erlaubt sei die Frage, ob nicht schon der ein oder andere der 13 (!) an dem Artikel beteiligten Spiegel-Journalisten diese Fragen hätte stellen, jedenfalls aber in dem Artikel aufgreifen sollen. Stellen wenigstens Verfahrensbeteiligte eines Strafprozesses solche Fragen, liegt das jedenfalls nicht daran, "dass den Frauen ohnehin nicht geglaubt wird", sondern es erfüllt die Mindestanforderungen rechtsstaatlicher Strafverfahren: Sind Schilderungen eines möglichen Opfers widersprüchlich und seine Verhaltensweisen normalpsychologisch schwer zu erklären, bedarf es einer intensivster Prüfung, um jemanden auf Grundlage einer durch sonst nichts belegten Aussage für Jahre einzusperren und aus der Gemeinschaft auszuschließen.
Hat sich Till Lindemann nach den Aussagen der Frauen strafbar gemacht? - Legal Tribune Online
Sollte sich herausstellen, dass Lindemann Frauen mit Drogen gefügig gemacht hat, muss er dafür hart bestraft werden. Bis dahin ist er als unschuldig anzusehen.
Auch Jan Fleischhauer hat sich in einer Kolumne mit dem Thema beschäftigt und kommt zu einem ähnlichen Fazit.
Die Missbrauchsdebatte ist ein Spiegelkabinett, in dem man sich leicht verirrt. Schon bei MeToo war nie ganz klar, was genau einen MeToo-Fall konstituiert. Ist es eine Anmache, eine unerwünschte Berührung, oder bereits ein zu langer Blick, der als unangemessen empfunden wird? Einige Beobachter haben angemerkt, dass ein Problem entsteht, wenn man alles in einen Topf wirft: die versuchte Vergewaltigung und den blöden Spruch. Aber genau das Diffuse verschaffte der Bewegung ihre Breitenwirkung. Wo sich jede als Opfer fühlen kann, ist auch jede betroffen.
Damit geht ein radikaler Perspektivwechsel einher. Der moderne Rechtsstaat fußt auf der Annahme, dass sich in einem mühsamen Prozess der Wahrheitsfindung etablieren lasse, was tatsächlich vorgefallen ist. Deshalb die sorgfältige Kodierung der Verfahrensschritte und Straftatbestände. Da ist das MeToo-Strafrecht deutlich weiter: Wo immer sich eine Frau unwohl fühlt, weil der Mächtigere seiner Verantwortung nicht gerecht geworden ist, liegt im Zweifel ein Missbrauch vor.
Die Rammstein-Mitglieder haben in einer Mitteilung darauf hingewiesen, dass die Sachlage ungeklärt ist und sie ein Recht darauf hätten, nicht vorverurteilt zu werden. Das ist formal richtig, aber im Grunde nebensächlich. Die Tatsachenerhebung ist wie die Unschuldsvermutung ein Relikt aus einer Zeit, als man noch dem Rechtsstaat vertraute. Wenn allein das Gefühl zählt, braucht es keine Tatsachenerhebung mehr. Wenn eine Frau sagt, sie habe sich aber missbraucht gefühlt, ist der Fall abgeschlossen. Nichts anderes meint der Satz: Believe the Women, glaube den Frauen.
Rammstein-Berichterstattung: Weshalb die Unschuldsvermutung ausgedient hat - Focus
Zum Ende der Rubrik wieder Sehenswertes.
Die Journalistin Michèle Binswanger unterhält sich mit dem Chefredakteur des “Schweizer Monat” über Aktivismus im Journalismus und ihr neues Buch.
Studio Libero #74: Michèle Binswanger, Journalistin und Autorin, spricht über ihr Buch «Die Zuger Landammann-Affäre» und über die zunehmende Homogenisierung im Journalismus.
Zum gestrigen Todestag von Ralf Dahrendorf habe ich mir nach Jahren mal wieder sein beeindruckendes Gespräch an der University of California vom 03.04.1989 angesehen. Ein großer Mann.
Sir Ralf Dahrendorf, sociologist, former EU Commissioner and former Warden of St Antony's College at Oxford talks with UC Berkeley's Harry Kreisler about his formative experiences and the ideas that have shaped in career in the academy and in public service.
Hubertus Knabe hat mit “Cicero” über Erinnerungskultur, besonders bezogen auf den 17. Juni, gesprochen.
Der Historiker und Publizist Hubertus Knabe fordert eine Wiedereinführung des 17. Juni als Feiertag. In diesem Jahr jährt sich der Volksaufstand in der DDR zum 70. Mal. „Meine große Sorge ist, dass nach diesem Jahrestag die Erinnerung endgültig erlischt“, sagt Knabe im Cicero-Podcast Politik. Deswegen müsse man das Gedenken aktiv gestalten.
Ein wunderbares Beispiel für gute Diskussionskultur ist das Gespräch zwischen Gesine Schwan und Carsten Linnemann.
Zum 300. Geburtstag von Adam Smith diskutieren Karen Horn und Stefan Kolev zum Thema “Moral und Eigennutz –Adam Smith heute”.
Vor 300 Jahren, im Juni 1723, kam Adam Smith im schottischen Hafenstädtchen Kirkcaldy auf die Welt. Aus dem Sohn eines Anwalts und Zollkommissars wurde ein großer Gelehrter der Schottischen Aufklärung. Internationalen Ruhm erlangte er vor allem mit seinen moralphilosophischen und ökonomischen Schriften. Neben der 1759 erstmals erschienenen „Theory of Moral Sentiments“ ist es seine 1776 erstmals veröffentlichte „Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations“, mit der die Volkswirtschaftslehre begann, sich als eigenständige akademische Disziplin zu etablieren. Vor allem der „Wealth of Nations“ entfaltete große Wirkung nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Politik. Das Buch selbst enthält nicht nur eine umfassende systematische ökonomische Theorie, es auch ein eminent politisches Werk: ein Angriff auf gemeinwohlschädliche Partikularinteressen und auf überkommene Institutionen, die es gerade den Armen und Schwachen erschweren oder verunmöglichen, ihr Los zu bessern. Dennoch hat sich in der Rezeptionsgeschichte Smiths das Narrativ festgesetzt, er sei ein Kapitalist avant la lettre, Verfechter des Minimalstaats, Priester des freien Markts und Apologet des individuellen Eigennutzes ohne Berücksichtigung von Gesellschaft, Geschichte und Moral. Man unterstellt ihm einen blinden Glauben an eine natürliche Harmonie, an das Wirken einer „unsichtbaren Hand“ – nach einer Metapher, die er selbst nur ganz nebenbei gebrauchte. Was ist dran an dem Vorwurf, sein „Wealth of Nations“ ignoriere die Sphäre der Moral und huldige dem Eigennutz? Ist Smith der Liberale, für den man ihn gemeinhin hält und was ist sein Freiheitsverständnis? Welche Aufgaben sieht er für den Staat und was können wir heute noch von ihm lernen?
Kultur
Der Maler Neo Rauch hat der NZZ ein beeindruckendes Interview gegeben. Er gehört zu den wenigen Personen im Kulturbetrieb, die den Zeitgeist kritisch hinterfragen. Etwas, das früher unter Künstlern und Kulturschaffenden selbstverständlich war.
Es gibt Ausstellungen, da komme ich rein und werde von einem Bild dermassen angezogen, dass ich sagen muss: «Herzlich willkommen auf dieser Welt, wir alle haben auf dich gewartet.» Und dann gibt es Ausstellungen, die bestehen aus Elaboraten, deren einziger Entstehungsgrund das eitle Bedürfnis des Urhebers ist, so viele Galeriewände wie möglich zu füllen – oder Rechtsanwaltskanzleiwände meinetwegen. Ich versuche jedem Bild eine Daseinsberechtigung einzuwirken, die sich aus seiner Unbedingtheit herleitet, aus seiner Sonderbarkeit und aus seiner Eigentümlichkeit.
Die Mehrzahl Ihrer Berufskollegen würde sich wohl eher als progressiv bezeichnen.
Klar. Aber wohin geht der Progress? Es gibt immer wieder Kollegen, die glauben, ganz genau zu wissen, wo vorn ist. Ich weiss das nicht, aber ich bin gelassen. Mein Instrumentarium hat Anzeichen einer Routine, die für eine eigene künstlerische Handschrift unabdingbar ist. Es gibt bei mir eine Homogenität des malerischen Vortrages. Ich kann diesen aufbrechen, indem ich dem Bild etwas Schrilles hinzugebe. Gelegentlich habe ich mir solche Eskapaden auch gestattet. Aber ich vermeide es immer mehr. Wenn sich bei meinen Kollegen wieder einmal progressive Impulse Bahn brechen, sage ich mir: Ja, ja, macht nur. Irgendwann komme ich an euch vorbei und sehe euch im Strassengraben liegen, weil ihr alle überholen wolltet. Und dann seid ihr ganz woanders.
Politische Kunst, sagen Sie, sei für Sie erledigt. Dem Zeitgeschehen versuchen Sie sich malend zu entziehen. Gleichzeitig malen Sie immer wieder Bilder mit politischen Bezügen. Auf dem Bild «Der Hörer» etwa findet eine Megafon-Verbrennung statt. Die Szene liest sich wie ein Kommentar gegen Aktivismus.
Ich halte mein Sensorium so offen, dass auch das allzu Grobkörnige auf meinen Leinwänden seinen Niederschlag finden kann. Ich peile nichts direkt an, aber mitunter gibt es Passagen, die zeigen, dass dem Kollegen Rauch etwas über die Hutschnur ging. Ich lasse das dann meistens nicht gelten. Aber im Falle dieses Bildes habe ich beschlossen, dass es sein darf. Ich weiss zwar nicht, ob diese Dinger überhaupt brennen können. Aber auf jeden Fall haben sie nichts anderes verdient, als von dieser Erde zu verschwinden. Wer zum Megafon greift, der hört nicht mehr zu. Darum sind Menschen mit Megafonen meine Feinde.
Sie sehen sich selbst als Romantiker. Gleichzeitig haben Sie im «Spiegel» einmal gesagt, langsam hätten Sie das Gefühl, Sie müssten ins Lager der Aufklärung wechseln.
Ja.
Sie seufzen.
Ja, denn das führt uns jetzt sehr auf das Feld des Politischen. Das möchte ich eigentlich gar nicht betreten. Ich bin natürlich ein bekennender Romantiker. Ich lasse gern Dinge in mir aufscheinen, von denen ich nicht weiss, woher sie kommen und wohin sie wollen. Ich sehe mich als Medium, als Filter, als Bündeler. Auf der anderen Seite möchte ich gern den Ordnungsruf in die Welt schicken: «Kommt zur Besinnung, hört auf mit euren irrationalen Aktivitäten!» Die pseudoreligiöse Anmutung vieler Protestbewegungen im Augenblick treibt mich sehr um. Das schreit nach einer aufklärerischen Einflussnahme. Aber das Lager der Aufklärer ist dünn geworden.
Und da können Sie mit Ihrer Kunst etwas beisteuern?
Nein. Das kann und will ich nicht und darf ich auch nicht. Das würde auch nur auf Agitation und Propaganda hinauslaufen, und das würde das Ende des künstlerischen Potenzials bedeuten. Wer sich bemüssigt fühlt, in die Komplikationen und Kalamitäten unserer Zeit mit seiner Malerei einzugreifen, der verlässt den Thronsaal, in dem die Königin regiert, und begibt sich ins Souterrain, wo der Klomann seines Amtes waltet.
Ich bin ja damit aufgewachsen, das war ja ein feststehender Topos des sozialistischen Realismus: Der Schornstein muss rauchen. Aber für mich steht das Werk auch sinnbildhaft für das Werk als solches, an dem ich arbeite, für das grosse Werk im alchemistischen Sinne. Allerdings rauchen meine Schornsteine nicht mehr auf den Bildern.
Aus politischer Korrektheit?
Nein. Damit möge man mir nicht kommen.
Warum dann?
Ich weiss es gar nicht. Vielleicht kommt der Rauch ja wieder. Die Werke sind nicht mehr in Betrieb.
Darin spiegelt sich die Gegenwart Deutschlands.
Ja. Wir schaffen uns gerade als Industrienation ab. Wir nehmen uns vom Netz, verabschieden uns aus der Riege der ernstzunehmenden Völker. Und tun das mit Verve, Lust und Hingabe, mit religiöser Glückseligkeit. Ich kann da nur fassungslos neben diesen Vorgängen stehen und mir sagen: Solange ich hier im Atelier noch das Licht anschalten kann, ist alles gut.
Wann war die deutsche Politik historisch betrachtet am ehesten ausbalanciert?
Da müsste ich jetzt länger nachdenken. Ich habe nur das Gefühl, dass es nie so heikel zuging wie im Moment. Noch nie wurde das Land von so unbedarftem Personal regiert wie gegenwärtig.
Wo entgleitet die Politik konkret, bei der Migration, in der Klimapolitik?
Ach. Lassen Sie uns das Feld nicht betreten. Ich gleite sonst ab in Larmoyanz, schreite einen Horizont des Zornes ab, den ich dann nicht so schnell wieder verlasse.
Neo Rauch: «Ich erlebe schlaflose Nächte, wenn ich an Deutschland denke» - Neue Zürcher Zeitung
Legendäre Darbietungen: Heute im Jahr 1967 trat Jimi Hendrix beim Monterey Pop Festival auf. Entgegen vieler anderslautender Aussagen war dieses Festival der tatsächliche Höhepunkt der Hippie-Bewegung. Die Künstler waren allesamt auf ihrem kreativen Gipfel, vielen gelang durch den Auftritt dort der endgültige Durchbruch. Zum Ende des Auftritts zündete Hendrix seine Gitarre an, weil die Intensität des Moments anders nicht mehr zu steigern war. Deshalb gibt es heute keine Coverversion, sondern einen der legendärsten Auftritte der Musikgeschichte. Zum Video gelangt man über den Link.
Jimi Hendrix live at the Monterey Pop Festival 1967
Epilog
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