Prolog
Seit gestern ist bei mir offiziell Vorweihnachtszeit. Dazu gehören Weihnachtsmusik, dezente Dekoration und natürlich ein schöner Adventskalender. Leider kämpfe ich immer noch mit einer lästigen Erkältung, was das Vergnügen etwas einschränkt. Deshalb fällt diese Ausgabe auch etwas kürzer aus als sonst. Es ist aber wie jede Woche auf einiges hinzuweisen.
Das Gespür für Angemessenheit geht in den sozialen Medien immer mehr verloren. Diese Woche gab eine Politikerin ihre Trennung bei Twitter bekannt, was aufgrund der Vita der neuen Partnerin ihres Mannes von Menschen ohne eigenes Leben natürlich begeistert aufgegriffen wurde. Ist es wirklich notwendig, intime Details des eigenen Privatlebens öffentlich zu diskutieren? Ich glaube nicht, dass sie sich damit einen Gefallen getan hat.
Nun aber los. Heute geht es unter anderem um Entwicklungen, Geschmacklosigkeiten und Herdentrieb.
Politik und Gesellschaft
In den Diskussionen um die sogenannte letzte Generation spielen, wie heutzutage oft, Fakten kaum noch eine Rolle. Es wird zum Beispiel behauptet, Kritiker der Gruppe würden sie mit der RAF gleichsetzen. Das ist unzutreffend. Es werden Parallelen zur Entstehung der RAF aufgezeigt, die eigentlich nur bestreiten kann, wer bewusst die Augen vor der Realität verschließt. Wir haben es mit einer privaten Vereinigung zu tun, die Forderungen an die Regierung stellt. Werden diese nicht erfüllt, begeht sie Straftaten. Auch Medien, Parteien und Unternehmen, die sich nach Auffassung der Gruppe nicht adäquat verhalten, werden Ziel von kriminellen Aktionen. Von der Hand zu weisen ist diese Sorge vor einem Abgleiten in den Terrorismus jedenfalls nicht. Peter R. Neumann hat sich in einem Gastbeitrag für den Spiegel mit dem Thema befasst.
Wir haben noch keine »Grüne RAF« und sollten uns davor hüten, den Teufel an die Wand zu malen. Aber die ursprüngliche RAF entstand ähnlich wie oben beschrieben: durch einen Prozess der Radikalisierung, in dem aus einer friedlichen Studentenbewegung in mehreren Schritten eine winzige, aber brutale Terrorgruppe entstand.
In Prozessen sollten »beschleunigte Verfahren« nach §417 ff. StPO gelten. Damit könnten Strafen innerhalb von wenigen Wochen erfolgen. Denn es geht nicht unbedingt um härtere Strafen, sondern um schnellere Urteile – damit für alle sichtbar wird, dass sich in einer Demokratie Recht und Gesetz durchsetzen.
Genauso wichtig ist jedoch, dass der Staat nicht überreagiert. Radikale Bewegungen versuchen bewusst, den Staat zu provozieren. Die Überreaktion, die meist darauf folgt, ist Teil ihres Kalküls. Denn nichts befördert die Radikalisierung ihrer Anhänger mehr als vermeintliche »Märtyrer«, die wegen der »guten Sache« im Gefängnis sitzen.
Dasselbe gilt für die Einstellung der Gesellschaft. Besonders bei Linken und in der bürgerlichen Mitte werden die Aktionen der Klimaaktivisten oftmals verharmlost. Sogar der Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang hat sie kürzlich vom Vorwurf des Extremismus freigesprochen.
Dabei wird das Anliegen solcher Gruppen mit deren Zielen verwechselt. Einsatz für den Klimaschutz ist wichtig. Doch Gruppen wie die »Letzte Generation« verfolgen Ziele, die mit einem demokratischen Gesellschaftsverständnis unvereinbar sind. Sie sehen sich als Teil der sogenannten Degrowth-Bewegung und wollen die soziale Marktwirtschaft durch eine Art »Ökodiktatur« ersetzen.
Hierfür gibt es keine Mehrheit, und auch die von den Vereinten Nationen geforderten Maßnahmen stehen zu ihrer radikalen Agenda im Widerspruch.
Das Gebot der Stunde ist deshalb kritische Distanz.
Wie man eine »Grüne RAF« verhindert - Spiegel
Heute hätte Marion Gräfin Dönhoff Geburtstag. Zu diesem Anlass möchte ich auf ihren hervorragenden Artikel “Zwischen allen Stühlen” zum 25-jährigen Jubiläum der “Zeit” im Jahr 1971 hinweisen. Ich wüsste gern, was die Gräfin zum katastrophalen Niedergang ihrer Zeitung gesagt hätte. Früher zur medial-intellektuellen Speerspitze des Landes gehörend, dürfen heute Figuren wie “Rezo” dort Kolumnen schreiben, die dort damals keinen Praktikumsplatz bekommen hätten. Diese Entwicklung bedauere ich als jemand, der auch mit der “Zeit” sozialisiert wurde, sehr.
Daß wir uns bemühen wollten, die Nazi-Ära mit ihrem vaterländischen Brimborium zu liquidieren und daß dies manchen ärgern würde, das war klar. Aber daß wir uns sehr bald auch mit den Befreiern vom Nazismus im Konflikt befanden, das hatten wir nicht vorausgesehen – mit ihnen, die die alte Erkenntnis, daß Macht korrumpiert, von neuem bestätigten. Ihr Ziel, die Umerziehung der Deutschen, war zwar auch unser Ziel gewesen, aber die Mittel, mit denen sie dies gelegentlich zu erreichen versuchten, konnte niemand gutheißen, der gerade erst einen Unrechtstaat hinter sich gebracht hatte.
So lernten wir schon damals erkennen, was uns heute wieder zugute kommt: daß der legitime Platz des Liberalen zwischen allen Stühlen ist, daß es ihn also nicht kümmern darf, wenn er von allen Seiten beschimpft wird.
Und noch einen anderen Grundsatz liberaler Weltanschauung begriffen wir damals, und ihn haben wir seither nie wieder aus den Augen verloren: nämlich, daß es gar nicht so sehr auf das Ziel ankommt – hehre Ziele hat schließlich jeder –, sondern vor allem auf die Mittel, mit denen jene Ziele erreicht werden sollen, auf die Methoden, mit denen man sie durchzusetzen versucht.
Unser Mittel sollte Toleranz sein. Wir hatten genug von Sündenbocksuche und Hexenjagd. Wir glaubten wieder an die Wichtigkeit des einzelnen. Wir hatten die Ideale einer verschworenen Gemeinschaft satt, die jedes Verbrechen rechtfertigt. Unsere Methode hieß Diskussion – heute würde man sagen: Aufklärung und Transparenz. Darum waren wir auch gegen das Verbot der KPD und später nicht für ein Verbot der NPD. Argumente in der Auseinandersetzung und Reformen, die das Entstehen radikaler Gruppen überflüssig machen, das schien uns der weit vernünftigere Weg zu dem, was doch allein das Ziel sein kann (wenn schon über Ziele geredet werden muß), nämlich dem größtmöglichen Maß an Freiheit und Gerechtigkeit.
Mit solchen Maximen ausgerüstet haben wir bis zum heutigen Tage bestehen können. Und wer stark genug ist, den gelegentlichen Vorwurf der Linken – "Ihr Reaktionäre" – zu ertragen und vor den Rechten nicht in die Knie zu gehen, die uns zuweilen als Anarchisten bezeichnen, der kann auch der Zukunft getrost entgegensehen – selbst wenn der Liberalismus immer wieder totgesagt wird.
Heute ist es Mode geworden, den Liberalen als einen Wischi-Waschi-Bürger abzuwerten, als einen, der seinen Sowohl-als-auch-Standpunkt in klugen Reden zu verteidigen weiß, der aber eben nur redet und nie handelt. Diese von den Radikalen rechter und linker Prägung gebastelte liberale Vogelscheuche dient der Heroisierung unreflektierten Taten; jener Taten, die um des grandiosen Zieles willen ohne Bedacht, ohne Zögern, ohne Rücksicht auf irgendwen und irgendwas getan werden.
Silke Mertens hat sich in der TAZ deutlich zur letzten Aktion von Jan Böhmermann geäußert und belegt damit nicht zum ersten Mal, dass die “alte” Linke durchaus wertebasiert agiert, wohingegen die identitätspolitisch bewegte Linke auf diese Entgleisung mit frenetischem Jubel reagierte. Dieser Konflikt scheint auch TAZ-intern zu schwelen. Dass die Zeitung beiden Positionen Raum gibt, zeichnet sie aus.
Tatsächlich aber ist es eine gar nicht lustige Verharmlosung der RAF, die immerhin über 33 Menschen ermordet hat. Weder die sich selbst heroisierenden Klimakleber noch die sich selbst überschätzende FDP haben mit einer derartigen Radikalisierung etwas zu tun.
Erwartbar ist Böhmermanns #rafdp, weil FDP-Bashing eine der Lieblingsbeschäftigungen unserer linken Milieus ist. Man kann damit nicht falsch liegen und sich stets sicher sein, dass Zustimmung und Applaus folgen. Böhmermann und seine Truppe gehen damit null Risiko ein, sondern dreschen auf die üblichen Verdächtigen ein. Gähn.
Natürlich darf Satire schlecht sein und geschmacklos. Journalisten und auch Politiker auf Fahndungsplakaten abzudrucken gehörte allerdings bisher eher zu den Methoden von Rechtspopulisten und Rechtsextremen. Muss man die Böhmermann-Variante wirklich zur besten Sendezeit im ZDF sehen? Vielleicht wären dieses Format und seine Macher in einer Nische der dritten Programme doch besser aufgehoben.
Billig, erwartbar, geschmacklos - TAZ
Zum Ende der Rubrik wieder Sehenswertes. Nicole Deitelhoff und Michel Friedman diskutieren mit den Historikern Dr. Franziska Davies und Prof. Andreas Rödder über das Thema “Kann politische Schuld verjähren?”
Boris Palmer ist im Rahmen der Sendung “Phoenix persönlich” zu Gast bei Inga Kühn.
Kultur
Coverversion der Woche: Frank Sinatra - Have Yourself A Merry Little Christmas
Das Lied wurde 1943 von Hugh Martin und Ralph Blane geschrieben und 1944 von Judy Garland im MGM-Musical „Meet Me in St. Louis“ zuerst aufgeführt. Frank Sinatra nahm später eine Version mit verändertem Text auf.
1957 bat Frank Sinatra Martin, die Zeile "Until then we'll have to muddle through somehow." zu überarbeiten. Er sagte zu Martin: „Der Name meines Albums ist A Jolly Christmas. Glaubst du, du könntest diese Zeile für mich aufheitern?“ Martins neue Zeile war „Hang a shining star upon the highest bough“ Martin nahm noch mehrere weitere Änderungen vor und wechselte von der Zukunftsform in die Gegenwart, sodass der Schwerpunkt des Liedes eher auf einer Anerkennung des gegenwärtigen Glücks liegt als auf der Erwartung einer besseren Zukunft.
Auf dem Weihnachtsspecial der Judy Garland Show sang Garland das Lied ihren Kindern Joey und Lorna Luft mit Sinatras Text vor.
Epilog
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Gegen das, was Böhmermann sich gestern geleistet hat, war "RAFPD" ja fast noch harmlos - ich bin sehr auf Ihre Einschätzung dazu in der nächsten Ausgabe gespannt.
Viele Grüße und gute Besserung!
Zum Thema "Have Yourself A Merry Little Christmas": Ich halte es für völlig verfehlt, in diesem Zusammenhang von einer Coverversion zu schreiben. Das gilt übrigens auch für sämtliche Jazzstandards. Wenn also eine Ella Fitzgerald "Summertime" aus Porgy and Bess interpretiert, dann ist das mitnichten eine Coverversion. Dieser aus der Popmusik stammende Begriff ist für andere Genres schlicht nicht anwendbar. Wenn die Wr. Philharmoniker Beethovens 9. aufführen, dann ist das ja auch keine Coverversion.
Dieser Begriff impliziert nämlich, daß ein Stück ausschließlich für einen bestimmten Interpreten geschrieben wurde, daß es auch zuerst auf einem Tonträger genau dieses Interpreten erschienen ist, und daß es vom Publikum ausschließlich oder zumindest hauptsächlich mit diesem Interpreten assoziiert wird.
Das ist aber bei diesem Stück schlicht nicht der Fall.