Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #103
Prolog
Diese Woche hat das Ergebnis der Wahl in Italien für Diskussionen gesorgt. Leider beschränkten sich die meisten Kommentatoren, wie immer nach solchen Ergebnissen, auf Skandalisierung. Das war auch nach der Wahl von Trump oder den Wahlerfolgen der AfD in Deutschland so. Sinnvoller wäre es, sich zu fragen, warum - in diesem Fall - die Italiener mehrheitlich so gewählt haben. Das unterbleibt allerdings, weil die Antworten nicht ins Weltbild passen. Eine Ideologie ohne Kratzer ist offenbar wichtiger.
Das trifft auch auf einen weiteren Aspekt der Debatte zu. Ständig heißt es, mehr Frauen müssten in Führungspositionen gelangen. Wenn es dann aber die falschen Frauen sind, wie Liz Truss in Großbritannien oder eben Giorgia Meloni, dann ist es mit der weiblichen Solidarität auf einmal nicht mehr weit her und man diffamiert diese Frauen. Das war auch schon bei Margaret Thatcher oder Condoleeza Rice so.
Am klügsten hat Nils Minkmar die Debatte auf Twitter kommentiert:
Nun aber los. Heute geht es unter anderem um Atomkraft und weibliche Freiheit.
Politik und Gesellschaft
Nikolaus kommentiert die Unehrlichkeit der Bundesregierung bezüglich der Kommunikation zum Weiterbetrieb der Atomkraftwerke.
Demnach wird die Bundesregierung erst nach der Niedersachsenwahl (9. Oktober) und nach dem Parteitag der Grünen (14. bis 16. Oktober) klarmachen, dass zwei (oder drei) Atomkraftwerke im nächsten Jahr natürlich weiter Strom produzieren werden. Jeder weiß das in Berlin, jeder spricht darüber, niemand bestreitet es, es liegt einfach auf der Hand.
Der Bundeskanzler, darauf angesprochen, schweigt dazu, aber er kann kaum an sich halten und er lächelt sein freundlichstes Schlumpflächeln: Die Atomkraftwerke mit allen Risiken nur in die Reserve zu nehmen, aber keinen Strom produzieren zu lassen, wäre offenkundiger Schwachsinn. Und diese Blöße wird er sich nicht geben, derweil jeder Einzelne Strom sparen soll, die Innenstädte verdunkelt werden oder das Netz zusammenbricht, weil alle Deutschen gleichzeitig ihre neu gekauften Heizlüfter einschalten.
Und es fügt sich denkbar unglücklich, dass ausgerechnet die niedersächsischen Landesgrünen im Landtagswahlkampf stehen, denn sie sind traditionell sehr links und sehr ideologisch. Sie rauschen in den Umfragen gerade ab, doch das lehrt sie nichts, sondern macht ihre Ablehnung der Atomkraft umso hartleibiger.
Das modernste der drei letzten Kraftwerke, das im Emsland, durfte ihretwegen nicht einmal in die Reserve, sondern muss komplett vom Netz. Wenn bei einem Schiffskonvoi das langsamste Schiff das Tempo bestimmt, dann bedeutet das bei den Grünen Landesverbänden, die Irrsten bestimmen mindestens eine Zeitlang den Kurs aller.
Alle in Berlin wissen also, wie es mit den letzten Atomkraftwerken kommen wird, aber sie müssen bis zum Stichtag so tun so, als käme es anders oder als wäre es noch offen. Es ist ein Hochamt maximaler Selbsthypnose, leider in einer Phase, die größtmögliche Wachheit geböte. Des Weiteren tun alle so, als wüssten auch die Bürger und die Grünen-Parteimitglieder nicht, wie es mit den Atomkraftwerken weitergeht. Aber die meisten wissen oder ahnen es, und das Faszinierende, vielleicht auch Verstörende daran ist: Das Publikum macht mit. Die einen lassen sich täuschen, und die anderen tun halt so, als ließen sie sich täuschen.
Wenn die Regierung das Volk veräppelt - Spiegel
Auch Jasper von Altenbockum reicht es langsam. Er erklärt, dass die meisten Argumente gegen Atomkraft unzulässig sind.
Die Debatte der vergangenen Wochen war ein Ausstieg vom Ausstieg anderer Art. Alle Argumente gegen den Weiterbetrieb haben sich in Luft aufgelöst: Es stimmt nicht, dass Atomkraft keinen nennenswerten Ersatz für Gasstromproduktion leisten kann. Es stimmt nicht, dass es keine gewissenhaften Sicherheitsüberprüfungen mehr gäbe. Es stimmt nicht, dass Kernkraftwerke nicht zur Deckung von Spitzenlast eingesetzt werden können. Es stimmt nicht, dass die Endlagerfrage unlösbar wird, selbst mit neuen Brennstäben stimmt es nicht. Es stimmt nicht, dass Kernkraft so teuer ist, dass sich der Strompreis nicht senken ließe. Vor allem aber: Es stimmt nicht, dass Atomkraft nichts zur Vermeidung der Erderwärmung beitragen könnte.
Umweltschützer und Klimaaktivisten sollten immer wieder damit konfrontiert werden, denn es ist der wunde Punkt, an dem sich entscheidet, worum es ihnen eigentlich geht: wirklich um die Umwelt und das Klima – oder nicht doch um Agitation gegen Kapitalismus, Wachstum und Wohlstand, also um Gesellschaftskritik, für die Natur- und Klimaschutz nur ein willkommener Vorwand sind?
Die Atomkraft ist im Zeichen solcher Ideologisierung zum Symbol einer typisch deutschen Energiepolitik geworden. Die Niederländer nehmen derzeit in Kauf, dass buchstäblich die Wände wackeln, um Gas per Fracking zu fördern. Nebenan, in Niedersachsen, brüstet sich der Ministerpräsident im Wahlkampf, die Versorgung seines Landes sei gesichert, weil Gas aus den Niederlanden geliefert werde. Das Kernkraftwerk, das im Land stehe, brauche man deshalb nicht mehr. Und Fracking? Bloß nicht hier! Was wohl die Niederländer über so viel Selbstgefälligkeit denken?
Die Franzosen werden nicht viel schlauer aus den Deutschen. Habeck sagt mit seinem Beschluss nichts anderes als: Wären alle 56 Kernkraftwerke in Frankreich zuverlässig in Betrieb, könnten wir auch auf die drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke verzichten. Dann wäre das Stromexportland, das Deutschland ist, nicht überlastet; und das Stromimportland, das Deutschland auch ist, könnte ruhig schlafen. Daran wird noch so viel Windkraft und Sonnenschein vorläufig nichts ändern.
Wenn der Atombeschluss dazu beiträgt, dass die deutsche Politik von ihrem hohen Ross herabsteigt und in die europäische Wirklichkeit zurückkehrt, wäre mehr gewonnen als nur eine Atempause in der akuten Energiekrise.
Die Anti-Atom-Sonne ist untergegangen - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Sibel Kekilli hat angesichts der Proteste im Iran einen klug-differenzierten Artikel über das Kopftuch geschrieben.
Vor ein paar Jahren habe ich eine Petition für ein Kopftuchverbot für Schulkinder in Deutschland unterzeichnet. Anschließend wurde ich stark angefeindet, was mich nicht überrascht, sehr wohl aber verärgert hat. Denn meist waren es deutsche Frauen, die mir Intoleranz vorwarfen. Ich habe nichts dagegen, wenn Frauen mit 18 Jahren sagen: Ich trage ein Kopftuch. Manche behaupten dann sogar, für sie sei das eine Form des Feminismus. Auch wenn ich hier anderer Meinung bin, akzeptiere ich das, und ein klein wenig kann ich sogar verstehen, welche Message sich dahinter verbirgt. Nämlich dass sie zu ihrer kulturellen Identität stehen.
Ich finde: Jede Frau soll ihr Leben so leben, wie sie es für richtig hält. Ja, dazu gehört auch das Tragen eines Kopftuchs, wenn sie es selbst und aus freien Stücken wählt. Aber die Behauptung, ein siebenjähriges Mädchen könne selbst entscheiden, ob es ein Kopftuch tragen möchte oder nicht, ist schlicht falsch – und auch realitätsfern. Wenn mir deutsche Frauen aus der bürgerlichen Mitte erklären wollen, dass Kopftuchtragen dasselbe sei, wie wenn man ein Kettchen mit Kreuz um den Hals trage, dann macht mich das wütend. Weil der Vergleich nicht stimmt. Denn das Kopftuch ist ein sexualisiertes Symbol, das Kreuz hingegen nicht.
Lange, schöne Haare bedeuten manchen Frauen viel. Sie sind ein Zeichen von Weiblichkeit. Was im Iran gerade geschieht, erschüttert mich deshalb zutiefst. Wenn unser Haar aber euch, also jene fundamentalistische Männerwelt, so erregt, ist es dann wirklich ein Problem von uns Frauen? Wäre es nicht an der Zeit, dass die Männer ihre Erregung beherrschen? Es ist nicht das Kopftuch, sondern es sind die Willkür solcher Vorschriften und das System des Zwangs, die ich kritisiere.
Oder geht es in Wahrheit eben doch darum, die Frau weiterhin kleinzuhalten, damit sie nicht ihr eigenständiges Leben führt und zu einer gleichberechtigten Person wird, die den Mann sogar überflügeln kann?!
Ich glaube, das Kopftuch ist auch ein Symbol dafür, dass nicht passieren soll, was nicht passieren darf: weibliche Freiheit. Es macht mich jedenfalls traurig, dass wir im 21. Jahrhundert noch immer über Kopftücher diskutieren. Und es macht mich traurig, dass wir aus den vergangenen 20 Jahrhunderten offenbar nichts gelernt haben.
Wir Frauen aber haben unseren eigenen Kopf. Weder Religion noch Kultur noch Männerfantasien dürfen ein Argument sein, um uns vorzuschreiben, unser Haar zu bedecken. Wie wir uns zeigen, das entscheiden wir allein.
"Wir haben unseren eigenen Kopf" - Zeit
Zum Ende der Rubrik wieder Sehenswertes. Tilo Jung, den ich als Journalist grundsätzlich kritisch sehe, weil er - bis auf wenige Ausnahmen - nur Gäste einlädt, die seiner Meinung sind oder seiner Agenda in die Hände spielen, hat nun gleich zwei dieser Ausnahmen und damit sehr interessante Gespräche geliefert.
Zum einen in Person des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle.
Zum anderen Bundespräsident Christian Wulff.
Kultur
Coverversion der Woche: Thomas D and the KBCS – Rückenwind
Gestern stieß ich mit einem Jahr Verspätung auf die Kooperation des Rappers Thomas D. (Die Fantastischen Vier) mit der Band The KBCS. Hin und wieder werden auch gute Dinge aus den 90er Jahren recycelt. In diesem Fall die Fusion aus Acid Jazz und Hip Hop. Ursprünglich erschien das Lied 1997 auf seinem ersten Soloalbum mit dem kreativen Titel “Solo” und entwickelte sich damals zu einem meiner Lieblingslieder. Thomas Dürr, so sein bürgerlicher Name coverts sich hier sozusagen selbst. Mit der Band KBCS nahm er ein ganzes Album mit Neuinterpretationen auf, welches in Gänze empfehlenswert ist.
Epilog
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