Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #12
Man könnte inzwischen ein ganzes Buch über das Versagen des Berliner Senats schreiben. Regelmäßig kommen neue Dinge ans Tageslicht. Einige sind amüsant, andere hochbrisant.
Der Mietendeckel ist ein Beispiel für Letzteres. Das Angebot an Mietwohnungen ist um 28% und das Angebot der Mietwohnungen, die unter den Mietendeckel fallen, um 44% zurückgegangen. Dafür ist die Zahl der Verkaufsangebote von Eigentumswohnungen um 37% gestiegen. Die Probleme werden mit dieser Maßnahme also nicht gelöst, sondern sogar verschärft. Dass der Mietendeckel verfassungskonform ist, darf ebenfalls bezweifelt werden. Dazu kommt: Kein ernsthafter Ökonom hält ihn für richtig. Preiskontrollen sind Instrumente aus der Mottenkiste. Es ist allerdings müßig zu argumentieren, denn den Befürwortern geht es letztendlich um ein rotes Berlin und das Ende des Marktsystems. Die negativen Auswirkungen werden als Kollateralschaden hingenommen.
Mir kam die Idee, eine Spezialausgabe des Newsletters zum Berliner Senat zu machen. Allzu regional soll es hier ja nicht werden, aber allein die Zusammensetzung der Parteifarben hat schon auf andere Bundesländer/Stadtstaaten ausgestrahlt und wird von manchen sogar auf Bundesebene gewünscht. Möge uns das erspart bleiben. Freue mich über Rückmeldungen dazu.
Da mich einige Nachrichten mit der Bitte erreichten, mir auch auf “LinkedIn” folgen zu können, habe ich dort nun einen Account eingerichtet. Mit einem Klick auf diesen Link landet man direkt dort.
Diese Woche geht es unter Anderem um einen offenen Brief, Identitätspolitik und die Teletubbies.
Nun aber los.
Politik/Gesellschaft
Luisa Neubauer und Greta Thunberg waren bei Angela Merkel zu Gast, um ihr - zusammen mit anderen “Aktivisten” - einen offenen Brief zu überreichen. Das war wohl nicht mit dem “Fridays For Future”-Zentralkommitee abgestimmt, weshalb es nun Kritik aus den eigenen Reihen gibt. Verwunderlich, denn es ist nicht der erste Alleingang von Neubauer, die bereits mit ihrer Mitwirkung bei einem umstrittenen und letztendlich wegen Corona abgesagten Event im Berliner Olympiastadion angegangen wurde. Ich gebe zu, dass auch für mich, Grossveranstaltungen im Olympiastadion, bei denen gemeinsame Beschlüsse gefasst werden, ein Geschmäckle haben. Zurück zum aktuellen Termin. Einer meiner Hauptkritikpunkte an “Fridays For Future” war von Anfang an, dass die Bewegung (trotz einiger falscher Prämissen) zwar eine grundsätzlich richtige Problembeschreibung liefert, allerdings keinerlei umsetzbare Vorschläge unterbreitet. Diese sucht man auch im offenen Brief vergeblich.
Der Unterschied zwischen Merkel und Thunberg ist vor allem politästhetischer Natur: Merkel gesteht ihre Ratlosigkeit indirekt ein, indem sie weitermacht wie bisher. Es wird Klimapolitik betrieben, aber nur als grüne Fassade. Der Kern der Wirtschaft bleibt fossil – weil der Ökostrom niemals dazu reichen würde, einen krisenfreien Aufschwung zu garantieren.
Thunberg hingegen maskiert ihre Ratlosigkeit durch Radikalität. Sie fordert ein „neues System“, doch dieses wird nirgendwo konkret beschrieben. Also passiert politisch nichts. Ungewollt stabilisiert auch Thunberg die bisherige Wirtschaftsordnung.
Zwei Frauen, die sich ähneln - TAZ
Für so hitzige wie folkloristische Diskussionen sorgt die Tatsache, dass am kommenden Dienstag Björn Höcke zum MDR-Sommerinterview eingeladen ist. Einer der Gründe dafür ist das, tatsächlich spektakulär missglückte, Interview mit dem inzwischen parteilosen Andreas Kalbitz. Letztlich darf es aber nicht darum gehen, ob man solche Interviews führt, sondern darum, wie man sie richtig führt. Ich bin jemand, der die AfD aus vielen Gründen ablehnt, aber dass die Vertreter einer demokratisch legitimierten Partei in den öffentlich-rechtlichen Medien zu Wort kommen, darf in einer Demokratie nicht zur Diskussion stehen.
Der Medienrechtsprofessor Hubertus Gersdorf von der Uni Leipzig sagt: Die AfD habe ein Recht darauf, im Öffentlich-Rechtlichen aufzutauchen. "Und je größer die Bedeutung einer Partei, desto mehr muss sie zu Wort kommen." Anders als privatwirtschaftlich organisierte Medien müssten ARD und ZDF sich an Regeln halten, die der Rundfunkstaatsvertrag vorgibt. Darin steht, in Artikel 11 Absatz 2, die Pflicht zu Objektivität, Unparteilichkeit und Ausgewogenheit. Das heiße: Führe man Sommerinterviews mit allen Landtags-Fraktionschefs (wie im Fall von RBB und MDR) – dann könne man die Vertreter einer der stärksten Fraktionen nicht auslassen.
Gehört er ins Fernsehen? - Die Zeit
Dass sich der Furor der schwarzen “Community” schnell auch gegen die eigenen Leute richtet und diese wie Feinde behandelt werden, wenn sie die “falschen” Meinungen vertreten, weiss ich persönlich seit den 90er Jahren sehr genau. Seitdem ist das Ganze allerdings noch extremer geworden. Nun hat es den emeritierten Professor und schwarzen Marxisten Adolph Reed getroffen. Weil er die aktuellen Konflikte eher für eine Klassen-/ als für eine Rassenfrage hält, soll er nicht mehr öffentlich sprechen. Seine Ansichten passen nicht ins Programm einer Bewegung, die meiner Meinung nach ihre ursprünglichen Ziele schon lange aufgegeben hat.
Along the way, he acquired the conviction, controversial today, that the left is too focused on race and not enough on class. Lasting victories were achieved, he believed, when working-class and poor people of all races fought shoulder to shoulder for their rights.
A Black Marxist Scholar Wanted to Talk About Race. It Ignited a Fury. - The New York Times
Nicht oft genug kann man in diesem Zusammenhang auf den brillianten Text von Bernd Rheinberg zu Identitätspolitik im Zusammenhang mit den bizarren Vorfällen um den „25 Frauen Award“ des Onlinemagazine “Edition F” verweisen, der sehr gut ihre Auswüchse zeigt. Besonders interessant auch die Ausführungen zu “Struktur”.
Wenn man das Glück hat und die Politik im freien Westen einige Jahrzehnte verfolgen durfte, dann fallen einem zwei Dinge bei linken Projekten allgemein und hier jetzt wieder im Besonderen auf: Erstens, wenn das Epitheton „strukturell“ wie bei „struktureller Rassismus“ oder „strukturelle Diskriminierung“ inflationär zur Erklärung eines mutmaßlich himmelschreienden Unrechts benutzt wird, dann kann man davon ausgehen, dass hier zum eigenen Vorteil übertrieben und zur eigenen Entlastung auf eine differenzierte Beschreibung bzw. Erklärung verzichtet wird. Weder unser Staat noch unsere Gesellschaft sind „strukturell“ rassistisch. Ja, es gibt Rassismus, aber er ist nicht in unserem Grundgesetz, nicht in unserem Rechtsstaat, nicht in unserer Politik, nicht in unserem Alltag gleich einer DNA festgeschrieben oder von der Mehrheit abgesprochen. Es war der Friedensforscher Johan Galtung, der in den 1970er-Jahren als erster von „struktureller Gewalt“ sprach und einer ganzen Generation linker Sozialwissenschaftler mit diesem erweiterten Gewaltbegriff das Mittel zur Diskreditierung von Demokratie und Rechtsstaat an die Hand gab. Unser ganzes Leben wurde als gewaltförmig beschrieben, und genau das setzt die neue Anti-Rassismus-Bewegung heute fort, ohne eines Beweises für die Behauptung fähig zu sein. Warum auch? Alle entgrenzenden politischen Begriffe dienen allein dem Zweck, Widerspruch kaltzustellen und sie wie Paniere beim Angriff auf das ungeliebte System in den Wind zu halten.
Fatale Farbenlehre - Salonkolumnisten
Schon seit Jahren beklage ich, dass Debatten immer häufiger auf der Basis von Identität und Kultur geführt werden, was ich aus vielen Gründen falsch und auch gefährlich finde. Nun ist (mal wieder in der “TAZ”) ein hervorragender Artikel von Cinzia Sciuto erschienen, in dem ich jedes Wort unterschreiben kann.
Multikulturalismus ist ein trügerisches Wort, weil es viel weitreichendere Implikationen hat, als man auf den ersten Blick vermutet. Wenn wir an Multikulturalismus denken, denken wir meistens an die bunte Begegnung zwischen vielfältigen Traditionen, Bräuchen, Speisen, Kleidung, Musik usw. Aber der Multikulturalismus hat auch politische Konsequenzen und kann aus der Pluralität der Traditionen zu einer Pluralität der Rechte führen, was problematisch ist.
Nach dem Multikulturalismus sollten die verschiedenen Kulturen so, wie sie sind, akzeptiert werden und dürfen nicht infrage gestellt werden. Das Problem dabei ist, dass die Kulturen keine unveränderlichen und beschlossenen Objekte sind, sondern vielmehr soziale Prozesse, die ständig in Bewegung sind und die letztendlich vom Austausch einzelner Menschen leben – jeder mit seinen eigenen Erfahrungen, Gedanken, politischen und ethischen Überzeugungen, die nicht völlig von der Herkunft oder der religiösen Zugehörigkeit bestimmt sind.
Die Falle des Multikulturalismus ist die, dass man vor lauter Respekt vor den Kulturen Gefahr läuft, die Verletzungen der Menschenrechte der einzelnen Individuen zu übersehen oder sogar zu fördern.
Dass die Kabarettistin Lisa Lasselsberger, besser bekannt als “Lisa Eckhart” in der letzten Woche von nahezu jedem wichtigen Medium interviewt wurde, wird von denen, die behaupten, es gebe keine Cancel Culture, gern als Beweis für ihre Behauptung angeführt, der allerdings mitnichten einer ist. Das verwundert nicht, denn die Argumentation ist in dieser Hinsicht insgesamt recht dünn. Offenbar hat man sich jetzt endgültig darauf verständigt, Lasselsberger als Rassistin und Antisemitin abzustempeln. Man ignoriert dabei bewusst, dass es sich bei “Lisa Eckhart” um eine Kunstfigur handelt, in deren Rolle sich Lisa Lasselsberger kritisch mit Stereotypen auseinandersetzt. Ebenso ignoriert werden ihre klugen Äusserungen in Interviews, die allein bereits den Unterstellungen den Boden entziehen.
Es gibt sehr viele Künstler, die sich mit dem rechten politischen Spektrum beschäftigen, was gut und notwendig ist, wo der Markt aber auch gedeckt ist. Ich möchte deshalb lieber bei denen, bei denen ich davon ausgehe, dass sie wie ich keine Unmenschen sind, schauen, in welche moralischen Dilemmata sie sich verstricken. Und die sind vielseitig. Etwa das hohe Ross, dass wir sittlich überlegen seien. Das mag stimmen, wenn man sich den Duktus mancher Rechten anschaut, nur, sich darauf auszurasten kann es nicht sein. Die Überzeugung, der bessere Mensch zu sein, ist immer riskant. Sich zu hinterfragen, wo werde ich fundamentalistisch in meinen guten Absichten, hat aber noch niemandem geschadet.
Lisa Eckhart: "Authentizität ist die Erzfeindin von Zivilisiertheit" - Der Standard
Kultur
Eine Sendung, die ich nie verstanden und immer als höchst verstörend empfunden habe, sind die Teletubbies. Sie wirkte auf mich immer so, als hätten die Erfinder sich ausgiebig an psychedelischen Rauschmitteln gelabt. Nun hat Martim Gueller dem Ganzen die Krone aufgesetzt und einen Ausschnitt mit der “Frühlingsweihe” von Stravinsky (In der Aufnahme des New York Philarmonic Orchestra mit Leonard Bernstein.) unterlegt. Passt!
Coverversion der Woche: Schooly D. - Am I Black Enough For You?
Zugegeben: Keine direkte Coverversion, sondern ein Song, in den das Original mittels Samplings eingebunden ist. Es gibt diesbezüglich zahlreiche gelungene Beispiele, die ich einfach mit einbeziehe. Auf das Original (1972) stieß ich vor Ewigkeiten auf dem Flohmarkt und mag seitdem (mal wieder) beide Versionen, zumal die Neuinterpretation aus einer Zeit (1989) stammt, in der es noch guten HipHop gab.