Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #121
Debattenkultur, Meinungspluralismus und Vetternwirtschaft
Prolog
Wie auch anhand meiner Äußerungen hier unschwer zu erkennen ist, habe ich nie so recht einen für mich dauerhaft akzeptablen Umgang mit dem Netzwerk Twitter gefunden. Im Moment habe ich mir bezüglich der aktiven Teilnahme wieder eine Pause verordnet und merke zum wiederholten Mal, dass sich für mich nichts ändert, wenn ich dort einige Woche nicht hineinschaue. Wenn ich es dann wieder tue, bekomme ich sofort schlechte Laune. Natürlich hat das auch damit zu tun, wem man dort folgt, aber insgesamt befremdet mich der dort durchgehend hohe Erregungspegel und die negative Grundstimmung. Um aktuelle Entwicklungen in bestimmten Milieus zu beobachten, ist Twitter nach wie vor sehr interessant, deshalb werde ich mich wohl nie ganz dort verabschieden.
Nichts demonstrierte zum Beispiel besser den Zeitgeist, als wochenlange öffentliche Nervenzusammenbrüche aufgrund von Blauhaken-Entzug. Nutzer, die Privilegien, Status und Ungleichheit sonst scharf kritisieren, fanden Egalitarismus auf einmal nicht mehr so gut, als sie der eigenen Sonderrechte verlustig gingen. Interessanterweise handelte es sich bei den theatralisch Zusammenbrechenden fast durchgängig um solche, die Twitter seit der Übernahme durch Elon Musk am Lautesten kritisieren. Diese Leute versuchen - ebenfalls seit Monaten - das Netzwerk Mastodon zu etablieren, was nicht gelingt. Deshalb sind sie (trotz der Ankündigung, das Netzwerk im Falle eines Kaufs durch Musk verlassen zu wollen) weiterhin dort aktiv. Reichweite steht im Zweifel dann doch über Moral.
Wirre Gedankengänge schaffen es immer häufiger in etablierte Zeitungen. In einem Artikel in der “TAZ” empfindet die Autorin Fragen bezüglich des Namens als übergriffig, diffamiert Herkunftsdeutsche im selben Text allerdings als "weiße Kartoffeln". Das ist schon speziell. Wenn man die eigene Blase nie verlässt, kann man natürlich auch nicht wissen, dass solche Fragen überall auf der Welt übliche Eisbrecher sind.
Tiffany N. Florvil betonte bei der Vorstellung ihres Buches über die Geschichte der Afrodeutschen:”Die Schwarze Community in Deutschland ist heterogen, so auch ihre Kultur und Geschichte,”. Darin stimme ich ihr zu. Echte Multiperspektivität ist in dieser "Community" allerdings unerwünscht. Dunkelhäutige, die den gängigen Erzählungen nicht vollumfänglich zustimmen, werden ausgeschlossen. Das beobachte und erlebe ich seit den 90er Jahren.
Die einzige rassistische Äußerung, die ich in den letzten 25 Jahren gehört habe, wurde übrigens von einer weißen, "woken" Feministin getätigt. Sie sagte sinngemäß zu mir, dass ich mit dem, was ich schriebe, nur wegen meiner Hautfarbe davonkäme. Soviel dazu.
Grundsätzlich gilt: Die Grenzen dessen, was gesagt und debattiert werden darf, setzt ausschließlich das Recht. Dass man Menschen nicht bewusst verletzt, ist vor dem Hintergrund einer Kinderstube selbstverständlich, kann aber nicht eingefordert werden. Es gibt kein Recht darauf, nicht verletzt zu werden.
Nun aber los. Heute geht es unter anderem um Debattenkultur, Meinungspluralismus und Vetternwirtschaft.
Politik und Gesellschaft
Seit Jahren betone ich, dass von Steuergeld finanzierte Organisationen und Individuen, die sich mit Diskriminierung beschäftigen, niemals Verbesserungen eingestehen würden. Im Gegenteil: Damit der Strom der Zuwendungen nicht versiegt, muss die Problemlage als unverändert dramatisch beschrieben werden. Zusätzlich müssen immer neue Probleme gefunden werden. Das wird in Anbetracht der Realität allerdings immer schwerer. Nun hat die Bertelsmann-Stiftung die Studie “Diskriminierung in der Einwanderungsgesellschaft” vorgestellt, die genau diese Motive flankieren und argumentativ untermauern soll. Sichtlich erfreut von der Tatsache, dass die Finanzierung von ihr goutierter Initiativen weiterhin sichergestellt ist, präsentiert Ferda Ataman das Machwerk. Fatina Keilani hat es untersucht und stieß auf interessante Details.
Ergebnis: «Mehr Menschen nehmen rassistische Diskriminierung wahr und sehen Handlungsbedarf.»
Das Wort «wahrnehmen» zeigt schon: Es geht um die Gefühle der Bürger in Bezug auf das Thema, und «Handlungsbedarf» lässt sich so übersetzen: Die Antidiskriminierungsbeauftragte will mehr Ansprechstellen für Menschen schaffen, die sich diskriminiert fühlen, und so ihren Einfluss ausweiten – was vermutlich zu weiteren statistischen Erhebungen führen wird, die noch grösseren Bedarf begründen werden. Und so weiter.
Ataman forderte in der Pressekonferenz die baldige Novellierung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes wie im Koalitionsvertrag vereinbart, um die Rechte Betroffener auszuweiten. Zudem will sie ein Verbandsklagerecht für Betroffenenvertretungen, so dass Vereine die Rechte der von ihnen Vertretenen vor Gericht durchsetzen können. Und da man ihren Etat nun schon einmal so erfreulich erhöht hat, plant sie als Nächstes eine Kampagne, um die Bekanntheit der Antidiskriminierungsstelle zu erhöhen.
Man muss kein Prophet sein, um zu ahnen, was das Ergebnis sein wird: gestiegenes Bewusstsein bei der Bevölkerung, noch grösserer «Handlungsbedarf», mehr Geld. Das Verbandsklagerecht wiederum setzt ein Förderungs-Perpetuum-mobile in Gang.
Bezugsgrösse für die Steigerung des «Handlungsbedarfs» ist nämlich eine Sinus-Studie von 2008 – und die ist von anderem Kaliber als jene von Dienstag. Die Autoren der Studie von 2008 befragten zunächst das Volk, welche Themen in Bezug auf Antidiskriminierung überhaupt relevant seien (qualitative Studie). Anschliessend wurde zu diesen Fragen dann erhoben, wie relevant sie sind (quantitative Erhebung).
Dabei kam heraus, dass Antidiskriminierungspolitik von vielen Menschen für nicht so relevant gehalten wurde – 86 Prozent der Befragten wählten damals die Antwort: «Antidiskriminierung lässt sich von der Politik nicht verordnen, sondern muss von den Menschen selbst kommen.» 70 Prozent meinten: «Was die Antidiskriminierungspolitik heute mit ihren Bestimmungen und Regelungen anstrebt, steht alles schon im Grundgesetz.»
In der neuen Studie wurden diese Antworten daher lieber nicht mehr angeboten. Auch andere Fragestellungen wurden «modifiziert», was die Vergleichbarkeit der beiden Studien einschränkt. Das legt den Schluss nahe: Eine direkte Vergleichbarkeit ist nicht gewünscht, denn sonst hätte man einfach die Fragen von 2008 eins zu eins nochmals stellen können. Vielleicht wären die Ergebnisse auch nicht die benötigten?
Boris Palmer hat sich auf einer Konferenz in Frankfurt durch unkluge Äußerungen ins Aus geschossen und dem Anliegen insgesamt geschadet. Er zog in einer Diskussion mit Demonstranten, die seinen Gebrauch den Wortes “Neger” kritisierten, einen Vergleich zum Judenstern. Das ist nicht nur dumm, sondern indiskutabel. Die Sache ist aber komplizierter. Wer, wie Palmer, permanent im Feuer steht, kann sich schonmal vergessen. Das macht es nicht besser, ist psychologisch aber nachvollziehbar. Zudem ist die Diskussion um das sogenannte “N-Wort” ohnehin vergiftet. Das Wort an sich ist, wenn es begriffsgeschichtlich betrachtet, faktisch nicht rassistisch. Es kommt aus dem Französischen (nègre), dem Spanischen (negro), dem Lateinischen (niger) und heisst einfach “schwarz”. Rassistisch wäre “Nigger”. Das ändert nichts daran, dass sich manche Menschen davon beleidigt fühlen. In diesem Fall gebietet der Anstand, es nicht zu benutzen. Es komplett zu tabuisieren und sogar aus der Literatur zu streichen, ist allerdings falsch. Dieser ganze Vorfall ist Wasser auf die Mühlen derer, die das Thema sowieso nicht offen diskutieren wollen. Nun hat die “Denkfabrik R21” eine Stellungnahme veröffentlicht.
Herr Palmer hat aus dem Vorfall Konsequenzen gezogen; die Referenten der Konferenz und Susanne Schröter als Organisatorin haben sich unmissverständlich von seinen Aussagen distanziert. Das sollte ausreichen, um sich dem eigentlichen Thema der Konferenz widmen zu können: dem Thema der Migration, das von der deutschen Politik mit „irritierender Gelassenheit“ (FAZ) behandelt wird.
Doch weit gefehlt. Die verbalen Entgleisungen Palmers waren eine Steilvorlage für alle, die Susanne Schröter und die anderen Teilnehmer schon weit vor der Frankfurter Tagung persönlich diffamiert und als „Rassisten“ und „Nazis“ beschimpft hatten – mit dem N-Wort einer woken Linken, das dem anderen an Diskriminierung nicht nachsteht. Diesen Gruppen geht es nicht um eine offene, sachliche und differenzierte Diskussion, wie Migration gelingen kann. Es geht um Denk- und Debattenverbote durch Verleumdung der Anderen.
Migration: Offene Debatten statt Polemik und Diffamierung - Denkfabrik R21
Daran, dass Menschen, deren Meinung nicht passt, gern als “rechts” bezeichnet werden, hat man sich im verrohten Klima bereits gewöhnt. Über diese Strategie hat Eszter Kováts einen lesenswerten Text geschrieben.
Die von einem Millionenpublikum gesehene Sendung ist ein anschauliches Beispiel für die zentrale diskursive Strategie eines zensierenden Social-Justice-Aktivismus im Westen, der über Genderfragen hinausgeht: Ob beabsichtigt oder nicht, werden abweichende Meinungen mit der extremen Rechten in Verbindung gebracht. Das beinhaltet gleich zwei Logiken der Delegitimierung: Jedes Gegenargument kommt von der moralisch falschen Seite, und jede angebliche Gesellschaftskritik ist eigentlich eine Verschwörungstheorie.
Bestimmte Konzepte, politische Ziele und Forderungen der postmodernen Linken stehen schon seit geraumer Zeit unter Beschuss. Die Kritik kommt nicht nur von der Rechten (und erst recht nicht nur von der extremen Rechten), sondern auch aus marxistischen Kreisen, von liberalen Verfechtern der Rede- und Wissenschaftsfreiheit, von Feministinnen verschiedener Strömungen, Befürwortern von Schwulen- und Lesbenrechten und von besorgten Eltern. Die Reaktionen auf diese Kritik sind oft aggressiv und fanatisch: Wer Kritik übt, hat nicht nur Unrecht, sondern ist eine verachtenswerte Person, die ihren Hass oder ihre Bigotterie hinter Argumenten verschanzt, die von rechtschaffenen Menschen verachtet werden sollten.
Dieser moralistische Diskurs macht oft den Fehler, die Anliegen der Mitglieder bestimmter Gruppen mit den Zielen und Strategien der damit verbundenen sozialen Bewegungen gleichzusetzen – als würde die Kritik an Letzterer zwangsläufig bedeuten, dass Erstere ignoriert werden, oder als würde, direkt oder indirekt, das ihnen zugefügte Leid vergrößert. Nach dieser Logik ist jede Kritik an #MeToo Sexismus, jede Kritik an der Leihmutterschaftsindustrie Homophobie und jede Kritik an der Prostitutionsindustrie Ausgrenzung von Sexarbeiterinnen. Nach dieser Logik ist es rassistisch, wenn jemand die Excel-Tabellen-ähnliche Aufzählung „intersektionaler“ Identitäten hinterfragt, und trans- und queerfeindlich, wenn jemand nicht jeden partikularen Identitätsanspruch blindlings akzeptiert.
Wer von Lobbys spricht, wird als Verschwörungstheoretikerin verunglimpft. Doch ebenso, wie es eine feministische Lobby (die Europäische Frauenlobby nennt sich sogar so), eine katholische Lobby und eine Lobby für Großfamilien gibt, gibt es auch eine Trans-Lobby. All diese Lobbyorganisationen bündeln ihre Kräfte, bilden Koalitionen und üben Druck auf politische Institutionen aus, damit diese auf nationaler oder europäischer Ebene Gesetze erlassen, die ihren Interessen dienen. Doch über diese Themen zu sprechen, ist mittlerweile zu einem Eiertanz geworden.
Wie repräsentativ, wie weit verbreitet und systemisch diese Diskurse in der Zivilgesellschaft sind, müsste empirisch noch genauer untersucht werden. Sie sind jedenfalls keine Einzelfälle an den extremen Rändern der Gesellschaft, sondern in den Medien und gesellschaftlichen Bewegungen, in Politik und Wissenschaft präsent. Sie sind keine Beschreibungen von tatsächlichen Konfliktlinien – für oder gegen Gleichheit und Inklusion –, sondern sie sind diskursive politische Strategien, um diese Konfliktlinien herzustellen und eine bestimmte Lesart von sozialer Gerechtigkeit hegemonial festzuschreiben.
Wenn Menschen vor die Alternative gestellt werden – „Entweder du bist auf unserer Seite oder du bist ein rechter Verschwörungstheoretiker, der moralisch auf der falschen Seite der Geschichte steht“ –, mag das eine abschreckende Wirkung entfalten und dafür sorgen, dass Menschen aus Angst den Mund nicht mehr aufmachen. Aber auf lange Sicht wird sich damit keine Mehrheit für irgendetwas mobilisieren lassen. Vielmehr wird es diejenigen radikalisieren, die so angegangen werden.
Linke und Andersdenkende - IPG Journal
Peter Voss, ehemaliger Intendant des Südwestrundfunks, schreibt in einem Gastbeitrag über politische Schlagseite und ideologische Hegemonie im System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Es stimmt, in der Auswahl von Themen und politisch relevanter Äußerungen wurde vordergründig ein gewisser, manchmal steril anmutender Proporz gewahrt.
Der kam allerdings nicht wirklich auf gegen eine inhaltlich dominante Tendenz, die von den 68ern ausging, die damals ihren „Marsch durch die Institutionen“ bereits angetreten hatten. Sie gaben den Ton an und bekannten sich klar zu ihrem Ziel: die Gesellschaft in ihrem Sinne zu verändern, auch durch die thematische Auswahl und inhaltliche Gestaltung der Nachrichten, die ja für ideologische Ambitionen viel Spielraum lässt.
Auch diese überwiegend intelligenten, politisch wachen und taktisch versierten Kollegen polemisierten heftig gegen die (übrigens vom Verfassungsgericht gebotene) „Ausgewogenheit“ und ignorierten mit Fleiß, dass es etwas noch viel Schlimmeres gab und gibt: politische und ideologische Einseitigkeit.
Das Grundproblem ist freilich von der personellen Zusammensetzung von Redaktionen nicht ganz zu trennen. Jeder von uns hat eine perspektivische Wahrnehmung und blendet, meist mehr nolens als volens, bestimmte Aspekte, Fakten und mögliche Wertungen aus.
Da muss gar keine bewusste Manipulation im Spiel sein; bestimmte, zunächst oft naheliegende und plausible Annahmen werden einfach nicht mehr hinterfragt, sie gehen gleichsam ins Grundwasser ein.
Das macht nichts, solange die Mitglieder einer Redaktion nicht alle oder fast alle die gleiche Perspektive haben, sondern wenigstens ein paar dabei sind, die den Mut haben zu sagen: „Das kann man aus diesen und jenen Gründen auch ganz anders sehen.“ Und solange die „Hierarchen“ unabhängig von ihrer eigenen Position an einer offenen Diskussion interessiert sind und sie nicht nur ermöglichen, sondern im Zweifel durchsetzen.
Man muss nicht irgendwelchen Verschwörungsthesen anhängen, um festzustellen, dass es damit bis in die jüngste Zeit vielfach gehapert hat. Natürlich war und ist auch meine Wahrnehmung selektiv. Ich lasse mich deshalb gern widerlegen, wenn ich behaupte, dass es allzu oft nach dem Merkel-Muster ablief – bestimmte politische und moralische Grundpositionen wurden in Politik und Medien, besonders den öffentlich-rechtlichen, weitgehend als alternativlos gehandelt.
Wohlgemerkt, hinter solchen Einseitigkeiten steckt keine perfide Strategie und keine Verschwörung. Auch parteipolitisch motivierte Proteste dagegen greifen oft zu kurz.
Eine Erklärung wäre eher darin zu suchen, dass sich der Nachwuchs, sprich die (erfreulicherweise mehrheitlich weiblichen) Volontäre, überwiegend aus gesellschaftswissenschaftlichen Studienfächern wie etwa Soziologie und Politologie rekrutiert, die sich bestimmten, emanzipatorisch verstanden Denktraditionen verbunden fühlen.
Die Studenten dieser Fächer seien im Hinblick auf gesellschaftliche Themen eben besonders kritisch, wird apologetisch gesagt. Das sind sie auch, aber überwiegend aus einer Richtung, die eher einem perfektionistisch angelegten Gleichheitsdenken verpflichtet ist als anderen Grundwerten. Das war übrigens auch schon in den 70ern so: Da wurde die SPD auch kräftig kritisiert, aber meistens nur dafür, dass sie nicht links („friedensbewegt“) genug sei.
Es läuft viel zu oft nach dem Merkel-Muster - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Was derzeit über Vorgänge im Wirtschaftsministerium bekannt wird, lädt zu der scherzhaften Bemerkung ein, dass es sich eigentlich um ein zweites Familienministerium handelt. Man stelle sich nur einen Moment lang vor, Ähnliches hätte sich unter CDU oder FDP-Führung zugetragen. Die Hölle wäre los. Interessant, dass auch hier wieder versucht wird, Kritik als “rechts” zu rahmen. Dass diese auch von linken Medien, wie der “Frankfurter Rundschau” geäußert wird, ignoriert man geflissentlich. Das eigentliche Problem liegt tiefer: Es diskutieren nur Gleichgesinnte über die Zukunft des Landes.
Da recherchieren Reporter zu den familiären Verbindungen des Staatssekretärs Patrick Graichen, des Architekten der Energiewende. Dem fällt plötzlich ein, dass er kürzlich seinen Trauzeugen zum Chef der bundeseigenen Energie-Agentur dena erkoren hat, ohne darin ein Problem gesehen zu haben. Und das, nachdem Graichen bereits mit einem anderen Staatssekretär im Haus verschwägert ist und zwei seiner Geschwister beim Öko-Institut arbeiten, das Aufträge des Ministeriums bekommt.
Zugleich wird das dahinterliegende Problem immer offensichtlicher: Bei der Energiewende planen und diskutieren nicht nur Graichens mit Graichens, sondern vor allem Grüne mit Grünen.
Das betrifft nicht nur das Wirtschaftsministerium, wo Robert Habeck nach seinem Einzug zahlreiche Spitzenposten mit Vertrauten besetzt hat, wie es bei Machtwechseln oft vorkommt. Sondern auch viele Organisationen drum herum: Der Chef der Bundesnetzagentur ist ein Grüner (Klaus Müller). Die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft ist eine Grüne (Kerstin Andreae). Die Vorständin des Bundesverbands der Verbraucherzentralen ebenso (Ramona Pop). Und die Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energien natürlich auch (Simone Peter). Man kennt sich, schätzt sich, duzt sich.
Die grünen Netzwerke haben sich gebildet, während die großen Koalitionen die Energiewende verschleppt haben. In dieser Zeit sammelten sich die grünen Transformatoren in eigenen Biotopen, beispielsweise im Thinktank Agora Energiewende, den Patrick Graichen leitete und in dem er auch mit seinem Trauzeugen zusammenarbeitete. Dort schrieben sie Konzepte für den Umbau des Landes, die Graichen nun umsetzt.
Es ist dringend eine Entflechtung angesagt und das Einbeziehen von Andersdenkenden, denn wer nur von Freunden umgeben ist, lebt im gewaltigen Risiko, einen Teil der Wirklichkeit zu übersehen. Habecks und Graichens von vielen Praktikern hart kritisiertes Heizungsgesetz lässt grüßen.
Alexander Horn hat einen phantastischen Text über das hochgradig kritikwürdige Demokratieförderungsgesetz geschrieben. Es ist einer der besten Texte, die ich zu diesem Thema bisher gelesen habe.
Im Regierungsentwurf wird an keiner einzigen Stelle gezeigt, dass die adressierten "demokratie- und menschenfeindlichen Phänomene" tatsächlich zugenommen haben, noch wird eine Erklärung dafür geliefert, woran das liegen könnte.
Stattdessen wird postuliert, dass eine Situation entstanden sei, "die eine zunehmende Bedrohung für die freiheitliche demokratische Grundordnung und den gesellschaftlichen Zusammenhalt" darstelle.
So steht schließlich der schlimme Verdacht im Raum, dass die Bürger nicht nur zu passiv sind, um der gesellschaftlichen Entwicklung eine positive Richtung zu geben, sondern dass sie selbst – oder zumindest ein relevanter Teil von ihnen – zu einem Problem für die Demokratie geworden sind.
Das Demokratiefördergesetz basiert auf der Annahme einer geistigen und moralischen Schwäche einfacher Bürger und ihrer politischen Verführbarkeit. Das gesamte Vorhaben der Demokratieförderung speist sich aus der Einschätzung, dass die große Masse der Wähler weder über die intellektuelle Reife verfügt noch moralisch hinreichend gefestigt ist, um etwa Desinformation nicht auf den Leim zu gehen oder sich von Extremisten nicht verleiten zu lassen.
Die Bürger selbst gelten als Nährboden für die problematisierten Auffassungen, indem sie sich von dumpfen Parolen beeinflussen und verführen lassen.
Die Fähigkeit zur Bildung einer unabhängigen Meinung wird ihnen in einem Umfeld von Hass und Hetze, Desinformation und sich ausbreitender Filterblasen kaum zugetraut.
Im Bestreben, die Bürger vor 'demokratiegefährdenden' Ansichten bestmöglich abzuschirmen, lanciert das Demokratiefördergesetz eine heftige Attacke auf die Meinungsfreiheit.
Im Gesetzentwurf wird deutlich, dass es der Bundesregierung in erster Linie darum geht, Auffassungen und Meinungen abzuwehren, die etwa als rassistisch, extremistisch, leugnend, hassend oder hetzend gelten. Das wird jedoch verklausuliert, indem pauschalisierend von der Bekämpfung "demokratie- und menschenfeindlicher Phänomene" die Rede ist.
Mit dem Demokratiefördergesetz ist ein tiefer Eingriff in die Meinungsfreiheit geplant, denn es zielt darauf ab, Meinungen zu bekämpfen, die nicht in den Bereich von Straftaten fallen. Die Verbreitung rechtswidriger Inhalte wie zum Beispiel Volksverhetzung, öffentliche Aufforderung zu Straftaten oder sogar tätliche Angriffe sind nämlich nicht Gegenstand des Demokratiefördergesetzes.
Diese strafrechtlich relevanten Äußerungen und Taten werden üblicherweise in erster Linie von staatlichen Organen verfolgt, geahndet und bestenfalls von diesen vereitelt.
Die demokratiefördernden Ambitionen der Bundesregierung liegen vielmehr darin, gewissermaßen das zivilgesellschaftliche Vorfeld zu bearbeiten. Bürger sollen durch Aufklärung resilienter werden und von gefährlichen Meinungen ferngehalten werden.
Mit dem neuen Gesetz geht es ausschließlich um die Bekämpfung von Meinungen und Auffassungen, die unterhalb der Schwelle strafrechtlicher Relevanz liegen und die aus gutem Grund vom Grundgesetz geschützt sind. Der grundgesetzliche Schutz der freien Meinungsäußerung wird durch das Demokratiefördergesetz, wie bereits seit 2017 durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), massiv untergraben.
Das deutsche Grundgesetz schützt, trotz einer Vielzahl von Einschränkungen, formal das Recht, eine Meinung frei und ungehindert zu äußern. Meinung gilt dabei als Aussage, der "ein Element der Stellungnahme" und "des Dafürhaltens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung" innewohnt, also ein subjektives Werturteil im Sinne von Stellungnahmen, Beurteilungen, Wertungen oder Auffassungen.
Auch Meinungen, die der verfassungsmäßigen Ordnung zuwiderlaufen, werden durch die Meinungsfreiheit geschützt. Der Schutz der Meinungsfreiheit betrifft also auch Werturteile, die "extremistisch, rassistisch, antisemitisch oder in anderer Weise rechtswidrig oder menschenverachtend sind".
Die so definierte Meinungsfreiheit steht mit dem Demokratiefördergesetz zur Disposition, denn es zielt explizit auf die Verdrängung aller Phänomene, die als demokratie- oder menschenfeindlich eingestuft werden können. So wird staatlichen und als förderungswürdig erachteten zivilgesellschaftlichen Initiativen die Rolle eines Lautsprechers zugedacht.
In einer fatalen Umkehrung des demokratischen Prinzips beabsichtigt die Bundesregierung mit dem Demokratiefördergesetz nicht etwa, den Einfluss der Bürger auf den gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess durch Förderung der öffentlichen Debatte und Kontroverse zu stärken, sondern ihn zu behindern.
Mit der Etikettierung Andersdenkender als demokratie- und menschenfeindlich macht sie sich und die gesamte Öffentlichkeit im besten Fall zu Sklaven ihrer eigenen Meinung, da sie Anderen das Recht vorenthält, sich zu äußern. Im schlimmsten Fall geht es darum, oppositionelle Meinungen zu unterdrücken.
Vernichtendes Zeugnis der Regierung: Bürger mit Defiziten - Telepolis
Franziska Brandmann (JuLis) und Christoph Giesa (Gründer d. illiberalen Splittergruppe“Operation Heuss”) wollen weniger Kubicki in der FDP. Das tatsächliche Problem sind bizarre Lautsprecher, die bei anderen Parteien, deren Inhalte sie ohnehin vertreten, besser aufgehoben wären. Laute Minderheiten versuchen den Begriff “Liberalismus” für sich zu vereinnahmen. Die einen versuchen, sozialdemokratische und grüne Inhalte als liberal zu verkaufen. Die anderen halten plumpen Rechtspopulismus für liberal. Beide haben mit dem Begriff nichts zu tun. Ein weiterer Grund ist, dass man der in Deutschland großen Gruppe der Gegner des Liberalismus nicht selbstbewusst entgegentritt. Kurz: Man lässt sich von Menschen, die nichts mit Liberalismus zu tun haben, den Schneid abkaufen.
Dass Kritiker von links über grün bis neo-konservativ seit Jahren den Neoliberalismus für alles Schlechte in der Welt verantwortlich machen, ist deren gutes Recht. Dass die Liberalen, scheu und opportunistisch wie sie sind, dem nichts Rechtes entgegenzusetzen wussten, ist traurig. Doch neuerdings singen die Liberalen selbst das Lied der Liberalismus-Kritik fast am lautesten.
Anstatt den illiberalen Populismus mannhaft zu zertrümmern, heißt die Antwort der Liberalen „mea culpa“ wie im katholischen Beichtstuhl.
Selbstbewusste Freunde der Freiheit sollten besser die Stärken des Kapitalismus herausstreichen: Hat sich die Weltwirtschaft, allen voran Deutschland, nicht erstaunlich robust und resilient von der Finanzkrise erholt? Wie kommt es, dass der US-Kapitalismus bis heute weltweit der entscheidende Treiber von Wohlstand, Produktivität und Innovation ist? Eine Demokratie, die das Bündnis mit dem Kapitalismus aufkündigt, verspielt Freiheit und Wohlstand. Dem Einsatz für das historisch überlegene, derzeit höchst gefährdete Bündnis zwischen liberaler Demokratie (inklusive radikaler Meinungsfreiheit) und globalem Kapitalismus müssten alle Anstrengungen der Liberalen gelten. Die Kritik am Liberalismus sollten sie ernst nehmen, die Feinarbeit getrost den Linken, Grünen und Konservativen überlassen. Das können die besser.
Die angepassten Liberalen - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Zum Ende der Rubrik wieder Sehenswertes. Giovanni di Lorenzo spricht mit Angela Merkel.
"Was also ist mein Land?" – diese Frage steht im Zentrum der außergewöhnlichen Rede von Angela Merkel zum Tag der Deutschen Einheit 2021 und ist aktueller denn je. Im Gespräch mit Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur von Die ZEIT, stellt sich Angela Merkel den herausfordernden Fragen unserer Gegenwart.
Die Eheleute Nadja Klier und Ingo Hasselbach sprechen über die Parallelen und die Unterschiede ihrer Biographien.
Nadja Klier (1973) wuchs in Dresden und Ost-Berlin auf. Ihre Mutter, die Theaterregisseurin Freya Klier, geriet in den 1980er Jahren vermehrt mit der Staatsmacht in Konflikt. Nachdem sie wiederholt Kritik am SED-Regime geäußert und Reformen eingefordert hatte, wurden Mutter und Tochter nach West-Berlin abgeschoben. Die gerade 15-Jährige Nadja Klier verlor über Nacht ihr Zuhause. Ingo Hasselbach (1967) begehrte in jungen Jahren gegen die Eltern und die DDR auf. Verhaftet als sogenannter „Rowdy“, knüpfte er im Gefängnis Kontakte zu Alt- und Neonazis. In den "Wendejahren" war Hasselbach federführend in rechtsextremen Netzwerken aktiv. Nach Anschlägen auf türkische Asylbewerber setzte bei ihm ein Umdenken ein. Er hat die Aussteigerorganisation EXIT-Deutschland mitbegründet und ist heute u.a. in der Prävention tätig.
Ulrike Herrmann und Lars Feld diskutieren über Kapitalismus.
Rationieren, reduzieren, schrumpfen – Sorgen um die Energieversorgung und die Folgen hoher Gaspreise prägten im Winter 2022/23 den öffentlichen Diskurs in Deutschland. Mitten in diese Zeit fiel die Veröffentlichung des Buches "Das Ende des Kapitalismus" der taz-Journalistin und Autorin Ulrike Herrmann, das zum Bestseller avancierte. Werden wir durch die Klimakrise gezwungen, die Systemfrage zu stellen? Sind Kapitalismus, grünes Wachstum und Klimaneutralität wirklich unvereinbar? Und ist ein „grünes Schrumpfen“ der Wirtschaft mit der Demokratie vereinbar? Über diese Fragen debattierte Ulrike Herrmann im Rahmen der Freiburger Horizonte mit Lars Feld, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg.
Jörg Thadeusz befragt die Juristin Prof. Elisa Hoven.
"Es gibt Taten, die sind so massiv – weil sie entweder extreme Folgen haben oder unglaublich brutal sind –, dass man fast keine Strafe als wirklich gerecht empfinden wird", sagt Elisa Hoven, Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig, und sie ergänzt: "Jedenfalls keine Strafe, die ein Rechtssystem akzeptieren kann." Mit Blick auf Raser und illegale Autorennen erklärt Elisa Hoven, dass der Gesetzgeber auch auf die Berichterstattung und öffentliche Diskussionen über als zu milde empfundene Urteile reagiert und einen neuen Straftatbestand „illegale Kraftfahrzeugrennen“ geschaffen habe: „Wir haben einen Einzelfall, der wird dann medial groß gemacht, die Politik gerät unter Druck: Da muss doch was getan werden, das ist doch nicht gerecht! Und dann wird das Strafrecht angeschaut und im Zweifel verändert. Da muss man natürlich aufpassen, dass man jetzt nicht nur wegen eines Einzelfalls ein vielleicht ansonsten funktionierendes System aufbricht. Aber Einzelfälle können natürlich auch sehr schön Lücken zeigen, Probleme zeigen, Defizite zeigen. Und ohne die Medien funktioniert da sehr wenig.“
Kultur
Coverversion der Woche: David Bowie - Waterloo Sunset
Der Song “Waterloo Sunset” wurde von Ray Davies geschrieben und 1967 als Single veröffentlicht. Er steht auf Platz 14 der „500 Greatest Songs of All Time“ des Rolling Stone und war als erste Single der Band in Stereo erhältlich. Die Veröffentlichung erreichte Mitte 1967 Platz 2 der britischen Charts und war ein Top-10-Hit in Australien, Neuseeland und den meisten Teilen Europas. Nur in den USA erreiche sie die Charts nicht. Die Version von David Bowie erschien im Jahr 2003.
Epilog
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