Prolog
Diese Woche sorgte die “Zeit” bei Twitter für Aufruhr, weil sie es gewagt hat, im Rahmen ihres Debattenformats “The World Talks” die Frage zur Diskussion zu stellen, ob Menschen jedes Geschlechts die gleichen Rechte haben sollten. Das Konzept dieses Formats ist, Menschen mit konträren Ansichten aus unterschiedlichen Ländern der Erde in den Dialog zu bringen. Ich halte das für eine sehr gut Idee. Nun ging das übliche Geschrei los, über eine solche Frage dürfe nicht diskutiert werden. Noch kreativer: Wer über eine solche Frage diskutiere, stelle selbst die Gleichberechtigung der Geschlechter in Frage. Kurz, das Format und seine Initiatoren sollten um jeden Preis diskreditiert werden.
Durch bewusstes Missverstehen und mit daraus abgeleiteten Unterstellungen versuchen Vertreter bestimmter Milieus eine offene Debatte zu verhindern. Ähnlich verlief die Diskussion um das Ressort "Streit" und den Artikel "Oder soll man es lassen?". Es ist ein großes Problem, dass bestimmte Kreise grundsätzlich nicht mehr diskutieren wollen. Man hat es sich kuschelig in der eigenen weltanschaulichen Blase eingerichtet und will mit abweichenden Meinungen gar nicht mehr konfrontiert werden.
Dazu passt, dass dem “Spiegel” nun aufgrund eines Titelblatts, welches sich kritisch mit den Grünen auseinandersetzt, Populismus unterstellt wurde. Die Reaktionen auf berechtigte Kritik an dieser Partei bestehen hauptsächlich aus Delegitimation. Mit Populismus, Unwahrheiten und Lobbyismus ist es nicht mehr weit zum “Lügenpresse!”-Vorwurf. Das liegt auch daran, dass grüne Ideen mit Fortschritt gleichgesetzt werden. Andere Ideen sind in der Logik dieses Irrtums automatisch fortschrittsfeindlich. Das ist intellektuell defizitär und schadet der Diskussionskultur.
Nun aber los.
Heute geht es unter anderem um Realitäten, Solidarität und Opferhaltung.
Politik und Gesellschaft
Claudia Roth, die nicht für ihre klare Haltung gegenüber Antisemitismus bekannt ist, wurde auf einem jüdischen Festival während ihrer Rede ausgebuht. Das ist nicht nett, vor dem Hintergrund ihres Verhaltens in den letzten Jahren allerdings nachvollziehbar. Ulrike Knöfel sieht das im “Spiegel” ähnlich.
Die Einladung nach Frankfurt kam Roth angeblich nicht ungelegen. Dort hätte sie, wäre alles nach Wunsch verlaufen, den Eindruck erwecken können, sie habe sich mit der jüdischen Gemeinschaft versöhnt. Wäre sie auf den Protest ernsthaft eingegangen, hätte sie zumindest ihre Bereitschaft zu echter Versöhnung signalisieren können. Sie hätte das Beste aus der Situation machen können, hat sie aber nicht. Vielmehr wurde der Auftritt zu einer Katastrophe für ihr Image, für das Ansehen der Kulturpolitik hierzulande.
Dann endlich wich sie kurz von ihrer vorbereiteten Rede ab und rief den Buhenden entgegen: »Das ist Demokratie. Ich nehme diese Kritik an, weil wir eine starke und eine bunte und eine mutige Demokratie sind.« Roth dürfte froh gewesen sein, als sie die Bühne wieder verlassen konnte. Man kann die Ministerin für diese ihr sicher unangenehmen Momente bedauern und dennoch feststellen: Die lautstarke Wut auf Roth ist verständlich. Denn so viel Krach wurde nicht ohne Grund geschlagen, vielmehr ist er Ausdruck der Sorge, die hiesige Kulturpolitik könne den Antisemitismus hoffähig machen. Außerdem war ihr Schweigen lange viel lauter, viel dröhnender, ihr Weichspülen viel härter.
Eine kurze Rückblende: Trotz Warnungen vor einer antisemitischen Unterströmung der 15. Documenta hatte sie sich bis kurz vor Beginn der Ausstellung in Beschwichtigung geübt, hatte betont, sie freue sich auf die Eröffnung und sehe sich im Übrigen nicht als Kulturpolizistin.
Teile der jüdischen Gemeinschaft waren von solchen abmoderierenden Äußerungen alarmiert, schienen diese doch in ein Gesamtbild zu passen. Vielen gilt Roth bereits seit 2019 als ideologische Wackelkandidatin. Seinerzeit war sie Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, und so hatte es eine ziemliche Wirkung, als sie sich von der sogenannten BDS-Resolution des Parlaments distanzierte. Darin war die israelfeindliche Boykottbewegung BDS kategorisch abgelehnt worden. In dem Gegenschreiben von Roth und einigen grünen Gleichgesinnten hieß es dagegen, dass es zwar innerhalb des BDS Argumentationsmuster und Methoden gäbe, »die antisemitisch sind und Assoziationen mit der widerlichen Naziparole ›Kauft nicht bei Juden!‹ hervorrufen«. Zugleich dürfe man nicht jeden Anhänger des BDS »in die antisemitische Ecke« stellen.
In einem Land mit einem wachsenden Antisemitismus können solche Bekenntnisse eine verheerende Verstärkerfunktion haben. Etliche jüdische Interessenvertreter wiesen besorgt darauf hin, dass die Documenta des Jahres 2022 dann auch gezeigt habe, wie selbstverständlich ein linker Antisemitismus längst ist.
Roth hat sich und diesem Land keinen großen Gefallen getan, als sie das Amt der Kulturstaatsministerin annahm. Zu viel ist seither zerbrochen, was sich nicht leicht entschuldigen oder gar reparieren lässt, auch nicht durch immer neue flauschige Formulierungen ihres Sprechers.
Svenja Flaßpöhler hat der NZZ ein interessantes Interview über ihre Einstellung zur Opferhaltung bei Frauen, dem Geschlechterverhältnis im Allgemeinen und Machtmissbrauch gegeben.
Erst einmal ist es richtig, wenn problematische Strukturen benannt werden, und es ist auch richtig, dass ein Chef sich dafür rechtfertigen muss, wenn er Untergebene sexuell belästigt. Die Frage ist aber: Was genau ist sexuelle Belästigung? Wo beginnt sie? Je mehr sich der Gewaltbegriff ausdehnt, desto diffuser wird er. Der Raum für Anschuldigungen wird immer grösser. Das ist die Kehrseite.
Wie dehnt sich der Gewaltbegriff aus?
Je sensibilisierter Gesellschaften sind, desto mehr umfasst dieser Begriff. Und auch das ist erst einmal gut so. Niemand, der bei Verstand ist, würde heute noch sagen, dass es falsch war, die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen. Und es ist auch zu begrüssen, dass wir sensibler werden für sprachliche Gewalt. Wörter können verletzen, richtiggehend vernichten. Die brisante und äusserst schwer zu beantwortende Frage ist aber, wann der zivilisatorische Punkt erreicht sein wird, an dem wir sagen: So, jetzt haben wir den Gewaltbegriff genug ausgedehnt. Werden wir ihn überhaupt je erreichen, und wenn nicht, mit welchen Konsequenzen? Unter den sehr weiten Begriff der sexualisierten Gewalt fällt heute auch eine Berührung am Knie nachts an der Hotelbar. Was wir als Gewalt beschreiben, ist immer subjektiver geworden.
Man hat leider versäumt, die richtigen Schlüsse zu ziehen, auch die weibliche Position in den Blick zu nehmen. Anstatt die eigene Rolle gründlich durchzuarbeiten, zeigt man nur auf die Männer: Ihr seid alle toxisch, ihr belästigt uns. Wir sind Opfer, ihr Täter! Bei einer Vergewaltigung ist das unbestritten der Fall, aber was ist mit dem weiten Feld der so genannten sexualisierten Gewalt? Das sind oft viel komplexere Situationen, und solange wir unseren eigenen Part darin nicht analysieren, bleibt die Emanzipation hinter ihren Möglichkeiten zurück.
Ein Geschlechterverhältnis ist dann lebendig, wenn sich zwei gleichberechtigte, souveräne, lustfähige Subjekte begegnen in ihrer jeweiligen Geschlechtlichkeit. Im Moment habe ich eher den Eindruck, dass wir versuchen, das Verhältnis auf der Angst des Mannes aufzubauen, sich falsch zu verhalten und dafür bestraft zu werden. Er ist der, der sich ändern oder am besten gleich selbst abschaffen muss. Die Frau kann so bleiben, wie sie ist. So bleibt sie in ihrer eigenen Frustration stecken.
Die Feministin Emilia Roig zum Beispiel zitiert in ihrem gerade erschienenen Buch «Das Ende der Ehe» den Hite Report. Der stammt aus den 1970er Jahren und nimmt die defizitäre Lust der Frau in heterosexuellen Beziehungen in den Blick. Entsprechend schreibt auch Roig vom «Mythos des vaginalen Orgasmus». Er ist aber kein Mythos, er ist nur etwas komplizierter. Und auch leben wir nicht mehr in den 70ern. Es ist, als wollten viele Frauen gar nicht in die Lust kommen. Der Vorteil ist, dass man dann weiter auf «das Patriarchat» schimpfen und sich bequem auf die Opferposition zurückziehen kann.
Kann man aus der Opferposition auch einen Gewinn ziehen?
Die Opferposition hat in den letzten hundert Jahren zunehmend eine Aufwertung erfahren. Und ja, natürlich ist das ein Gewinn. Es ist begrüssenswert, dass Opfer eine Stimme bekommen haben und man ihnen zuhört. Wenn aber zeitgenössische Feministinnen allen Ernstes behaupten, sie seien immer noch Opfer des «Patriarchats», kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie an ihrem Opfersein um jeden Preis festhalten wollen – auch wenn die Realität längst eine andere ist. Natürlich wohnen in uns noch patriarchale Denkmuster, die wir hinterfragen müssen. Aber rechtlich leben wir doch in keinem Patriarchat mehr. Ehrlich gesagt, verhöhnt eine solche Rede all jene Frauen, die wirklich noch unter dem Joch der Männer leben müssen. Was soll eine Frau in Iran denken, wenn eine junge Feministin aus Berlin, der alle Möglichkeiten offenstehen und die vielleicht sogar durch Frauenförderung ihre Stelle bekommen hat, über das Patriarchat klagt?
Es ist unbedingt richtig, Betroffenen genau zuzuhören, weil sie Erfahrungen machen, die Nichtbetroffenen erspart bleiben. Doch wäre es fatal, daraus den Schluss zu ziehen, Nichtbetroffene dürften sich gar nicht zu bestimmten Problemen äussern. Erstens sind auch Nichtbetroffene Teil der Gesellschaft, sie müssen sich zu Problemstellungen verhalten. Zweitens wird gegenwärtig häufig der Fehler gemacht, dass man Nichtbetroffene mit Tätern gleichsetzt. Das ist mir häufiger passiert, bis zum Vorwurf, ich betriebe «Täter-Opfer-Umkehr». Das dritte Argument für einen offenen Austausch ist, dass auch Nichtbetroffene etwas sehen, was den Betroffenen entgeht, und ihnen wiederum helfen, sich aus einer Situation zu befreien.
Die Professorin Susanne Schröter wird seit Jahren scharf angegangen, weil sie kritische Aspekte des Islam und der Migration thematisiert. Letzter Anlaß war eine aus dem Ruder gelaufene Konferenz, bei der Boris Palmer durch sein Bestehen auf der Verwendung des Wortes “Neger” der gesamten Veranstaltung einen negativen Stempel aufdrückte. Die Universität stellt sich nicht vor Susanne Schröter. Das ist in negativer Hinsicht bemerkenswert.
Eine öffentliche Verurteilung der Mobbingkampagne gegen die veranstaltende Ethnologie-Professorin Susanne Schröter hat sich das Präsidium bislang nicht abringen können. Sprachlos steht es vor der Tatsache, dass Besucher und Redner der Konferenz auf dem Frankfurter Campus über Stunden hinweg als Nazis und Rassisten beschimpft wurden. Schleiff will dazu erst eine „sachorientierte Befassung“ vornehmen. Das gilt auch für die eigentlich leicht zu beantwortende Frage, warum die Universität eine Erklärung des Instituts für Ethnologie, welche die Konferenz scharf verurteilte, prominent auf ihrer Website platzierte, obwohl sie von niemandem unterzeichnet war. Nicht allzu schwer dürfte auch zu ermitteln sein, welche Anstrengungen das Forschungszentrum Normative Ordnungen unternommen hat, um herauszubekommen, wer das Plakat mit der Forderung nach Schröters Rausschmiss am Konferenztag in dem Forschungszentrum angebracht hat. Nur Mitarbeiter haben dort Zutritt. Die Universität schweigt auch dazu. Das ist umso erstaunlicher, als bislang die Belege für den breiträumigen Rassismusvorwurf gegenüber allen Teilnehmern und Rednern der Konferenz fehlen.
Mit Belegen geizt auch der offene Brief des Bayreuther Exzellenzclusters „Africa Multiple“, das sich zum Richter über das Forschungszentrum Globaler Islam aufschwang. Von „Schande“ und „weißer Nekropolitik“ ist in dem Papier die Rede. Spätestens an dieser Stelle ist eine Universität dazu aufgerufen, sich schützend vor ein Institut zu stellen oder Belege für die Angemessenheit des Vorwurfs zu bringen und Maßnahmen zu ergreifen. Nichts davon geschah. Das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit kritisierte die Bayreuther Erklärung zu Recht als Ausdruck sprachlicher Verrohung. Rückhalt bekam Susanne Schröter auch von einer mittlerweile auf mehr als achthundert Unterschriften gewachsenen Solidaritätsliste, die der Rechtswissenschaftler Christian Majer initiiert hat. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderem die ehemalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder und der Schriftsteller Prinz Asfa-Wossen Asserate.
„Eine Hochschule muss sich überlegen, wie sie Wissenschaftler und Veranstalter in einem solchen Kontext schützt. Das ist ein aus der Wissenschaftsfreiheit folgender rechtlicher Anspruch des Wissenschaftlers“, sagt der Rechtswissenschaftler Josef Franz Lindner von der Universität Augsburg dieser Zeitung. Lindner, der selbst zu gesellschaftlich strittigen biomedizinischen Themen wie Abtreibung und Sterbehilfe lehrt, weist auf die einschüchternde Wirkung der Störaktionen hin. Wer die Frankfurter Hexenjagd erlebt hat, wird sich wohl kaum noch trauen, eine Konferenz zum Kopftuch oder zur Migrationspolitik auszurichten, die sich auch mit kritischen Aspekten befasst. Dass sich die Universität bislang nicht zu einer differenzierten Bewertung durchringen kann, setzt ein fatales Signal.
Hetzjagd mit Zuschauer - Frankfurter Allgemeine Zeitung
In der “Zeit” fand ich einen sehr guten Artikel über die Grenzen der Aufnahmefähigkeit bezüglich Migration. Er ist besonders deshalb zu begrüßen, weil man offenbar auch in der Zeit-Redaktion inzwischen verstanden hat, dass Probleme nicht durch Beschweigen gelöst werden. Besonders bei Migration ist es wichtig, die Akzeptanz der Mehrheitsbevölkerung zu behalten. Wer faktisch vorhandene Probleme mit Zuwanderung beharrlich ignoriert, überlässt das Thema Populisten, Radikalen und Extremisten.
Kanzler Olaf Scholz sagt klar: Die Zahl der Ankommenden muss runter, die der Abschiebungen rauf. Für ähnliche Vorschläge war der frühere CSU-Chef Horst Seehofer noch gescholten worden. Mit der Regierungsübernahme sterben, unter Schmerzen, ein paar alte Lebenslügen, die lange zur festen Identitätsbeflaggung im linken Lager gehörten. SPD und Grüne sind international dabei längst nicht die Ersten, andere sind schon weiter.
Progressive Kräfte weltweit haben längst eingesehen, was in Deutschland auch dank der Grünen und ihrer öffentlichen Empörungsmacht – noch – weitgehend tabu bleibt: Es gibt eine Grenze der Aufnahmefähigkeit für Flucht-, erst recht für Elendsmigration, wobei die Übergänge fließend sind. Darüber, wo die Grenze liegt – im Zweifel höher, als man auf den ersten Blick meinen sollte –, lässt sich streiten. Nicht aber über ihre Existenz. Wer diese Realität verleugnet, crasht argumentativ auf Querdenkerniveau.
Gerade Linke, die die Öffentlichkeit seit 40 Jahren mit ihren Degrowth-Fantasmen hinters Licht führen, sollten es besser wissen: Dieses Wachstum kennt tatsächlich ein objektives Limit. In den Turnhallen, Klassenzimmern, Sprachkursen, auf dem Miet- und Arbeitsmarkt – und natürlich in der Staatskasse.
Der alte grüne Reflex zieht nicht mehr. Die rhetorische Eskalation in die Moral – Menschlichkeit kenne keine Obergrenze – führt ins Gegenteil. Wer eine Migrationspolitik der offenen Tür will, braucht erst mal eine Mauer. Wozu sonst überhaupt Türen? Die linksgrüne Weigerung, diese simple Dialektik überhaupt anzuerkennen, zementiert im Namen falsch verstandener Humanität den Status quo: Rein darf jeder, der es reinschafft, und raus muss im Prinzip kaum jemand. Humanitär ist an dieser aktuellen Politik gar nichts.
Wer das ändern will, braucht legale Zuwanderungswege. Dafür müssen zwingend erst alle anderen verbaut werden. Kein Migrant wäre töricht genug, sich auf ein Verfahren einzulassen, an dessen Ende auch ein hartes Nein stehen können muss, wenn alternativ das Schlauchboot bedingungslose Aufnahme verspricht – nicht zu vergessen einen Sozialstaat, der weltweit seinesgleichen sucht. Und keine Aufnahmegesellschaft wird ernsthaft bemüht sein, legale Wege zu schaffen, wo ohnehin der Zustrom über die extralegalen Wege die Grenze des Zumutbaren erreicht.
Abschied von der linken Lebenslüge - Zeit
In der letzten Ausgabe schrieb ich, dass ich eine Beobachtung der sogenannten “letzten Generation” für überfällig halte. Nun hat es einen weiteren Vorfall gegeben, der mich in dieser Meinung bestärkte. Die Gruppe versuchte mit einem Presslufthammer den Steinquader vor dem Bundesverfassungsgericht zu zerstören. In Kombination mit dem vorherigen Beschmieren des Grundgesetz-Denkmals gibt das ein klares Bild ab. Die Diskussion darüber, ob die Gruppierung eine kriminelle Vereinigung sei, wird seitdem wieder heftiger geführt. Prof. Dr. Thomas Fischer, ehemaliger vorsitzender Richter des 2. Strafsenats am Bundesgerichtshof hat das eingeordnet.
Was eine Vereinigung im Sinne der Vorschrift für das Gesetz ist, steht in Absatz 2. Wichtig ist insbesondere das Merkmal der von Mitgliedern und Rollen "unabhängigen" Struktur. Damit ist – im Gegensatz zur "Bande", die sich auch spontan bilden und deren Handeln von bestimmten mitgliedergebundenen Rollen abhängt – eine quasi überpersonale Gruppierung mit gemeinsamer, überwölbender Regelbildung gemeint, ähnlich einem Verein.
Diese Merkmale weist die "Letzte Generation" als "Zusammenschluss" auf.
"Zweck oder Tätigkeit" der Gruppe müssten auf die Begehung von Straftaten mit einer Höchststrafe von mindestens zwei Jahren gerichtet sein. Zu solchen Straftaten gehören etwa die Nötigung (§ 240 StGB), die gemeinschädliche Sachbeschädigung (§ 304) oder der gefährliche Eingriff in den Straßen- (§ 315b StGB) oder Luftverkehr (§ 315 StGB). Als "Zweck" der "Letzten Generation" (LG) kann die Begehung solcher Taten zwar nicht angesehen werden; die Gruppe hat sich nicht gegründet, "um" Straftaten zu begehen.
Als "Tätigkeit", auf welche der Vereinigungszweck gerichtet ist, sind diese Handlungen aber durchaus anzusehen. Ziel der Gruppe ist es, die Bundesregierung dazu zu zwingen, rigorose Klimaschutzregeln einzuführen und durchzusetzen. Anders als etwa die Bewegung "Fridays for Future" soll dieses Ziel nicht durch erlaubte Demonstrationen im Sinne von Art. 8 GG, sondern durch nicht erlaubte, nach geltendem Recht strafbare "Aktionen" wie Blockaden oder Sachbeschädigungen durchgesetzt werden. Dass die Täter die Strafbarkeit bestreiten und Rechtfertigungsgründe behaupten, steht dem nicht entgegen, denn dies ist gerade Teil der Instrumentalisierung zur Demonstration und zur Nötigung der Regierung. Eine als besonders zielorientiert angesehene "Kategorie" der Vereinigungsangehörigen ist ausdrücklich so definiert, dass sie Bestrafungen und Inhaftierungen wegen des Begehens von Straftaten anstreben oder mindestens in Kauf nehmen.
Die Entscheidungsstruktur und die Logistik der Vereinigung sowie ihre unterstützenden Strukturen sind, wie sich auch aus der oben zitierten Beschreibung ergibt, jedenfalls in die hierzu gebildeten "Kategorien" im hohem Maß gerade auf solche "Aktionen" ausgerichtet, durch welche die genannten Straftaten begangen werden (sollen).
Von den drei in § 129 Abs. 3 aufgezählten Ausschlussgründen kommt nur Nr. 2 in Betracht: "Zweck oder Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung". Das wird etwa angenommen, wenn bestimmte Straftaten quasi nur als "Nebenprodukt" der Haupttätigkeit begangen werden (z.B. Urkundenfälschung, Diebstähle). Das kann man bei den genannten LG-Gruppen aber nicht sagen: Hier ist die Begehung möglichst spektakulärer Straftaten gerade das Erscheinungsbild der Organisation prägende Merkmal (vgl. dazu BGHSt Bd. 41, S. 56).
Am (direkten) Vorsatz des Beteiligens bestehen in aller Regel keine Zweifel; er wird vielmehr von den Vereinigungsmitgliedern gerade als Ausweis ihres "guten" Fernziels ("Klimaschutz") hervorgehoben.
Stimmen, die die Qualifikation der LG als kriminelle Vereinigung bestreiten oder bezweifeln, führen meist (auch) an, man solle die "Kirche im Dorf lassen". Es handle sich schließlich um "junge Menschen" mit einem ehrenwerten Ziel, man solle sie nicht "übermäßig" kriminalisieren. Der BGH hat in der Entscheidung 3 StR 86/16 ausgeführt, jenseits der objektiven Tatbestandserfüllung sei eine "gewisse" Schwere der geplanten Straftaten erforderlich. Das Argument greift jedoch nicht mehr, da 2017 der Gesetzgeber die "Schwere" der Straftaten im Gesetzestext ausdrücklich und unmissverständlich definiert hat (Mindesthöchststrafe 2 Jahre).
Einzelne Rechtskundige schließlich haben angemerkt, jegliche Strafverfolgung sei verfassungswidrig, weil sie sowieso nichts nutze. Das ist ein seinerseits bemerkenswertes Argument, gegen das sich in der (rechtsdogmatischen) Sache allerlei einwenden lässt. Es liegt ihm eine seltsam übermoralisierende Bewertung von "Zielen" zugrunde, deren Bevorzugung sonst und im Allgemeinen gerade von Vertretern einer "streng rechtsstaatlichen" Strafjustiz bestritten oder gar als potenziell totalitär angesehen wird.
Wenn man die "Fernziele" so mancher rechtsradikalen Gruppierung oder Vereinigung nur "fern" genug formuliert, schafft man es in aller Regel, auch hier allerlei Hochstehendes und Begrüßenswertes zu finden, von der "Kultur" bis zur "Sprache" oder der "Gemeinschaft". Gleichwohl meint kaum, jemand, das Verwüsten von Buchläden mit englischsprachiger Literatur müsse straffrei sein, weil die "jungen Menschen" sich so gern an guter deutscher Dichtung erfreuen möchten.
1. Die "Letzte Generation" als Gesamt-Zusammenschluss von "Aktivisten" erfüllt die Voraussetzungen des § 129 StGB (Kriminelle Vereinigung) vermutlich nicht.
2. Soweit die Gruppierung organisierte "Kategorien" von Mitgliedern erfasst, die sich nach der Bereitschaft bestimmen, Straftaten zu begehen und Bestrafungen in Kauf zu nehmen, liegt die Annahme einer "kriminellen Teilvereinigung" nahe.
3. Strukturen, Entscheidungsfindung und organisatorische Unabhängigkeit des Zusammenschlusses von Mitgliederwechsel entsprechen insoweit den Voraussetzungen des § 129 Abs. 2 StGB.
4. Die Begehung von Straftaten im Sinne von § 129 Abs. 1 StGB ist nicht unwesentlicher Teil der Tätigkeit jedenfalls der genannten "Kategorien", sondern prägt deren Erscheinungsbild und die Organisationsstruktur.
5. Eine Überbetonung moralisierender Erwägungen zur Entlastung ist nicht gerechtfertigt; ebenso wenig eine Verneinung der Verhältnismäßigkeit einer Strafverfolgung mit Begründungen, denen ein medial-laienhaft überzogenes Bild des Straftatbestands zugrunde liegt.
Ist die "Letzte Generation" eine kriminelle Vereinigung? - Legal Tribune Online
Kultur
Coverversion der Woche: Tina Turner - It's Gonna Work Out Fine
Vorgestern starb Tina Turner, eine der herausragendsten Sängerinnen aller Zeiten mit 83 Jahren. Aus diesem Grund fiel die Auswahl leicht. Einen Song aus der Frühphase ihrer Karriere hat sie sogar selbst gecovert, bzw. neu interpretiert.
Das Lied wurde Lied von Rose Marie McCoy und Joe Seneca komponiert und ursprünglich 1961 von Ike & Tina Turner als Single aus ihrem Album “Dynamite!” im Jahr 1962 veröffentlicht. Die Platte gilt als ihr erster Grammy-nominierter Song und ihre zweite millionenfach verkaufte Single nach „A Fool In Love“. 1993 nahm Tina Turner das Lied für den Soundtrack zum Biopic „What's Love Got to Do with It“ neu auf und ihr Saxophonist Timmy Cappello sang Ikes Zeilen.
Epilog
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