Prolog
Die sozialen Medien haben als Teil der Öffentlichkeit definitiv eine gewisse Relevanz. Debatten, die dort angestoßen werden, schaffen es oft (nicht immer zu Recht) in die etablierten Medien. Parallel hat sich in dieser Online-Blase allerdings auch ein Phänomen entwickelt, von dem ich glaube, dass es die Psychologie in der Zukunft noch beschäftigen wird.
Es ist bekannt, dass sich im im Laufe einer Debatte, wenn sich zunehmend meinungsstarke Akteure zu Wort melden, die gemäßigten Stimmen immer weiter zurückziehen und irgendwann nur die Schrillen, Obskuren und Ideologen aller Lager dabei bleiben. Das hat zur Folge, dass kaum jemand, der viel Zeit in soziale Medien verbringt an einer echten Debatte interessiert, also wirklich bereit ist, seine Meinungen zu hinterfragen oder gar zu ändern. Ein Grund, warum Diskussionen auf diesen Plattformen Zeitverschwendung sind.
Dort gibt es zudem immer mehr Menschen, die sich einem einzelnen Thema verschrieben, und es quasi zu ihrem Lebensinhalt gemacht haben. Diese diskutieren gefühlt jeden Tag den ganzen Tag mit anderen über dieses Thema, streiten aber letztlich um des Kaisers Bart. Hier wird nicht verstanden, dass sich Probleme ausschließlich durch reales Engagement lösen lassen. Einer gesunden Psyche ist es auch nicht zuträglich, sich ausschließlich auf ein Thema zu fixieren. Man würde manchen Diskutanten ein wenig Ausgleich wünschen.
Was war sonst noch? Nicht nur die britischen Palastflüchtlinge Meghan Markle und Prince Harry zeigen sich mit dem wiederholten Ausverkauf ihres Privatlebens und dem Verleumden der Königsfamilie von ihrer hässlichsten Seite. Auch bei der, bereits letzte Woche erwähnten, öffentlichen Trennung zweier FDP-Politiker läuft der nächste Akt (Kein Wortspiel beabsichtigt.). Spannend an diesem unwürdigen Schauspiel sind hauptsächlich die Aspekte, die nicht thematisiert werden, weil sich niemand diskursiv die Finger verbrennen möchte. Keine Erzählung darf bezweifelt werden, kein Weltbild ins Wanken geraten. Würde wirklich einmal offen und ehrlich darüber diskutiert, warum Menschen sich trennen, hätte diese Sache wenigstens einen positiven Effekt. So bleibt nur eine Schlammschlacht in den Boulevardmedien, denen sich beide gern als Gesprächspartner zur Verfügung stellen. Unappetitlich.
Auch neue Steuererhöhungen stehen an. Die unglaubliche Summe von 833 Milliarden Euro an Steuereinnahmen reicht offenbar nicht, obwohl Deutschland bereits die höchsten Steuern und Abgaben der Welt hat. Angesichts exzessiver Posten, wie 700 Millionen für ein neues Kanzleramt, die man in einer Wirtschaftskrise nur als maximal instinktlos bezeichnen kann, 220 Millionen für eine Corona Warn-App, die nicht funktioniert, mehr als 8 Milliarden für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk und 10.000 neuen Stellen im öffentlichen Dienst, darf man berechtigt nach Sparpotential fragen. Dem Bundesrechnungshof oder auch dem Bund der Steuerzahler möchte man auf Knien für ihre Existenz danken.
Nun aber los. Heute geht es unter anderem um Zeitgeist, einen vereitelten Putschversuch und Utopien
Politik und Gesellschaft
Weil sich die Bundesregierung vornehmlich um die wichtigen Themen kümmert, darf im Auswärtigen Amt ein Raum nun nicht mehr nach seinem ersten Chef benannt sein. Das erinnert ein wenig an das Abhängen eines Bilds in der Hamburger Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr, welches den Ex-Kanzler in Wehrmachtsuniform zeigt. Damals wurde Restverstand aktiviert, das Bild hängt wieder. Man kann nur hoffen, dass auch hier die Vernunft gewinnt. Ein Zitat Otto von Habsburgs kommt in den Sinn:”Wer sich mit dem Zeitgeist verheiratet, ist morgen verwitwet.”
Das Auswärtige Amt unter Außenministerin Annalena Baerbock benennt das sogenannte Bismarck-Zimmer um. Der Sitzungsraum trägt künftig den Namen »Saal der Deutschen Einheit«.
»Der neue Name trägt der historischen Entwicklung des Raums Rechnung, in dem zu DDR-Zeiten das Politbüro der SED tagte«, teilt das Auswärtige Amt mit. Die Umbenennung »trägt der Tatsache Rechnung, dass das Auswärtige Amt seine Traditionslinie maßgeblich in der demokratischen Geschichte Deutschlands verankert sieht«, zitiert die »Bild« -Zeitung aus einer Mitteilung des Auswärtigen Amts.
In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Diskussionen über Bismarcks Bedeutung für Deutschland. Da er den Ruf als Vollender der deutschen Einheit innehat, erinnern deutschlandweit zahlreiche Denkmäler an ihn. Als im Jahr 2020 weltweit Aktivisten gegen die Verherrlichung historischer Rassisten vorgingen, wurde aber auch in Deutschland über die Bismarck-Denkmäler debattiert.
Auswärtiges Amt benennt Bismarck-Zimmer um - Spiegel
Diese Woche wurde viel über eine Verschwörung im Reichsbürger-Milieu diskutiert, die eine Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zum Ziel hatte. Natürlich ging es nicht ohne Diskurs-Folklore: Je nach Agenda verharmlosten die einen und übertrieben die anderen. Die Verharmloser stellten den geplanten Staatsstreich als besseren Klingelstreich dar, die Übertreibenden behaupteten, das Ende der Demokratie habe unmittelbar bevorgestanden. Beides hat nichts mit der Realität zu tun, ist sogar grotesk unzutreffend. Gemeinsam haben die Diskutanten aller Lager, dass sie den Vorfall schamlos für ihre Zwecke instrumentalisieren und diese Instrumentalisierung der anderen Seite vorwerfen. So weit, so erwartbar.
Bei aller Ernsthaftigkeit und so sehr Vorhaben sowie dahinterstehendes Gedankengut auch abzulehnen sind: Die Kirche sollte im Dorf bleiben. Diese peinlichen Figuren hätten die Demokratie nicht einmal ins Wanken bringen können, was nicht bedeutet, dass sie nicht gefährlich sind. Wie auch? Es gab keine Kontakte zu führenden (Wenn auch zu aktiven, was schlimm genug ist.) Militärs oder ähnlichem. Das ist vergleichbar mit dem "Sturm auf den Reichstag", der eher ein Stürmchen war.
Verschwörungstheoretiker phantasieren sich eine "schweigende Mehrheit" herbei, die wie ein Mann aufsteht, wenn König Tweedsakko zum Sturm bläst. Die Realität sieht zum Glück anders aus. Die angebliche Mehrheit bildet sich nicht nur nicht in Wahlergebnissen ab, sie existiert schlichtweg nicht. Demokratiefeinde träumen seit 1946 von Umsturz, der niemals kommen wird. Die Mehrheit will solche Wirrköpfe ohnehin nicht an der Macht.
Nun wird juristisch aufgearbeitet werden, was tatsächlich passiert ist und welche Vorwürfe sich belegen lassen. Die Unschuldsvermutung gilt nämlich auch für “Reichsbürger”. Alles andere würde ihre Wahnvorstellungen befeuern.
Ärgerlich ist, dass dieser Vorfall in der nächsten Zeit in Debatten zur Stärkung des Narrativs, Gefahr gehe in Deutschland ausschließlich von Rechts aus, genutzt werden wird. Das entspricht allerdings nicht nur nicht den Fakten, es führt auch dazu, dass andere Gefahren für die Demokratie weiterhin stiefmütterlich behandelt werden und denen, die auf sie hinweisen, weiterhin unterstellt werden wird, sie wollten Rechtsextremismus verharmlosen.
Susanne Gaschke in der NZZ dazu:
Auch wenn die Aufregung über die mutmassliche «Reichsbürger»-Verschwörung, die deutsche Sicherheitsbehörden aufgedeckt und vereitelt haben, gross ist: Ein Umsturz oder Bürgerkrieg steht in Deutschland wahrlich nicht bevor. Die Wahnvorstellungen einiger sektiererischer Ewiggestriger sind für die überwältigende Mehrheit der Deutschen in keiner Weise nachvollziehbar.
Verfassungsschützer rechnen der gesamten «Reichsbürger»-Szene rund 21 000 Personen zu, das sind 0,025 Prozent der Bevölkerung. Verhaftet oder beschuldigt sind im konkreten Fall 52 Personen. Gute Arbeit der Behörden, möchte man sagen.
Beunruhigend ist allerdings, und dies ist Punkt zwei, die Beteiligung von aktiven und ehemaligen Soldaten und Polizisten an den Plänen für einen «gewaltsamen Umsturz mit womöglich militärischen Mitteln», wie es der Generalbundesanwalt formuliert. Auch hier gilt: Die überwältigende Mehrheit deutscher Polizisten, Soldaten und Reservisten ist verfassungstreu und dürfte über die Verwirrung ihrer (ehemaligen) Kameraden entsetzt sein. Aber offenbar zieht das Milieu der Sicherheitskräfte auch immer wieder einige autoritäre Antidemokraten an.
Solche Leute haben im Staatsdienst nichts zu suchen. Je früher man sie identifiziert und loswird, desto besser. Zugleich stehen die Verteidigungsministerin, die Innenministerin und deren Länderkollegen in der Pflicht, sich vor all die anderen, die aufrechten Wächter des staatlichen Gewaltmonopols zu stellen. Den Generalverdacht, den manche Medien immer wieder schnell gegen Polizei und Bundeswehr formulieren, müssen die Spitzen der Exekutive entschieden zurückweisen.
Im politischen Berlin war seit Tagen zu hören, es sei «eine grosse Sache im Busch». Manche Medien wussten offensichtlich von den bevorstehenden Razzien und Verhaftungen, denn viele Redaktionen veröffentlichten fast zeitgleich – wie nach einer Sperrfrist – umfangreiche Berichte zu der eigentlich doch ganz neuen Eilmeldung.
Ein Moderator des Parlamentssenders Phoenix gebrauchte die eigenartige Formulierung «Wir sind ganz froh, dass wir nichts vorher davon gehört haben, dann sind die Nachrichten hinterher umso stürmischer». Das klang fast so, als fühlte sich jemand verpflichtet, den Verdacht der breiten Vorabinformation zurückzuweisen.
Warum wäre die organisierte Medienbegleitung der Einsätze ein Problem? Weil sie entweder ein unkalkulierbares Risiko für das Gelingen der ganzen Aktion hätte bedeuten können. Oder aber weil sie anzeigt, dass die Sache doch noch nicht so brandgefährlich war. Im letzteren Fall könnte der Eindruck entstehen, es gehe hier vor allem – oder auch – um eine politische Public-Relations-Übung. Das wäre dann Wasser auf die verschwörungstheoretischen Mühlen, die es zu bekämpfen gilt.
Der Putsch, der nie passiert wäre - Neue Zürcher Zeitung
Auf dem Kongress des “PEN Berlin” hielt Ayad Akhtar, Präsident des “PEN America” eine bemerkenswerte Rede über Diskursverbote und Identitätspolitik.
Die gegenwärtige Identitätspolitik zwingt uns widersprüchliche moralische Landkarten auf, die bestimmen, welche Rede für welche Gruppe akzeptabel ist und welche nicht. Zunehmend macht sich ein Klima digitaler Einschüchterung breit, und mit ihm die Angst, frei zu sprechen oder auch nur frei zu denken. Im Aufstieg begriffen ist zudem eine weitverbreitete Intoleranz gegenüber Ansichten, die für inakzeptabel oder sogar „unmoralisch“ gehalten werden.
Dass menschliche Rede kapitalistisch ausgebeutet wird, hat eine digitale Apartheid geschaffen, in der sich Gruppen nach Identitätskriterien separieren und nur noch Äußerungen zur Kenntnis nehmen wollen, die ihrer Sicht auf die Dinge entsprechen. Es handelt sich dabei um Meinungen, nicht um Wahrheiten. Schlimmer, um Meinungen, die zur Wahrheit erhoben werden. Und damit wird der Boden bereitet für eine gigantische und leidenschaftliche Vermehrung der Desinformation als treibende Kraft der Gesellschaft.
Eines der ersten Opfer unseres seltsam eingemauerten Zeitalters der Meinungsfreiheit ist die Bedeutung. Denn wenn das Interesse an Wahrheit abnimmt und durch die jeweils bevorzugten Versionen der Realität ersetzt wird, dann schwinden im selben Maße auch Sinn und Bedeutung von Sprache. Wörter und Ausdrücke verweisen nun einmal auf eine bestimmte Identität, auf Zugehörigkeit, auf eine Stellung innerhalb der gesellschaftlichen Hierarchie oder auf Hautfarbe, und diese symbolischen Signifikanten bestimmen in weit stärkerem Maße die Bedeutung dessen, was wir sagen, als es die jeweils verwendeten Worte tun.
Henry Louis Gates Jr., einer der bedeutendsten Denker im heutigen Amerika, beklagte 2021 in einer Rede, die er vor dem PEN America hielt, dass der Gedanke, man müsse wie das Thema aussehen, um es zu beherrschen, „ein Vorurteil war, gegen das unsere Vorgänger – Frauen, die über Männer schrieben, Schwarze, die über weiße Schriftsteller schreiben wollten – ankämpfen mussten: Toni Morrisons Masterarbeit an der Cornell University war eine Studie über Virginia Woolf und William Faulkner, die 1955 abgeschlossen wurde, im selben Jahr, in dem Rosa Parks sich weigerte, ihren Platz in dem nur Weißen vorbehaltenen Teil eines Busses zu räumen.“ Jedem Lehrer, Studenten, Leser und Schriftsteller müsse es, so Gates, erlaubt sein, sich frei und ohne jede Einschränkung mit den Themen seiner Wahl zu beschäftigen, da dies nicht nur das Wesen der Bildung sei, sondern „das Wesen des Menschseins“.
Ganz sicher haben Sie schon von dummen Geschichten wie dieser gehört: Studenten im Oberlin College protestierten dagegen, dass in der Cafeteria ihrer Universität Sushi serviert wurde. Doch die Logik der „Aneignung“ hat weitaus ernstere Konsequenzen.
Sie behauptet nämlich, mit der Stimme eines anderen Menschen als man selbst zu sprechen sei deshalb problematisch, weil man damit unvermeidlich Gefahr laufe, diese anderen zu verletzen. Mit der Stimme eines anderen als man selbst sprechen – ist aber nicht genau das die Basis jenes magischen Akts empathischer Erweiterung, der die Literatur definiert? Immer häufiger lautet die Antwort auf diese Frage: Nein. Denn wenn Sie über eine Gruppe schreiben, zu der Sie selbst nicht gehören, laufen Sie nach dieser Auffassung automatisch Gefahr, die Mitglieder dieser Gruppe zu verletzen, oder, schlimmer noch, Dritte zu ermutigen, sie zu verletzen. In dieser Sichtweise sei zum Beispiel Picassos Darstellung afrikanischer Frauen mitverantwortlich für den europäischen Völkermord an ihnen.
Wenn man dieses Machtverständnis auf die heutigen Maßstäbe von „Rasse“ und „Identität“ anwendet, ergibt sich ein manichäisches Denken: Weiße als Inhaber der Macht sind suspekt, und der Aufstieg von Nichtweißen in Machtpositionen gilt von vorneherein als gut. Das ist eine teilweise übertriebene Vereinfachung, allerdings eben auch nur teilweise – denn was ich hier beschreibe, gehört zum Klima, das im Kulturbetrieb Amerikas gegenwärtig herrscht. Aber eine Machtanalyse, die alle Opfer der Geschichte aufwertet, ist nicht nur fehlerhaft, sondern auch ein Spiel, das wirklich jeder spielen kann. Auch Weiße können Beschwerden formulieren und sich ebenso lautstark wie wir anderen über Kränkungen durch Rede und Sprache beklagen.
Vieles von dem, was diese Sicht der Dinge so problematisch macht, hängt mit der eindimensionalen Beschreibung „der“ Macht zusammen. Der Finanzsektor, der Tech-Bereich, die Unternehmensstrukturen, nationale Regierungen und der nichtstaatliche Sektor, die vierte Gewalt, Institutionen der höheren Bildung – sie alle sind zweifellos mächtig. Aber nicht alle sind in gleichem Maße Missetäter. Tatsächlich können wir nur gemeinsam mit diesen Mächtigen Lösungen für unsere größten Probleme finden – für Klimawandel, den Missbrauch Künstlicher Intelligenz, wachsendes politisches Chaos.
Mit anderen Worten, nicht die Hierarchie ist der Feind. Und es geht nicht um Revolution, sondern darum, auf die Mächtigen im Sinne verantwortlichen Handelns einzuwirken; ein Klima zu schaffen, in dem die Meinungsfreiheit Achtung genießt und die Wahrheit zählt.
Die Gedanken sind nicht mehr frei - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Es ist beruhigend, dass 66 Prozent der Deutschen Jan Böhmermann nicht witzig finden. Trotzdem hat er eine große Fangemeinde. Nachdem ich in der letzten Woche auf seine Gleichsetzung von ihm nicht genehmen Politikern und Journalisten mit Terroristen einging, hat er sich eine neue Entgleisung geleistet. In seiner Sendung über Transsexualität und das Selbstbestimmungsgesetz betrieb er offen Desinformation, indem er unter anderem behauptete, es gebe mehr als zwei biologische Geschlechter. Zudem diffamierte er erneut Personen. Noch fassungsloser machte die Tatsache, dass dieses Sendung sowohl vom Queer-Beauftragten der Bundesregierung, Sven Lehmann, sowie Familienministerin Lisa Paus überschwänglich gelobt wurde. Zu dieser Sache hat sich Geschlechtswissenschaftler und Transmann Till Randolf Amelung geäussert.
Vergangenen Freitag griff Böhmermann einmal erneut ins primitiv-fäkalische, indem er Feministinnen zur besten Sendezeit in seiner Sendung “ZDF Magazin Royale“ als “Kackhaufen“ beleidigte sowie eine direkte Linie von EMMA-Gründerin Alice Schwarzer zur AfD-Politikerin Beatrix von Storch konstruierte. Dementsprechend heftig fiel dann auch die Empörung in den sozialen Medien aus. Thema dieser Folge waren die Auseinandersetzungen um das geplante Selbstbestimmungsgesetz, welches das Transsexuellengesetz ablösen soll, sowie um Aussagen von Feministinnen zu den steigenden Zahlen unter Minderjährigen, die sich als trans outen.
Böhmermann hatte keinerlei Interesse an der Komplexität des Themas, stattdessen spulte er wie ein Automat transaktivistische Argumente ab. Es wurde überhaupt nicht erläutert, weshalb Feministinnen wie Schwarzer Kritik am Selbstbestimmungsgesetz und an einer allzu affirmativen Behandlung von Minderjährigen haben. Dabei ist dieser Ansatz auch in der Medizin nicht unumstritten: In einem aktuellen Artikel im Ärzteblatt ist beispielsweise zu lesen, dass es in vielen westlichen Ländern einen signifikanten Anstieg von Minderjährigen gibt, die sich als trans outen, aber die Fachleute sind sich keineswegs einig, was dafür die Hauptursache ist. Böhmermann ließ solche wichtigen Details jedoch vollkommen außen vor und suggerierte das Gegenteil, ohne hierfür aussagekräftige Belege zu liefern.
Auch der Umgang mit der Kontroverse um die Frage, wie viele biologische Geschlechter es nun gibt, stand der von Homöopathie-Anhängern und sogenannten Querdenkern gepflegten Wissenschaftsfeindlichkeit in nichts nach. Als Beleg für die These, dass es mehrere biologische Geschlechter gebe, wurde einzig ein Tagesspiegel-Artikel eingeblendet, der sich wiederum auf einen Text der Biologin Claire Ainsworth beruft. Ainsworth jedoch hat bereits 2017 auf Twitter geäußert, dass ihr Artikel diesbezüglich falsch verstanden wird. Stattdessen ist sich der öffentlich-rechtliche Klassenclown Böhmermann nicht zu schade dafür, Biologinnen wie Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard oder die Doktorandin Marie-Luise Vollbrecht verächtlich zu machen, die dem widersprechen.
Die Weigerung von Transaktivisten und ihren “Allies“ in der Bundesregierung, einen fairen Diskurs mit seriöser Folgenabschätzung für alle gesellschaftlichen Bereiche und Gruppen zu führen, wird Transpersonen und dem Anliegen einer TSG-Reform schweren Schaden zufügen. Zuletzt bewies die Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), wie wenig Gespür sie hat, als sie die Böhmermann-Sendung auf Twitter in den höchsten Tönen lobte. Wir brauchen eine gesetzliche Regelung zur Angleichung des Personenstands, die gesellschaftlich breit akzeptiert werden kann. Dies geht nicht ohne Regelungen, in welchem klar definierten Rahmen so eine Änderung möglich ist. Böhmermanns Sendung ist jedoch vollkommen ungeeignet, um eine sachliche, differenzierte Debatte anzuregen. Stattdessen ist diese Sendung vor allem Treibstoff für eine weitere Zunahme der gesellschaftlichen Polarisierung, die dann sehr hinderlich für das Erarbeiten einer sinnvollen Gesetzeslösung und deren gesellschaftliche Akzeptanz sein wird. Dies kann niemand wollen, der noch fähig ist, über den eigenen Bauchnabel hinaus zu denken.
Im Fokus die Debatte rund um das Selbstbestimmungsgesetz - Schwulissimo
Zum einem weiteren Eklat im öffentlich-rechtlichen Fernsehen kam es in der Sendung “Chez Krömer”, die ich schon lange kritisch sehe. Krömer lädt Gäste ein, die er je nach von ihm empfundener Sympathie befragt. Wen er mag, mit dem plaudert er zugewandt-freundschaftlich. Wenn er nicht mag, mit dem spricht er an der Grenze zu Unverschämtheit und Denunziation. Die in jeder Hinsicht letzte Sendung (Sie wurde anschließend abgesetzt.) mit einem mir unbekannten Z-Prominenten brach er ab. Seine beste Idee seit langem.
Krömer ist 48 Jahre alt, heißt eigentlich Alexander Bojcan und hat sogar mal den Grimme-Preis für seine einstige Fernsehsendung „Die internationale Show“ bekommen. Insofern war ich doch einigermaßen entsetzt, als ich seinen Talk mit Reichelt sah: Als Gastgeber war er grottenschlecht vorbereitet, konfrontierte sein Gegenüber mit allerlei halbgaren Unterstellungen, ließ ihn praktisch nicht zu Wort kommen und erging sich die ganze Sendung über in mehr oder weniger unflätigen Beschimpfungen.
Das kann man so machen, aber dann muss man eben damit rechnen, als Verlierer vom Platz zu gehen. Zu besichtigen war jedenfalls das komplettes Scheitern eines vermeintlichen Komödianten, der während seines Auftritts zu allem Elend auch noch völlig humorbefreit und unsouverän blieb. Wahrlich kein Ruhmesblatt für den Macher und den Sender.
In die aktuelle Sendung mit dem Titel „Chez Krömer“ war nun ein nicht ohne Grund weitgehend unbekannter Komödiant namens Faisal Kawusi eingeladen worden, der offenbar eine gewisse Prominenz erlangen konnte, indem er seinerseits immer wieder dämlich-rustikale Witze über irgendwelche Halbberühmtheiten macht. Mit Krömer und Kawusi trafen also zwei Möchtegern-Humoristen aufeinander, und es gehört schon einiges dazu, bei solch einem Duell den zu erwartenden Peinlichkeitsgrad derart zu überbieten, dass man als Zuschauer aus ähnlichen Gründen dranbleibt wie manche Gaffer sich an Verkehrsunfällen ergötzen: die Faszination des Horrors.
Krömer war abermals von Anfang an überfordert, schlecht vorbereitet, dämlich-patzig, beleidigend („Du erzählst nur Scheiße“) und uninspiriert. Daneben wirkte Kawusi beinahe wie ein reflektierter Gentleman. Dass der Gastgeber vorzeitig sein eigenes Studio verließ, weil „mein Bedarf an Arschlöchern“ damit gedeckt sei, ist nachvollziehbar: Wahrscheinlich hatte Krömer nach 25 elenden Minuten doch gemerkt, dass er seinem eigenen Format nicht gewachsen ist. „Chez Krömer“ wurde denn auch prompt abgesetzt.
Dies alles wäre kaum weiter der Rede wert, wenn in dieser Art von Non-Performance nicht ein gewisses Muster erkennbar wäre: Die Selbstgewissheit, mit der viele in der Öffentlichkeit stehende Personen glauben, ihr mangelndes Talent durch eine zur Schau getragene Moral ausgleichen zu können. Auch Krömer sieht sich ja unverbrüchlich auf der Seite des Guten, wenn er Studiogäste wie die frühere Präsidentin des „Bundes der Vertriebenen“ (und heutige AfD-Anhängerin) Erika Steinbach oder den FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache vor laufender Kamera beleidigt.
Peinlich wird es eben nur, wenn es einem als Moderator an journalistischem, komödiantischem oder überhaupt an intellektuellem Potential fehlt, um seine verhassten Gäste vorzuführen und in die Enge zu treiben.
Selbstaffirmative, schlecht gemachte Moral-Shows wie „Chez Krömer“ (und viele andere ebenso) sind es, die das Ansehen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mindestens genauso ruinieren wie Misswirtschaft, Intransparenz und Kungelei mit der Politik. Dabei ist in jeder Sendeanstalt eigentlich enorm viel Potential vorhanden, um wirklich anspruchsvolles, unterhaltsames, gutes Programm auf die Beine zu stellen.
Aber darüber spricht natürlich keiner, wenn gleichzeitig talentfreie Pausenclowns wie Kurt Krömer ihre Psychosen auf offener Bühne ausleben dürfen. Schade für die vielen guten Kollegen, die mehr Aufmerksamkeit verdient hätten.
Der Fluch der Pausenclowns - Cicero
Zum Ende der Rubrik wieder Sehenswertes. Linda Teuteberg spricht mit Armin Nassehi über “Emotionale Entscheidungen – Politik in der Stimmungsdemokratie?”
Ulrike Herrmann diskutiert mit Nils Goldschmidt über ihre Ideen zum Klimaschutz.
Die bekannte Wirtschaftsjournalistin, Ulrike Herrmann, sorgt mit ihrem neuen Buch „Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden“ für Gesprächsstoff. Sie diskutiert in dieser Veranstaltung des Weltethos-Instituts gemeinsam mit Prof. Dr. Nils Goldschmidt von der Aktionsgemeinschaft soziale Marktwirtschaft ihre Thesen.
Kultur
Coverversion der Woche: Echo & The Bunnymen - People Are Strange
Heute im Jahr 1967 traten die Doors in der New Haven Arena in New Haven, Connecticut, auf. Vor der Show überraschte Polizist Jim Morrison mit einem 18-jährigen Mädchen in eindeutiger Situation hinter der Bühne. Nach einer verbalen Auseinandersetzung sprühte der Polizist Morrison Tränengas ins Gesicht. Auf der Bühne schilderte dieser den Vorfall begann, die anwesende Polizei zu provozieren, die ihn daraufhin direkt auf der Bühne verhaftete. Dies führte zu Massenausschreitungen im Publikum und zahlreichen Verhaftungen. Später versammelten sich über 100 Fans an der Polizeiwache.
Der Song “People Are Strange” erschien auf dem zweiten Studioalbum der Doors, Strange Days, das im September 1967 veröffentlicht wurde. Es wurde im selben Monat auch als Single veröffentlicht, die auf Platz 12 der Billboard Hot 100-Charts und unter den Top Ten der Cash Box-Charts landete. Er wurde von Jim Morrison und Robby Krieger geschrieben, obwohl alle Mitglieder als Komponisten vermerkt sind. Die Single wurde mit "Unhappy Girl" als B-Seite veröffentlicht.
Mit dem Schreibens des Stücks wurde Anfang 1967 begonnen. Laut Schlagzeuger John Densmore wurden er und Gitarrist Robby Krieger, die damals Mitbewohner waren, von Jim Morrison besucht, der zutiefst deprimiert zu sein schien. Nach Kriegers Schilderung machten sie später einen Spaziergang Laurel Canyon in der Gegend der Hollywood Hills in Los Angeles. Morrison kehrte euphorisch mit einer ersten Textfassung von "People Are Strange" von der Wanderung zurück. Fasziniert davon war Krieger nach dem Hören der Gesangsmelodie überzeugt, dass das Lied ein Hit war.
Die Coverversion von Gruppe Echo & The Bunnymen wurde 1987 für den Soundtrack des Films “The Lost Boys” aufgenommen. Es wurde anschließend als Single veröffentlicht, erreichte im Februar 1988 Platz 29 der UK Singles Chart und 1991 Platz 13 der Irish Singles Charts. Sie wurde von Ray Manzarek produziert. Eine Maxi-Single wurde im Februar 1988 veröffentlicht.
Epilog
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Ich freue mich ja immer über den M Maximus Newsletter. Was ich mich aber schon ab und an frage: woher kommt diese Fixierung auf Baerbock und Böhmermann?
Die Frequenz der Erwähnung ist höher als deren Präsenz in deutschen Medien bzw. Öffentlichkeit meiner Ansicht nach und ich denke auch, dass jeder für sich ohne negative Effekte den Klimawandel ausbremsen oder Russland zu Frieden und Einhaltung der territorialen Integrität der Ukraine erreichen könnte und du es trotzdem kritisieren würdest. Das wollte ich nur einmal anmerken, weil es heute wieder einmal auffiel.