Prolog
Gerhart Baum ist ohne Zweifel ein verdienter Politiker mit einer hochinteressanten Lebensgeschichte. Nun war er im empfehlenswerten Podcast “Alles gesagt” zu Gast. Interessanterweise wird dieser Auftritt in den sozialen Medien hauptsächlich von Leuten gefeiert, die seine Partei niemals wählen würden. Er macht seit Jahren leider hauptsächlich dadurch auf sich aufmerksam, dass er den Liberalen Knüppel zwischen die Beine wirft. Das ist auch der Grund, warum er so gern in Talkshows eingeladen wird: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann die Kritik an mangelnder Ausgewogenheit damit abwehren, dass man doch einen Liberalen dabei hatte. Dass er zu einem großen Teil sozialdemokratische und grüne Positionen mit scharfer Kritik an der eigenen Partei mischt und sich die anwesenden Vertreter der talkenden Klasse dann doch wieder weitgehend einig sind, wird dabei nicht erwähnt. Den Podcast werde ich mir trotzdem anhören.
Gerhard Schröder darf trotz seiner engen Verbindungen nach Russland und den damit verbundenen Eskapaden in der SPD bleiben. Das überrascht angesichts des Vergleichs mit Thilo Sarrazin, der wegen angeblich nicht mehr mit den Werten der Partei zu vereinbarenden Ansichten, schließlich doch ausgeschlossen wurde. Man muss Sarrazin nicht in allem zustimmen und er hat seit der Veröffentlichung seines Buches “Deutschland schafft sich ab” im Jahr 2010 eine deutliche Radikalisierung durchgemacht. Seine Einlassungen zum Thema Migration sind trotzdem harmloser als alles, was zum Beispiel Helmut Schmidt im Laufe seines Lebens zu dem Komplex gesagt und geschrieben hat. Dass man diesem heute wohl eine Mitgliedschaft in der AfD nahelegen würde, schrieb ich hier bereits. Die enge Freundschaft zu einem Diktator, der seit geraumer Zeit einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt ist also eher mit den Werten der SPD vereinbar, als faktenbasierte Kritik an der Migrationspolitik. Das sagt einiges über die SPD aus, die ihren moralischen Kompass völlig verloren zu haben scheint.
Seine Frau Soyeon Schröder-Kim wurde nun von der NRW-Gesellschaft “NRW.Global Business”, für welche sie als Repräsentantin in Südkorea tätig war, entlassen. Grund dafür ist ihre Teilnahme am Empfang in der Russischen Botschaft, der das Faß wohl zum Überlaufen brachte. Sie wurde bereits im Vorfeld mehrmals darauf hingewiesen, dass Repräsentanten sich in der Öffentlichkeit bei politisch sensiblen Themen, insbesondere bezüglich des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, nicht äußern sollten. Diese Hinweise hat sie wohl mehrfach ignoriert. Nun eben die Kündigung.
Bei Fällen wie diesem handelt es sich nicht um Cancel Culture. Wer Regeln missachtet, die er vorher vertraglich akzeptiert hat, muss dafür die Konsequenzen tragen. Das ist auch mein Problem mit vielen Listen, die Fälle von Cancel Culture zusammenstellen. Es gibt dieses Phänomen, ich behandele es seit Jahren, es war einer der Auslöser für diesen Newsletter. Manchmal kann ich mir aber nur an den Kopf fassen.
Wer zum Beispiel als freier Journalist für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeitet und sich lautstark öffentlich an Kampagnen gegen diesen beteiligt, ist kein Opfer von Cancel Culture, wenn eine Anstalt dann die Zusammenarbeit einstellt. Viele Sprichworte behandeln dieses Phänomen: Ob nun in der Version des Astes, den man nicht abschneiden sollte, wenn man auf ihm sitzt. Oder der Hinweis darauf, dass das Beißen in die Hand, die einen füttert, keine kluge Entscheidung ist. Diese Debatte ist in beide Richtungen entgleist.
Heute wurden Mitglieder der sogenannten “letzten Generation” bei einer ihrer illegalen Blockaden von wütenden Autofahrern tätlich angegriffen. Das verurteile ich zutiefst. Es gibt ausreichend berechtigte Kritikpunkte bezüglich dieser im Kern demokratiefeindlichen Gruppierung. Wer die Gewalt dieser, gern verharmlosend als “Aktivisten” bezeichneten, Jugendlichen mit Gewalt beantwortet, erweist seriöser Kritik einen Bärendienst. Dass der österreichische Verfassungsschutz die Gruppe nun beobachtet, halte ich für richtig. In Deutschland ist das überfällig.
Es erreichten mich in letzter Zeit viele Nachrichten, in denen von Lesern, die weder bei Twitter noch bei Instagram Accounts unterhalten, bemängelt wurde, dass man mir nicht bei Facebook folgen könne. Ich habe das Netzwerk bereits vor Jahren verlassen. Da mir für meine Leser kein Aufwand zu groß ist, habe ich dort wieder ein Konto eingerichtet. Folgen Sie mir nun gern!
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Nun aber los. Heute geht es unter anderem um Fakten, Fehlerkultur und Bildungsmangel.
Politik und Gesellschaft
Eine Autorin kann es nicht fassen, dass Johnny Depp nach dem gewonnenen Prozess gegen seine ehemalige Lebensgefährtin Amber Heard, die ihm daraufhin eine Million Dollar Entschädigung zahlen musste, weiterhin auf der Leinwand stattfinden darf. Die Worte “Unschuldsvermutung” und “Rechtsstaat” scheinen ihr kein Begriff zu sein. Einen solchen Artikel würde man in Publikationen des sektenfeministischen Paralleluniversums vermuten, im “Spiegel” befremdet er. In manchen Kreisen ist es offensichtlich unvorstellbar, dass auch Frauen manchmal die Unwahrheit sagen.
Parallelen zum Leben von Maïwenn, die in der französischen Filmbranche als furchtlose Einzelkämpferin auftritt und die #MeToo-Bewegung mehrfach abgewertet hat, liegen auf der Hand.
So passt es auch, dass Maïwenn Johnny Depp seine erste große Filmrolle seit den widerlichen Prozessen zwischen ihm und seiner Ex-Frau Amber Heard wegen Vorwürfen der häuslichen Gewalt gegeben hat. In Großbritannien darf Depp »wife beater« genannt werden, in den USA wurde er nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen ihn aus dem »Phantastic Beasts«-Franchise geworfen und gilt mittlerweile als Kassengift. Aber in Cannes wird Depp gefeiert, als wäre er einbeinig einen Marathon gelaufen.
Von »verrückten Wahrnehmungsstörungen« hat Festivalchef Thierry Frémaux am Montagnachmittag noch gesprochen. Er hat das in Bezug auf die Schauspielerin Adèle Haenel und ihre Kritik, dass das Festival übergriffigen Männern eine Plattform gebe, gemeint, aber eigentlich scheinen die Wahrnehmungsstörungen eher Cannes befallen zu haben: Nur hier will man partout kein Problem darin sehen, Depp das PR-Comeback des Jahres beschert zu haben.
Bei der Pressekonferenz sind es denn auch die US-amerikanischen Kollegen, die immer wieder ungläubig nachfragen, warum Maïwenn Depp besetzt und Frémaux den Film eingeladen habe.
Doch ob das den Depp-Makel des diesjährigen Festivalauftakts überdecken kann?
“Welt”-Herausgeber Stefan Aust hat sich in einem lesenswerten Interview zum wenig erfolgreichen Migrationsgipfel geäußert.
Die da oben sind für die Moral zuständig. Und die da unten müssen der Wirklichkeit begegnen. Das schafft notwendigerweise einige Widersprüche. Die Länder und Kommunen wollen sich aber der Realität auch nur begrenzt stellen. Deshalb verlangen sie vom Bund die Finanzierung der Massenunterbringung und des Unterhaltes der Migranten aus aller Herren Länder. Der bedauerlichen Tatsache, dass ein Sozialstaat ohne Außengrenzen auf die Dauer kein Sozialstaat sein kann, wollen sich die Politiker in Ländern und Kommunen auch nicht wirklich stellen. Es werden nur die Schulden hin und her geschoben.
Dass die Migrationspolitik von Angela Merkel ein perfektes Konjunkturprogramm für die AfD war, liegt schon seit Jahren auf der Hand. Die angebliche Alternativlosigkeit ihrer Politik hat der Partei ja sogar den Namen gegeben. Wenn von der Kanzlerin eines in der Geschichte übrigbleibt, dann dass sie durch ihre Migrationspolitik den Rechten den Weg in den Bundestag geebnet hat. Ob sie dafür das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik verdient hat, dürfte eine Frage der Sichtweise sein. Die AfD hätte eigentlich bei der Ordensverleihung an Merkel im Schloss Bellevue Spalier stehen müssen. Und Merkels Nachfolger tun sich offenkundig schwer, den Kurs der Welcome-Politik zu verlassen. Aber es bleibt ihnen nichts anderes übrig. Das bruchstückhaft erkannt zu haben, ist ja immerhin schon etwas.
Die de facto Abschaffung der innereuropäischen Grenzen durch das Schengen-Abkommen ist eine der größten Leistungen der Politik der vergangenen Jahrhunderte. Offene Grenzen innerhalb Europas sind aber nur auf die Dauer möglich, wenn die Außengrenzen gesichert sind. Sonst gilt das Schengener Abkommen gleichsam global für jeden, der irgendein Land der EU als Zufluchtsort sucht – und die meisten wollen natürlich nach Deutschland, weil sie dort vom Sozialstaat aufgefangen werden. Das ist auch gut nachvollziehbar. Ob es sehr moralisch und auf Dauer durchhaltbar ist, damit den Bürgern des eigenen Landes die Lasten der restlichen Welt aufzubürden, ist eine andere Frage. Die wird ja offenbar von vielen Wählern inzwischen anders beantwortet als von den Ampel-Unionisten in Berlin und anderswo.
„Merkels Nachfolger tun sich offenkundig schwer, den Kurs der Welcome-Politik zu verlassen“ - Welt
Jan Böhmermann ist bekannt für die als Satire getarnte Diffamierung Andersdenkender. Nach einer seiner Sendungen, in der er Arne Schönbohm, dem Chef des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, eine zu große Nähe zu einem Cyberverein mit angeblichen Kontakten zu russischen Geheimdiensten unterstellte, wurde dieser von Nancy Faeser entlassen. Nun ist klar: An den Vorwürfen ist nichts dran. Einsicht bei Böhmermann: keine.
Nach unseren Informationen aus Regierungskreisen räumte das Innenministerium Ende April in einem entsprechenden Schreiben an Schönbohms Anwälte ein: Die sechsmonatigen behördeninternen Voruntersuchungen hätten keine Anhaltspunkte gebracht, die die Einleitung eines Disziplinarverfahren rechtfertigen würden.
Dass in sechs Monaten nichts gefunden wird und sich damit schon früher Zweifel bestätigen, könnte für Innenministerin Nancy Faeser, die sich derzeit parallel als Spitzenkandidatin der SPD im hessischen Wahlkampf befindet, nochmal heikel werden. Schon vor Monaten war ihr vorgeworfen worden, übereilt gehandelt und damit das Ansehen Schönbohms unnötig geschadet zu haben. Tatsächlich hatte es damals noch nicht mal ein Gespräch zwischen beiden in der Affäre gegeben.
Bemerkenswert ist auch, dass das Ministeriums-Schreiben offenbar erst auf wiederholte Bitte von Schönbohms Anwälten verfasst wurde, die auf eine Entscheidung drängten. Denn eigentlich sind für Voruntersuchungen höchstens drei Monate anzusetzen, damit nicht der Eindruck erweckt wird, rechtswidrig das Verfahren unnötig in die Länge zu ziehen. Hatte sich das Innenministerium damals zu dem Fall regelmäßig geäußert, will es nun zu seinem Schreiben nichts sagen.
Zum Ende der Rubrik wieder Sehenswertes. Auf dem diesjährigen OMR-Festival, einer Veranstaltung für digitales Marketing und Technologie in Hamburg, hat Luisa Neubauer gesagt, sie wolle den Springerkonzern “kreuz und quer auseinandernehmen”. In Kombination mit ihren vorherigen Äußerungen, wie der Ankündigung eine Pipeline zu sprengen und der Behauptung, die Wahl zwischen Zeit und Demokratie hätten “wir” nicht, sollte das aufhorchen lassen. Man stelle sich nur einen Moment lang vor, das hätte jemand mit anderer Zielsetzung gesagt. Im Land wäre zu Recht die Hölle los. Wenn man genehme Ziele verfolgt, kann man allerdings ohne Konsequenzen terroristische Akte ankündigen, die Demokratie relativieren und die Zerschlagung eines Medienkonzerns fordern. Dafür bekommt man dann sogar tosenden Applaus. Ist ja alles nur Spaß.
Hamed-Abdel Samad hat bei der DAI Heidelberg einen interessanten Vortrag über die Zukunft des Islams gehalten.
Ob im mittelalterlichen oder im aufgeklärten Europa, der Islam positionierte sich immer als Antithese. Er baute sein Reich auf den Trümmern des römischen Imperiums und sah sich als der legitime Anführer der Welt. Der Machtverlust, der mit dem Ende des Osmanischen Reiches einherging, hat daran nichts geändert. Heute kommen Muslime nicht mehr als Eroberer, sondern meist als friedliche Migranten nach Europa, doch der Islamismus wandert mit ein. Hamed Abdel-Samad warnt eindringlich: „Wir müssen über den Islam wieder reden, denn von seiner Zukunft hängt auch die Zukunft Europas ab.“ Der Politikwissenschaftler und Publizist Hamed Abdel-Samad ist Mitglied der Deutschen Islam Konferenz und zählt zu den profiliertesten islamischen Intellektuellen im deutschsprachigen Raum. Wegen seiner Tabubrüche wurde 2013 eine Fatwa gegen ihn verhängt, seither lebt er unter permanentem Polizeischutz. Islam (2023) wird als sein bislang wichtigstes Buch wahrgenommen.
Mirko Drotschmann, der den Funk-Kanal “Mr. Wissen 2 Go” betreibt, hat das Geschichtswissen von Bundestagsabgeordneten getestet und das Ergebnis ist teilweise verheerend. Die Abgeordneten von SPD, CDU und FDP können die Fragen recht souverän beantworten. Besonders tut sich Emilia Fester (Grüne), die bereits mit hochgradig infantilen Reden auf sich aufmerksam machte hat, in negativer Weise hervor. Sie weiß unter anderem nicht, wann die Bundesrepublik gegründet wurde, wer Bismarck und Georg Elser waren. Am Schlimmsten ist daran eigentlich, dass ihr das nicht einmal peinlich zu sein scheint. Ich möchte nicht, dass Leute mit Kapuzenpulli und Zöpfchen im Bundestag sitzen, die sich in erster Linie durch TikTok-Tänze und ihren eklatanten Mangel an Bildung auszeichnen.
Kultur
Heute Morgen erfuhr ich, dass Andy Rourke viel zu früh gestorben ist. Seine ehemalige Band, The Smiths, begleiten mich, Dank einer popkulturellen Mentorin, seit dem achten Lebensjahr. Müsste ich mich zwingend auf eine Lieblingsband beschränken, würde ich mich für sie entscheiden.
Rourke und seine phantastischen Basslinien waren einer der Gründe, warum ich mich selbst für den Bass entschied. Ich habe diese Linien stundenlang geübt und doch nie richtig hinbekommen. Leider konnte ich seine Band nie live erleben. 59 ist viel zu früh und ich bin wirklich traurig.
Deshalb gibt es heute ausnahmsweise keine “Coverversion der Woche”, sondern das grandiose Konzert der Smiths vom vierten Mai 1984 in der Hamburger Markthalle. Ein mehr als guter Ersatz.
Epilog
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Depp hat m.E. den Prozess gewonnen, in dem ihm häusliche Gewalt vorgeworfen wurde. Dass Heard - vermutlich um den gewissen Rest erdacht am Leben zu halten - dann auf Berufung verzichtet hat, spricht ja nicht gegen Depp.
Fairerweise: auch die Abgeordneten der Linkspartei haben bei dem geschichtsquiz respektabel abgeschnitten.