Prolog
Diese Woche verging wie im Flug. Kaum zu glauben, dass schon wieder Freitag ist. Viele sind auch erleichtert, dass die USA immer noch kein totalitärer Staat sind. Im Vorfeld der Midterms konnte man in den sozialen Medien den Eindruck bekommen, dies stünde unmittelbar bevor. Ohrensessel-Amerika-Experten und sonstige Hysteriker prophezeiten einen Erdrutschsieg der Republikaner, das Ende der Demokratie stünde unmittelbar bevor. Wie so oft waren diese Prognosen falsch. Die Demokratie in den USA war nie gefährdet. Auch nicht während der Präsidentschaft von Donald Trump. Während dessen Amtszeit haben die Checks and Balances hervorragend funktioniert. Ja, der Sturm auf das Capitol war eine Katastrophe, aber selbst ein ungeheuerlicher Vorgang wie dieser brachte die stabile Staatsform nicht ins Wanken. Das Problem sind Leute, die sobald politisch etwas nicht nach ihren Vorstellungen läuft, sofort apokalyptische Szenarien entwerfen. Damit unterscheiden sie sich nicht von Untergangserotikern an anderer Lager. Wie immer blieb natürlich auch die Beschäftigung mit der Frage aus, warum es so ein knappes Rennen war.
Bemerkenswert war eine Antwort von Nancy Faeser auf Pressekonferenz zur Vorstellung Bevölkerungsbefragung "Sicherheit und Kriminalität in Deutschland" (SKiD). Ein Journalist warf ein, Hass sei ein Gefühl, aber keine Straftat. Sie entgegnete, die Grenzen der Meinungsfreiheit seien dann erreicht, "wenn andere beleidigt werden, betroffen sind, verletzt werden." Auf Beleidigung trifft das zu, weil es sich dabei um einen Straftatbestand handelt. Betroffenheit und Verletztheit gehören allerdings nicht dazu. Es ist eine Frage des Anstands, andere nicht bewusst vor den Kopf zu stoßen. Die Grenzen der Meinungsfreiheit werden allerdings von Gesetzen markiert, nicht von Gefühlen. Man kann davon ausgehen, dass sie das als Juristin auch weiß. Warum sie trotzdem in dieser Weise antwortete, bleibt ihr Geheimnis.
Nun aber los. Heute geht es unter anderem um Sprache, Verantwortung und Sparsamkeit.
Politik und Gesellschaft
Die Twitter-Übernahme durch Elon Musk erregt immer noch die Gemüter. Überall liest man zum Beispiel, er habe Mitarbeiter fristlos entlassen. Das stimmt nicht, es wurde fristgerecht gekündigt. Es ist völlig normal, dass ein Wechsel an der Spitze Änderungen an der Personalstruktur zur Folge hat. In diesem Fall ist es ebenso normal, dass gekündigte Mitarbeiter keinen Zugriff mehr auf ihre Mail-Konten und sonstige Firmen-Infrastruktur haben. Nichts daran ist ungewöhnlich, das hat es in der Vergangenheit unzählige Male gegeben. In den letzten Tagen hat sich bei Twitter mehr bewegt, als in den letzten Jahren. Es wurden zum Beispiel mehrere neue Funktionen getestet. Mir erschließt sich nicht, was daran schlecht sein soll.
Ebensowenig ist relevant, welche politischen Ansichten der Betreiber einer Plattform hat. Das kann eigentlich nur für Menschen ein Argument sein, die davon ausgehen, dass dieser die freie Meinungsäußerung einschränkt. Etwas, das Musk ausdrücklich nicht tun möchte. Die im Moment um sich greifende Massenhysterie ist damit zu erklären, dass die sich Aufregenden genau wissen, in welchem Umfang bisher weltanschaulich motiviert zensiert wurde und nun fürchten, dass ihr Lager von nun an nicht mehr am längeren Hebel sitzt. Den daraus resultierenden Exodus in Richtung Mastodon beobachte ich mit gemischten Gefühlen. Weniger Meinungsvielfalt ist immer schlecht. Das Verschwörungsgeraune und die Ausraster aus Angst vor dem Verlust von Bedeutung, die man real nie hatte, werde ich dagegen nicht vermissen. Die abgesprungen Werbekunden werden zudem genauso zu Twitter zurückkehren, wie es die abgesprungen Nutzer tun werden. Beide Gruppen haben gemeinsam, dass es ihnen darum geht, Aufmerksamkeit zu generieren. Mich würde interessieren, wie sich diejenigen an der Spitze eines Weltkonzerns machen würden, die im Moment Elon Musk belehren. Oder auch, was sie für diese Art der Beurteilung qualifiziert.
Bisheriger negativer Höhepunkt bezüglich Berichterstattung ist ein Kommentar der Tagesschau.
Man lasse sich das einmal auf der Zunge zergehen: Ein Kommentator des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bezeichnet Menschen als “Ratten”, die “aus ihren Löchern kriechen dürfen” und in diese “zurück geprügelt” werden sollten. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals eine vergleichbare Entgleisung gelesen zu haben. Dieser Kommentar, der inzwischen geändert ist und für dessen Wortwahl sich die Tagesschau inzwischen entschuldigte, ist ein Sündenfall. Nicht nur deshalb, weil dieser Abschnitt auch von Julius Streicher hätte geschrieben sein können. Auch die Tatsache, dass dieser Text von Menschen gegengelesen und ohne Beanstandung durchgewunken wurde, ist ein Unding.
Udo Stiehl, freiberuflicher Nachrichtenredakteur für WDR und Deutschlandfunk hält den Kommentar für “treffend”.
Dass die Tagesschau in ihrer Entschuldigung einräumte, dass es sich um entmenschlichende Wortwahl handelte, stört ihn nicht.
Er findet auch weiterhin nichts Anstößiges daran, Menschen als Ratten zu bezeichnen und verteidigt den Fehltritt.
Die moralische Verfassung von Teilen der öffentlich-rechtlichen Medien ist beängstigend. Man kann nur hoffen, dass die dringend notwendige Reform endlich in die Gänge kommt.
Sieben Tage der Zerstörung - Tagesschau
Der Thüringer Landtag hat beschlossen, dass Landesregierung und Landesbehörden nicht gendern sollen. Es ist noch nicht alles verloren. Vielleicht nehmen sich andere Bundesländer daran ein Beispiel.
Die Thüringer Landesbehörden sollen nach dem Entscheid des Landtages künftig ausschließlich die Empfehlungen des Rates für deutsche Rechtschreibung befolgen. Das Gender-Verbot umfasst unter anderem Konstruktionen mit Binnen-I ("PolitikerInnen"), Unterstrichen ("Politiker_innen") oder Sternchen ("Politiker*innen") und erlaubt ausdrücklich die Verwendung des generischen Maskulinums im Schriftverkehr der Behörden ("Politiker").
Es soll im Landtag, in den Ministerien, aber auch allen nachgeordneten Einrichtungen bis hin zu Schulen, Gerichten und Hochschulen gelten. Der bundesweit einzigartige Beschluss hat jedoch nur appellativen Charakter, da der Antrag nicht als Gesetz, sondern als Aufforderung gefasst worden war.
Landtag beschließt: Landesbehörden sollen nicht gendern - MDR
Inzwischen ist klar, dass die sogenannte “Letzte Generation” eine Mitverantwortung für das Ableben einer Radfahrerin in Berlin trägt. Wie die Gruppe damit umgeht, ist entscheidend für ihre Zukunft. Einige werden zur Besinnung kommen, andere weiter relativieren. Hoffentlich setzt sich die erste Gruppe durch. Die jüngste Aktion, eine Besteigung des Brandenburger Tors - zuletzt hatte das die rechtsextreme Identitäre Bewegung gemacht - lässt zumindest auf einen Wechsel hin zu weniger Fremdgefährdung der Protestform hoffen.
Der sogenannte Rüstwagen wäre ohne den Stau eine Minute nach der Notärztin eingetroffen. Eine Rettungsmethode, mit der das Unfallopfer besser und schonender unter dem Betonmischer hätte hervorgeholt werden können, wäre durch den Rüstwagen möglich gewesen. Stattdessen musste der Lkw erneut über das Unfallopfer gefahren werden.
Das Protokoll des Einsatzes zeigt nun, dass der von den Klimaaktivisten auf der A100 ausgelöste Stau Folgen für die Rettung der Frau hatte. Am Montagmorgen waren zwei 63 und 59 Jahre alte Klimaaktivisten auf ein Autobahnschild geklettert, die Polizei musste Fahrbahnen sperren, es kam zum Stau.
Die Polizei ermittelt gegen die Aktivisten wegen unterlassener Hilfeleistung beziehungsweise der Behinderung hilfeleistender Personen, die Staatsanwaltschaft prüft auch den Vorwurf der fahrlässigen Tötung.
In ihrem Abschlussbericht legt sich die Feuerwehr fest. Der Rüstwagen kam durch die Aktion der sogenannten Klimakleber und den von ihnen verursachten Stau acht Minuten zu spät – dabei hätte er fast genau mit der Notärztin bei dem Unfall sein sollen. Die sonst in solchen Fällen übliche „technische Beratung“ durch den Führer der Rüstwageneinheit gab es nicht. Andere Wege, als den Betonmischer von der Frau zu fahren, hatte der Einsatzleiter nicht - weil der Rüstwagen fehlte.
Nun zeigt sich, dass der Stau der Klimaaktivisten sehr wohl Folgen für den Rettungseinsatz hatte. Der Einsatzleiter am Unfallort musste überaus riskant und auch für ihn rechtlich gefährlich vorgehen. Die Berliner Feuerwehr widerspricht Poloczek nach Überprüfung des Einsatzes sogar. Die Behörde legt sich fest, dass die Frau ohne den Stau und mit dem Rüstwagen sicherer hätte gerettet werden können – weil der Lkw nicht erneut über die Patientin hätten gefahren werden müssen.
Unreflektiertes Merkel-Bashing habe ich immer abgelehnt. Viele betrieben das fast obsessiv. Das ändert nichts daran, dass sie einige schwere Fehler gemacht hat, die das Land tief gespalten haben. Das gesamte Ausmaß dieser Fehler wird sich erst in den kommenden Jahren zeigen. Eine Eigenschaft, die der Altkanzlerin wiederholt zugeschrieben wurde, ist Bescheidenheit. Nun ist klar, dass, dass diese Zuschreibung bezüglich Büro und Reisekosten nicht passt.
Die Ampelkoalition hat Altkanzlerin Angela Merkel im Umgang mit ihrem Büro im Bundestag zur Ausgabendisziplin ermahnt. Es habe Gespräche zwischen Kanzleramt und Büroleitung gegeben, die sich »auch auf die bedarfsgerechte Personalausstattung bezogen«, heißt es in einem Bericht des Finanzministeriums an den Haushaltsausschuss des Bundestags, der dem SPIEGEL vorliegt.
Weiter heißt es, man habe verdeutlicht, dass das Büro nicht »statusbezogen«, sondern zur »Erfüllung nachamtlicher Aufgaben und fortwirkender Verpflichtungen« eingerichtet werde und »insbesondere eine Nutzung für private Zwecke und zur Erzielung von zusätzlichen Einkünften ausgeschlossen ist«. Die Erstattung von Reisekosten komme nur in Betracht, »wenn die Bundeskanzlerin a. D. im Auftrag und Interesse der Bundesrepublik Deutschland reist«.
Die üppige Ausstattung von Merkels Büro mit neun Mitarbeitern war auf Kritik gestoßen.
Demnach sollten den Ex-Regierungschefs künftig maximal ein Büroleiter, zwei Referenten, eine Büro- oder Schreibkraft und ein »Chefkraftfahrer« bezahlt werden. Eine der Referentenstellen sollte zudem nach fünf Jahren wegfallen.
Merkels Büroausstattung geht deutlich über diesen Rahmen hinaus.
Bundesregierung mahnt Merkel zur Sparsamkeit - Spiegel
Zum Ende der Rubrik wieder Sehenswertes. Heute Nacht starb Wolf Schneider mit 97 Jahren. Aus diesem Grund möchte ich gern ein hervorragende Gespräch mit ihm aus dem Jahr 2015 empfehlen.
Wolf Schneider, Autor - ARD alpha
Kultur
Coverversion der Woche: Travis - Gimme Some Truth
„Gimme Some Truth“ ist ein Protestsong, der von John Lennon komponiert und erstmals 1971 auf seinem Album “Imagine” veröffentlicht würde. Er enthält verschiedene politische Bezüge aus der Zeit der letzten Jahre des Vietnamkrieges. Die von Phil Spector mitproduzierte Aufnahme enthält ein Slide-Gitarrensolo, gespielt von George Harrison. Meiner Meinung nach einer der besten politischen Songs aller Zeiten.
Das Stück zeigt Lennons Frustration über betrügerische Politiker, Heuchelei und Chauvinismus. Das Lied beinhaltet auch einen Verweis auf den Kinderreim „Old Mother Hubbard“ (Eine Frau will ihrem Hund einen Knochen holen will, nur um festzustellen, dass ihr Schrank leer ist.) als Verb. Die Erwähnung von „Soft-Soap“ verwendet dieses umgangssprachliche Verb in seinem klassischen Sinne – nämlich unaufrichtige Schmeichelei, die versucht, jemanden davon zu überzeugen, etwas zu tun oder zu denken, wie im Fall von Politikern, die fadenscheinige oder betörende Rhetorik verwenden, um öffentliche Unruhen zu unterdrücken oder Propaganda zu betreiben. Lennon verwendet den wiederkehrenden Text "Money for Rope/Money for Dope", wobei der erste Satz eine Variation der britischen Redewendung "Money for Old Rope" ist (Ein Gewinn, der durch wenig oder gar keine Anstrengung erzielt wird). Laut Peter Jackson war es Paul McCartney, der sich diese Zeile während der “Get Back”-Aufnahmen ausgedacht hat. Jackson zeigte McCartney das Filmmaterial aus seinem Dokumentarfilm über die Beatles, dieser konnte sich allerdings nicht daran erinnern, jemals an dem Song gearbeitet zu haben.
Die Version von Travis ist die B-Seite von "More Than Us", das 1998 veröffentlicht wurde, und erschien auch auf der 2011 veröffentlichten Compilation "Causes 1".
Epilog
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