Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #10
Dies ist die zehnte Ausgabe des Newletters. Der Champagner bleibt trotzdem zu, denn dafür ist es noch zu früh. Als ich mit dieser Publikation begann, rechnete ich damit, sie nach ein paar Wochen frustriert wieder einzustampfen. Nun hat sich gezeigt, dass das Interesse grösser ist, als ich je erwartet hätte.
Mir wurde mehrfach mitgeteilt, dass eine Stimme wie die meine im Diskurs fehle. Ohne meine Bedeutung zu überschätzen, war das einer der Gründe dafür, mit diesem Newsletter anzufangen. Allerdings nicht in dem Sinn, dass ich mich persönlich für so wichtig halte, sondern dass Meinungen, wie ich sie formuliere, von vielen Menschen geteilt werden, diese aber immer häufiger davon absehen, sie zu äussern, weil sie negative Konsequenzen fürchten.
Das ist kein obskures “Schweigende Mehrheit”-Geschwafel, wie man es aus Populistenkreisen kennt, sondern wird inzwischen von mehreren Untersuchungen bestätigt. Ich versuche, Themen differenziert und auf der Basis von Fakten zu betrachten. Allein das ist für manche schon provokant, auch wenn ich mich klar von jeder Form des Populismus/Radikalismus/Extremismus distanziere.
Leider nimmt in der Gesellschaft eine Haltung immer mehr Raum ein, die ein klares Bekenntnis zu einem Lager fordert und, falls das ausbleibt, mit Ächtung reagiert. Ein solches wird es von mir allerdings niemals geben. Um es mit Groucho Marx (Beziehungsweise einer der vielen Versionen seiner Äusserung.) auszudrücken:“I don’t want to belong to any club that will accept me as a member.”.
Auch zu meiner Perspektive als Dunkelhäutiger bekam ich positive Rückmeldung. Vor Allem von anderen Dunkelhäutigen, die sich - genau wie ich - an der einseitigen Darstellung der Rassismusproblematik in den Medien durch die immer gleichen “Experten” stören und deren Prämissen bezüglich bestimmter Sachverhalte für falsch halten.
Besonders freut mich, dass sich auch Journalisten unter meinen Lesern befinden. Eine Journalistin schrieb mir, mein Newsletter sei der Erste, den sie lesen MÜSSE (Ja, in Großbuchstaben.). Das ist natürlich ein tolles Kompliment, welches mich motiviert, weiterzumachen. Jetzt ist Schluss mit der Selbstbezogenheit, aber ein wenig Freude zum Zehnten muss erlaubt sein.
Es gibt auch Änderungen zu vermelden. Wie dem geneigten Leser vielleicht aufgefallen ist, befinden wir uns auf einer neuen Plattform. Die Entscheidung zu wechseln traf ich, weil ich mich beim alten Anbieter regelmäßig mit technischen Problemen herumärgern musste und mir das Erscheinungsbild nie hundertprozentig gefiel. Hier passen “look and feel” deutlich besser zu dem, was ich mir vorstelle und auch die Anpassungsmöglichkeiten entsprechen eher meinen Anforderungen. Des Weiteren (Danke für den Hinweis!) lautet der Name des Newsletters von nun an “Marcellus Maximus meint.”. Für Abonnenten ändert sich nichts, Rückmeldungen zur neuen Optik und dem neuen Namen sind willkommen.
Nun aber los.
In dieser Woche geht es unter Anderem um Vorverurteilung, Kunstfreiheit und mal wieder um Cancel Culture.
Politik/Gesellschaft
Die Kabarettistin Lisa Eckhardt wurde nach heftigen Protesten von einem Literaturfestival in Hamburg ausgeladen, nachdem sich bereits zwei Autoren geweigert hatten, mit ihr aufzutreten. Der Vorwurf: Sie habe sich rassistisch und antisemitisch geäussert. Beweise gibt es dafür nicht. Man muss Eckardts Darbietungen nicht lustig finden, die Gründe für die Ausladung sprechen allerdings Bände:
Man sehe sich außerstande, im Falle einer Lesung die "Sicherheit der Besucher und der Künstlerin" zu gewährleisten.
Weiter heißt es in dem Schreiben: "Es ist unseres Erachtens sinnlos, eine Veranstaltung anzusetzen, bei der klar ist, dass sie gesprengt werden wird, und sogar Sach- und Personenschäden wahrscheinlich sind. Wir haben in den letzten Tagen bereits aus der Nachbarschaft gehört, dass sich der Protest schon formiert".
Im "bekanntlich höchst linken Viertel" werde eine solche Veranstaltung nicht geduldet, auch an Polizeischutz sei nicht zu denken, weil "die Situation dann sogar noch eskalieren und gar zu Straßenscharmützeln führen" könne.
Da knickt also eine Festivalorganisation vor Drohungen des Mobs ein und opfert ohne Not eines der wichtigsten Grundrechte. Es geht den Kritikern zudem in Wirklichkeit gar nicht um die behaupteten Themen. Lisa Eckhardts Vergehen sind, dass sie nicht links genug ist und regelmäßig in der Sendung von Dieter Nuhr auftritt. Das reicht inzwischen schon, um in bestimmten Kreisen als inakzeptabel zu gelten. Man duldet nur noch Humor, welcher der eigenen Weltanschauung entspricht. Alles Andere muss weg. Bedenklich.
Kabarettistin Lisa Eckhart von Literaturfestival ausgeladen - Der Spiegel
In der Posse um Dieter Nuhr, die hier letzte Woche Thema war, gibt es einen neuen Akt. Die “Deutsche Forschungsgemeinschaft” hat seinen Beitrag, der aufgrund eines Shitstorms gelöscht worden war, wieder hochgeladen und sich entschuldigt. Vorher hatte sie angeboten den Beitrag kommentiert wieder online zu stellen, was Nuhr verständlicherweise ablehnte.
„Ich habe der DFG untersagt, mein Statement ‚kommentiert‘ online zu stellen. Was soll das denn? Alle anderen sagen frei ihre Meinung und meine wird mit einer Warnung versehen wie eine Zigarettenpackung.“
Er, Nuhr, sei von der DFG „mehr als enttäuscht, nicht nur aufgrund der Löschung, sondern noch mehr wegen des armseligen Umgangs mit der Sache“. Es stelle sich nun für viele Menschen die Frage, wie die DFG für freie Forschung stehen solle, „wenn sie schon bei so einer Lappalie einknickt. Mir macht das, gerade weil ich freie Wissenschaft für lebenswichtig halte, große Sorgen“.
Nun ist der Beitrag also wieder da und die erstaunlich gute Stellungnahme der DFG lässt darauf hoffen, dass dort wirklich nachgedacht wurde.
Die DFG bedauert es ausdrücklich, das Statement von Dieter Nuhr vorschnell von der Internetseite der Online-Aktion #fürdasWissen heruntergenommen zu haben. Herr Nuhr ist eine Person, die mitten in unserer Gesellschaft steht und sich zu Wissenschaft und rationalem Diskurs bekennt. Auch wenn seine Pointiertheit als Satiriker für manchen irritierend sein mag, so ist gerade eine Institution wie die DFG der Freiheit des Denkens auf Basis der Aufklärung verpflichtet. Wir haben den Beitrag daher wiederaufgenommen. Die Diskussion um den Beitrag verdeutlicht exemplarisch die Entwicklungen, die aktuell viele öffentliche Diskussionen um die Wissenschaft kennzeichnen.
In verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft hat sich eine Debattenkultur entwickelt, in der oft nicht das sachliche und stärkere Argument zählt, in der weniger zugehört und nachgefragt, sondern immer häufiger vorschnell geurteilt und verurteilt wird. An die Stelle des gemeinsamen Dialogs treten zunehmend polarisierte und polarisierende Auseinandersetzungen.
Beitrag von Dieter Nuhr wieder online - Deutsche Forschungsgemeinschaft
Philipp Amthor steht seit einiger Zeit wegen bekannt gewordener Beziehungen zum Unternehmen “Augustus Intelligence” in der Kritik. Bevor auch nur ansatzweise geklärt war, welcher Natur dieses Verhältnis war und ob es überhaupt ein juristisches Fehlverhalten darstellt, war das Urteil in den sozialen Medien bereits gefällt: Korrupt sei er, hiess es sofort aus den üblichen Kreisen, zurücktreten müsse er. Dann wurde die Onlinegerichtsbarkeit durch zwei Dinge schwer enttäuscht: Erst teilte die Generalstaatsanwaltschaft Berlin mit, dass kein Ermittlungsverfahren eröffnet werde, da sich keine Hinweise auf einen Anfangsverdacht der Bestechlichkeit oder Bestechung erhärtet hätten. Nun stellte auch der Bundestag sein Prüfverfahren aus ähnlichen Gründen ein. Die Prüfung "auf Verstöße gegen die Verhaltensregeln" sei abgeschlossen, weil sich auf Grundlage der geltenden Bestimmungen "keine Hinweise auf Rechtsverstöße ergeben" hätten. Für seine Kritiker ist er natürlich trotzdem schuldig. Daran ist gut zu erkennen, dass diese ein eher taktisches Verhältnis zum Rechtsstaat haben. Marcel Schütz hat dazu einen lesenswerten Artikel geschrieben.
Generell hat sich in den sozialen Netzwerken die letzten Jahre eine Haltung entwickelt, wonach man bei jeder «unpopulären» juristischen Entscheidung am besten alles in Zweifel zieht. Nur kann das Recht in der Gesellschaft nicht auf Zustimmung durch alle gründen. Eine gewisse Abstraktion der Anerkennung juristischer Apparate und Prozesse ist bei der weit getriebenen Komplexität der Rechtsgebiete schier unvermeidlich. Gerade dann, wenn eigene ideologische Einstellungen dem ziemlich entgegenstehen. Es führte jedenfalls in die Irre, die Justiz nur als den verlängerten Arm der Politik zu begreifen. Auch wenn eine gewisse Politisierung bei hochrangigen Personalien dazu motivieren mag.
Der Fall Amthor: Wie Vorverurteilungen im Netz funktionieren - NZZ
Identitätspolitik und ihre Auswirkungen sind ein Thema, über das ich viel nachdenke, weil ich die Folgen für die Gesellschaft für fatal halte. Jahrelang handelte es sich vorwiegend um ein Phänomen aus den USA, welches man nur zur Kenntnis nahm, wenn man internationale Publikationen las. Inzwischen ist die Identitätspolitik aber in Deutschland fest etabliert. Da sich gezeigt hat, dass dortige Entwicklungen mit ein paar Jahren Verzögerung auch hier beginnen, empfehle ich den folgenden Artikel von Sandra Kostner, der Geschäftsführerin des Masterstudiengangs „Interkulturalität und Integration“ an der PH Schwäbisch Gmünd über die Radikalisierung von Identitätspolitik und Antirassismus sowie die fragwürdige Argumentation ihrer Befürworter.
Insbesondere Äußerungen, die bei BIPoCs Gefühlsverletzungen hervorrufen könnten, sind strikt zu unterbinden. „Von Rassismus betroffenen Personen“, so das Dogma, darf grundsätzlich nicht widersprochen werden. Wer dies tue beziehungsweise wer behaupte, jedem stünde ein Widerspruchsrecht zu, dem ginge es nur darum, seine weißen Privilegien auf Deutungshoheit zu verteidigen. Weißen, aber auch andersdenkenden BIPoCs (denen regelmäßig der Stempel „Verräter“ an der eigenen Gruppe aufgedrückt wird), wird das Rederecht abgesprochen. Ihnen wird verordnet, den sich als marginalisiert verstehenden BIPoCs und ihren weißen Unterstützern zuzuhören, um daraus die „richtigen“ Lehren zu ziehen – also das Programm der Aktivisten zu übernehmen.
Schuld und Sühne - Internationale Politik und Gesellschaft
Winfried Kretschmann hat sich in einem Interview mit der DPA sehr deutlich zur sogenannten geschlechtergerechten Sprache und den aktuellen Denkmalstürmen geäussert. Zu den Sprachregelungen sagte er:
„Von diesem ganzen überspannten Sprachgehabe halte ich nichts“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. „Natürlich müssen wir darauf achten, dass wir in unserer Sprache niemanden verletzen, und Sprache formt unser Denken ein Stück weit. Aber jeder soll noch so reden können, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.“ Er sei gegen „Sprachpolizisten“.
Zum zweiten Thema äusserte er sich folgendermaßen:
Kretschmann warnte derweil auch vor einem Sturm gegen historische Denkmäler und Vorbilder: „Ich bin ein ganz strikter Gegner von diesem Jakobinismus. Wir können die Geschichte nicht rückwärts bereinigen.“
Selbst der große Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) sei etwa in seinem Frauenbild zu sehr ein Kind seiner Zeit gewesen. „Das sollten wir diesen großen Geistern nicht zum Vorwurf machen. Das finde ich unsinnig und arrogant. Wir wissen seit der Französischen Revolution, wohin der Tugendterror führt – zu nichts Gutem.“
Inhaltlich stimme ich dem zu und freue mich, dass es bei den Grünen noch Realos gibt. Allerdings möchte ich zu bedenken geben, ob die Verwendung von Reizworten, wie “Sprachpolizisten” oder “Tugendterror” eine gute Idee war, auch wenn es die Phänomene hinter den Begriffen natürlich gibt. Der Vorwurf des Populismus - so unberechtigt er auch ist - folgte auf dem Fuß. Ähnliche Fehler macht Boris Palmer häufig. Man kann zwar kritisieren, dass der Zeitgeist so sensibel ist, ändern kann man das aber nicht. Wenn man breites Gehör finden und eine konstruktive Debatte anstoßen will, sollte man auf solche Buzzwords verzichten.
„Tugendterror führt zu nichts Gutem“ - Welt
Der ehemalige Direktor Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, hat sich in einem Artikel, der sich wie ein Kriminalroman liest, dem verschwundenen Parteivermögen der SED gewidmet.
Vor 30 Jahren sorgte Gregor Gysi dafür, dass das riesige Vermögen der SED mit krimineller Energie beiseite geschafft wurde. Seiner politischen Karriere hat der Milliardenklau nicht geschadet. Ein weiterer Beteiligter an der gigantischen Vermögensverschiebung ist heute Fraktionschef der Linken im Bundestag. Kein anderer Finanzskandal in der deutschen Parteiengeschichte blieb derart folgenlos.
Der Milliardenklau - Hubertus Knabe
Kultur
Coverversion der Woche: The Kingsmen - Louie Louie
Dieses Stück gehört zu den meist gecoverten aller Zeiten. Im Rahmen der Schulprojektwoche, in der schon “All Along The Watchtower” verunglimpft wurde, erregte auch dieser Song zum ersten Mal meine Aufmerksamkeit. Ursprünglich ist das Lied von Richard Berry im Jahr 1957 veröffentlicht. Das Original ist sanft und groovig, wohingegen die Version der Kingsmen von 1961 eher nach vorne geht. Ich mag beide.